Ballschrank
Lämmer in roten Trikots
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| Donnerstag, 25. März 2004Real Madrid-Bayern München (1:0): „Lämmer in roten Trikots“ (SZ) – FC Chelsea-VfB Stuttgart (0:0): „ereignisloses, lustfeindliches Scheingefecht“; „so war es ein wenig, als spielte der VfB gegen sich selbst“ (FAZ); „ebenbürtig und trotzdem ohne Chance“ (FAZ); „die Stuttgarter haben gezeigt, daß sie dazugehören. Aber auch, was ihnen noch fehlt“ (FAZ) – Manchester United ausgeschieden „Der rote Kopf Alex Fergusons schien vor Wut und Frust fast den Bildschirm zu sprengen“ (FAZ) u.v.m.
Real Madrid – Bayern München 1:0
Lämmer in roten Trikots
Klaus Hoeltzenbein (SZ 11.3.) ist von Bayern München enttäuscht: „Der FC Bayern der Gegenwart stand am Mittwoch vor seinem Richter, und was verblüffte, war, wie er sich in sein Schicksal ergab. Wenig war zu sehen vom Schneid des Hinspiels, in dem viele einen Erweckungsimpuls erkannt haben wollten. Wenig von jener Chuzpe, mit der sich die Münchner einst unter dem Befehl von Effenberg im Bernabeu-Stadion zeigten. Wo war die ¸bestia negra, die schwarze Bestie, die die Madrilenen seit Jahren fürchteten? Unter dem neuen Herdenführer Ballack mutierten Bestien zu Lämmern in roten Trikots. Gewiss, die Elf von Real ist die teurere, die prominentere, aber komponiert wurden beide Teams mit einem identischen Ziel, nämlich die Champions League zu gewinnen. Während Real seinen Weg weiter geht, wird Bayern ähnliche Debatten führen wie Manchester United oder Juventus Turin, die sich ebenfalls verabschiedeten. Eingeschlossen darin die zentrale Frage: Sind die Trainer, sind Ferguson, Lippi, Hitzfeld noch inspiriert und am richtigen Ort? Die Bayern haben ihre Antwort gegeben, sie wollen, glaubt man den Bekenntnissen, mit Ottmar Hitzfeld bis 2005 ans Vertragsende gehen. Vor der Bestätigung dieser Absicht sollten sie den lethargischen Auftritt in Madrid erneut diskutieren.“
L‘art pour l‘art
Claudio Klages (NZZ 11.3.) findet, dass Real gut gespielt hat: „Die warmen Frühlingstage in der spanischen Metropole haben dem letzten in einem europäischen Wettbewerb verbliebenen deutschen Team, Bayern München, weit mehr Schweiss auf die Stirn getrieben, als ihm lieb war. In einem qualitativ nur selten der Affiche entsprechenden, vom Schweizer Referee Urs Meier mit wenigen Vorbehalten hervorragend geleiteten Match konnten die nach dem 1:1 im Hinspiel erstaunlicherweise sehr zuversichtlich nach Madrid gereisten Deutschen die Königlichen in deren eigenem Stadion – nicht ganz unerwartet – nicht in Bedrängnis bringen. Den ersatzgeschwächten Madrilenen reichte zur Viertelfinal-Qualifikation eine bestechend spielerische und läuferische Leistung zum letztlich entscheidenden Ein-Tor-Vorsprung, den sie in der Folge, wenn auch mit etwas Glück, behaupteten. Nach durchzogener Darbietung vor zwei Wochen in München raffte sich die Ansammlung kosmopolitischer Spitzenfussballer unter Führung des überragenden Zidane in einer Art und Weise auf, die eben der individuellen Klasse gerecht wird, die in diesen Reihen auch ohne Ronaldo und Roberto Carlos am Mittwochabend in ausserordentlich hohem Masse vorhanden war. L‘art pour l‘art wurde zwar oft reichlich übertrieben, aber Herr im Haus blieben die Madrilenen. Der Stolz und das Selbstwertgefühl hatten es ihnen schlicht verboten, diesen zum High Noon hochstilisierten Match trotz der guten Ausgangslage nur als reagierende Partei in Angriff zu nehmen. Und nach dem Führungstreffer nahmen Selbstbewusstsein und Siegesgewissheit in demselben Masse zu wie taktische Disziplin und kollektives Handeln. (…) Wie erwartet liessen die Spanier niemanden im Zweifel über ihre Absichten, mit anhaltend vorwärts gerichteten Tempo- und Kombinationsspiel den Gegner vorzeitig zu zermürben und möglichst schnell einen Torerfolg zu erzwingen.Exemplarisch des Platzklubs die Movida, das direkte Weiterleiten des Balles auf stets gut positionierte oder in Stellungen gelaufene Mitspieler oder das Pressing zu einem relativ frühen Zeitpunkt. So blieb den Bayern lange nichts anderes übrig, als (hinterher) zu rennen. Zu dieser Demonstration von Fussball als Laufspiel oder Artistik am Ball, von Zidane brillant interpretiert, passte nicht zuletzt die fast lehrbuchmässige Entstehung des nach einer halben Stunden durchaus zwingenden Führungstreffers der Madrilenen: Schiedsrichter Meier, in der Startphase bei einigen Gehässigkeiten und zwei Verwarnungen sogleich zu höchster Konzentration gefordert, liess nach einem Foul an Raúl den Vorteil laufen, Beckhams Zuspiel wurde von Salgado mit dem Kopf direkt zum hinteren Pfosten weitergeleitet, wo Zidane majestätisch verwertete.“
FC Chelsea – VfB Stuttgart 0:0
Ereignisloses, lustfeindliches Scheingefecht
Raphael Honigstein (Tsp 11.3.) hat sich gelangweilt: „Auf dem Papier stand England gegen Deutschland, auf dem Spiel ein Platz im Viertelfinale. Das konkrete Match an der Stamford Bridge aber kam einem in den ersten 45 Minuten vor wie eines dieser gänzlich ereignislosen, lustfeindlichen Scheingefechte, die nur die italienische Serie A so perfekt hinbekommt. Der VfB Stuttgart, der im Grunde nur für Konter konzipierte Bundesligist, mühte sich unter großem Aufwand vergeblich gegen einen FC Chelsea, der sich mit einem in der Premier League bisher einmaligen 8-1-1-System tief in der eigenen Hälfte verschanzte. „Noch tiefer, und sie hätten schon in der Kings Road gestanden“, lästerte der Independent über die Zerstörertaktik des Londoner Klubs. In den Strafräumen passierte also nichts bis wenig; dementsprechend lange musste das Stadion auf den ersten Torjubel warten. Als die 38 000 endlich losbrüllten, hatte Schiedsrichter Kim Milton Nielsen schon eine ganze Weile abgepfiffen – der Stadionsprecher hatte den Ausgleichstreffer des FC Porto im Old Trafford verkündet. Chelsea war weiter, Manchester United draußen. Dann meldete sich eine junge, weibliche Stimme zu Wort: „Liebe Stuttgarter, der FC Chelsea möchte sich für Euer Verhalten bedanken“, kam es in etwas angeknackstem Deutsch aus den Lautsprechern. Ein netter Gruß, wohl für die vorbildlichen Fans der Schwaben bestimmt. Vielleicht aber waren damit in Wahrheit die wieder mal harmlosen Stürmer der Gäste gemeint.“
Verhinderungsfußball
„Die Stuttgarter haben gezeigt, daß sie dazugehören. Aber auch, was ihnen noch fehlt“, teilt Christian Eichler (FAZ 11.3.) mit: „Es blieb nur der in solchen Fällen verdiente Trost, daß man alles versucht hatte. Die Haltungsnoten stimmten. Wäre Pech im Spiel gewesen, man hätte hadern können. Doch die Analyse zeigte, daß ein Defizit vorlag. Hundertprozentig stimmten Einsatz, Organisation, Disziplin, Druck, Initiative. Doch wie einem Bergsteigertrupp, der vorbildlich sein Basislager organisiert, alles Erdenkliche vorbereitet hat und dann doch nicht den Angriff auf den Achttausender schafft, so mangelte es den Stuttgarter Gipfelstürmern am letzten Biß in der Höhenluft der Champions League. Der letzte Paß hat gefehlt, urteilte Silvio Meissner – jener Übergang vom Ballbesitz zur Ballverwertung, der mit wachsender Disziplin und Qualität einer gegnerischen Abwehr um so schwieriger wird. Die defensive blaue Wand von Chelsea zwang die im Strafraum machtlosen Schwaben fast immer, zu früh den Abschluß zu suchen. Von zwanzig Torschüssen waren nur zwei gefährlich: der von Lahm und der von Tiffert. Immerhin, es gab eine Menge, auf die man sich etwas zugute halten konnte. Wäre da nur nicht Meiras Eigentor aus dem Hinspiel gewesen, dem man, so Magath, 160 Minuten lang hinterherlief. Der Respekt vor Stuttgart brachte die international zusammengekaufte Startruppe des russischen Milliardärs Roman Abramowitsch dazu, sich vor eigenem Publikum mit völlig glanzlosem Verhinderungsfußball zu präsentieren wie ein Catenaccio-Ableger aus Italien. Der Respekt vor dem VfB ging so weit, daß zwei von Real Madrid gekaufte Stars wie Makelele und Geremi zu reinen Ausputzern degradiert wurden. Wir hatten sie unter Druck, brachten sie in Verlegenheit, das ist schon sehr viel, sagte Magath. Wenn wir mit unserem Budget gegen diese von Stars wimmelnde Mannschaft ebenbürtig sind, können wir ein bißchen stolz sein. Was fehlte, war nur ein bißchen Durchschlagskraft. (…) So war es in London ein wenig, als spielte der VfB gegen sich selbst – eine Mannschaft, die in der Bundesliga viele Erfolge zu erzielen pflegt, indem sie in der Defensive einfach nichts hergibt. In der Bundesliga aber hat man es oft mit Teams zu tun, die nicht ausgeglichen erstklassig besetzt sind und deshalb unter Druck immer mal ein, zwei Tore hergeben. In der Champions League ist das anders, da erwischt man Gegner, die ein Verhinderungskonzept 180 Minuten fehlerlos durchhalten und gegen die ein einziger Aussetzer wie das Eigentor von Meira zu viel ist.“
Andreas Lesch (BLZ 11.3.) erkennt ein Stuttgarter „Sturmproblem“: „Es wird wohl nie geklärt, ob der Fußballprofi Jeronimo Cacau am Dienstag einen Weltrekord aufgestellt hat. Das Guiness-Buch versammelt zwar allerlei kuriose Bestmarken. Es gibt Auskunft darüber, dass ein Kanadier unübertroffen ist im Kettensägen-Jonglieren (44 Mal, inklusive Rotationen!); dass der größte künstliche Weihnachtsbaum des Planeten 52 Meter in die Luft ragte; dass 46 824 Thailänder an der bestbesuchten Aerobik-Stunde aller Zeiten teilnahmen. Aber die unfreiwillige Leistung des Stuttgarters Cacau ist den Buchautoren bei solcher Konkurrenz vermutlich zu schnöde – dabei hatte sie durchaus Seltenheitswert: Cacau zeigte vermutlich die meisten Stolperer in Serie. Die erste Hälfte neigte sich dem Ende zu im Achtelfinal-Rückspiel der Champions League an der Stamford Bridge zu London, der VfB Stuttgart griff an, Alexander Hleb trieb den Ball. Cacau lief mit, oder besser: Er versuchte es. Fast fünfzehn Meter haspelte er über den Rasen, die Beine versagten dem Nervösen den Dienst, dann endlich fiel er; der Angriff war dahin.“
Martin Hägele (NZZ 11.3.) vertröstet die Stuttgarter auf die Zukunft: „„Wenn man 180 Minuten nicht in der Lage ist, ein Tor zu erzielen, kann man dieses Manko schon als Grund für unser Ausscheiden anführen“, sagte Felix Magath. Der „Trainer des Jahres“ hatte etwas Ähnliches befürchtet, dass nämlich seinen jungen Offensivkräften die Grenzen gesteckt würden. Sie hätten im Sturm viele Talente, aber das seien noch keine Leute von internationalem Format. Ganz deutlich wurde dieser Unterschied, als in der Schlussphase der 18-jährige Mario Gomes aufs Feld geschickt wurde – im selben Augenblick erhob sich von der Chelsea-Bank Mutu. Der war im Sommer für 18 Millionen Pfund aus Parma engagiert worden. Der rumänische Stürmer, der erst eine Verletzung überstanden hatte, prüfte Timo Hildebrand sofort spektakulär. Der VfB-Keeper bewies auch in seinem vorerst letzten internationalen Spiel, dass er schon bald eine Alternative zu Oliver Kahn sein könnte. Augenzeuge Völler musste auf der Tribüne schnell erkennen, dass ihn die gleichen Probleme plagen wie seinen Branchenkollegen Magath. Von hinten heraus und im defensiven und zentralen Mittelfeld ist die Nationalmannschaft ebenso gut besetzt wie der VfB. Doch wenn die DFB-Auswahl an der EM die Viertelfinals erreichen will, braucht sie dazu ebenso ein paar Tore wie Magaths Musterschüler. Bevor nun in Stuttgart die Debatte losgeht, man könne doch in dieser Richtung ein bisschen Vabanque spielen und den derzeit zusammenbrechenden Transfermarkt nach einem Goalgetter der Extraklasse sondieren, legte Präsident Erwin Staudt den Kurs für die Zukunft fest. Noch im März will er den Vertrag mit Magath bis 2007 verlängern. Die Umwandlung des Traditionsvereins in eine Kommanditgesellschaft soll bis zum Jahresende vollzogen sein. Von den Investoren erwartet der Vorstandsvorsitzende rund 10 Millionen Euro, mit dem grössten Teil dieser Einlage soll eine Fussball-Akademie im Schwabenland entstehen, wie es sie bis jetzt in Deutschland nicht gibt. Das Modell Magath läuft also weiter; es wird jetzt aber noch viel intensiver und wohl auch internationaler nach Talenten gefahndet werden. Seine Zukunft erarbeitet sich der VfB weiter, er will sie sich auf keinen Fall erkaufen – auch wenn die Überweisungen von der Champions League schon verlockend wirken. Und dies ist nicht die schlechteste Überzeugung, die der VfB von der Reise in den Monopoli-Spielpark des Fussball- Zaren Abramowitsch mitgenommen haben.“
NZZ-Bericht AC Milan – Sparta Praha (4:1)
Christian Eichler (FAZ 11.3.) beschreibt das Gemüt Alex Fergusons: „Der rote Kopf schien vor Wut und Frust fast den Bildschirm zu sprengen. Während der Mund tapfer-ratlose Sätze ausstieß wie Solche Dinge passieren halt im Fußball, wirkten die Augen, als könnten sie weder Kamera noch Interviewer richtig fixieren, weil sie offenbar in einer verzweifelten Rückblende jene vertrackte 90. Minute zu fokussieren suchten, in der eine Saison zu Bruch gegangen war – und mit ihr vielleicht das gesamte Spätwerk des erfolgreichsten Vereinstrainers der Welt. Selten hat man Sir Alex Ferguson so hilflos geschockt gesehen wie am Dienstag abend nach dem 1:1 in der Champions League gegen den FC Porto, mit dem Manchester United zum ersten Mal seit acht Jahren das Viertelfinale der europäischen Meisterklasse verpaßte. (…) Es wird deutlich, daß es Ferguson seit über einem Jahrzehnt nicht gelungen ist, eine neue Mannschaft zu formen. Im Kern ist es die alte, die aus einem legendären Nachwuchsjahrgang um Beckham, Scholes, Giggs, die Nevilles, dazu dem Iren Keane bestand – eine bis heute zutiefst britische Mannschaft. Ausländer wie Cantona oder van Nistelrooy gaben ihr ein Extra an Klasse, aber die kunstvolle Legierung einer internationalen Fußballkultur, wie sie der große Rivale Arsène Wenger bei Arsenal London schuf, wollte Ferguson nie gelingen. Zukäufe wie Veron, Kleberson oder zuletzt Cristiano Ronaldo blieben eher dekorativ als effektiv.“