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Deutscher als jeder deutsche Arbeitskollege
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| Donnerstag, 25. März 2004Zvonimir Soldo (VfB Stuttgart), „deutscher als jeder deutsche Arbeitskollege“ (FAZ) – Stuttgarter Optimismus – Claudio Ranieris schwierige Arbeit in Chelsea – „die Tage von Gold Trafford sind gezählt“ (Mirror), nun zieht der FC Chelsea an – Filippo Inzaghi, ungewöhnlicher Stürmer (Tsp) u.v.m.
Deutscher als jeder deutsche Arbeitskollege
Roland Zorn (FAZ 9.3.) porträtiert Zvonimir Soldo, Mittelpunkt des Stuttgarter Spiels: „Der kroatische Athlet, seit acht Jahren im Verein und dort fast schon eine Institution, gibt wie auch sonst den Ton vor: Der Musterprofi verkörpert so etwas wie die Ruhe vor dem Sturm. Soldo ist der Stratege, der dem Spiel des VfB den notwendigen organisatorischen Halt gibt, und eine Art Relaisstation, wenn der Hebel umgelegt und aus klugem Abwehrverhalten intelligente Angriffszüge werden sollen. Soldo, der uneigennützige Vorarbeiter und Chef der Stuttgarter Rasselbande, weist hochbegabten Jungprofis wie Hinkel, Kuranyi, Hleb oder Lahm die schnörkellosen Wege zum Ruhm. Daran läßt auch Soldos Vorgesetzter, Teammanager Felix Magath, keinen Zweifel. Magath, einst selbst ein vorzüglicher Mittelfeldspieler, wenn auch aus der offensiven Spielmacherabteilung, hat den hoch aufgeschossenen Mann mit dem klaren Blick aus großen braunen Augen zur unantastbaren Hauptfigur erklärt: Zvoni ist der von allen akzeptierte Mittelpunkt unseres Spiels. Er gibt die Kommandos, ist unser zweikampfstärkster Spieler und besitzt derart viel Spielübersicht, daß er von hinten heraus unser Spiel initiiert. Das alles in einer Person findet man nur selten. Auch mit 36 Jahren gilt dieser Soldo als bester defensiver Mittelfeldspieler der Bundesliga und darüber hinaus auf dem Cannstatter Wasen als derjenige, der als Kroate deutscher als jeder deutsche Arbeitskollege die für sein Spiel richtigen Dinge zu regeln versteht.“
Martin Hägele (SZ 9.3.) schildert Stuttgarter Optimismus: „Dass das ganze Ländle auf einen Schlag seine Liebe zu den jungen Fußballern und das Vertrauen in den Trainerfuchs Felix Magath wiederentdeckt hat, ist schwer zu erklären. Immerhin war nach sechs Spielen ohne Sieg mächtig herumgebruddelt worden an den Sympathieträgern der Vorrunde. Teamchef Magath beklagte sich zu recht über die überdrehte Erwartungshaltung; dem Fußballlehrer hatte die offen dargebrachte Enttäuschung jener Kreise gestört, die sich noch nicht allzu lange zum VfB bekennen, aber wohl geglaubt hatten, sie könnten heuer mit den jüngsten Mannschaft der Bundesliga nicht nur einen nationalen Titel, sondern gar den größten Erfolg im Klubfußball begießen. Der 2:0-Sieg im Dortmunder Westfalenstadion aber hat nun alle Gruppierungen innerhalb des Traditionsvereins auf einheitlichen Kurs gebracht. Fans und Vorstand, Mannschaft und Teammanager, alle glauben daran, dass die unglückliche Hinspielniederlage in London korrigiert werden kann. Sie lesen ihre Zuversicht aus den Gesichtern von Hildebrand und Soldo.“
Die NZZ (9.3.) mahnt erinnernd: „Man muss nur an sich und an seine Mittel glauben. Und man muss diese positive Überzeugung übertragen. In dieser Hinsicht ist Chelsea für die Stuttgarter ein ideales Beispiel, was mit Stimmung alles erreicht werden kann. Im Mai 1998 spielte der VfB Stuttgart den vorletzten Final im Europa- Cup der Cup-Sieger gegen eben jene Mannschaft aus London. Monatelang hatte der damalige Klubchef Gerhard Mayer-Vorfelder diesen Wettbewerb madig gemacht, in dem man ja kaum richtig Geld verdienen könne. Das Negativklima erreichte seinen Höhepunkt im Anflug auf Stockholm. In der von Zeugen abgeschotteten Bordküche nahm sich der Spielmacher Krassimir Balakow einen kritischen Reporter zur Brust: Bis heute ist noch nicht geklärt, ob er ihm eine Ohrfeige oder nur eine Kopfnuss verpasst hat. Der VfB verlor übrigens 0:1, sang- und klanglos und ohne überhaupt Leidenschaft, geschweige denn Siegeswillen zu zeigen. Am Montag aber stand der Stadionsprecher Pietschmann am Flughafen Echterdingen. Und mit ihm einige Reporter-Kollegen. Sie flogen auf eigene Kosten nach Heathrow. Aber alle in dem Bewusstsein, dass sich dort der Kreis zu jenem Abend schliessen wird, an dem Kuranyi und Szabics mit ihren Toren gegen Manchester United die Stuttgarter in eine neue Dimension geschossen haben. Jener Abend, als die bisher hochgelobten Fussball-Repräsentanten der Wirtschaftsregion mittlerer Neckar sich unter dem grössten Jubel, den es in dieser Arena jemals gegeben hatte, zu Global Players verwandelten.“
Tinkerman
Christian Eichler (FAZ 9.3.) befasst sich mit Claudio Ranieri: „In England nennen sie ihn den Tinkerman. Dieser Begriff beschreibt im Regelfall jemanden, der wie ein lustiger Heimwerker mal dort herumschraubt, dann wieder woanders, ohne genau zu wissen, wie es funktioniert. Mal klappt es, mal nicht. Claudio Ranieri erwarb sich den Spottnamen, indem er seine Mannschaft mal hier, mal wieder dort neu zusammenschraubt, jede Woche anders. Weil er das aber mit einem herzerfrischenden mediterranen Humor tut und mit einem von Selbstironie geprägten Italo-Englisch, haben ihn viele Fans auf der Insel auf eine folkloristische Weise ins Herz geschlossen, wie es einst Giovanni Trapattoni in der Bundesliga geschah. Beim FC Chelsea feiern ihn die Zuschauer, die Spieler verteidigen ihn, selbst die Presse mag Ranieri. Und seit fast einem halben Jahrhundert war kein Trainer des Südlondoner Klubs in der Meisterschaft erfolgreicher: Ranieris Team belegt Rang zwei in der Premier League. Nach dem 1:0 beim VfB Stuttgart hat Chelsea auch das Viertelfinale der Champions League in Sicht. Es könnte aber sein, daß das alles nicht reicht. Wie sein berufskomischer Landsmann Roberto Benigni strahlt Ranieri in guten Momenten eine humoristische Lust an der Komik des Absurden aus. Der trainierende Metzgersohn kann sie gut gebrauchen. Schon die paradoxe Vorgeschichte: Daß Ranieri in dieser Saison um seinen Job zittern muß, liegt daran, daß er in der letzten zu erfolgreich war. Chelsea war nie eine der ganz großen Adressen des englischen Fußballs. Ein einziger Meistertitel gelang 1955, dann lange nichts, bis in den neunziger Jahren mit viel Geld und vielen Importstars wie Gullit, Vialli, Zola eine Profilierung mit Sexy Football glückte – die zu zwei Pokalsiegen und dem Gewinn des Europapokals der Pokalsieger 1999 (gegen Stuttgart) führte. Aber erst als Klubeigentümer Ken Bates 2000 Ranieri holte, der bei Fiorentina, Valencia, Atletico Madrid solide Arbeit geleistet hatte, begann Chelsea bei aller Wechselfreude des Tinkerman auch in der Liga stabile Leistung zu bringen. Sie gipfelte im Finale der letzten Saison mit dem Sieg in Liverpool, der Chelsea Platz vier und damit die Champions League einbrachte. Erst dieser Erfolg machte Chelsea für den russischen Milliardär Roman Abramowitsch als Kaufobjekt so interessant: hoch verschuldet und Champions League, die ideale Kombination. Als Ranieri in den Sommerurlaub nach Rom fuhr, war er ein Erfolgstrainer, der in den Ferien grübeln mußte, wen er verkaufen könne; auf der Rückreise war er ein Trainer auf Abruf mit Geld für Einkäufe, so viel er wollte.“
Die Tage von Gold Trafford sind gezählt
Raphael Honigstein (taz 9.3.) berichtet die neue Anziehungskraft des FC Chelsea: „ArjenRobben, ein extrem talentierter Linksfuß, ist bereits der zweite Mann, den der Verein von Roman Abramowitsch für die nächste Saison gekauft hat; für 13,5 Millionen kommt auch der tschechische Nationaltorwart Peter Cech an die Stamford Bridge. 13 Spieler für 201 Millionen in sieben Monaten, lautet die Zwischenbilanz der russischen Revolution in Westlondon, doch die Posse um Robben ist interessant, weil sie einen Machtwechsel beschreibt: Der Niederländer ist der erste Kicker seit vielen Jahren, der trotz eines Angebots von Manchester United lieber bei einem anderen Premier-League-Klub anheuert. Alex Ferguson ist ein furchtbarer Grantler vor den Mikrofonen, aber er kann auch charmant sein. Uniteds Boss ließ Robben im Februar in einer Nacht-und-Nebel-Aktion nach England ausfliegen und zeigte ihm persönlich das Trainingsgelände und das Stadion. Arjen war angetan, der PSV in Finanznot, das Ergebnis absehbar. Fergie bekommt immer seinen Mann, lautet eine Fußballweisheit auf der Insel. Diesmal nicht. United bot 7 Millionen Euro und wollte Arjen erst für 2005, Chelsea sicherte sich die Dienste des Talents schon im Juli. Robben, der Wochen zuvor noch die verwegene Einkaufspolitik der Londoner offen kritisiert hatte, zeigte sich beeindruckt: Ich hatte ein paar sehr gute Gespräche mit den Leuten von Chelsea, die haben mich von ihrem Konzept überzeugt. Der Plan ist, mit jungen Spielern und Talenten nach vorne zu kommen. United hat es nie leicht gehabt, absolute Superstars in den verregneten Norden Englands zu locken, doch wenn sich das Objekt der Begierde für die Premier League interessierte, kamen nur die Red Devils in Frage. Die sportlichen und finanziellen Perspektiven waren dort mit Abstand die besten auf der Insel. Doch seit Abramowitsch seine Lust am Fußball entdeckt hat, kann Chelsea in diesen Punkten locker mithalten, und der Standort London ist attraktiver: Die Restaurants sind besser, die Läden teurer, die Frauen schöner; und man muss sich in der Kabine nicht von einem dogmatischen Dinosaurier aus Glasgow (Sunday Herald) zusammenfalten lassen. Die Tage von Gold Trafford sind gezählt, kommentierte der Mirror schadenfroh. (…) Das alles ist jedoch nur der Anfang. Glaubt man der Geschichte, die derzeit an der Themse jeder dritte Taxifahrer und jeder zweite Journalist aus sicherer Quelle gehört haben will, arbeitet man in Westlondon schon fieberhaft an einem sensationellem Coup, der United und der ganzen Welt mit aller Gewalt zeigen will, wo es in Zukunft langgeht: Superstar David Beckham soll ein Blauer werden. Gattin Victoria und seine Söhne würden sich schon freuen, dass der Papa bald wieder im Beckingham Palace außerhalb Londons einzieht, heißt es aus dem Umfeld des englischen Kapitäns.“
SZ-Interview mit John King, Chelsea-Fan und Buchautor, über Früher und Heute
SZ: Herr King, werden Sie im Stadion sein, wenn der VfB Stuttgart zu Gast ist?
JK: Nein, ich habe meine Dauer- karte vor zwei Jahren abgegeben.
SZ: Warum?
JK: Es hat mir einfach keinen Spaß mehr gemacht, zur Stamford Bridge zu gehen. Es gibt keine Stimmung mehr. Niemand singt mehr richtige Lieder. Man kann auch nicht wie früher mit seinen Freunden das Spiel erleben, weil niemand mehr als zwei Karten am Stück kaufen kann und deswegen jeder irgendwo anders sitzt. Wenn du Pech hast, hockt neben dir eine Oma oder ein Kind, dann kannst du nicht mal fluchen. Sonst fliegst du nämlich sofort raus.
SZ: Und der Verein gehört jetzt auch noch einem russischen Oligarchen.
JK: Ja, aber das stört uns ehrlich gesagt gar nicht. Wir freuen uns, dass wir endlich auch mal Geld haben und uns die besten Spieler leisten können. Außerdem ist es besser, wenn ein Multimilliardär den Verein aus Freude am Spiel führt als ein Vorstand mit Verpflichtungen gegenüber den Aktionären.
SZ: Gibt es an der Basis wirklich keine Vorbehalte gegenüber dem Öltycoon Abramowitsch und seinen Motiven?
JK: Klar, man weiß nicht, ob er irgendwann gelangweilt ist oder verhaftet wird, oder was in zehn Jahren passiert. Bisher war er aber ausschließlich gut für uns. Die Leute hassen bei uns nicht Roman, sondern Ken Bates, der bis zum Sommer 2003 das Sagen hatte. Er hat unser Wappen abgeschafft, weil er mit dem neuen mehr Geld verdienen konnte. In seiner Ära wurde Chelsea zu einem bürgerlichen Verein gemacht und trotzdem beinahe ruiniert. Jetzt hoffen wir, dass Roman die Hotels und Restaurants von Bates Chelsea Village, das wirklich niemand braucht, abreißt und dafür das Stadion ausbaut. Vielleicht werden dann sogar die Preise gesenkt. Im Moment sind Chelsea-Tickets die teuersten der Welt.
SZ: Trotz der horrenden Preise sitzen bei Chelsea auffällig viele weiße Männer mit kurzen Haaren im Stadion, die patriotische Songs singen und schon mal ausfällig werden, wenn Tottenham zu Besuch ist, das als jüdischer Klub gilt.
JK: Früher gab es bei uns Anhänger der National Front, aber die politische Dimension wurde schon immer total überschätzt. Es ging bei aller Gewalt immer mehr um Rebellion und Spaß am Chaos als um eine bestimmte Ideologie. Dass Abramowitsch Jude ist, ist egal. Auch das mit Tottenham ist eher ein Spielchen, kein echter Antisemitismus. Und das letzte Mal, das bei uns ein schwarzer Spieler beschimpft wurde, ist sicher mehr als 20 Jahre her.
Seine Zweikampfkunst ist passiv aggressiv
Wolfram Eilenberger (Tsp 9.3.) beschreibt anschaulich die Kunst Filippo Inzaghis: „Wahllos wird der Ball an den Strafraum geschlagen, umklemmt von zwei mächtigen Recken zupft sich die Nummer 9 in den Vordergrund, lässt den Ball einen Tick zu weit von der Brust prallen, sucht umgehend frischen Gegnerkontakt, indem sie sich mit beiden Armen an die Verfolger krallt, ein genialer Verstolperer verwirrt den herbeigeeilten Dritten, und auf einmal sind sie da, jene zehn Zentimeter Schussfreiraum, die ausreichen, den Ball quälend präzise ins Netz zu schieben. Eine Chance war das eigentlich nicht, aber ein entscheidendes Tor. Eines, wie es nur Filippo Inzaghi zu erfinden vermag. Das Erfolgsgeheimnis des Stürmerstars vom AC Mailand liegt in all dem, was er nicht kann. Und das ist eine ganze Menge. Seine technischen Fertigkeiten sind beschreibbar, seine Laufwege fahrig, sein Antritt ist durchschnittlich, sein Einsatzwille knapp dosiert und seine Passbereitschaft quasi inexistent. Inzaghis größte Schwäche aber – und damit sein eigentliches Kapital – besteht in seiner schwächlichen Statur. Je massiver die körperliche Gegenwehr, desto günstiger für ihn. Wie kein anderer ist der 70-Kilogramm-Mann in der Lage, den Widerstand der Gegner zu eigenen Gunsten zu nutzen. Ob er sich von seinen Bewachern in einsame Kopfballhöhen hieven oder im Gegenteil federleicht zu Boden reißen lässt, Inzaghi versteht es meisterhaft, jeder offenen Eins-gegen-Eins- Auseinandersetzung aus dem Weg zu gehen. Seine Zweikampfkunst ist passiv aggressiv. Wo Weltklassekollegen den Ball perfekt abschirmen und totale Kontrolle ersehnen, gibt Inzaghi ihn absurd frei, spielt immer mit der Möglichkeit seines Verlustes, weckt so fremde Begierden, windet sich im letzten Moment zwischen Ball und Gegner, um sich darauf im Gewimmel mit sagenhaftem Vorwitz zu behaupten – oder schlichtweg fallen zu lassen.“