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Das Turiner Erfolgsrezpet – Finish der Premier League ohne Happy End für Liverpool – Rückblick auf die Wiener Saison
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| Donnerstag, 25. März 2004Faire circuler le ballon
Peter Hartmann (NZZ 13.5.) analysiert das Turiner Erfolgsrezept. „Die Konfrontation mit den Abtrünnigen Zidane und Ronaldo, die sich mit wenig schmeichelhaften Bemerkungen über den Fussball all‘italiana vom Stiefel verabschiedet haben, bedeutet eine doppelt reizvolle Herausforderung für die Juve, die nach dem 1:2 in Madrid auf Sieg spielen muss. Ausserhalb Italiens ist reichlich Häme über die Spielkünste und die Offensivkraft dieser Mannschaft gegossen worden. Gewiss ist die Serie A längst nicht mehr die „schönste Meisterschaft der Welt“, als die sie sich zu Zeiten von Maradona und Platini, Gullit und van Basten selber zelebrierte, aber es ist die härteste und schwierigste mit den vielen taktischen Fallenstellern, die auf den Trainerbänken sitzen. Marcello Lippi ist kein Catenaccio-Stratege, seine Abwehrmechanismen sind sehr viel raffinierter. Zwar zerstört auch Juventus das Spiel des Gegners durch Pressing und taktische Fouls auf dem ganzen Feld (darauf sind besonders Davids und Tacchinardi abgerichtet), schaltet aber oft auf kreative Defensive um, auf langes Ballhalten, ermüdet und erstickt gewissermassen den Gegner mit endlosen Ballstafetten, versteckt den Ball vor ihm, zwingt ihn zum planlosen Laufen, gewinnt Zeit, verschiebt den Schwerpunkt der eigenen Mannschaft, gruppiert sich neu, sucht Lücken zum Zuschlagen. Die Spielart war schon früher modern, in den sechziger Jahren, als sie die Franzosen (und unter ihrem Einfluss Servette) praktizierten. Das Geheimnis hiess „faire circuler le ballon“, den Ball laufen lassen. Die Deutschschweizer Kritiker missverstanden diesen Kombinationsfussball als brotlose Tändelei, als „l‘art pour l‘art“. Nur ein hervorragend besetztes, ausgeglichenes Team kann so spielen. Trainer Lippi versuchte, anders als etwa Ancelotti mit Milan oder Cúper mit Inter, die bis heute keine Kernstruktur fanden, das personelle Rotationsprinzip einzuschränken (…) Als Lippis Trouvaille der Saison erwies sich der Argentinier Camoranesi, der zur Hälfte noch dem Serie-B-Klub Verona gehört, ein in Italien selten gewordener Spielertyp, der mit seinen Dribblings bis zur Grundlinie vorstossen kann. Giovanni Trapattoni hat ihn zum italienischen Pass überredet und ins Nationalteam geholt. Die Energie, die Entschlossenheit, die Spielintelligenz dieser Meistermannschaft verkörpert ein Spieler: Pavel Nedved, die „tschechische Furie“, wie sie ihn nennen, der 31-jährige Spielmacher, der dauernd unter Strom zu vibrieren scheint.“
Comical Arsène
Raphael Honigstein (FR 13.5.) schreibt über das Finish der Premier League. „Jede Saison hat ihre Geschichte. Die von 2002/03 handelt von einem talentierten Team, das lange souverän die Tabelle anführte, dann aber in der Abwehr ungeahnte Schwächen offenbarte und spektakulär in sich zusammenfiel. Und am Ende machte der französische Trainer mit weit hergeholten Ausflüchten und wenig überzeugenden Erklärungen alles noch schlimmer. Man kann in England T-Shirts erwerben, die Arsenal-Coach Wenger mit der schwarzen Kappe des irakischen Informationsministers auf dem Kopf und einigen peinlichen Zitaten darunter als Comical Arsène verspotten. Liverpool-Fans werden aber nicht mitlachen. Was für die Gunners gilt, trifft nämlich auch exakt auf den Traditionsverein im Norden zu. Nur die Pointe ist noch böser: Liverpool, für viele Favorit auf den Titel, spielt nach dem kläglichen 1:2 beim FC Chelsea am Sonntag nächstes Jahr nicht einmal in der Champions League (…) Alles hatte ja gut angefangen. Zwölf Spieltage lang belegte Liverpool mit stoischem Konterfußball ungeschlagen Platz eins, doch im November folgten elf sieglose Spiele in Folge – die schlechteste Bilanz seit dem Krieg. Zum Saisonende kroch man mühsam aus dem Niemandsland zurück ins Spitzenfeld, doch es reichte nicht mehr. Warum, das zeigten die 90 Minuten im Londoner Regen: Die Mannschaft hat spielerische Defizite. Was an sich nicht neu ist an der Mersey, doch in den vergangenen Jahren konnte man sich zumindest immer auf die starke Abwehr verlassen. Diese Saison war Liverpool ohne den oft verletzten Stéphane Henchoz auch hier nur gehobener Durchschnitt. Es fällt schwer zu glauben, dass Markus Babbel nach seiner Krankheit keine bessere Figur abgegeben hätte als der ungelenke Djimi Traoré, doch der Deutsche ist bei Houllier in Ungnade gefallen. Vergangene Woche wurde der Ex-Bayer zum zweitenmal innerhalb von zwei Monaten wegen einer Tätlichkeit in einem Reservespiel vom Platz gestellt. Nach seiner Kopfnuss wäre er für die ersten drei Spiele der nächsten Saison gesperrt. Doch Babbel steht möglicherweise vor einer Rückkehr nach München. Er soll bereits erste Gespräche mit 1860 München geführt haben.“
Schachner-Tabelle
Zur Lage in Wien heißt es bei Werner Pietsch (NZZ 13.5.). „Ein besonderes Kapitel österreichischer Fussballgeschichte schrieb diese Saison auch der GAK, der mit dem Trainerwechsel einen fast märchenhaften Aufstieg vom letzten in den zweiten Tabellenrang schaffte. Walter Schachner wurde von Austria Wien trotz überlegener Tabellenführung entlassen, da Christoph Daum plötzlich als schillernde Figur am Markt zu haben war. Schachner übernahm gleichsam im fliegenden Wechsel die roten Teufel aus Graz. Der Stachel über den ungerechtfertigten Rauswurf in Wien sass beim ehrgeizigen Jungtrainer so tief, dass er bei Amtsantritt seinen Spielern eine neue Tabelle mit null Punkten für alle Teams zeigte. Der Psychotrick motivierte nicht nur seine Spieler, sondern verärgerte im gleichen Masse auch seinen Nachfolger Christoph Daum. Der wollte von der sogenannten Schachner-Tabelle nichts mehr hören, die bis anhin Austria Wien deutlich hinter dem GAK auswies (…) Christoph Daum, der mit grossen Erwartungen im Oktober seine Arbeit als 14.Austria- Coach innert 10 Jahre antrat, reagierte zuletzt nur noch frustriert und enerviert über die mangelnde Einsatzfreude seiner Stars. Noch im Oktober war die Rede von Champions League auf höchstem Niveau. Der Manager Svetits wurde auf Reisen geschickt, um Daum alle möglichen Spielerwünsche zu erfüllen. Inzwischen will auch der Selfmade-Millionär Stronach, der laut Eigendefinition nicht ärmer wird, wenn er einige Millionen Euro ausgibt, kleinere Brötchen backen. Es soll vermehrt auf heimischen Nachwuchs gesetzt werden. Christoph Daum, der in Wien einen Vertrag bis 2005 unterschrieben hat, liess bereits anklingen, dass er zahlreiche attraktive Angebote aus ganz Europa vorliegen habe. Diese Saison werde er noch in Wien beenden, danach müsse man reden. Schalke und Leverkusen dementierten vorerst noch, aber auch Klubs aus Spanien, England und der Türkei sind offenbar um Daum bemüht. Vieles deutet darauf hin, dass der Deutsche das Kapitel Austria vorzeitig beenden wird.“
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