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Der Fußball, nur der Fußball gewann das dramatische Finale in Italien

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Der Fußball, nur der Fußball gewann das dramatische Finale in Italien

„Der Fußball, nur der Fußball gewann das dramatische Finale in Italien, nach einer durchwachsenen Saison voller Langeweile und ohne echte Höhenflüge, nach einem Endspurt der Intrigen, Verdächtigungen und Verschwörungstheorien. Dass Rekordmeister Juventus Turin am Ende den 26. Titel mit einem 2:0 in Udine holte, während sich die Favoritin Inter nach der 2:4-Niederlage gegen Lazio als Drittplatzierte hinter dem AS Rom nun auch noch für die Champions League qualifizieren muss, ist das Resultat einer Meisterschaft, in der außer dem Stadtteilklub Chievo Verona (der sich einen Platz im Uefa-Cup sicherte) keine Mannschaft wirklich begeisterte. Längst schreiben in der Milliardenliga Pleiten und absurde Transfers, Dopingskandale und Ranküne in der Führungsspitze größere Schlagzeilen als das Geschehen auf dem Platz.“ (Volltext)

Dirk Schümer (FAZ 07.05.02) schreibt über die Prioritäten des italienischen Vereinsfußballs:

„Wie wertvoll der nationale „Scudetto“ für die Vereine der Serie A ist, zeigte sich daran, wie leichtfertig, ja nahezu wehr- und emotionslos alle drei im titelkampf verbliebenen Klubs in den europäischen Wettbewerben ausschieden.“

Peter Hartmann (NZZ 07.05.02) beschreibt italienische Tugenden:

„Man kann den italienischen Fußball zynisch und publikumsverachtend finden. Man kann seine taktische Inzucht bedauern, die megalomanische Überheblichkeit und Verschwendungssucht der Bosse anklagen, die längst auf der „Titanic“ tanzen, ohne es zu merken. Aber dieser Fußball überlebt dank einer „unité de doctrine“, einer Schule der Schlauheit: jeder Spieler, jeder Trainer erkennt instinktiv die Schwächen des andern, aber auch die eigenen. Das schafft diese Pattsituationen in den italienischen Arenen, den Kult des Null-zu-null, dieses schwierigsten aller Resultate. Weil immer alle elf gleich denken, wenn Italiener Fußball spielen, könnte die Squadra Azzurra an der kommenden WM in Asien sehr weit vorstoßen. Berti Vogts sprach einmal von den nationalen Tugenden. An die Schlauheit hat er vermutlich nicht gedacht.“ (Volltext)

Vincenzo Delle Donne (Tsp 07.05.02) berichtet von den „Sicherheitsvorkehrungen“ vor dem letzten Spieltag:

„Inter Mailand hatte es unter Trainer Hector Cuper nicht geschafft, am letzten Spieltag die Tabellenführung der Serie A über die letzten 90 Minuten zu retten. Im siebenten Jahr seiner Präsidentschaft und nach Investitionen von über 500 Millionen Euro steht Präsident Massimo Moratti erneut mit leeren Händen da. Dabei waren die Vorzeichen für die Mailänder günstig wie nie. Selbst die Fans vom Gegner Lazio Rom schwenkten um, unterstützten in einer „surrealen Komödie“ (Gazzetta dello Sport) die Spieler von Inter (…) Aus Angst vor möglichen Schiebereien hatte der Verband drei Inspektoren auf die Plätze geschickt, in denen die Meisterschaft entschieden wurde. In ihrem Bericht sollen aber keine besonderen Vorkommnisse vermerkt worden sein.“ (Volltext)

Peter Hartmann (NZZ 30.04.02) über einen unverhofften Frühling in der Serie A:

„Die italienische Serie A scheint entfesselt. Im Entscheidungskampf um den Titel verdrängen die Meister des Spieleinfrierens ihre Sicherheitsbedenken, fordern volles Tempo über 90 Minuten. Das Ziel ist das Toreschießen, nicht die Gesichtswahrung. Das Ergebnis dieses Mentalitätswandels, der von der Alles-oder-nichts-Konstellation im Meisterschaftsfinale provoziert wird, lässt das Land in neue Begeisterung ausbrechen: Der Fußball kehrt zurück in die Arenen, die monatelang mit taktischen Fallen vermint waren.“ (Volltext)

Birgit Schönau (SZ 25.04.02) über Roberto Baggio, Italiens beliebtesten Fußballer, der allerdings ob seiner 35 Jahre die WM vor dem TV verbringen werden muss:

„Es gibt viele, sehr viele durchschnittliche Fußballspieler in Italien und eine Menge Stars. Einer ist ein Mythos, Roberto Baggio. Er wird verehrt, vor allem aber wird er geliebt. Bei Tifosi aller Klubs ist er populär, aber auch bei Menschen, die (gibt es, in Italien) nie in ihrem Leben ein Fußballstadion betreten haben. Er gefällt den Intellektuellen, den Dichtern und den Sängern, sie schreiben Leitartikel über ihn, Songs und Gedichte, sie huldigen seinem Genie. Vor der Klinik in Bologna, in der er seine Knieverletzung auskurierte, warteten jeden Morgen Dutzende von Fans auf ein Autogramm. Sie waren aus Turin gekommen, aus Rom und aus Neapel – und manche hatten eine Nacht im Auto verbracht, um einen Blick von ihrem Idol zu erhaschen. Baggio ist eine Projektion, auf dem besten Weg, ein Monument zu werden, für einen calcio, von dem alle träumen, und den es unwiderruflich nicht mehr gibt. Ein Fußball, der von Visionen geprägt ist und von Spielfreude, von echter Leidenschaft und durchlittenen Triumphen. Listig und fintenreich, schnell und unberechenbar ist Baggio auf dem Platz, körperliche Schwächen mit Willenskraft und Phantasie ausgleichend, ein moderner Odysseus. “ (Volltext)

Peter Hartmann (NZZ 23.04.02) weiß, welchen beiden Stars die Serie A die wiederentdeckte Attraktivität und Spannung zu verdanken hat:

„Die Serie A drohte – mit Inter, Juve und Roma innerhalb von zwei Punkten in noch zwei Runden vor Schluss – in den üblichen Schiedsrichter-Polemiken zu enden, und jetzt wird diese unerhört spannende Situation vielleicht durch zwei magische Unterhalter wie Baggio und Ronaldo entschieden. Talent und Poesie kommen wieder an den Ball. Hoffentlich auch an die Macht (…) Zehn Jahre Altersunterschied trennen sie, fast ein Generationenschnitt, aber beide haben eine eigentümlich verwandte Laufbahn durchlitten bis heute. Das Genie und das Knie. Baggio zerriss sich erstmals mit 17 Jahren die Bänder, noch ehe seine Karriere begann. Ronaldo wurde vor drei Jahren durch einen Sehnenriss aus seinen fabelhaft schnellen Dribblings geworfen, und er schien nie mehr auf die Beine zu kommen.“ Aber „Il Codino“, das mittlerweile leicht ergraute Pferdeschwänzchen, und „Il Fenomeno“, der unwiderstehlich Phänomenale, sie sind wieder da, und sie haben einen Funken entzündet. Nach allen hausgemachten Krisen, Katastrophen und Intrigen der Serie A und ihrem abstumpfenden Gewohnheitsgemisch aus „Muskelkraft, Pressing, taktischen Fouls und Langeweile“ (Corriere della Sera) schauen die Italiener plötzlich erstaunt weg von den scheindramatischen Schiedsrichtertribunalen am Fernsehen und den kindischen Hahnenkämpfen der Präsidenten- und Managerkaste – gemessen an den begeisterten Kommentaren haben sie soeben den Fußball neu entdeckt.“ (Volltext)

Birgit Schönau (SZ 22.04.02) über den Einfluss des italienischen Ministerpräsidenten Berlusconi auf den Fußball:

„Jetzt aber ist er Regierungschef, verbreitet ungeniert, dass 70 Prozent der Italiener so dächten wie er, und deshalb denken 99 Prozent der Italiener, nur böse Mächte könnten der Squadra Azzurra noch den Weltmeistertitel streitig machen (das verbleibende Prozent interessiert sich nicht für Fußball). Wovon sich dieser Optimismus nährt, ist rätselhaft, zumal zuletzt das 1:1 gegen eine Mitleid erregend schlecht spielende Auswahl aus Uruguay (siehe

Peter Hartmann (NZZ 16.04.02) berichtet von der Finanzkrise im italienischen Fußball. Mehrere Klubs – darunter Lazio Rom und AC Fiorentina – sind derzeit nicht in der Lage, Spielern- und Trainerlöhne zu zahlen:

„Geld ist im italienischen Fussball immer ein Thema, und Zahlen, fabulöse Wolkengebirge aus Lire-Milliarden, untermauerten bisher die Selbsteinschätzung von der „schönsten Meisterschaft der Welt“ (…) Aber es gab ein Tabu, das alle eisern respektierten: Nie hat ein Spieler (oder ein Trainer) öffentlich aufbegehrt, wenn er das Salär seines Arbeitgebers nicht auf dem Konto vorfand. Eher gibt einer zu, dass seine Frau fremdgeht. Das ist anders in dieser Saison. Die Fronarbeiter von Fiorentina, die jetzt unausweichlich den Abstieg in die Serie B anzutreten haben, setzten ihrem Präsidenten Vittorio Cecchi Gori schon bei Meisterschaftshalbzeit öffentlich die Daumenschrauben eines Verfahrens an, das ihnen ermöglicht, ihre Verträge zu zerreißen und ohne Ablösesumme in einem neuen Klub ihrer Wahl anzuheuern. Mit der Einführung des Euro sind im Fussballzirkus nicht nur sehr viele Nullen verschwunden, sondern auch die Illusionen von der Überlegenheit des italienischen Systems, das auf dem Wunderglauben an immer höhere TV-Einkünfte und deren spekulativen, vorweggenommenen Verschleuderung beruhte. Ein bisher unter Verschluss gehaltenes Gutachten der Wirtschaftsprüfer Deloitte Touche enthüllt die fatale Schuldenentwicklung und, das erst weckte die Öffentlichkeit auf, die lasche Zahlungsmoral mancher Klubs gegenüber ihrem spielenden Personal.“ (Volltext)

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