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Portrait: Christoph Daum

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Portrait: Christoph Daum

Sehr lesenswert porträtiert Dario Venutti (NZZaS 1.6.) Christoph Daum. “Fast eineinhalb Jahre sind vergangen, seit Daum mit einer freiwilligen, positiven Haaranalyse, in der ihm der Konsum von Kokain nachgewiesen wurde, ein Eigentor geschossen hat. Die mediale Rezeption dieses Ereignisses spiegelte die eigene (und eigenartige) Vorstellung, die sich der Fussball von der Realität schafft. Die Kombination von Körperkult und bürgerlicher Moral bringt eine verlogene, scheinbar heile Welt hervor, an deren Ansprüchen die Involvierten nur scheitern können. Indem das Scheitern kriminalisiert wird, reproduziert sich aber das System Fussball. Die mediale Erhitzung war im Falle Daums auch deshalb so ausgeprägt, weil damals symbolisch nationale Interessen Deutschlands auf dem Spiel standen; Daum war als Bundestrainer schon so gut wie im Amt. So sendete die ARD am Tag, als die Nachricht von der positiven Haaranalyse bekannt wurde, einen „Brennpunkt“ – ein Sendegefäss, das sonst Kriegen und Katastrophen vorbehalten ist. Die Ereignisse führten zu einem Bruch im Leben Christoph Daums, auch wenn er ihretwegen keine gebrochene Persönlichkeit geworden ist. Christoph Daum ist sich bewusst, dass die juristischen Freisprüche – von der Anklage des Drogenerwerbs in 63 Fällen und von der Anstiftung zum Drogenhandel in zwölf Fällen – sein Bild in der Öffentlichkeit nicht korrigieren konnten. Die zeitliche Distanz und das vergleichsweise ruhige Arbeitsklima in Wien haben Daum noch deutlicher die Funktionsweise des Unterhaltungsbetriebs Fussball vor Augen geführt. Bereits vor dem „Skandal“ war er einer der wenigen Trainer, die die Mechanismen auf hohem Niveau reflektieren konnten. „Wenn du dich in dieser Scheinwelt normal verhältst, gehst du unter“, sagt Daum. Diese Erkenntnis, die inhaltlich auch von einem Sportsoziologen stammen könnte, meint den Umstand, dass Spitzensport systemimmanent Praktiken erfordert, die als abweichendes Verhalten (Doping) stigmatisiert werden. Auch Wirtschaftsführer greifen zu illegalen Mitteln, um dem Leistungsdruck standzuhalten, ohne aber öffentlich an den Pranger gestellt zu werden. Die Tragödie Daums liegt wohl darin begründet, dass er die Anforderungen des Fussballs, wie er in den neunziger Jahren geprägt wurde, wie kein anderer erfüllte und dennoch (oder gerade dadurch) zu seinem Opfer wurde. Der Fussball im abgelaufenen Jahrzehnt zeichnete sich durch eine Entfesselung der Marktkräfte (insbesondere der Privatisierung im TV-Bereich) aus, was einen historisch einmaligen kommerziellen Schub zur Folge hatte. Diese Entwicklung brachte auch einen neuen Idealtypus des Trainers hervor: immer auf der Hut, beredt, unterhaltsam, aggressiv, immer auf dem neuesten Stand, gnadenlos erfolgsorientiert. Der Schriftsteller Maxim Biller hat Daum in einer Polemik “den Helden des neuen Kapitalismus” genannt. Dessen Schmiermittel (des Kapitalismus) war das Kokain.“

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