indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ballschrank

Das Glück war ein Fohlen

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Das Glück war ein Fohlen

Borussia Mönchengladbach – 1. FC Köln 1:0

Bernd Müllender (FR 5.8.) sah ein ausgeglichenes Spiel. „Oft schon ist es in diesem komischen Fußballsport vorgekommen, dass die einen sich umständlich mühen, viele Fehler machen und auch noch dafür belohnt werden. Und die anderen flotter, spielstärker, gefährlicher sind, zudem defensiv wohlgeordnet, um am Ende doch wort- und erfolglos den Bus zu besteigen. Insofern war Borussias 1:0 gegen den Nachbarschaftsrivalen 1. FC Köln ein ganz normales Spiel. Selten war es berechtigter, den großen Denker Jürgen Wegmann aus Essen-Katernberg zu zitieren, dessen Erkenntnis fälschlicherweise immer als dümmliche Sottise unterschätzt wurde: Erst fehlte das Glück und dann kam auch noch Pech hinzu. Und das sogar doppelt für den FC, denn das einzige Tor war von besonders perfider Gemeinheit. In Minute 62, als schon die ersten Gedanken auftauchten, dass beide bald hitzebedingt auf doppelte Doppelnullsicherung umschalten könnten, kam der überragende Moses Sichone einen Moment zu spät gegen den durchstartenden Marcel Ketelaer: Rot. Fürs Tor zum anschließenden indirekten Freistoß brauchten die Borussen eine eigene Ballberührung; die Flanke von Korzynietz köpfte der Kölner Matthias Scherz ins eigene Tor. Ewald Lienen muss einen Papst in der Tasche gehabt haben, witzelte gestern in der ersten Schnellanalyse die Aachener Zeitung, auch wenn das bei seiner politischen Vergangenheit schwer vorstellbar ist. Die wahren Gründe sind weltlicher: Das Glück war ein Fohlen. Außenbahnwirbler Ketelaer: Ein bisschen glücklich, nicht berühmt gewonnen. Marcelo Pletsch, der robuste Defensiv-Brasilianer: Einfach Glück. Der filigranfreie Pletsch hatte sich im Übrigen für das angebliche und in Gladbach viel beschmunzelte Interesse des FC Barcelona mit einer umjubelten Fallrückzieher-Rückgabe zum eigenen Torwart bedankt, womit der einzige Brasilianer, der nicht Fußball spielen kann (ExTrainer Hans Meyer) bewies, dass an der Vererbungslehre doch was dran sein muss.“

Rezeptkicken

In der taz (5.8.) liest man. „Lienens Elf spielt nach dem Motto: Fehler sind dazu da, wieder gutgemacht zu werden. Ansehnlicher Fußball ist von dieser Borussia allerdings kaum zu erwarten. Leute wie Strasser, Pletsch, auch Neuerwerbung Pascal Ojigwe (Lienens Lieblingsspieler) und vor allem Asanin, also Borussias gesamter Defensivbereich, werden in ihrer Karriere nicht mehr lernen, ein Spiel zu eröffnen und nach vorn Akzente zu setzen. Sie sind froh, gröbste Stolpereinlagen zu vermeiden. Herauskommt das Gegenteil des Gladbacher Vergangenheitsfußballs. Statt flitzigem Konterspiel und Kombinationen zum Zungeschnalzen gibt es Rezeptkicken. Wenn diese Mannschaft allerdings erst mal in Rückstand gerät, ist es vermutlich schnell mit der Heimstärke vorbei. Und dann gibt es womöglich, mit diesem ziemlich ungeduldigen Publikum, einiges an Problemen in dieser Saison (…) Es war das letzte Derby im alten Stadion. Nächstes Mal geht es in den Sportpark im Nordpark. Bye bye Bökelberg, steht an der Anzeigetafel spielbegleitend, noch 17 Mal mitfiebern. Allerdings ohne die Bild-Zeitung als Sponsor. Borussias Mitgliederversammlung hatte im Sommer nach hitziger Debatte beantragt, das Blatt nach der Schmutzkampagne gegen Extrainer Hans Maier von der Anzeigetafel zu verbannen und den Vertrag fristlos zu kündigen. Der Club handelte entsprechend. In aller Sinne: Vor dem Boulevard hat auch Ewald Lienen wenig Respekt.“

Richard Leipold (FAZ 5.8.) beschreibt die Defizite beim Sieger-Team. “Dank des kuriosen Eigentores beeinflußten die teils gravierenden Mängel im Gladbacher Spielaufbau den Ausgang der Partie letztlich nicht, auch wenn mancher Borussen-Fan mit einem deutlicheren Ergebnis gerechnet hatte. In der ersten Sonntagsfrage der neuen Saison sei es ja nur noch um die Höhe des Sieges gegangen, sagte Ketelaer. Diese Art der spekulativen Vorfreude ist nicht ungewöhnlich vor einem Treffen dieser beiden rheinischen Rivalen. So tief die meisten Borussen den Nachbarn verabscheuen mögen: Sie begrüßen die Rückkunft der Kölner in der ersten Liga ausdrücklich – schon aus statistischen Gründen. Gladbacher Siege haben Tradition; unter Fans wird die Kölner Ligazugehörigkeit im Überschwang mit sechs sicheren Punkten gleichgesetzt. Aus 69 Derbys gingen die Kölner nur achtzehnmal als Gewinner hervor. Mit dieser Tradition wollten die Gladbacher gerade in diesem Spiel nicht brechen, nicht im letzten Derby auf dem alten Bökelberg, der nach dieser Saison als Heimstatt der Borussia ausgedient hat. Zum Abschied schlugen die Kölner sich selbst an diesem geschichtsträchtigen Ort in einem unspektakulären Spiel; aus eigener Kraft wäre die Heimmannschaft nicht in der Lage gewesen, den FC zum fünftenmal nacheinander zu Hause zu bezwingen.“

Hansa Rostock – VfB Stuttgart 0:2

Thomas Kilchenstein (FR 5.8.) versetzt sich in den Mann des Tages: Imre Szabics, zweifacher Torschüze. „Das ist jetzt wieder eine der Geschichten, von denen Jungs ab der fünften Schulstunde träumen, wenn draußen die Sonne von Himmel brennt und der doofe Pauker mit binomischen Formeln langweilt: Beim Lieblingsverein auf der Ersatzbank sitzen, dann vom Trainer das Vertrauen erhalten, eingewechselt werden und gleich zwei entscheidende Tore schießen. Und das alles binnen 60 Sekunden. Imre Szabics ist das gelungen. Es ist jetzt nicht bekannt, ob der kleine Imre, damals in der Penne in Szeged, einer 177 000-Einwohner-Stadt tief im Süden Ungarns, zudem verschwistert mit Darmstadt, davon geträumt hat. Wahrscheinlich, denn alle Fußball spielenden Jungs haben diesen Traum: reinkommen, Tore schießen (…) Beide Male hat an diesem heißen Sonntag im Ostseestadion übrigens der Ex-Frankfurter Horst Heldt die Vorarbeit geleistet. Ohnehin war Heldt überragender Mann beim VfB, der – ein wenig überraschend – anstelle von Aliaksandr Hleb für die Rolle des Balakow-Nachfolgers nominiert worden war. Hintergrund für Hlebs Zwangspause ist möglicherweise dessen Eigensinn während der Vorbereitung. Magath war negativ aufgefallen, dass sich manche mit übertriebenen Einzelaktionen in den Vordergrund spielen wollten und hatte fehlende mannschaftliche Geschlossenheit moniert. Heldt indes gilt als Teamplayer. Und er hat noch einen Vorteil: Er spielte lange gemeinsam mit Imre Szabics bei Sturm Graz.“

Wir sind dafür da, die Nation mit gutem Fußball zu unterhalten

Javier Cáceres (SZ 5.8.) teilt dazu mit. „Binnen 120 Sekunden traf er zweimal: In der 75. per Kopf, in der 76. schloss er einen Konter mit einem Schuss ins leere Tor ab, nachdem er den von der eigenen Abwehr verratenen Hansa-Torwart Schober am Strafraum ausgespielt hatte. Ein vor allem in der ersten Halbzeit kurzweiliges und auch lange Zeit „ausgeglichenes Spiel“ (Hansa-Trainer Veh) war damit entschieden. Dass Veh seine Abwehr der Kollaboration zieh, war durch die Faktenlage gedeckt. Dass er namentlich die Zentralverteidiger Hill und Kientz erwähnte erzürnte vor allem Kientz – hängt aber wohl auch damit zusammen, dass Veh es für „nötig“ erachtet, „personell nachzulegen“. Als „Grüße nach Graz“ empfand gestern die dort ansässige Kleine Zeitung den „Doppelpack“ des Ungarn Szabics, der Stuttgart wieder dort anknüpfen ließ, wo man vergangene Saison aufgehört hatte (Magath: „Wir sind dafür da, die Nation mit gutem Fußball zu unterhalten“). Vier Jahre lang hatte Szabics dem SK Sturm Graz angehört, zuvor hatte er in seiner ersten Erstligasaison für Ferencvaros Budapest zwölf Treffer in 24 Spielen erzielt – als 17-Jähriger. In der vergangenen Spielzeit erzielte er für Graz elf Treffer in der österreichischen Liga und vier weitere im Uefa-Cup; in der ungarischen A-Elf stehen drei Einsätze und fünf Tore zu Buche. „Er ist für sein Alter vor dem Tor unglaublich abgeklärt“, sagte gestern der frühere deutsche Nationalspieler Franco Foda, in der vergangenen Saison Trainer beim SK Sturm (und nun Koordinator der Nachwuchsabteilung). „Er ist schnell und geht gut in die Tiefe – in die Zone, wo es weh tut“, nur im Defensivverhalten und im Kopfballspiel sei noch Steigerungspotenzial. „Das wird ihm der Magath schon noch beibringen“, sagte Foda. Zumal er Szabics als einen „sehr umgänglichen und netten Typen“ einschätzt, „der sachlich analysiert, gut zuhören kann – und vor allem lernen will“. Am 6.Mai dieses Jahres wurde Szabics in Graz dennoch suspendiert (Foda: „Nicht von mir!“). Sturms schillernder Kluboberst Hannes Kartning hatte den Ungarn dafür abgestraft, dass er nach einer Verletzungspause ein Länderspiel bestritten hatte. „Danach wollten sie meinen Vertrag verlängern. Ich hab’ nein gesagt. Und dann haben sie mich entlassen“, sagte Szabics. Eigentlich sollte er im Sommer nach Nürnberg wechseln, die Abendzeitung hatte ihn schon „Dr. Tor“ getauft, weil er an der Fern-Uni Jura studiert und promovieren möchte. Doch der bereits unterzeichnete Vertrag mit den Franken galt nur für die Erste Liga. Nürnberg stieg ab, und Magath, der zurzeit wohl kenntnisreichste Wühltisch-Experte des Fußball-Marktes, trug dem ablösefreien Ungarn neuerlich ein Angebot vor.“

Rückblick aufs Revierderby

Martin Hägele (NZZ 5.8.) lässt das Spitzenspiel vom vergangenen Wochenende Revue passieren. „Früher war es das wichtigste Bundesligaspiel des Jahres gewesen. Und wenn Borussia Dortmund diese Derbys gegen Schalke 04 jeweils verlor, ging es darum, die Schmach in derselben Saison mit dem Meistertitel halbwegs vergessen zu machen. Eine Niederlage von Schwarz-Gelb gegen Königsblau wurde rund um das Westfalenstadion als unerträglich empfunden. Die ungeschriebenen Gesetze im Revier, wie das ehemalige Kohleviertel immer noch heisst, waren auch dem neuen Trainer von Schalke 04 bekannt – obwohl Jupp Heynckes über acht Jahre aus der Bundesliga in die Primera División verschwunden war. „In Spanien hätte man die Partie Real Madrid gegen den FC Barcelona frühestens am siebenten oder achten Spieltag angesetzt“, monierte Heynckes vor dem Ruhrpott-Schlager, „nirgendwo in der Welt gibt es das Saison-Highlight gleich zur Premiere.“ Hier denkt der international versierte Trainer etwas gar stark in lokalen Dimensionen. Nach dem jüngsten Lokalkampf zwischen den zwei grössten Klubs entlang der Bundesstrasse 1 muss man allerdings sagen, dass es vielleicht ganz gut war, dass der erste Saisonhöhepunkt nun schon Geschichte ist. Mit dem 2:2 können nämlich beide Teams sehr gut leben. Ein Unentschieden hält Emotionen tiefer, als wenn nun die Schalker dem vermeintlich reicheren Nachbarn über Wochen und Monate hinweg ein schadenfrohes „Verlierer“ nachgebrüllt hätten (…) In der „Arena Auf Schalke“ ist zur Saisonpremiere ein neuer Held auf die Welt gekommen: einer, der rennen kann wie Andreas Möller und „der schiesst wie der junge Lothar Matthäus“. So jedenfalls hat sich Heynckes, der den deutschen Rekordinternationalen einst entdeckt hatte, fast ein Vierteljahrhundert zurückerinnert. Anders aber als Matthäus und Möller wird der neue Liebling von S04 noch nicht von einem Agenten mit dem Beinamen „schwarzer Abt“ gemanagt, und er jagt nach Dienstschluss auch nicht mit Trinkkumpanen und Groupies durch die Szene. Hamit Altintop, der vom Drittligaklub Wattenscheid gekommen war – sein Zwillingsbruder Halil schloss sich dem 1.FC Kaiserslautern an –, hat den Abend nach seinem grossen Auftritt mit seiner Mutter verbracht, in deren Mietwohnung nicht weit weg vom Gelsenkirchener Hauptbahnhof, wo die beiden Talente auch geboren und aufgewachsen sind. Nur den Scouts des türkischen Verbandes sind die Altintop-Brüder nicht entgangen – sie hatten den Nachwuchs rechtzeitig entdeckt und schon in ihrer U-21-Auswahl integriert. Dass sich Hamit Altintop auch noch gleich zum Land seiner Väter bekannt hat („die Emotionen im Fussball schlagen dort höher als in Deutschland“), war ein sehr weiser Entscheid. Womöglich hätten die Boulevardblätter sonst einen Kulturkrieg angezettelt beim Versuch, den Distanzschützen für das Kader von Teamchef Völler zu akquirieren.“

Im gestrigen Newsletter zitierten wir Wolfgang Hettfleisch (FR), der wiederum Waldemar Hartmann (ARD) zitierte: “Mutter aller Fragen an Jupp Heynckes: ‘Wann soll’s denn richtig jucken auf Schalke?’”

Freistößler David Kluge korrigiert zu recht: “Ich meine, statt jucken JUPPEN verstanden zu haben!”

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