indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ballschrank

Cordoba

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Cordoba

Christian Eichler (FAZ 21.6.) referiert Fußball-Historie. „Cordoba, 1,7 Millionen Einwohner, zweitgrößte Stadt Argentiniens. Nur einmal von der Historie berührt. Es ist der 21. Juni 1978, Samstag nachmittag, das letzte Zwischenrundenspiel der Gruppe B bei der Fußball-Weltmeisterschaft: Deutschland gegen Österreich. Für Titelverteidiger Deutschland ist es eine verkorkste WM. Die Ignoranz gegenüber den Morden der Militärdiktatur hat schlechte Presse gemacht; das Lagerleben im früheren Trainingscamp der argentinischen Luftwaffe schlechte Stimmung. Vermutlich ist nie zuvor ein größerer Haufen Elend schärfer bewacht worden als die deutsche Nationalmannschaft in Ascochinga, schreibt der Journalist Horst Vetten. Innen wacht die GSG 9, außen Militär, dazwischen Geheimpolizei. Nur erlesene Gäste kommen hinein, wie der Alt-Nazi Ernst-Ulrich Rudel, der vom Deutschen Fußball-Bund empfangen wird. Für die leichte Muse ist Franz Lambert als Lager-Organist zuständig. Wir ödeten uns an, beklagt später Abwehrspieler Rolf Rüßmann. Das Fernsehen konnte niemand verstehen, für einen Troß von 100 Personen gab es eine einzige Telefonleitung, die Kellnerinnen waren gegen sechzigjährige Männer getauscht worden. Das war kein Klima für Erfolg. [… O-Ton des österreichischen Radioreporters Edi Finger, der das Siegtor schildert:] Jetzt geht’s noch drei Minuten, meine Damen und Herrn, wemma diese drei Minuten schon hinter uns hätten, ja dann dann dann, ich wage es gar nicht zu sagen, da würde mir wirklich ein Fels vom Körper – jetzt aber aufpaßn! (starkes Geräusch) und jetzt kann Sara sich einen aussichtslos scheinenden Ball eh . . . erho . . . hereinholen, es gibt Beifall für ihn, da kommt Krankl, Toor!! Toor!! Toor!! Toor!! Toor!! Tor! I werd narrisch!! Krankl schießt ein! Dreizuzwei für Österreich! Krankl zum 3:2 nach tollem Solo: Das Tor löst in zwei Ländern Europas völlig irrationale Szenen aus, die das Boulevardblatt Bild festhält – aus Rache wird es auch Krankls Telefonnummer veröffentlichen. In Berlin springt ein Mann aus dem zweiten Stock und sagt dem Notarzt: Ich bin so einsam, und dann spielen wir auch noch so grauenvoll. In Tirol schneidet sich ein deutscher Urlauber die Pulsadern auf und sagt seinen Rettern: Mein Leben hat keinen Sinn mehr. Im Restaurant Gut Neuhof bei Frankfurt springt eine Nonne vom Orden der Barmherzigen Schwestern einem jubelnden Busfahrer an die Kehle. Wo in der Welt in diesem Moment Österreicher sind, gibt es kein Halten mehr (…) Diese Zeitung ordnet das Spiel in ihrer damaligen Ausgabe historisch ein: 1866: Preußen schlägt unter Moltke Österreich bei Königgrätz. 1938: Schalke 04 schlägt unter Szepan Admira Wien neun zu null in Berlin. 1954: Die Bundesrepublik schlägt unter Fritz Walter Österreich sechs zu eins – jetzt haben Krankl Co. die Scharten ausgewetzt. ,Den Deutschen hammas zagt‘. Die Grazer Kleine Zeitung eröffnet einen weiteren geschichtlichen Zusammenhang: Das Vaterland. Alles, was sich da so aufgestaut hat an Emotionen, seit der Zeit zwischen achtunddreißig und fünfundvierzig vielleicht noch, das hat der Krankl gerächt. Den Hitler, den Österreich hervorgebracht hat, den hat es mit Hansi Krankl wieder wettgemacht. Der eine aus Braunau. Der andere aus Wien.“

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