Ballschrank
Der größte und schönste Verein unter der Sonne
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| Donnerstag, 25. März 2004
Auf der Meisterfeier empfing Ralf Wiegand (SZ 19.5.) aufdringliche Dominanzsignale. „Die Institution FC Bayern folgte ihren eingespielten Ritualen, die ihre Größe symbolisieren sollen: Im Stadion feierten sie ihre jahrzehntelange Vorherrschaft mit 18 Böllerschüssen, und wenn sie so weiter machen, werden sie bald ein Maschinengewehr einsetzen müssen fürs Meistergeknatter. Natürlich hatten sie auch mehr Konfetti-Kanonen platziert, als beim Champions-League-Finale und WM-Endspiel zusammen zum Einsatz kamen, und aus den Boxen dröhnte größerer Lärm, als man im P1 und Pasha gemeinsam einfangen könnte. Abertausende roter und weißer Luftballons werden überdies noch tagelang in ganz Europa niederregnen, wenn ihnen irgendwann die Luft ausgehen wird, den Sendboten einer Fußballmacht. Was soll ein Verein auch anderes von sich denken, als der größte und schönste unter der Sonne zu sein, wenn an den Tischen beim Meister-Bankett die Vorstandsvorsitzenden zweier Großunternehmen sitzen und der Ministerpräsident des Landes Bayern mit Hitzfeld in Fan-Manier die Zukunft Oliver Kahns diskutiert (Stoiber: „Was einen Sie, kriegt er noch einmal die Kurve?“ – Hitzfeld: „Ich hoffe. Ich hoffe das!“)? Im Glanz dieser Bayern sich zu sonnen ist eine Sucht, der sogar diejenigen erliegen, die nur Ärger mit ihnen haben. Gleich in Mannschaftsstärke war die Deutsche Fußball-Liga (DFL) angereist und durfte von Bayerns Gnaden am Bier des Sponsors nippen. Verkehrte Welt: Die Bayern entscheiden, ob sie die Liga in ihre Mitte aufnehmen, nicht umgekehrt. „Wir sind die Lokomotive“, machte Manager Uli Hoeneß dem DFL- Aufsichtsratsvorsitzenden Werner Hackmann klar, der ihm bemüht entgegnete: „Aber die Liga, das sind die Gleise.“ Und Hackmann selbst würde gern Schaffner bleiben, „ich mache meine Arbeit sehr gern“, sagte er, der Ex-Politiker, was nur so zu interpretieren ist, dass er die Bayern um Verlängerung seines Mandats gebeten hat. „Ihr Okay müssen sie nicht geben, das wäre zu viel gesagt“, sagte Hackmann, aber ihr Wohlwollen braucht er schon.“
Fußball spielt dort keine große Rolle
Thomas Becker (FR 19.5.) registrierte dort Gähnen. „Sammy Kuffour will nicht singen. Spürt kein Verlangen, sich vor den 15.000 Fans auf dem Marienplatz zum Affen zu machen, wie schon so oft. Fünf Mal ist er mit dem FC Bayern Meister geworden – so oft wie kein anderer ausländischer Fußballer in der Bundesliga. Nun soll er nochmal dieses Liedchen singen, wie bei der letzten Meisterfeier vor zwei Jahren. Im Kuffourschen Überschwang hatte er da vom Rathausbalkon herab gekrächzt: Rotweiße Trikots, wir wollen rotweiße Trikots, rotweiße Triiiiiiiikots, wir wollen rotweiße Trikots. Was man halt so singt in Meisterstimmung. Nun haben die Bayern rotweiße Trikots, am Samstag beim 2:1 gegen Stuttgart zum ersten Mal darin gespielt, ein bisschen nach Arsenal London ausgesehen und en passant der Anhängerschaft aus der Was-schenk-ich-bloß-zu-Weihnachten-Bredouille geholfen. Doch Sammy, dem großen Kind beim FC Bayern, der sonst keine noch so alberne Gaudi auslässt, der einst sogar Hitzfeld den Inhalt seines Lieblings-Glases (ein Drei-Liter-Humpen eines Weißbierbrauers) über den Schädel goss, ist nun nicht nach Späßchen zumute. Stefan Lehmann, der Stadionsprecher, muss ihm auf dem Rathausbalkon das Mikrofon fast in den Rachen rammen, bis Kuffour endlich ein paar Takte Rotweiße Trikots trällert – Begeisterung sieht anders aus. Nun ist Kuffour nach dem tragischen Tod seiner Tochter vor wenigen Monaten nicht mehr der Clown von einst, doch seine gebremste Euphorie war Sinnbild der Münchner Meisterfeier. Mehmet Scholl, dienstältester Kicker im FCB-Kader, sah sich das Treiben auf dem Rathausbalkon von hinten an: legte nur einmal kurz Hand an die Schale und hockte dann wie ein Onkel beim Kindergeburtstag still auf einer Fensterbank. Von Oliver Kahn, dem Sonderling, braucht man eigentlich nicht mehr zu reden. Der scheint seit geraumer Zeit in einem Paralleluniversum unterwegs zu sein, von dem man nur so viel sagen: Fußball spielt dort keine große Rolle.“
Philipp Selldorf (SZ 19.5.). „Wieder öffnete sich da der riesige Abgrund zwischen dem FC Bayern und dem Rest der Liga. Während der VfB, der nach dem Einbruch Borussia Dortmunds als letzter Titelkonkurrent für die Münchner gehandelt wurde, ausgelaugt ins Ziel kriecht, verkünden die Bayern übermütig ihre Ansprüche. Sie merken nicht mal, wie weit sie damit von den anderen entfernt liegen. Bei seiner Ansprache während der Meisterparty malte Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge aus, es sei „sicherlich ein großer Höhepunkt“, wenn zur 18. Meisterschaft der 11. Pokalsieg käme. Denn: „Das Double ist uns erst dreimal gelungen!“ Erst. Und so wendete sich Kapitän Oliver Kahn auf dem Rathausbalkon wie ein Volkstribun an die 20.000 zu seinen Füßen: „Wir sind noch nicht fertig!“, dröhnte er, dass es bis nach Kaiserslautern hallte. Auch in Madrid, Mailand und Manchester verschaffte sich Kahn dann noch Gehör: Auch international werde der FC Bayern „wieder angreifen“, versprach der Torwart mit wildem Ausdruck im Gesicht. Aber hatte Kahn nicht zuletzt den Eindruck erweckt, er wolle in der nächsten Saison lieber eben dort, in Madrid, Mailand oder Manchester, auf Rekordjagd gehen? Nur ein Spiel mit den Medien, deutet Manager Uli Hoeneß die Koketterien des Torwarts, „zu Hause lacht er sich darüber halb tot“.“
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