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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ballschrank

Da wird foul gespielt von der ersten bis zur letzten Minute

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Da wird foul gespielt von der ersten bis zur letzten Minute

Michael Hanfeld (FAZ 1.8.) kritisiert die Wendigkeit der Argumentierenden. „Es ist schon seltsam, nach welchen Regeln dieses Spiel betrieben wird, das der Fußball und das Fernsehen miteinander betreiben zur angeblich höheren Unterhaltung des Publikums. Da wird foul gespielt von der ersten bis zur letzten Minute, denn im Unterschied zu den Begegnungen auf dem grünen Rasen gibt es keinen Schiedsrichter. Zuerst haben sich Vereine und Funktionäre des Fußballs mit Aplomb dem privaten Fernsehen in die Arme geworfen. Zu begrenzt schienen ihnen die Vermarktungs- und Erlösmöglichkeiten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Nun, da sich die Konjunktur gedreht und der private Rundfunk kein Geld mehr für die Ware Fußball hat, sind ARD und ZDF mit einem Mal gefragt. Fußball, heißt es nun, war schon immer eine öffentliche Aufgabe, ein Kulturgut, ein nationales Anliegen, das den öffentlich-rechtlichen Sendern entsprechend am Herzen zu liegen habe. Das tut es auch, wenngleich nur aus der Überlegung heraus, daß sich mit Fußball im Fernsehen hohe Einschaltquoten erzielen lassen – zu Kosten, die sich kein privater Konkurrent mehr leisten kann. Es geht um einen wirtschaftlichen Verdrängungswettbewerb, in dem die öffentlich-rechtlichen Sender im Verein mit einigen Politikern immer dann die nationale Karte ziehen, wenn es vernünftige Gründe für eine solche Programmentscheidung nicht (mehr) gibt. Ganz nebenbei wird somit schon zu Beginn der Saison bewiesen, daß zumindest die ARD eine Gebührenerhöhhung zum nächsten Jahr so dringlich nicht braucht. Wer aus dem Stand heraus siebzig Millionen Euro lockermachen kann, wird als Armenhäusler schwerlich durchgehen, bei einem Gebührenaufkommen von 7,5 Milliarden Euro pro Jahr schon gar nicht. Niemals wird die ARD, wie sie behauptet, die siebzig Millionen Euro durch Werbung und Sponsoring wieder hereinspielen können.“

Der Pullover genügte als verwegene Chiffre für Sportlichkeit

Christopher Schmidt (SZ 1.8.) erinnert sich. „Der samstägliche Weg in Opas Schrebergarten führte durch die leergefegten Straßen des entvölkerten Vororts, denn es war die heilige Stunde. Die Fußballnation war jetzt vor dem Fernseher versammelt, die Abendmesse wurde zelebriert, die „Sportschau“ hatte begonnen. Mit Fun und Entertainment hatte das nicht das Geringste zu tun, sondern mit heiligem Ernst, schließlich war die ARD noch „das Erste“, und „Schüsseln“ standen im Geschirrschrank oder in der Garage (wie der Opel GT von Vetter Dieter), keinesfalls aber auf dem Dach. Familienväter legten feierlich den Trainingsanzug von Adidas, nur von Adidas, an, als würden sie zum Reservemanöver ausrücken. Denn Fußball war eben nichts für die ganze Familie, sondern „Männersache“ und hatte darum separatistische Folgen. Fußballplatz, Eckkneipe und die Werkzeuggassen im Baumarkt – das waren die Reservate unentwegter Männlichkeit, der Schlagbaum, an dem der „Ernst des Lebens“ begann. Entsprechend staatstragend war die Aufmachung der „Sportschau“, auch wenn es die einzige Sendung im damaligen Drei-Kanal-Fernsehen war, in der Moderatoren Pullover trugen. Der Pullover genügte als verwegene Chiffre für Sportlichkeit, denn er hatte so was von Jagertee und Segeltörn. Und tatsächlich wirkte das feierabendliche Sportschau-Zivil damals bestürzend salopp. Aufgefangen wurde die virile Lässigkeit durch die Studiokulisse, die an das neumodische Sprachlabor in unserer Schule erinnerte. Und natürlich durch den verbeamteten Verlautbarungsstil der Moderationen zwischen beklommener Leutseligkeit, dem katastrophischen Timbre von Studioköchen, die sich über den brodelnden Krisenherd beugen („Da hat er den Ball gespielt. Und Ball im Aus“), und der soldatischen Einsilbigkeit der Spielkommentierung („Vogts – Bonhof – Netzer – Bonhof – Stielike – wieder Neeetzer: Bonhof – Netzer“). Ab 1961 stand die „Sportschau“ für jene unfreiwillige Komik, die sich aus dem Kontrast von salbungsvoller Würde und trivialem Inhalt ergab. Über Jahrzehnte wurde hier Fußball verwaltet von korrekten Sachbearbeitern des Sportsgeists.“

Ran light

Bernd Müllender (FTD 31.7.) ist skeptisch, ob die ARD-Sportschau ein Erfolg wird. „Heribert Faßbender, der WDR-Sportchef, hatte „zu Talk und Wort“ geladen. Viel Szeneprominenz (Reiner Calmund, Ewald Lienen, Rudi Gutendorf, Gerd Niebaum) war zur Präsentation der neuen „Sportschau“ ins Olympiamuseum gekommen. „Ein hoch emotionales Ereignis“ stehe an, sagt ARD-Programmdirektor Günter Struve. „90 Minuten Fußball ohne Spielverzögerung“ jeden Samstag verspricht WDR-Fernsehdirektor Uli Deppendorf. Das Wort „Ran“ fiel keinmal. Alle sprachen von den Kollegen, von früher, von den Vorgängern. Botschaft: Gestern ist Geschichte. Eine neue Epoche hat begonnen. Mitteilungen des WDR kommen dieser Tage nicht als schnödes Fax, sondern staatssendertragend auf elfenbeinfarbenem Papier in edler dunkelblauer Schrift, Tiefdruck. „Football’s coming home“, trällert es seit Wochen aus öffentlichen-rechtlichem Radio und Fernsehen entgegen. An diesem Samstag, 18.10 Uhr, beginnt das nostalgische Glück. Nach 15 Jahren exklusiver ARD-Rechtelosigkeit, 40 Jahre nach dem ersten Bundesligaspieltag und 42 Jahre nach der Premiere von Ernst Huberty als Frontmann einer (noch bundesligalosen) „Sportschau“ am 4. Juni 1961. Vor lauter Vergangenheitsverklärung hatte man damit rechnen müssen, dass die neue „Sportschau“ in schwarz-weiß und nur über Antenne ausgestrahlt wird, weil das „eine Verbeugung vor unserer großen Zeit“ wäre. Wie wird die „Sportschau“ wirklich? Modern (mit Betonung auf der zweiten Silbe, nehme ich an, of) , heißt es, „mit einem Hauch Nostalgie“, also Archiv-Einspielern. Mehrheitlich definieren sich die Macher über das, was es nicht mehr gibt: Studiozuschauer, Getrampel, Showtreppe, von Werbeblöcken geteilte Spielberichte, „Firlefanz und Dampfplauderei“ (Faßbender). Man wolle „mehr Fußball, weniger Ehrentribüne und Spielerfrauen“ (Deppendorf) (…) Einiges ging im Vorfeld schief: Gern hätte man die Liga geschlechtsübergreifend präsentiert. Doch Sandra Maischberger und Anne Will winkten ab. Bleibt die übliche Herrenrunde: Beck- und Hartmann, Rubenbauer, Delling (ohne Netzer), Faßbender (hinter der Kamera), dazu Steffen Simon, „Ran“-erfahren. Dass Simon, 38, vor die Kamera kommt, hat Senior Faßbender, 62, verhindert. Als Sportchef im zweiten Glied darf Simon sich immerhin freuen, dass „es noch nie eine solche Aufbruchstimmung im WDR gab“, und ansonsten rechnen: Am Dienstag stellte er die Parade der „Sportschau“-Macher neben sich in Mannschaftsstärke vor. Auf dem Podium saßen acht Leute. Und Faßbender musste sich erklären lassen, dass der Hauptsponsor nicht Tee-Mobil ausgesprochen wird, sondern englisch, tih-mobail. Dass die „Sportschau“ und der FC Bayern jetzt denselben Werbepartner haben, lässt befürchten, dass die Meisterbrust jetzt auffällig häufig ins Bild gerückt wird. Die Verantwortlichen blocken jedoch ab: „Das wäre redaktionell unverantwortlich“, sagt Günter Struve. Und alle blicken sie in die Zukunft. „Am Montag“, ist ARD-Sportkoordinator Hagen Boßdorf sich sicher, „werden uns alle verreißen, werden von ,Ran light‘ schreiben und sagen, es war ja kaum anders als sonst. Aber das legt sich.“ Altmeister Huberty hat ein Comeback übrigens ausgeschlossen. „Das ist so utopisch, als würde ich in eine Raumkapsel steigen und versuchen, zum Mars zu fliegen.“ Aber Huberty light ist dabei: Nach der Samstagspremiere wird der 76-jährige Pensionär intern die Sendekritik machen und dabei vor allem darauf achten, „ob sparsam genug geredet wurde“.

Erik Eggers (FR 31.7.) schreibt zum selben Thema. „Überhaupt ist fraglich, ob es wirklich eine clevere Strategie ist, vornehmlich auf den historischen Vorläufer zu verweisen, auf diesen seltsamen nostalgischen Purismus. Die Bundesliga kommt nach Hause, heißt es in den aktuellen Fernsehspots, die untermalt sind mit gregorianischen Chorälen. Als würde der Fußball – der in den vergangenen Jahren schriller wurde und lauter – sich fortan zurückziehen in klösterliche Klausur. Und vor allem Eines wird gern vergessen: wie verklärt die Erinnerung an das alte Format in Wirklichkeit ist. Komplett ausgeblendet wird, dass der Deutsche Fußball-Bund seinerzeit die Rechte an die Privaten gab, weil die Sportschau zu verstaubt war und zu altmodisch, weil Technik, Moderation und Präsentation der guten, alten Sportschau schlicht und ergreifend dem TV-Paläozoikum entstammten. Die Sportschau war im Jahr 1988 ein Dinosaurier. Ein Anachronismus. Dennoch sind die Vorschusslorbeeren beachtlich nach der Befreiung von Sodom und Wontorra, wie es das NDR-Magazin Zapp so zärtlich formuliert. Die Vorfreude wird nicht einmal getrübt von der drohenden Omnipräsenz altgedienter Recken wie Waldemar Hartmann, der als Moderator Stadion mit Michael Antwerpes im Wechsel durch das Topspiel der Woche führt. Hartmann übrigens, ist zu hören, soll gar nicht zufrieden sein mit der Rolle. Er sehe sich eher auf einer Stufe mit Delling und Beckmann. Es gab heftige Grabenkämpfen deswegen, die Faßbender am Dienstag mit einem genüsslichen Lächeln als Kurzzeit-Irritationen bezeichnet. Immerhin, Hartmann sitzt mit auf dem Podium, wenn auch auf Rechtsaußen und mit einem Gesicht, als dürfe er Rudi Völler nicht mehr duzen. Zufrieden ist die ARD über das fix vereinbarte Engagement der Centrale Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft (CMA) und T-Mobile, die das neue alte Format präsentieren. Die heikle Frage danach, ob es sich womöglich redaktionell auswirkt, dass T-Mobile auch Sponsor beim 1. FC Bayern ist, verneinten alle Beteiligten kategorisch. Natürlich. Es geht ja nur um Fußball.“

Wolfgang Gehrmann Götz Hamann (Zeit 31.7.) beschreiben die potente Rolle Günter Netzers. „Netzer braucht ziemlich lange, um an das andere Ende seines Konferenztisches zu gelangen, aber das liegt nicht an der Lauffaulheit, die ihm angeblich schon als Fußballprofi zu Eigen war. Die ovale Tafel aus Kirschholz im „Board Room“ der Infront Sports Media AG im schweizerischen Zug ist gut zehn Meter lang. Mit mokantem Blick auf das Imponiermöbel sagt Netzer: „Das wäre in unserem Etat heute nicht drin. Das Stück haben wir von unserem insolventen Vormieter übernommen.“ Hier also arbeiten sie, die Händler und Arbitrageure des Sports. Sie kaufen Rechte für TV-Übertragungen an Fußballspielen, Eishockey-Weltmeisterschaften oder Basketball-Turnieren von Clubs und Verbänden ein, um sie teuer an Fernsehsender weiterzuverkaufen. Günter, der Ver-Netzer, nennt sich Executive Director und ist einer der wichtigsten unter ihnen. Wenn diesen Samstag die Bundesliga-Saison beginnt und die Bilder nach 15 Jahren erstmals wieder ausführlich in der ARD-Sportschau zu sehen sind und nicht im Privatfernsehen, dann hat das wenig mit Nostalgie, aber viel mit Netzer und Infront zu tun. Und vor allem mit einem engen Geflecht aus Wirtschaft und Politik, das rund um den Fußball gewachsen ist. Noch in den achtziger Jahren betrieben ein paar Autodidakten und Vereinsmeier die Fußballvermarktung. Doch das Gewerbe wird professioneller. Die wilden Zeiten sind vorbei, sagt Robert Müller von Vultejus, Sportökonom, Geschäftsführer des Vermarkters Sportfive und größter Konkurrent von Infront. Inzwischen ist es einer der dicksten Zweige der Unterhaltungsindustrie geworden (…) Es hilft, dass Netzer in ein Netzwerk weniger, älterer Herren eingebunden ist, die einander vertrauen. Jobst Plog, den Intendanten des Norddeutschen Rundfunks, kennt Netzer noch gut aus seiner Zeit als Manager des Hamburger Sportvereins. Plog nahm viel politischen Ärger auf sich, um die ARD mit der Sportschau zu schmücken. Natürlich geschah das aus Eigennutz, denn die Fußball-Bundesliga gilt als Programm, mit dem man sich von der Konkurrenz absetzen kann. Gleichzeitig verlangte Plog von seinem alten Bekannten Netzer keine allzu großen Opfer. Den Preis bestimmte nicht, wie weit die ARD Infront hätte drücken können, sondern die Prognose, wie viel Geld durch Werbung hereinkommen würde. So zahlte die ARD unterm Strich neun Millionen Euro mehr, als der nächste Konkurrent geboten hatte. Zum Netzwerk gehört auch Wilfried Straub, der dem Geschäft mit dem runden Leder seit 35 Jahren dient und mit Netzer seit dessen Tagen in der Nationalmannschaft auf gutem Fuß steht. Der Geschäftsführer der Deutschen Fußball Liga (DFL) musste zwar darauf bestehen, dass Infront die vertraglich festgelegten 290 Millionen Euro an die Liga überweist und die Vereine drei Jahre vor der Weltmeisterschaft vor dem finanziellen Ruin bewahrt. Nachträglich aber wurde ein stiller Kostenzuschuss in einstelliger Millionenhöhe ausgehandelt, der die Schmerzen bei Infront lindert – und doch den Preis der Ware Fußball nach außen hoch hält. Beziehungen machen also den kleinen Unterschied. Und doch hat sich etwas verändert. Die Zeiten, in denen Netzer durch Europa reiste und mit diversen Vereinspräsidenten so lange trank, bis sie unterschriftsreif waren, sind vorbei. „Die haben nur Geschäfte mit dir gemacht, wenn sie dich mochten“, erinnert er sich. Doch ein Generationenwechsel und die Medienkrise veränderten diese Gesprächskultur. Nur wenige der alten Garde sind noch dabei, und ihnen treten kühle Rechner an die Seite, deren Profession die Verträge sind, nicht das Spiel.

Sonstiges

Feuerwehrmann in New York

Marc Kayser (Zeit 31.7.) hat Fredi Bobics Ausführungen notiert. „Wenn ich einmal nicht mehr fit genug bin, um schnell genug übers Feld zu stürmen, stelle ich mir vor, meinen Traum zu erfüllen: Feuerwehrmann in New York. Teil eines Teams sein, das seine Stadt verteidigt, die voller Superlative ist. Auch ich würde einen Eid darauf schwören, den Big Apple zu verteidigen, als wär’s meine Heimatstadt. Jedes Jahr bin ich in Amerika, in New York, und mittlerweile fühle ich mich dort schon wie zu Hause. In meinem Traum heuere ich auf einer Wache an der Fifth Avenue an. Ich bekomme einen dunkelblauen Anzug mit dem gelben Schriftzug: NYFD. Als fire fighter ohne Erfahrung schickt man mich an den Telefoncomputer, bei dem die Hilferufe eingehen. Mir hat es noch nie etwas ausgemacht, von vorn zu beginnen oder aber zu ertragen, dass ich nicht der Erste in einem Team bin. Den Job des Feuerwehrmanns in New York muss man von der Pike auf lernen. Die Jungs dort, das sehe ich auf den ersten Blick, sind sehr viel kräftiger als ich. Wenn sie unter der Dusche stehen, sehe ich Muskeln auf den Schulterblättern, kräftige Unterarme und Hände voller Schwielen. Wer mich anschaut, ahnt zu Recht: Fredi Bobic kann vielleicht schnell rennen, aber einen Schlauch mit einem Zwölf-Bar-Wasserdruck zu halten, der stark genug wäre, einen Bungalow wegzupusten – nein, das könnte er nicht. Oder erst die so genannten hydraulischen Spreizer, mit denen man eingeschlossene oder eingeklemmte Unfallopfer rettet: Sie sind so schwer, dass ich sie allein nicht halten kann. In meinem Traum trainiere ich wie besessen den schnellen Anschluss der Schläuche an Kupplungen, Armaturen und Stahlrohre. Ich erlerne verschiedene Löschtechniken, klassifiziere Brände, forsche nach Brandursachen, kenne chemische Zusammensetzungen von Löschmitteln und erfahre, welche Atemgifte mich oder ein Brandopfer zu Tode bringen können. Ich übe das Balancieren auf Leitern, das Bewegen von Lasten, das Aufschneiden und Trennen von Stahlteilen und wie man seine Einsatzstelle richtig sichert und beleuchtet. Ich will zu meinem ersten Einsatz. Ich will das Element kennen lernen, das mich daheim am Kamin so schön wärmt, aber bei einem unkontrollierten Ausbruch die Zerstörung bringt. Ich rücke aus. Der Feuerwehrmann Bobic steht einem Feind gegenüber, der mich ebenfalls als Feind empfindet. Feuer hat Hunger, will fressen und gibt bei seiner Suche nach Nahrung nur unfreiwillig nach.“

Wie eine Münze durch den Kanal eines defekten Telefonapparates

Andreas Bernard (SZ 1.8.) produziert eine Phänomenologie des Tornetzes. „Die Differenz zwischen den Fußballplätzen in der Umgebung, auf denen wir Woche für Woche spielten, und der unerreichbaren Welt der Bundesliga zeigte sich an einem Detail: an der Gestalt der Tornetze. Auf den Bezirkssportanlagen der Stadt sahen sie immer gleich aus: Aufgehängt an Eisengestängen in den beiden Winkeln der Tore, fielen sie dreieckförmig nach unten und wurden mit kleinen Plastikheringen in der Erde befestigt. Es bereitete kein großes Vergnügen, in diese Tore zu schießen. Natürlich freuten wir uns, wenn uns im Training ein Treffer gelang (und bei den Punktspielen ging es ohnehin um zu viel, als dass wir auf diese Besonderheit geachtet hätten); dennoch spürten wir einen Mangel darin, dass der Ball nach einem Schuss einfach in den Maschen liegen blieb. Die Tornetze auf den gewöhnlichen Fußballplätzen verhinderten jenen Effekt, den wir aus den Spielberichten der Bundesliga kannten: dass der Ball nach einem Treffer auf spektakuläre Weise aus dem Tor zurückschoss. Wie anders sahen die Netze in den großen Stadien ohnehin aus: Sie wurden von zwei Stangen hinter den Pfosten gehalten und fielen deshalb nicht einfach wie ein zu langer Vorhang nach unten, sondern bildeten ein straff gezogenes Rechteck. Im Spiel selbst wirkten sie, als könnte keine Kraft der Welt ihre Spannung lösen. Bei manchen Treffern prallte der Ball fast bis an den Elfmeterpunkt zurück – und was das Merkwürdigste war: Auch durchschnittlich scharfe Flachschüsse wurden aus unerfindlichen Gründen nach oben katapultiert, bis unter die Latte, und von dort etliche Meter weit herausgeschleudert. War es nicht immer so, dass erst die Gestalt der Tore zu einem großen Teil über die Freude am Fußball entschied? Im Freibad etwa, wenn wir auf der Liegewiese vier gegen vier spielten, hatte es immer etwas Unbefriedigendes, dass die Pfosten nur mit Schuhen oder ein paar Abfalleimern markiert werden konnten. Einen Treffer zu erzielen war in einem solchen Spiel kein wirkliches Ereignis, denn der Unterschied zu einem Fehlschuss fiel kaum auf: Der Ball rollte einfach über die Linie. Weitaus kümmerlicher noch wirkte das Fehlen der Netze aber auf richtigen Fußballplätzen. Während einer Zugfahrt oder auf Spaziergängen am Rande der Stadt gab es keinen trostloseren Anblick als jene ausrangierten Spielfelder, denen anzumerken war, dass schon seit Jahren keine Partie mehr auf ihnen stattgefunden hatte. Manchmal sah man dann einen Vater mit seinem Sohn, wie sie auf eine Tor-Ruine spielten, und wenn ihr abgewetzter Lederball bei fast jedem Schuss durch die breite Lücke zwischen den Pfosten flog – ohne Netz schien das Tor größer zu sein –, hatte das etwas Vergebliches; der Ball fiel nicht ins Tor, er fiel immer wieder durch wie eine Münze durch den Kanal eines defekten Telefonapparates.“

Frankreichs Liga vor dem Saisonstart NZZ

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