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Chelsea London, das „Spielzeug eines Superreichen“ (Spiegel) – ein gutes Buch: Postkarten von Fußball-Stadien – Reportage aus Quatar, der neuen Heimat alternder Stars

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Chelsea London, das „Spielzeug eines Superreichen“ (Spiegel) – ein gutes Buch: Postkarten von Fußball-Stadien – Reportage aus Quatar, der neuen Heimat alternder Stars

Spielzeug eines Superreichen

Michael Wulzinger (Spiegel 29.9.) kommentiert die Aufrüstung von Chelsea London: „Es ist im englischen Profi-Fußball nicht einmal ungewöhnlich, dass sich ein steinreicher Exzentriker einen Club kauft, um dann am großen Rad zu drehen. So sponserte der Stahl-Magnat Jack Walker den Provinzclub Blackburn Rovers, der 1995 Meister wurde, mit 144 Millionen Euro. Auch der Industrielle Sir Jack Hayward pumpte in den letzten 20 Jahren über 140 Millionen in die Wolverhampton Wanderers, damit sie endlich wieder erstklassig wurden. Selbst der Pop-Barde Elton John hielt sich schon einmal einen Verein – und entlohnte für eine Weile die ziemlich mittelmäßigen Kicker des FC Watford. Eine Figur wie den jugendlich wirkenden und undurchsichtig agierenden Oligarchen Abramowitsch indes hat es auch in der englischen Premier League bislang nicht gegeben; einen Mann, der es bei der Privatisierung der russischen Schwerindustrie dank dubioser Allianzen sehr früh zu einem Milliardenvermögen gebracht hat und der nun die internationale Fußballszene aufmischt, um den FC Chelsea zum besten Club der Welt zu machen. Die Summen, die Abramowitsch dafür lockermacht, sind monströs. David Dein, Vorstandsvorsitzender des FC Arsenal, machte schon mal Front gegen den Eindringling: Abramowitsch hat seine Panzer auf unserem Rasen geparkt und feuert mit 50-Pfund-Noten auf uns. Mehr noch: Der kaufwütige Russe wildert bei den besten Adressen selbst in den Führungsetagen. Sein jüngster Coup: die Verpflichtung von Peter Kenyon, dem Vorstandsvorsitzenden von Manchester United, der seit 1997 erfolgreich daran gearbeitet hat, ManU zur weltweit bekanntesten Fußballmarke zu machen. Auch bei Kenyon war die Gage das überzeugende Argument – dem Vernehmen nach kassiert der Marketingexperte allein als Handgeld für den Wechsel rund vier Millionen Euro. Know-how in Chelseas Chefetage ist nach der faktischen Entmachtung des bisherigen Vereinsbosses Ken Bates allerdings auch dringend nötig. Denn die Vertrauensleute, die Abramowitsch aus seinem Umfeld kürzlich in den Vorstand gehievt hat, wissen zwar, wie man Gewinn bringend Aluminiumfabriken verschachert. Von den Gesetzmäßigkeiten der Fußballbranche haben sie wenig Ahnung (…) Der FC Chelski (The Sun), das Spielzeug eines Superreichen. Dass die Einkaufspolitik des Clubs nicht von wirtschaftlichem Kalkül gelenkt wird, sondern von der Prestigesucht seines Finanziers, behauptet Edward Freedman, als Marketingmann jahrelang bei Manchester United tätig und heute als Berater des ukrainischen Clubs Schachtjor Donezk engagiert. Freedman sitzt im Arbeitszimmer einer Bibliothek der Jüdischen Geschichte des 20. Jahrhunderts, der Wiener Library in London, wo er als historisch Interessierter einige Stunden pro Woche lesend verbringt. Dort räsoniert er über Abramowitschs Motive. Im Hintergrund Geld zu scheffeln ist ihm langweilig geworden, sagt Freedman, Abramowitsch will jetzt mit einem Einsatz, der für ihn überschaubar und für andere unermesslich ist, berühmt werden – und das geht auf keiner Bühne so gut wie im Fußball. Das Größenwahnsinnige an dem Unterfangen ist am besten zu erkennen, wenn man die Weltstars des FC Chelsea unter der Woche beim Training beobachtet. Denn der Club, der mit den Millionen um sich wirft wie kein anderer jemals zuvor, hat keine eigenen Übungsplätze. Eine gemietete Schulsportanlage zwischen dem Flughafen Heathrow und der Autobahn M 4 am Rande des im Londoner Westen gelegenen Stadtteils Harlington – mehr kann der FC Chelsea seinen neu angekommenen Stars nicht bieten. Ein armseliger Untergrund, verglichen mit den Edelflächen, auf denen Künstler wie Verón zu arbeiten gewohnt sind. Der Boden ist hart und uneben, der Rasen an manchen Stellen gar verdörrt. Die Triebwerke der startenden Jets heulen bisweilen so laut auf, dass die Spieler sich gegenseitig nicht mehr verstehen. An den Toren hängen die dünnen Eisenlatten durch, und wenn die Profis mittwochs nicht rechtzeitig in der Kabine sind, kann es sein, dass aus den Duschen nur noch kaltes Wasser rinnt. Denn Mittwoch ist der Tag, an dem die Schüler des Imperial College zeitgleich mit den Profis Sport treiben.“

Hüter wunderbarer Schätze

Christoph Biermann (taz 2.10.) liest ein Buch mit Ansichtskarten von Fußball-Stadien: „Flutlichtmasten interessieren mich mehr als Kirchtürme, und wie fast jeder Fußballfan kann ich mich der Anziehung von Fußballstadien kaum entziehen. Denn jedes von ihnen, so schäbig und klein es sein mag, ist ein Versprechen. Ihr Stadion Old Trafford nennen die Fans von Manchester United Theater der Träume, und der englische Stadionhistoriker Simon Inglis hat die Bühnen des Spiels schon vor Jahren mit Kirchen verglichen. Nicht nur, weil die Masten weithin Orientierung geben oder Fußballstadien im kollektiven Bewusstsein einer Stadt oft eine größere Rolle einnehmen als die lokalen Gotteshäuser. Es gibt eben noch besagtes Versprechen auf überwältigende Spiele und die damit verbundene Katharsis. Daher schaue ich mir auch gerne Fotos von Fußballstadien an und nehme hier gerne den Vorwurf in Kauf, das es ein Geschmäckle hat, ein Buch zu loben, in dem ein Text von mir steht, der auch noch just an dieser Stelle schon einmal abgedruckt wurde. Ist mir aber egal, denn Ansichtssache Fußballplatz, herausgegeben vom Hamburger Fotografen Hartmut Perl, ist das Bändchen, auf das ich immer schon gewartet habe – ohne es auch nur im mindesten zu ahnen. Zwar wusste ich schon länger, dass es Menschen gibt, die Ansichtskarten von Fußballstadien sammeln, hielt sie aber für traurige Nerds und nicht Hüter wunderbarer Schätze. Ansichtskarten in ihrer seltsamen Idealisierung und den meist falschen, überzeichneten Farben, so weiß ich nun, erfassen den Zauber von Stadien jedoch am besten. Und die Ansichtskarten sind die Stars dieses Buches – nicht die Texte. Meistens schon viele Jahre alt, mitunter gezackten Rändern, teilweise an den Ecken umgeknickt, entfalten sie eine besondere – man muss es wohl so sagen – Aura.“

Web-Site der „deutsche Stadionansichtskarten Sammlervereinigung“

Endlich! Eine Reportage aus Quatar, neue Heimat Stefan Effenbergs und Mario Baslers – Thomas Becker (SZ 2.10.): „Was bleibt den großen Kickern nach 15, 20 Jahren Profi-Fußball? In die zweite oder dritte Liga will keiner, ebenso wenig wie ins bürgerliche Leben. Typen wie Katsche Schwarzenbeck mit seiner viel zitierten Lotto-Annahmestelle sind die Ausnahme. Die meisten bleiben beim Fußball hängen: büffeln für Trainerscheine, spähen nach Talenten, versuchen sich beim Fernsehen oder im Marketing, werden Kolumnist, Manager, Spielervermittler. Und träumen von einem Ort, einem warmen Arkadien, wo man mit alten Kumpels noch ein bisschen kicken und danach ohne Zapfenstreich ein Bierchen trinken kann. Und natürlich eine Unmenge Geld bekommt. Der Ort hat nun einen Namen: Fußballers Garten Eden heißt Doha/Quatar. Bislang kennt man die Ortsmarke vor allem wegen des Fernsehsenders al-Dschasira, der seit sechs Jahren auf Sendung ist. Oder von Berichten über das Hauptquartier der US-Streitkräfte während des Irak-Kriegs. Oder als ungewöhnlich ruhigen, da sicheren Tagungsort der Welthandelsorganisation im Herbst 2001. Oder aus Statistiken über die reichsten Ländern der Erde. Quatar, halb so groß wie Hessen, besitzt das drittgrößte Erdgasvorkommen der Welt, die eifrig wachsende staatliche Fluglinie unterzeichnete im Juni einen Fünf-Milliarden-Dollar-Auftrag für Airbus. Bis zur Unabhängigkeit 1971 war Quatar britisches Protektorat, seitdem regiert der Emir. Doch Seine Hoheit Sheikh Hamad Bin Khalifa Al Thani, Staatsoberhaupt, seitdem er vor acht Jahren seinen Vater entmachtete, scheint der Sinn nach Demokratie zu stehen. 1999 wurde erstmals ein 29-köpfiger Rat gewählt, sogar Frauen durften zur Wahl. Ende April stand nun ein Verfassungsentwurf zur Volksabstimmung, der die Quasi-Monarchie bald zur Demokratie wandeln könnte. 77 Prozent stimmten mit Ja. Kurz darauf ernannte der Emir eine Frau zur Bildungsministerin – ein einmaliger Vorgang in der Golf-Region. Aber vor allem im Sport sorgt Quatar dafür, dass es wahrgenommen wird. Seit zehn Jahren gehört das Tennis-Turnier zur Männer-Tour, nächstes Jahr kommen auch die Damen. Bei den Golf-Cracks steht das Quatar Masters im Kalender. Ein Motorrad-Grand-Prix kommt hinzu, im März 2004 die Tischtennis-WM, 2005 die Westasien-Spiele. Und als Höhepunkt: die Asienspiele im Jahr 2006, 33 Sportarten, 5000 Athleten. Bei der Handball-WM der Junioren schlug der 600 000-Einwohner-Staat die Auswahl des weltgrößten Handballverbandes: Deutschland. In der Leichtathletik folgten die ersten kenianischen Läufer dem Lockruf des Geldes: Saif Saeed Shaheen holte bei der WM in Paris die erste Goldmedaille für das Emirat. Und jetzt auch noch Fußball (…) Sportart Nummer eins in Quatar, sagt Mohannadi. 1960, als der Verband gegründet wurde, verfügte man über den ersten Rasenplatz am Golf. In den Vierziger Jahren hatten die britischen Öl-Gesellschaften den Fußball in die Wüste gebracht, doch aufgegangen ist die Saat nie. Nun versucht man alles, damit Doha „Hauptstadt des Sports in Asien wird“, wie Mohannadi sagt. Sein Vorgänger Mohamed Bin Hammam ist ins Exekutive-Komitee der Fifa aufgerückt, im Oktober tagt der Weltfußballverband in Doha. Nicht nur zahlreiche Hochhäuser, sondern auch fünf der acht Stadien werden neu gebaut. Mit dem Franzosen Philippe Troussier wurde aus Japan ein Nationaltrainer geholt, der weiß, wie man eine Diaspora zum Blühen bringt. Auch dort hatte man vor zehn, 15 Jahren damit begonnen, alternde Stars mit dem Geld großer Firmen in das Fußball-Entwicklungsland zu locken: Pierre Littbarski, Gary Lineker, Toto Scillaci und andere. Vor neun Jahren gewann Quatar noch 4:0 gegen Japan. Vergangenes Jahr feierten die Ostasiaten eine aufregende WM, spielten prima mit. Quatar scheiterte in der Qualifikation knapp: an China, einer weiteren WM-Überraschung. Die Kluft zu den Riesen-Völkern in Fernost scheint nicht allzu groß zu sein. Die WM 2010 ist das Ziel. Oder vielleicht doch schon 2006.“

Fredi Bobic in Berlin Tsp

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