Ballschrank
Das Zweitbeste setzt sich durch
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| Donnerstag, 25. März 2004
„Das Zweitbeste setzt sich durch – mit dieser selbstgebastelten Allerweltsweisheit wartete ein Freund zur Studienzeit immer dann auf, wenns um Wertungsfragen ging: die Beatles vor den Kinks, Goethe vor Kleist, Thomas Mann vor Musil, FC Bayern vor Borussia Mönchengladbach; die Welt- und Wirkungsgeschichte sei voller Ungerechtigkeiten, weil sie Massenkompatibilität favorisiere, sprich: weil das wirklich Große nicht das größtmögliche Glück der größten Zahl bewirke. So einfach sei das, jedenfalls für einen Engländer (…) Spätestens im Verlauf der Achtziger wurde es bei Intellektuellen wieder schick, sich als Fußballfan zu outen, vorzugsweise als einer des SC Freiburg, das kam gut – und hatte mit echter Leidenschaft, die sich ihr Objekt ebenso vernunft- wie hoffnungslos wählt, kaum mehr was zu tun. „SC Freiburg“, das konnte man so beiläufig sagen, wie man „Don DeLillo“ sagte, wie man „Beaujolais Primeur“ sagte, und wenn man dazu noch ein paar Abstiegssorgenfalten über die Stirn legte, konnten sogar weibliche Gesprächspartner Rührung zeigen (…) Keine Frage, lieber mit einem Reiner Calmund trauern als mit Matthias Sammer feiern, der Dortmunder Euphoriebremse. Bayer Leverkusen ist in dieser Szene so tragisch wie einstmals nur Borussia Mönchengladbach, wahrscheinlich ist Leverkusen nichts anderes als ein reinkarniertes Mönchengladbach – das wäre der Mythos, den zukünftige Dramatiker daraus stricken könnten. Dass die Wucht der Tragik dabei nicht mehr nur von den Spielern oder vom Trainer zu erleiden ist, sondern stellvertretend von deren Manager, macht die Katharsis so neu, so wirksam. Wer wird in 10 Jahren noch von Ewerthon reden, der 49 Sekunden nach seiner Einwechslung das entscheidende Tor für Dortmund erzielte? Aber eines Reiner Calmund im Leverkusener Anstoßkreis, das ist sicher, werden wir gedenken (…) Brasilianer kommen und gehen, selbst Ballack wird vom FC Bayern geködert, ein Calmund bleibt. Fast ein Grund, doch noch ein wenig länger Fußballfan zu bleiben.“ (Volltext)
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