Am Grünen Tisch
Chancen und Risiken: Globalisierung und Industrialisierung des Fußballs
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| Donnerstag, 25. März 2004Globalisierung und Industrialisierung des Fußballs bieten Chancen (NZZ) und Risiken (Zeit) – U21-EM steht bevor u.a.
Chinesen erkennen, dass sie nur einträgliche Kunden sind
Sehr lesenswert! Ilja Kaenzig Tor-Kristian Karlsen (NZZ 12.2.), Offizielle Bayer Leverkusens, erkunden differenziert den asiatischen Markt: „Der Fall traditioneller Sprach- und Kommunikationsbarrieren eröffnet avantgardistisch und modern denkenden Fussballvereinen ungeahnte Möglichkeiten. Wo sich früher die Anhänger auf die Nachbarschaft oder, im Falle europäischer Grossklubs, auf das eigene Heimatland beschränkt haben, interessiert sich jetzt das Publikum weit über enge Grenzen hinaus. „Die Welt ist kleiner geworden.“ Das Klischee trifft wie nie zuvor auf den Fussball zu. Denn Satellitenfernsehen und Internet gehören zu den täglichen Kommunikationswerkzeugen, sie ermöglichen, fast jede beliebige Mannschaft auf der Welt verfolgen zu können. Unabhängig von der geographischen Lage und bequem vom Sofa oder Bürosessel aus. Das Globalisierungskonzept der beliebtesten Sportart kann indes wegen der unterschiedlichen Märkte nicht auf einem bestimmten Modell oder einer bestimmten Theorie basieren. Wenn europäische Klubs von einer „Asien-Strategie“ sprechen, ist dies ignorant und naiv. Es ist offensichtlich, dass für jedes Volk ein eigenes, national angepasstes Konzept entwickelt werden muss, erstellt nach gründlichem Studium der Gegebenheiten vor Ort. Das Erfolgsgeheimnis lautet deshalb Kreativität, und „Globalisierung“ oder „Markterschliessung“ muss nicht zwangsläufig nur das Verschiffen von Merchandising-Produkten, die Verpflichtung prominenter ausländischer Spieler oder die Lancierung teurer Marketingkampagnen bedeuten. Vielmehr ist das Interesse potenzieller Kunden zu wecken und zu lenken, die noch nicht als Fussballfans identifiziert worden sind. Und wie in jeder Geschäftsbeziehung bedeutet ehrliches Interesse auch Respekt. Ein Versuch, bei der Erschliessung eines Marktes einzig möglichst schnell viel Geld zu verdienen, wird früher oder später von der Öffentlichkeit erkannt. Fussballfans verlangen ein kundenorientiertes Verhalten und sind nicht mehr bereit, allen Marketingmassnahmen zu folgen (…) Nach Japan wurde China von der europäischen Marketingoffensive erfasst. Obwohl westliche Vereine das Riesenreich seit Mitte der achtziger Jahre besuchen und mehr als ein Dutzend chinesischer Spieler das Glück in Europa schon Ende der neunziger Jahre gesucht haben, wurde das bisher beste Geschäft erst letzten Sommer vom Everton FC gemacht. Durch die Verpflichtung des chinesischen Nationalspielers Li Tie (und seines Kompatrioten Li Weifeng, der nach nur einem Spiel wieder nach China zurückgeschickt wurde) auf Leihbasis für ein Jahr konnten die Liverpooler lukrative Trikotwerbung mit dem chinesischen Mobiltelefonhersteller Kejian abschliessen. Dieser Vertrag im Wert von rund einer Million Pfund jährlich erzeugte eine Win-Win- Situation. Fortan wurden nämlich die Spiele Evertons in China übertragen, wo das in englischer und chinesischer Sprache auf die Trikots gedruckte Firmenlogo sozusagen über Nacht Kejian bekannt machte. Die Partnerschaft erwies sich sogar als derart lukrativ, dass der Mobiltelefonhersteller die definitive Verpflichtung von Li Tie durch Everton mitfinanzieren half. Dennoch kann die Strategie für China nicht dieselbe wie für Japan sein. Ein schwacher Absatzmarkt für Trikots (wegen zahlreicher Fälschungen) und bürokratische Einfuhrbestimmungen machen den Verkauf von offizieller Klubkleidung und anderen originalen Souvenirs zu einer äusserst komplizierten Angelegenheit. 150 Franken im Monat gelten in China als guter Lohn. Eine chinesische Familie müsste folglich im Durchschnitt ein halbes Monatseinkommen für ein Fussballleibchen hinblättern. Der Everton FC und sein Ausrüster planen daher, eine dem chinesischen Markt angepasste Preispolitik einzuführen. Zudem sind Einnahmen aus dem Fremdenverkehr im Heimatland des europäischen Vereins aufgrund vieler Ausreise- und Visabeschränkungen und zu hoher Reisekosten für chinesische Bürger noch sehr marginal. Mit ungefähr 280 Millionen Mobiltelefonbenutzern stellt China indessen einen gigantischen Markt für SMS- und MMS-Dienste dar. Auch bietet die Internettechnologie weitere Optionen. Evertons Website in Mandarin wird täglich rund 500000-mal besucht. Und bei 100 Millionen chinesischen „Surfern“ erscheint der Verkauf von Internet-Mitgliedschaften und Onlinediensten exklusiv für dieses Segment als besonders lukrativ. Vermengt mit dem riesigen Fussballinteresse in China, glauben immer mehr europäische Klubs, dass das Geld in diesem Markt tatsächlich auf der Strasse liege. Doch mit dem Ausbau der Kommunikationsmöglichkeiten beginnen die Chinesen zu erkennen, dass sie in den Augen der Westeuropäer nur einträgliche Kunden sind. Die Verpflichtung eines chinesischen Spielers, der einzig auf der Ersatzbank Platz nehmen darf, dürfte diesen Eindruck sicherlich verstärken.“
Die Vielfalt der Welt ist dabei, dem Zwang zur Uniformität zu unterliegen
Moderne Zeiten – Eduardo Galeano (Zeit 12.2.), uruguayischer Schriftsteller, beklagt die Industrialisierung des Fußballs: “Vor anderthalb Jahren wurden zwei Fußballweltmeisterschaften gespielt. Bei einer davon spielten Sportler aus Fleisch und Blut. Bei der anderen spielten zur selben Zeit Roboter. Im japanischen Hafen Fukuoka, der Küste Koreas gegenüber gelegen, kämpften die Mannschaften um den Robocup 2002. Jedes Jahr gibt es, an jeweils unterschiedlichen Orten, ein solches Turnier. Die Organisatoren hegen die Hoffnung, irgendwann einmal gegen wirkliche Mannschaften anzutreten. Immerhin hat, so sagen sie, schon einmal ein Computer den Großmeister Garri Kasparow auf dem Schachbrett besiegt, und sie können sich leicht vorstellen, dass die mechanischen Athleten Ähnliches auf dem Fußballplatz vollbringen könnten. Die von Ingenieuren gebauten Roboter sind stark in der Verteidigung und schnell und schussstark im Angriff. Sie ermüden nicht und klagen nie, kein Roboter ist je auf dem Spielfeld tot umgefallen. Und sie tändeln nicht lange mit dem Ball herum: Ohne zu murren, führen sie die Befehle des Trainers aus, und niemals begehen sie den Wahnsinn zu glauben, dass Fußballspieler zum Spielen da seien. Was ist der größte Traum der Unternehmer, der Technokraten, der Bürokraten und der Ideologen der Fußballindustrie? In ihrem Traum, dem die Realität immer mehr gleicht, machen die Spieler es den Robotern nach. Als trauriges Zeichen der Zeit heiligt das 21. Jahrhundert das Mittelmaß im Namen der Effizienz, und es opfert die Freiheit auf den Altären des Erfolgs. „Man verdient nicht so viel, weil man es wert ist, sondern man ist das wert, was man verdient“, hatte vor ein paar Jahren der politische Philosoph Cornelius Castoriadis festgestellt. Er meinte damit zwar nicht den Fußball, aber es hätte gut sein können. Es ist verboten, Zeit zu verlieren, und verboten, zu verlieren: Arbeit geworden, den Gesetzen der Rentabilität unterworfen, hört das Spiel auf, Spiel zu sein. Immer mehr scheint der Profifußball, wie alles andere, von der VFS regiert zu werden, der Vereinigung der Feinde der Schönheit, dieser mächtigen Organisation, die es zwar nicht gibt, die aber dennoch seine Geschicke bestimmt. Ignacio Salvatierra, ein zu Unrecht unbekannter Schiedsrichter, hat es verdient, heilig gesprochen zu werden. Er hat Zeugnis abgelegt vom neuen Glauben. Vor sieben Jahren trieb er in der bolivianischen Stadt Trinidad den Teufel der Fantasie aus. Schiedsrichter Salvatierra stellte den Spieler Abel Vaca Saucedo vom Platz. Er zeigte ihm die Rote Karte, „damit er lernt, Fußball ernst zu nehmen“. Vaca Saucedo hatte ein unverzeihliches Tor verbrochen. Er spielte, in einem entfesselten Wirbel von Dribblings, Selbstvorlagen, Kopfbällen und Hackentricks, die gesamte gegnerische Mannschaft aus und zelebrierte den Höhepunkt seiner Orgie mit dem Rücken zum Tor, indem er den Ball mit einem sicheren Stoß seines Hinterns ins Toreck drückte. Gehorsam, Schnelligkeit, Kraft und ja keine Kapriolen – das ist die Schablone, die die Globalisierung aufzwingt. In Serie wird ein Fußball produziert, der kälter ist als ein Kühlschrank. Und unerbittlicher als eine Häckselmaschine. Den Zahlen nach, die France Football veröffentlicht hat, ist die durchschnittliche Halbwertszeit der Profifußballer in den letzten 20 Jahren um die Hälfte gesunken. Der Durchschnitt, der einmal bei zwölf Jahren lag, liegt jetzt bei sechs Jahren. Die Fußballarbeiter geben immer mehr und halten immer kürzer. (…) Die Vielfalt der Welt ist dabei, dem Zwang zur Uniformität zu unterliegen. Dem industriellen Fußball, den das Fernsehen zum lukrativsten Massenspektakel gemacht hat, ist ein Einheitsschema aufgezwungen worden, so wie es mit jenen Gesichtern geschieht, die nach mehreren Schönheitsoperationen zu gleichförmigen Masken werden. Angeblich ist diese Langeweile der Fortschritt, doch der Historiker Arnold Toynbee war durch viele Vergangenheiten gegangen, als er feststellte: „Das beharrlichste Merkmal im Niedergang befindlicher Zivilisationen ist ihre Tendenz zur Standardisierung und Uniformität.“ Der Profifußball übt eine Diktatur aus. Die Spieler können keinen Muckser machen im despotischen Reich der Herren des Balles, die von ihrer Fifa-Burg aus regieren und rauben. Die absolute Macht rechtfertigt sich selbst durch die Gewohnheit: Es ist so, weil es so sein muss, und es muss so sein, weil es so ist.“
Michael Ashelm (FAZ 12.2.) schreibt über die bevorstehende U21-EM: „Stielike steht vor einer schwierigen Mission. Einerseits soll er die plötzlich hochgeschossenen Erwartungen des DFB erfüllen, also die Mannschaft zum EM-Titel oder mindestens nach Athen führen. Andererseits muß er enorme Rücksicht auf die A-Nationalmannschaft und Völler nehmen, der ihm im Hinblick auf das große EM-Turnier in Portugal einen Spieler nach dem anderen wegnominiert. Nach Kevin Kuranyi und Andreas Hinkel, die Stielike sowieso schon vom Zettel gestrichen hat, gibt es neue Begehrlichkeiten des Teamchefs Richtung Philipp Lahm und Benjamin Lauth. Daß Spieler bei beiden Europameisterschaften aktiv werden und dann noch das olympische Turnier im August bestreiten, schließt Stielike zwar aus. Dennoch pocht er auf das Entgegenkommen aller Parteien und bekommt Rückhalt vom DFB-Präsidenten, der nach der Auslosung die Ligaklubs indirekt zur Zusammenarbeit aufforderte – noch freundlich. Es ist wichtig, mit welcher Aufstellung die U21 auflaufen wird, sagt Mayer-Vorfelder. Mit Blick auf die alles überstrahlende WM 2006 ist der DFB bemüht, sportlich positive Schlagzeilen zu schreiben und das Land mit allen möglichen Mitteln in Fußballfieber zu versetzen. Hinzu kommt, daß man endlich das schlechte Image einer unzureichenden Nachwuchsarbeit loswerden will; vor 16 Jahren hatte eine deutsche Elf zuletzt an Olympia teilgenommen. Was würde also den Funktionären besser passen, als Siege mit den Jungprofis bei EM und Olympia. Der Verband investiert als Ausrichter viel Geld, damit der EM-Ball in Mainz, Mannheim, Oberhausen und Bochum (Finale) rollt. Gewinn ist mit dieser Veranstaltung nicht zu machen, wie Turnierdirektor Bernd Barutta mitteilte. Dafür hofft man auf gute Stimmung. Außerdem spielen Stielikes Jungspunde für das DFB-Marketing, dem in seinem Werbeportfolio noch der Großsponsor für den gesamten Nachwuchsbereich fehlt. Doch um diese Ziele zu erreichen, braucht man eine schlagkräftige Elf und verständige Bundesligatrainer. Die ersten zeigen sich aber schon abwehrend, zumindest was eine Teilnahme an Olympia während der Saison im August angeht. Wie Felix Magath, der dann möglicherweise auf vier Profis verzichten müßte. Zwar will sich Mayer-Vorfelder in diesem Fall für Spielverlegungen stark machen, doch dem traut Magath nicht. Wir dürfen doch nicht dafür bestraft werden, daß wir gute junge Spieler haben, sagt er. Für viel Zündstoff ist gesorgt.“
„Italienische Klubs im Visier der Finanzpolizei“ NZZ