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Ballschrank

Der geht zum Training Eisenbahnschwellen treten

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Der geht zum Training Eisenbahnschwellen treten

Christoph Biermann (taz 8.5.) singt ein Loblied. „Der Wunsch, ein Lob des Verteidigens zu versuchen, folgt keinem großen Plan und keiner grundsätzlichen Revision, sondern nur einer momentanen Stimmung. Denn eigentlich habe ich Verteidiger noch nie gemocht. Sie stehen im Weg herum und versuchen zu verhindern, was beim Fußball am meisten Spaß macht: Tore zu schießen. Der Verteidiger ist derjenige, der beim Ball immer mit der Hässlichsten tanzen muss, sagt Cesar Luis Menotti, der große argentinische Trainer-Schwadroneur. Vielleicht liegt es daran, dass Verteidiger stets so viel häufiger Schnauzbärte hatten als alle anderen Spieler. Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Wunsch, Tore zu verhindern, und dem, über der Oberlippe behaart zu sein? Der einzige, den ich je geliebt habe, hieß Gerd Wiesemes. Er spielte zu Beginn der 70er-Jahre bei Westfalia Herne, und wenn man ihn aus der damaligen Zeit ins Heute versetzen würde, hätte das einen ähnlichen Effekt wie das Auftauchen der Dinosaurier in Jurassic Park. Wiesemes hatte keinen Schnauzbart, aber beeindruckende Koteletten – und noch viel imposantere Oberschenkel. Sie waren doppelt so dick wie die von Gerd Müller. Der geht zum Training Eisenbahnschwellen treten, sagte mein Onkel über Wiesemes. Gerd Wiesemes gab mir ein Gefühl der Sicherheit. In seiner holozänartigen Massigkeit war er mein Garant dafür, dass hinten schon nichts anbrennen würde (…) Heute, wo dieses Beschützen als ein über den ganzen Platz gespanntes Sicherheitsnetz kollektiviert ist, in das sich fast alle Spieler verweben müssen, ist Verteidigen eine Kunstform. Das Land, in dem sie besonders gepflegt wird, ist Italien. Italienische Verteidiger haben meistens keine Schnäuzer, sondern sehen so gut aus wie ihre Kollegen im Sturm. Vielleicht liegt es daran, dass sie in Italien keiner niederen Kaste angehören, wie das anderswo der Fall ist. Es hat etwas Kontemplatives, italienischen Mannschaften in ihrem Bemühen zuzuschauen, das Spiel des Gegners zu unterbinden und den besten Stürmern der Welt keine Torchance zu geben. Und es gibt Tage, an denen mich das mit großer Zufriedenheit erfüllt. Dann finde ich es nicht hässlich, sondern die Idee beruhigend, ein Spiel nicht zu verlieren statt es gewinnen zu müssen. Dann ist die Welt voller schützender Kräfte, die ihre ganzen spielerischen Fähigkeiten der großen Aufgabe unterordnen, kein Tor zu kassieren. Die all ihr Denken allein auf dieses Ziel ausrichten und dabei zu größten Verfeinerungen kommen. Das sind die Tage, an denen ich dem Zauber von Juventus Turin erliege.“

Mit dem Tod wird Banales plötzlich wichtig

Alessandro del Piero erzählt aus seinem Leben. „Könnte ich das Rad der Zeit zurückdrehen, ich würde Dingen Gewicht schenken, die mir früher banal oder selbstverständlich erschienen. Zum Beispiel die gemeinsamen Momente mit meinem Vater. Er ist im vergangenen Jahr gestorben. Ich erinnere mich, wie er immer neben dem Fußballplatz stand und eine Zigarette nach der anderen rauchte, ohne ein Wort zu sagen. Er gehörte nicht zu jenen besessenen Väter, die hinter dem Tor stehen und ihren Söhnen ständig ins Ohr schreien, wie sie spielen müssen. Er hat mit meinem Bruder und mir nie über unsere Erfolge gesprochen, auch als Stefano zu Sampdoria Genua wechselte und ich bei Juventus Turin meinen ersten Profivertrag unterschrieb. Er wollte nicht, dass uns der Erfolg zu Kopf steigt. Das wäre das Schlimmste gewesen für ihn: einen Großkotz als Sohn zu haben. Aber ich spürte, wenn er an seiner Zigarette zog, dass er stolz auf uns war. Im Nachhinein wünschte ich mir, ich hätte solche Momente intensiver genossen. Ja, das ist mein Traum: meinem Vater dies zu sagen. Zu spät. Mit dem Tod wird Banales plötzlich wichtig. Und umgekehrt. Der Tod meines Vaters hat alle Probleme, die ich im Club oder im Privatleben hatte, so groß sie auch gewesen sein mögen, auf null reduziert. Zwei Tage nach der Beerdigung habe ich nach monatelangem Misserfolg wieder für Juventus getroffen. Irgendwie absurd, aber der Tod meines Vaters hat mich auf einen Schlag befreit. Mein Vater scheint meine Probleme mit ins Grab genommen zu haben. Heute denke ich: Sogar mit seinem Fortgehen hat er mir ein letztes Mal, wie während seines ganzen Lebens, die Hand gereicht und in einem schwierigen Moment geholfen.“

Aufgezeichnet von Walter de Gregorio (Zeit 8.5.)

Drei Kapitel des Effenbergschen Schundes lesen und ein Kurzreferat darüber halten

Christian Zaschke (SZ 8.5.) begrüßt die Klage Christian Fährmanns (ehemals Union Berlin) gegen eine 3000-Euro-Strafe seitens seines Klubs, weil dieser sich krank meldete, statt zum Vereinsarzt zu gehen. „Tatsächlich ist es bedenklich, wenn gegen Spieler, die ihre Meinung frei äußern, tags darauf Geldstrafen in willkürlicher Höhe verhängt werden; wenn also Vereine Strafen aller Höhe nach Gutdünken beschließen, um ihre Spieler zu erziehen, beziehungsweise unter Kontrolle zu halten. Dagegen eine Musterklage anzustrengen, ist eine gute Idee, weil sie alle Beteiligten zwingt, grundsätzlich über das System von Vergehen und Strafe nachzudenken. Es sei diesem Prozess ein heimlicher Gedanke hinzugefügt: Vielleicht ist es tatsächlich ganz gut, wenn die Fußballer sich früh daran gewöhnen, ihre Worte wohl zu wägen. Dann bliebe der Welt in Zukunft vielleicht erspart, was Effenberg gerade an Gedanken- und Wortmüll über sie ausschüttet. Und als Strafe, die effektiver und lehrreicher ist als die plumpe Geldbuße, sei diese empfohlen: Drei Kapitel des Effenbergschen Schundes lesen und ein Kurzreferat darüber halten. Es wäre eine der abschreckendsten Strafen der Welt.“

Gewinnspiel für Experten

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