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Ballschrank

Der italienische Vereinsfußball

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Der italienische Vereinsfußball

Der italienische Vereinsfußball zählt im Ausland weniger Freunde als die deutsche Nationalmannschaft. Folgerichtig werden Auftritte der Klubs aus Mailand, Turin und Rom – insbesondere in einem fortgeschrittenen Wettbewerbsstadium – von den internationalen Beobachtern bereits im Vorfeld bestenfalls skeptisch begleitet. Nachdem „drei italienische Klubs, die allesamt einen öden Defensivstil bevorzugen“, so urteilt die SZ, ins Halbfinale der Champions League eingezogen waren, beschworen einige den Untergang der Fußballkultur herauf.

Nun ist es weder Juventus Turin noch dem AC Mailand, schon gar nicht dem Lokalrivalen Inter in dieser „Fieberwoche“ gelungen, „die Mauer von Vorurteilen“ (NZZ) einzureißen. Im „Kolosseum des Catenaccio“, wie die NZZ die stereotypen und reflexartigen Zuschreibungen karikierend zuspitzt, endete das erste Stadtderby der Champions-League-Historie torlos. „Ein Derby ohne Protagonisten, ein graues Spiel anonymer Kämpfer“, beschreibt die SZ missgestimmt das undramatische Match. Beim „Stilvergleich“ (BLZ) zwischen Real Madrid und Juventus Turin – „Offensive gegen Defensive“ bringt es die taz auf einen (zu) einfachen Nenner – machten die Chronisten die Auswärtsmannschaft als Spielverderber dafür verantwortlich, dass die „Königlichen“ sich weniger Torchancen erspielen durften als die Turiner „Maurer, Betonierer und Zaunkönige“ (NZZ).

AC Milan – Internazionale 0:0

So geht das nicht

Peter Hartmann (NZZ 9.5.) ordnet die Reaktionen des italienischen Ministerpräsidenten Berlusconi nach dem Spiel ein. „Der Regierungschef, derzeit in der Bredouille als Angeklagter eines Korruptionsprozesses und deshalb sehr auf „bella figura“ in der Öffentlichkeit bedacht, soll hinter den Kulissen einen seiner berüchtigten Tobsuchtsanfälle gekriegt haben, die nie im Fernsehen übertragen werden. „So geht das nicht“, zitiert La Repubblica, das linksliberale Feindblatt des Premiers, den Zornesausbruch, „bringt endlich Serginho!“ Schon während der ersten Halbzeit legte sich Berlusconis lächelnde Maske zusehends in finstere Falten, und „er verdrehte die Augen zum Himmel“, schrieb der Beobachter der Ehrenloge. In der Pause berief Berlusconi einen spontanen Krisengipfel ein. Er habe sich den Geschäftsführer Adriano Galliani, Trainer Carlo Ancelotti und dessen Assistenten Mauro Tassotti vorgeknöpft und kategorisch den Einsatz des brasilianischen Aussenläufers verlangt. Berlusconi hatte schon einmal in der Meisterschaft übers Mobiltelefon die Milan-Trainerbank angerufen und Serginho gefordert. Später stellten er und Ancelotti die Episode als Scherz hin. Als Mäzen, der alle Defizite abdeckt, nimmt Berlusconi engagiert Einfluss auf die Personalpolitik; dem Trainer und der Mannschaft diktierte er die Philosophie: „Vincere e convincere“, siegen und überzeugen. Er verlangte ultimativ die Doppelspitze Inzaghi/Schewtschenko, die nicht harmoniert, auch nicht in diesem Halbfinal, weil die beiden sich nicht ergänzen, sondern sich in der gleichen Zone auf die Füsse treten (…) Als die goldene Zeit Milans Mitte der neunziger Jahre abgelaufen war, heuerte und feuerte Berlusconi seine Trainer wie der hektische Lokalkonkurrent Massimo Moratti bei Inter, der seit 1995 dreizehnmal den Coach auswechselte. Es kamen und gingen der Uruguayer Tabarez, der türkische Napoleon Fatih Terim (ein Wesensverwandter Berlusconis und deshalb bald Persona non grata), der Grossvater Cesare Maldini als Wogenglätter, zwischenhinein die Beschwörung der glorreichen Vergangenheit mit den Rückkehrern Capello und Sacchi, die sofort scheiterten. 1999 bescherte Alberto Zaccheroni dem Padrone einen unerwarteten Meistertitel. Berlusconi jagte den Coach davon, weil dieser öffentlich erklärt hatte, links zu wählen.“

Wie ein Löwe beim Vegetariertreffen

Dirk Schümer (FAZ 9.5.) vermisste Dramatik. „Die Nullrunde zwischen hochbezahlten Kreativen spiegelt letztlich die Entwicklung wider, die immerhin drei italienische Klubs unter Europas Quartett der besten vier katapultiert hat: Vor allem die beiden reichen Mailänder Spitzenvereine konnten, während andernorts das Geld ausging, ganze Konkurrenzklubs leer kaufen und damit auf Kosten des italienischen Gesamtniveaus die eigene Klasse für den internationalen Wettbewerb verbessern. Während Florenz pleite ging, Lazio Rom das spielerische Tafelsilber versetzte und Parma seine teuersten Angestellten gerne ziehen ließ, sammelten sich die Stars an den immer noch reichgefüllten Töpfen von Mailand: Crespo, Conceicao und Nesta kamen aus Rom; Toldo, Di Biagio und Rui Costa aus Florenz; Cannavaro aus Parma. Und das sind nur die wichtigsten Namen. Noch glücklichere Profis wie Seedorf, Coco oder Brocchi wechselten gar zwischen Inter und Milan hin und her. Wohl deshalb spielten sie dann auch ähnlich souverän-unterkühlt wie ihre Kundschaft auf der Tribüne: Angehörige einer privilegierten Stadtgemeinschaft, in der jeder jeden täglich in den Nobelrestaurants trifft und keiner unbedingt gewinnen muß, weil keiner mehr wirklich etwas zu verlieren hat. Die Umverteilung der Serie A von unten nach oben führte in diesem speziellen Fall, in dem vor allem die zahlreichen Verteidiger alles richtig machten, zur Neutralisierung der Kräfte. Während der AC Mailand, wie angekündigt, immerhin anzugreifen versuchte und in Rui Costa einen einsatzfreudigen Spielmacher hatte, begnügte sich Inter unter seinem Defensivtrainer Cuper wie stets mit quasi nordkoreanischer Disziplin, agierte aus einer massierten Abwehr heraus und versuchte im zweiten Durchgang gerade zweimal eine Art von harmlosem Zufallstorschuß. Ein Stürmer wie Hernan Crespo, der ohne nachrückendes Mittelfeld fast immer auf sich allein gestellt blieb, muß sich im Cuperschen Catenaccio so isoliert fühlen wie ein Löwe beim Vegetariertreffen (…) Sogar die traditionell begeisterungsfähige, deshalb teilweise auf rosa Papier gedruckte Sportpresse Italiens hatte es schwer, aus diesem kultivierten Rasenschach, dem sogar die sonst in Mailand üblichen Nickeligkeiten fehlten, irgendwelche Höhepunkte herauszuarbeiten.“

Am Ende waren die Mienen versteinert

Birgit Schönau (SZ 9.5.) auch. „Ein großes Fußballfest hätte es werden sollen, noch nie da gewesen seit jenem Landesmeister-Derby vor Urzeiten, 1959 in Madrid, die Erneuerung Mailands als europäische Fussballhauptstadt nach Jahren der Diaspora. Die Klubpräsidenten Berlusconi und Moratti waren mit Vize und Vize-Vize, mit Kind und Kegel auf die Vip-Tribüne gezogen, der Milan-Manager Adriano Galliani hatte dem Anlass entsprechend eine knallgelbe Glücksbringer-Krawatte umgebunden, und trotz der 30 Grad heißen Abendluft trugen alle feines, schweres Tuch. Am Ende waren die Mienen versteinert und die Mundwinkel zeigten steil nach unten. Vermutlich sehnte sich mehr als einer nach den Zeiten, in denen man nach einer solchen Zumutung zur inneren Katharsis auch den Daumen nach unten senken durfte.“

(8.5.)

Philosophie der Stammeshäuptlinge

Peter Hartmann (NZZ 8.5.) sah „ein aufregendes 0:0“. „Milan und Inter haben die Entscheidung im ersten italienischen Halbfinal der Champions League im San Siro auf das Rückspiel vertagt. Das 0:0 täuscht: Die beiden Mailänder Mannschaften lieferten sich in der ersten Halbzeit einen offenen Schlagabtausch, nach der Pause verpasste Milan eine Handvoll Torgelegenheiten – und Crespo den Lucky punch für Inter kurz vor Ende. Nicht der Bleigeruch des Cantenaccio schwebte in diesem magischen Hexenkessel, in dem der Atem der 77.000 Zuschauer die 22 Spieler antreibt, sondern der Geist eines real anwesenden Revolutionärs: Milan und Inter spielten nach Arrigo Sacchis reiner Lehre des 4:4:2. Mit gegenseitigem Pressing, mit eng gestaffelten Linien: Disziplinarfussball wie in den frühen neunziger Jahren. Nur dramatisch schneller, härter, und der russische Spielleiter Iwanow nahm, anders als die Kaste der italienischen Schiedsrichter, nicht die geringste Rücksicht auf theatralische Empfindlichkeiten der Stars des Calcio. Er pfiff nur ein Dutzend Fouls in der ersten Halbzeit (vier von Milan, acht von Inter): ein Höflichkeitsrekord in diesem Stadion (…) Silvio Berlusconi, der die AC Milan zuerst als Medienmogul und dann auch als flanierendes Propagandainstrument seines politischen Aufstiegs finanziert hat, steht als Ministerpräsident unter Korruptionsanklage. Die europäische Meistertrophäe wäre für sein selbst gestricktes Image, aus jedem Konflikt als unverletzlicher Sieger hervorzugehen, eine Art Beweis höherer Macht. Berlusconi hat die Parole „vincere et convincere“ ausgegeben, ein Wortspiel, das bedeutet: siegen und überzeugen. Moratti würde sich mit der Catenaccio-Formel „der Sieg ist immer überzeugend“ begnügen. Die zweite Halbzeit spiegelte die Philosophie der Stammeshäuptlinge. Milan setzte Inter unter ständigen Druck, und als Antreiber in dieser Arbeits-Elf setzte sich der Kämpfer Gattuso mit seinen wilden Sturmläufen in Szene. Aber es zeigten sich auch die Schwächen, die Milan in der Meisterschaft limitierten: Schewtschenko, nur noch ein bleicher Schatten des früheren Goalgetters gleichen Namens, traf aus drei Metern das Tor nicht, Inzaghi konnte sich den Anlaufraum nicht selber schaffen. Und Inter hatte ausserordentlich Mühe, über die Distanz zu kommen. Milan-Trainer Ancelotti ersetzte Hand- und Fusswerk durch südamerikanische Ballkunst: Redondo, der fast vergessene einstige Real-Regisseur, für Gattuso, Serginho für Brocchi, Rivaldo für Schewtschenko. Die Idee war eher ein später Verzweiflungsschlag, aber das Bollwerk des Inter- Trainers Cúper mit dem wieder hervorragenden Torhüter Toldo hielt stand.“

Real Madrid – Juventus Turin 2:1

Knallharte Pragmatiker

Die NZZ (8.5.) zollt dem Turiner Auftritt Respekt. „Mit straffer Leine erstickten die Piemontesen über weite Strecken Spielfreude und zunehmend auch Unternehmungslust der Spanier, blieben ihrer Taktik treu, die Catenaccio zu nennen allerdings ein Unding wäre. Denn die Turiner sind zwar durchaus knallharte Pragmatiker, aber dies allein garantiert in dieser Phase der Champions League keine Erfolge mehr. So zauberhaft Zidane, Figo und Ronaldo am Dienstag die Fussball-Ästheten bezirzen wollten, so resolut packten die taktisch ausgebufften Italiener gegen einen irritierten Matador in der Corrida zu Bernabeu ihre Chance. So wie das vor zwei Jahren noch viel extremer Bayern München mit defensivem „Anti-Fussball“ getan hatte, ohne dabei in Europa sogleich einen Schrei der Empörung ausgelöst zu haben. Die herausragende Qualität des alten und neuen italienischen Meisters war auch international sein Kämpfertum, der Charakter, die Hoffnung bis zum Schluss, aber auch der Zusammenhalt, das oft blinde Verständnis in allen Reihen, die Ausgeglichenheit in jedem Sektor, auch in Absentia von Davids, Montero und Tacchinardi. Taktik ist ohnehin ein Reizwort im modernen Fussball. Für viele Zuschauer steht es für den Versuch, ihnen einen schönen, offenen Schlagabtausch auf dem Spielfeld vorzuenthalten, für die Kunst, mit möglichst geringem Aufwand möglichst viel zu erreichen. Trainer reagieren auf die Frage nach ihrer Taktik dagegen oft gereizt, rührt sie an den letzten Geheimnissen ihres Einflusses, ist es doch auch die Frage nach List und Tücke in der Strategie.“

Allegro ma non troppo

Walter Haubrich (FAZ 8.5.) sah durchsetzungsschwache Madrilenen. „Allegro ma non troppo, schrieb die Madrider Sporttageszeitung AS auf italienisch in breiten Lettern über ihre Titelseite. Und mit froh, wenn auch nicht so sehr läßt sich auch die Stimmung der Madrider Spieler und Fans definieren. Sie sind froh, weil Roberto Carlos mit einem genauen, einem harten Schuß von der Strafraumecke aus den italienischen Torwart Buffon doch noch bezwang, nachdem es zuvor dank der in zwei Reihen gut gestaffelten und sicheren Abwehr von Juventus lange nach einem Unentschieden ausgesehen hatte. In Turin wird der wegen einer Blinddarmoperation schon in Manchester wie jetzt im Hinspiel gegen Juventus fehlende Raúl wieder dabeisein. Das stimmt die Madrider Fans hoffnungsvoll. Raúl, so ist überall zu hören, hätte mit seiner Geschicklichkeit im Strafraum eine der vielen Torchancen, die Helguera, Portillo und Solari in den letzten zehn Minuten vergaben, wahrscheinlich genützt. Doch in Turin wird sehr wahrscheinlich Ronaldo fehlen; der Brasilianer hatte zu Beginn der zweiten Halbzeit wegen eines Muskelfaserrisses ausgewechselt werden müssen. Er konnte von dem nervösen Nachwuchsspieler Portillo nur unzureichend ersetzt werden. In der letzten Viertelstunde, als Real Madrid sich wieder gefangen hatte und, von Zinedine Zidane angetrieben und dirigiert, noch offensiver als am Anfang spielte, zeigte es sich wieder, wie schwer es ist, gegen italienische Spitzenteams Tore zu erzielen. Wo immer die zahlreichen Abpraller vor dem Juventus-Tor herkamen und hinrollten – es stand ein italienischer Verteidiger an der richtigen Stelle, um den Ball aus der Gefahrenzone zu befördern. Der Madrider Anhang dachte mit Sehnsucht an Manchester United zurück, denn die Briten spielen und lassen den Gegner spielen. So wurde das Duell mit Juventus zwar zu einem guten und spannenden Spiel, es erreichte aber nicht die Klasse der beiden Viertelfinalspiele zwischen Real Madrid und Manchester United mit ihren elf Toren.“

Während zwei Rivalen von Weltklasse die Orientierung verlieren

Peter Burghardt (SZ 8.5.) schreibt. „Es war ja der Abend des Zinédine Zidane, der gegen seinen vormaligen Arbeitgeber zeigen wollte, dass sich der Wechsel im Sommer 2001 gelohnt hat. Nie durfte der Franzose so Artist sein wie bei seinem neuen Klub, der ihm vernünftigerweise alle Freiheiten lässt – vermutlich ist Zidane eine der größten Attraktionen, die Real Madrid je hatte, und Real Madrid hatte schon sehr viele Attraktionen. Kein anderer dreht sich in vollem Lauf mit dem Ball am Fuß um die eigene Achse und streichelt die Kugel mit der Sohle, während zwei Rivalen von Weltklasse die Orientierung verlieren. Ihn überraschte die Turiner Gegenwehr am allerwenigsten. „Juventus hat das Spiel gemacht, dass ich erwartet hatte“, berichtete Zidane; schließlich hatte er selbst mit der Philosophie der Sicherheit lange genug zurechtkommen müssen. Hinten wachten in der Regel sechs Abwehrkräfte, vorne warteten die Stürmer auf die seltenen Gelegenheiten, Landsmann David Trezeguet nützte eine davon Sekunden vor der Halbzeitpause zum Ausgleich.“

Thilo Schäfer (FTD 8.5.) berichtet das Lob für die spanische Abwehr. „Während die Angriffsabteilung um Zinedine Zidane ausgiebig mit den Reportern plauderte, zog Hierro mit versteinerter Miene vorüber. Die Mängel des 34-jährigen früheren Nationalspielers standen nicht zum ersten Mal zur Diskussion. Doch letzten Samstag hatte es erstmals Pfiffe von den eigenen Anhängern für den Kapitän gehagelt. Im Spiel gegen Juventus waren daher alle Blicke auf den Abwehrchef gerichtet. Pfiffe blieben aus, aber der Szenenapplaus für Hierro hielt sich in Grenzen. „Hierro hat seine Bewährungsprobe mit guter Note bestanden“, urteilte die Sportzeitung Marca. Für Reals Präsidenten Florentino Pérez ist die Diskussion um das Oberhaupt der Mannschaft beendet: „Hierro ist einer der besten Verteidiger der Welt. Wir werden seinen Vertrag verlängern“, erklärte er nach dem Spiel. Dabei war man in Madrid zuvor ob der spärlichen, doch enorm effizienten Angriffe der Italiener voller Sorge. „Mir würde es schon reichen, wenn wir heute kein Tor kassieren“, sagte Valdano. Reals Trainer Vicente del Bosque gab dann auch für das Rückspiel am kommenden Mittwoch die Devise aus, möglichst keinen Gegentreffer zuzulassen. Hat der Erfolg des italienischen Defensivfußballs, der in Spanien so verpönt ist, nun etwa die Königlichen angesteckt? Im Vergleich zum Feuerwerk in den Viertelfinalbegegnungen gegen Manchester United blieb die Partie gegen Juventus eher blass.“

Paul Newman gegen Obelix

Ralf Itzel (BLZ 8.5.) erkennt Unterschiede. „Eigentlich müssten die beiden Trainer die Mannschaften tauschen, das würde besser passen. Hier der Turiner Coach Marcello Lippi, der Paul Newman des Fußballs: Das Haar weiß und voll, die Haut gebräunt, die Brille goldumrandet. Federnden Schrittes nimmt der 55-Jährige nach der Niederlage die Stufen zum Podest für die Pressekonferenz, in sportlichen, beigefarbenen Wildlederschuhen, die er zum dunklen Anzug trägt, der maßgeschneidert den drahtigen Körper umhüllt. Dort Vicente del Bosque (53), den die Spieler intern Obelix nennen: Vier Büschel Haare, eins oben auf dem Kopf, eins über jedem Ohr, eins unter der Nase über dem Doppelkinn, das bis zum Krawattenknoten hängt. Er kommt in ausgelatschten Tretern. So macht Juventus Turin gegen Real Madrid zumindest im äußerlichen Vergleich der Betreuer etwas an Eleganz und Ästhetik wett, die den Fußballern fehlen. Neben Zidane und Figo wirken selbst del Piero oder Nedved gewöhnlich.“

(7.5.)

Die NZZ (7.5.) berichtet den 2:1-Sieg Reals über Juve. „Real hatte zwar im Vergleich mit dem Rückschlag in der Meisterschaft offensichtlich den Chip gewechselt. Die Heimequipe trat selbstbewusst oder schlicht als Hausherr auf. Doch die Taktik der Madrilenen, das 4:2:2:2-System, war auch diesmal primär der Inspiration der Stars (mit Zidane in Glanzform) untergeordnet, die sich allerdings zuweilen auf den Füssen standen und vor allem im Zentrum eine gute Raumaufteilung verhinderten. Positiv ausgedrückt, könnte man auch von kreativer Anarchie sprechen. Die Madrilenen machten zwar von Beginn weg den stärkeren Eindruck, schnürten mit genauem Passing den Gegner in dessen Platzhälfte ein, liessen ihn auch über den resoluten Zweikampf kaum einmal ins Spiel kommen, blieben aber im dichten Abwehrzentrum meist am Scharnier Thuram/Ferrara hängen. Es bedurfte jedenfalls der Inspiration von Morientes und Ronaldo, dass der hohe Offensivaufwand schliesslich Mitte der ersten Halbzeit auch belohnt wurde – der Brasilianer schloss das Doppelpassspiel erfolgreich ab. Und es war auch weiterhin seitens der Piemonteser viel Aufmerksamkeit und Disziplin nötig, um die Techniker und Künstler in ihren blütenweissen Dresses an der Entfaltung ihrer ebenso angestrengten Arbeit zu stören beziehungsweise zu hindern. Was auf der Basis dieser hervorragend beherrschten Selbstkontrolle und Abgebrühtheit zustande kam, war ein Muster an wirkungsvoller Defensivleistung. Darob mag zwar kein Liebhaber des Fussballs ins Schwärmen einstimmen, doch es stand an diesem kühlen, regnerischen Abend mehr auf dem Spiel als nur ein Schönheitspreis. Der Absicht, möglichst nicht überfahren zu werden, ordneten die Turiner in disziplinierter Selbstbeschränkung alles unter. Fast alles. Denn während sich der Titelhalter offenbar zu wenig gut vorbereitet in diesem „Catenaccio“, wie die spanischen Medien respektlos die Einstellung der Turiner nannten, verfingen, fanden die Italiener plötzlich den Mut, die «Effizienz» der gegnerischen Abwehr ebenfalls sporadisch zu testen. Durchaus mit Erfolg.“

Mailänder Ekstase

Vor dem zweiten Halbfinalhinspiel blickt Dirk Schümer (FAZ 7.5.) in Mailänder Vereinschroniken. „Das innerstädtische Derby könnte man auf den ersten Blick für eine der langweiligsten Begegnungen im internationalen Fußball halten; schließlich treten die Nachbarklubs, die sich auch noch dasselbe Stadion in der Vorstadt San Siro teilen, seit 95 Jahren gegeneinander an. Mit ermüdender Regelmäßigkeit in der Meisterschaft, im Pokal, in Privatspielen – im Königreich Italien, unter Mussolini, während zweier Weltkriege bis heute, da Italiens Ministerpräsident Berlusconi in Personalunion Inhaber des AC Mailand ist. Doch was als endloses Dinner for two jenseits der Mailänder Stadtgrenzen die Leute eher langweilt, versetzt die Tifosi von Mailand jedesmal aufs neue in Ekstase. Gibt es doch an diesem Mittwoch abend eine wirkliche Neuerung: das Aufeinandertreffen der beiden reichen Spitzenvereine im Halbfinale der Champions League. Einen solchen Stadtvergleich unter den besten vier gab es in Europas Eliteliga noch nie – ein Grund mehr für Selbstbewußtsein und Stolz bei den Mailändern, die mit ihrer Wirtschaftsmetropole im Rest Italiens sowieso schon als arrogant und arbeitswütig verschrien sind. Beide Klubs zählen mit ihrer langen Erfolgsgeschichte zu den professionellsten Vereinen nicht nur jenseits der Alpen, sondern in ganz Europa. Nicht nur die Vereinsfarben, rotschwarz bei Milan, blauschwarz bei Inter, ähneln sich für Außenstehende. Internazionale Mailand, so der volle Name, ist sogar eine Abspaltung des 1899 gegründeten, feinen Traditionsvereins AC. Weil er dort eine Beschränkung ausländischer Spieler nicht hinnehmen wollte, öffnete der Maler Giorgio Muggiani seinen neuen Verein für die internationale, insonderheit argentinische Sportlerschaft und wurde bereits 1910, zwei Jahre nach der Gründung, Landesmeister. Insgesamt dreißigmal durfte sich einer der beiden Mailänder Klubs mit dem begehrten Scudetto, dem Meisterwappen, schmücken. Während Inters Glanzzeiten Anfang der sechziger Jahre prägte der eisenharte Argentinier Helenio Herrera den zynischen Defensivstil des Catenaccio, danach konnten die Schwarzblauen nur noch einmal, nämlich 1989 mit den Deutschen Matthäus und Brehme, eine Meisterschaft bejubeln. Seither wartet man so sehnlich wie vergeblich auf einen nationalen Titel, für den der Präsident, der Ölmilliardär Moratti, bereits eine Viertelmilliarde Euro in den Sand gesetzt hat. Der AC Mailand hingegen wurde von 1992 bis 1996 unter Präsident Berlusconi und Trainer Arrigo Sacchi mit dem Angriffsfußball der holländischen Stars Gullit, Rijkaard und van Basten zu Italiens und Europas bestem Team.“

Interessenskonflikte

Birgit Schönau (SZ 7.5.) schreibt zu diesem Spiel. „Wenig stört den Enthusiasmus der Tifosi, dass das Ausland kritisch, gar hämisch nach Italien blickt, und den diesjährigen Erfolg in der Königsklasse aus mehr oder minder berufenem Mund als Triumph des Destruktiven bemäkelt. Es geht nur um den Sieg. Kein Mensch kümmert sich um fußballtheoretisches Geplänkel, stattdessen packt selbst ein pragmatischer Charakter wie Carlo Ancelotti abergläubische Riten aus. Anstatt im edlen Trainingszentrum von Milanello trainierte Milan im Meazza-Stadion hinter verschlossenen Türen. Weil das gegen Ajax Amsterdam ja schließlich auch Glück gebracht hatte. Der Presidentissimo stieg in den Ring und gewährte der Gazzetta dello Sport ein Exklusivinterview. So präsentierte die meistgelesene Tageszeitung des Landes einen siegessicheren und fußballbegeisterten Regierungchef ausgerechnet an dem Tag, an dem alle anderen Blätter Schlagzeilen aus einem Mailänder Gerichtssaal brachten, in dem Berlusconi die Anklagebank drücken musste. Und die Bilder verwischten sich. Eben noch wand sich der Premier vor Gericht (Anklage: Richterbestechung), dann regierte er ein wenig in Rom, um pünktlich zum Galaabend seines Klubs in die Ehrenloge von San Siro einzufliegen. Und Milan gewinnen zu sehen, natürlich. Aber nicht um jeden Preis: „Ich würde nur einen Sieg durch schönes Spiel unterschreiben. Milans Mission ist Fußball auf hohem Niveau.“ Rivaldo oder Schewtschenko? „Das überlasse ich natürlich dem Trainer.“ Natürlich. Staatsmännisch fügte Berlusconi aber hinzu, er wünsche nichts sehnlicher als ein rein italienisches Finale, „und wenn es gar nicht anders geht drücke ich auch Inter absolut die Daumen“. Das sind Interessenskonflikte, die die Milan-Tifosi um keinen Preis mit ihrem Präsidenten teilen wollen. Traditionell politisch eher links stehend – der AC Mailand ist der volkstümliche, Inter der bürgerliche Klub –, haben die Milan-Ultras Berlusconi mehr als einmal angegriffen, weil der reichste Mann Italiens zu wenig in sein Team investiere. Nach der Ankunft von Rui Costa, Inzaghi, Seedorf, Nesta und Rivaldo haben sich die Wogen geglättet. Milan spielte am Anfang seiner Saison den besten Fußball der Liga, auf Europas Bühnen räumte Filippo Inzaghi als Torjäger ab, im Mittelfeld erschien Ausnahmetalent Andrea Pirlo. Es folgte eine nicht zuletzt durch Verletzungsausfälle bedingte Flaute. Dennoch gewann der AC Mailand beide Liga- Derbys und steht im Finale des Italien-Pokals. Von den drei italienischen Halbfinalisten pflegt nur Inter altbackenen Catenaccio, und das liegt am schwachen Mittelfeld der von Hector Cuper trainierten Mannschaft.“

Sammelbecken von Parvenüs und Wichtigtuern

Vincenze Delle Donne (Tsp 7.5.) erklärt die Anziehungskraft von Inter. “Riccardo Muti ist ein Mann, der Emotionen zeigt. Er zeigt sie sogar an einem sehr prominenten Platz. Muti ist Chefdirigent der Mailänder Scala, er arbeitet mit vielen Gesten, er lebt die Musik, die er dirigiert, quasi. Aber die Scala ist sein Job, es sind kontrollierte Emotionen. Aber manchmal werden die Emotionen ein wenig unkontrolliert. Dann leidet Muti einfach. In solchen Momenten denkt er an Inter Mailand, seinen Verein, und wenn das Stadt-Derby Inter gegen AC Mailand ansteht, leidet er ganz besonders. Wer zu Inter hält, der fühlt sich als etwas Besseres. Der betrachtet sich als Teil einer gehobenen, intellektuellen Schicht. Sympathien für Inter hegt auch Nobelpreisträger Dario Fo, der Schriftsteller, weil hinter dem Klub eine weltoffene Philosophie stecke. Inter hatte immer einen internationalen Charakter. Aktuelle Vereinsfunktionäre sind noch immer einstige Fußballidole. Und Inter-Präsident Massimo Moratti macht kein Geheimnis daraus, dass er politisch der Mitte-Links-Opposition nahe steht. Und der AC Mailand? In der Wahrnehmung vieler Beobachter nicht anderes als ein Sammelbecken von Parvenüs und Wichtigtuern aus Wirtschaft und Politik. Der Ministerpräsident ist zugleich Präsident des Vereins. Silvio Berlusconi hat sogar einen Anfeuerungsruf für ein Fußballteam zum Namen seiner politischen Bewegung gemacht: Forza, Italia.“

Drastische Kneipensprache

Ronald Reng (SZ 6.5.) hofft, dass sich italienischer Defensivstil auf Dauer nicht durchsetzen wird. „Jetzt, da er gerade nicht als Fußball-Trainer arbeitet, fürchtet Klaus Toppmöller italienische Mannschaften mehr denn je. Denn Deutschlands Trainer des Jahres 2002 sieht das diesjährige Champions-League-Halbfinale aus der Perspektive eines Kneipenwirts. „Wenn die Italiener spielen, kommt kaum einer, den Fußball wollen die Leute nicht sehen“, sagt Toppmöller, der mit seiner Familie zu Hause in Rivenich an der Mosel Toppis Sportsbar betreibt, mit Fernsehübertragungen von allen großen Wettkämpfen (…) Drei italienische Klubs, die allesamt einen öden Defensivstil bevorzugen, unter den besten Vier – da verfällt Toppmöller selbst in die drastische Kneipensprache: „Wenn sich das durchsetzt, geht der Fußball kaputt.“ Mehr als jeder andere Wettbewerb war die Champions League in den zurückliegenden Jahren der Gradmesser, an dem sich ablesen ließ, wie enorm sich der Fußball entwickelt hat. Nie wurde schneller und besser gespielt – nie anmutiger. Wer etwas gewinnen wollte, musste kreativ und beherzt agieren, so erschien es, Toppmöllers Leverkusen war ein Paradebeispiel. Die erfolgreiche Rückkehr des italienischen Zerstörer-Stils verspottet all jene Trainer, die wie Arsenal Londons Arsène Wenger, Ajax Amsterdams Ronald Koeman oder eben Toppmöller aus Überzeugung die Lehre vom schönen Spiel predigen. Doch es darf sie nicht vom Weg abbringen. Der diesjährige Erfolg des Destruktiven ist nur ein Freak-Ergebnis; die Ausnahme, die es in einer positiven Entwicklung immer wieder geben wird. Denn dass der Fußball mehr denn je ein Geschäft, ein Business, geworden ist, hat ihn auf dem Spielfeld ironischerweise zurück zu seinen Wurzeln gebracht: Das Spielerische steht wieder im Mittelpunkt. Gut möglich, dass am Ende dieser Saison Inter oder Juventus den Hauptpreis des Vereinsfußballs gewinnen, aber das Spiel, das bleiben wird, in den Erinnerungen von hunderttausenden Fans genauso wie im Gehirn von einigen Dutzend Vereinsbesitzern, ist das Viertelfinale zwischen Manchester United und Real Madrid. „Das ging nur Ah! und Oh! bei mir in der Kneipe“, erinnert sich Toppmöller an jene Partie, die im Überfluss die Zauberkraft des Fußballs offenbarte. Je öfter Teams wie Real solche Spiele bieten, desto größer wird der Druck auf andere Spitzenklubs, den Verlockungen des Angriffsfußballs nachzugeben. Am FC Liverpool, FC Valencia oder Bayern München lässt es sich wunderbar erkennen: Gewinnen allein stellt dort die Öffentlichkeit kaum noch zufrieden. Bloß der italienische Fußball bleibt immun gegen die Versuchung des spielerisch Schönen.“

Ein massiver Abwehrblock, der sich drei vorgeschobene Außenseiter leistet

Harald Irnberger(Tsp 6.5.) vergleicht die beiden Kontrahenten. „Die Italiener laufen und kämpfen wie die Berserker, um das Spiel ihrer Gegner zu zerstören. Ihr oberstes Ziel lautet: Nur selbst keinen Treffer hinnehmen. Bei den Spaniern wiederum gilt der Grundsatz: Ball und Gegner laufen lassen. Für sie ist nicht so wichtig, den eigenen Kasten sauber zu halten, als vielmehr selbst möglichst oft zu treffen. Kurzum, zwei Fußballkulturen prallen da aufeinander, wie sie gegensätzlicher nicht sein könnten. Juventus ist ein massiver Abwehrblock, der sich drei vorgeschobene Außenseiter leistet – gewöhnlich Nedved, Del Piero und Trezeguet. Man lässt den Gegner anrennen, versucht erst gar nicht, die Initiative zu ergreifen, also das Mittelfeld zu besetzen – und spekuliert darauf, durch vereinzelte Partisanenaktionen doch zu dem einen oder anderen Torerfolg zu gelangen. Real Madrid ist ein Angreiferensemble bis hinein in die eigene Abwehr: die Außenverteidiger Michel Salgado und vor allem Roberto Carlos agieren bei jeder sich bietenden Gelegenheit als Flügelstürmer. Und ob das Spiel für diese Elf läuft, entscheidet sich vor allem im Mittelfeld. Die Kernfrage lautet stets, ob es gelingt, den Ball in den eigenen Reihen zu halten und ihn über viele Stationen geduldig zirkulieren zu lassen, bis sich doch einmal eine Lücke in der gegnerischen Abwehr auftut. Ein solches Spiel erfordert: absolute Ballbeherrschung jedes einzelnen Spielers, viel Phantasie und enorme Konzentration.“

Maurer, Betonierer, Zaunkönige

Peter Hartmann (NZZ 6.5.) verteidigt italienische Fußballart. „Die meisten Juve-Spieler kennen Zidane und sein Trickrepertoire aus fünf Jahren gemeinsamer Arbeit – wird Trainer Lippi den Real-Regisseur an die Kette der Manndeckung nehmen? Zidane flüchtete vorletzten Sommer aus dem goldenen italienischen Käfig ins königliche Elysium, und kein Angebot konnte ihn halten. Ronaldo hat sich aus den Umarmungen seines väterlichen Präsidenten Moratti und der italienischen Verteidiger entwunden und stellte den Inter-Trainer Cuper – Brasilianer verachten Argentinier von Haus aus – als teuflischen Schleifer hin. Roberto Carlos ist einst von Inter ausgemustert worden, von Roy Hodgson, der behauptete, dieser Brasilianer mit dem härtesten Schuss der Welt passe nicht in sein System. Sorry, Mister Hodgson, auch Briten können sich irren. Drei unter den letzten vier Mannschaften dieser Champions League sind Italiener. Also Maurer, Betonierer, Zaunkönige. Sie spielen in dieser Fieberwoche aber auch gegen eine Mauer von Vorurteilen wegen zynischer Abnützungstaktik, schnöder Spielverweigerung, knallharten Pragmatismus und irgendwie manipulationsverdächtigen Glücksspiels. Der andere Halbfinal wird im Kolosseum des Catenaccio ausgetragen, in San Siro. In der Meisterschaft gewann Milan beide Male 1:0, begann die Saison mit hinreissendem Fussball, die Medien schwärmten von „Milan Paradiso“, der Besitzer und Ministerpräsident Berlusconi erklärte euphorisch, dies sei „die grösste Milan-Mannschaft überhaupt, besser als die Meisterteams unter Sacchi und Capello“, und erteilte dem Trainer Ancelotti frühzeitig vor den Fernsehkameras die Vertragsverlängerung (…) Über Inter gossen die Medien Häme aus, Trainer Cuper las fast wöchentlich die Nachricht von seiner Entlassung. Aber Inter steht im Halbfinal, wie Milan, und liegt in der Meisterschaft zwei Punkte vor Milan auf Platz zwei. Die Rangierung ist für die Spieler von besonderer Bedeutung: Die Mannschaft im dritten Rang muss in der nächsten Champions League durch die harte Tour der Vorrunde, im Klartext bedeutet das drei Wochen weniger Ferien. In dieser Saison kämpften sich Inter und Milan durch diese Mühle, Juventus als Meister zehrt wahrscheinlich jetzt vom Bonus der längeren Erholungszeit.“

Bei der Audienz des Papstes nicht den Ring geküßt

Walter Haubrich (FAZ 6.5.) porträtiert. “Zinedine Zidane sei nun mal der Mann, der Ordnung in Real Madrids Spiel bringe. Er wisse gut, wann die Angriffe des neunmaligen Europapokalsiegers zu beschleunigen seien und wann das Spiel verlangsamt werden müsse. Er habe die beste Übersicht und spiele von seinem Platz im vorgezogenen Mittelfeld die Sturmspitzen Ronaldo und Raúl besonders genau an. So jedenfalls erklärt der Schriftsteller und redegewandte Generaldirektor von Real Madrid, Jorge Valdano, die wichtigste Aufgabe des teuersten und wertvollsten Fußballspielers der Welt. 75 Millionen Euro hatte Real Madrid vor knapp zwei Jahren für Zidane an Juventus Turin gezahlt. An diesem Dienstag gibt es für den Franzosen ein Wiedersehen auf hohem Niveau: Dann begegnen sich Real und Juventus im Halbfinalhinspiel der Champions League im Bernabéustadion (…) Zidane möchte zu einem solchen Sieg gegen seine frühere Mannschaft viel beitragen; er hat in den fünf Jahren in Turin nicht immer gute Zeiten erlebt; der italienische Defensivfußball, sagt er, habe seine spielerischen Möglichkeiten eingeschränkt. Auf der anderen Seite ist die jetzige Mannschaft mit dem Tschechen Pavel Nedved als Inbegriff eines Kämpfers und Künstlers zugleich eher stärker als zu Zidanes Zeiten bei Juve einzuschätzen. In Madrid gefällt es dem wohl besten Regisseur des Weltfußballs. Seine Frau ist eine in Frankreich aufgewachsene Tochter spanischer Zuwanderer. Seine eigenen Eltern kamen aus Algerien nach Frankreich. Zidane ist Muslim; bei der Audienz des Papstes für die Spieler von Real Madrid küßte er dem Papst nicht den Ring. Zidane lehnt aber die fanatischen Tendenzen im Islam ab und hat Aufrufe gegen Le Pen und die extreme Rechte Frankreichs unterzeichnet. Gegenüber Fremden ist Zidane im Zweifel schüchtern, bei seinen Madrider Nachbarn, zu denen auch sein Mannschaftskamerad Raúl gehört, ist er dagegen beliebt. Der 30 Jahre alte Franzose ist immer bereit, den jungen Leuten in der Mannschaft Ratschläge zu geben; er will aber keine Führungsrolle in der Mannschaft außerhalb des Spielfeldes übernehmen. Das überläßt er Mannschaftskapitän Hierro, Raúl und Roberto Carlos.“

Wenn sie nicht pfeifen, haben sie den Mund voll

Ralf Itzel (FTD 6.5.) auch. “Zidane empfindet Hochachtung für den alten Klub, das ja. Aber es ist keine Zuneigung. Damals, als er nach dem verlorenen Uefa-Cup-Finale gegen Bayern München Girondins Bordeaux verließ, war Juve sein Traumverein, und noch heute hält er ihn für Italiens beste Adresse. Doch die Bilanz nach seinem Abschied klang weniger begeistert: Ich habe Juve fünf Jahre meines Lebens gegeben und ich denke, dass ich meine Schuldigkeit getan habe. Die große Liebe ist es nie gewesen. Kein Vergleich zum Verhältnis, das Landsmann Michel Platini in den 80er-Jahren zur so genannten Vecchia Signora, zur alten Dame Juventus, pflegte. Der Spielmacher mit den italienischen Wurzeln integrierte sich ins Turiner Gesellschaftsleben, während sich der mit den algerischen ihm entzog. Und auf dem Rasen erzielte Platini mehr wichtige Tore: Einer seiner Treffer brachte 1985 gegen Liverpool den ersten von zwei Europapokalen der Landesmeister. Zidanes Zeit dagegen ist mit zwei verlorenen Champions-League-Endspielen verbunden: 1997 in München gegen Borussia Dortmund und 1998 in Amsterdam gegen Real Madrid, damals gecoacht von Jupp Heynckes. Die Niederlage muss ihn so geschmerzt haben, dass er sie aus dem Gedächtnis tilgte: Einmal versicherte er in einem Interview, nie gegen Real Madrid gespielt zu haben. In Turin raunten sie einst, Zidane sei großen Finals nicht gewachsen. Zidane, ein Verlierer? Den Gegenbeweis konnte er nur mit der Nationalelf führen, nie mit Juve (…) Im Bernabeu-Stadion wird er verehrt. Wenn sie nicht pfeifen, haben sie den Mund voll, sagte der ungarische Ausnahmespieler Puskas einst über die verwöhnten Madrider Fans. Bei Zidanes Aktionen bleibt ihnen der Mund meist offen. Anders als bei Juve ist Zidane freigestellt von Abwehraufgaben; so überstrahlt seine Brillanz alles und jeden. Das blütenweiße Trikot Reals steht ihm besser als das von Juve. Das hat zwar auch die Grundfarbe Weiß, aber darüber einige – für Zidane zu viele – schwarze Streifen.“

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