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Der Umschwärmteste der Abziehbilder-Stars

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Der Umschwärmteste der Abziehbilder-Stars

die Primera Division vor dem Saisonstart – Real Madrid hat seine sportlichen Hausaufgaben vernachlässigt – Häßler in Salzburg – die Foltermethoden im Irak

Der Umschwärmteste der Abziehbilder-Stars

Ronald Reng (BLZ 28.8.) bezweifelt die Stäke des großen Favoriten der Primera Division. “19 Tage reiste das schillerndste Team der Welt während der Saisonvorbereitung durch Asien, und irgendwann fragte sich Zinedine Zidane, der Zeremonienmeister in Reals Mittelfeld: Was mache ich eigentlich hier? 45.000 Zuschauer bei einem gewöhnlichen Training in Tokio, vor dem Hotel permanent ein hysterischer Mob von Fans, Rausgehen unmöglich, außer unter Polizeischutz zu noch mehr Werbeauftritten, noch mehr Pressekonferenzen – der Wahnsinn hatte Methode. Es waren vor allem wirtschaftliche Erwägungen, die Real in den fernen Osten zogen. Acht Millionen Euro nahm der spanische Meister durch Schaupartien und Werbeaktionen auf der Reise ein. Welchen Preis Real für die Tour zahlen muss, wird sich nun zeigen. An diesem Wochenende startet die spanische Liga in ihre neue Saison, und es ist sehr gut möglich, dass am Ende Real, in den vergangenen sechs Jahren dreimal Champions-League-Sieger, wieder sehr viel, wenn nicht sogar alles gewonnen haben wird. Mit der Verpflichtung von David Beckham hat Vereinspräsident Florentino Perez der Elf nun nach Luis Figo, Zidane und Ronaldo auch noch den Umschwärmtesten der Abziehbilder-Stars hinzugefügt. Doch noch nie gab es so viele Indizien, dass das Kunstmodell Real implodieren könnte. Die, nach sportwissenschaftlichen Gesichtspunkten, katastrophale Saisonvorbereitung ist dabei nur ein Argument. Die übellaunige Stimmung im Team, wo sich die Spieler von den übermenschlichen Erwartungen erdrückt füllen, ist ebenso eine Gefahr wie die leichtfertig dünn besetzte Defensive der Mannschaft. Dass wir für die Asientour bezahlen müssen, ist im Bereich des Möglichen, gesteht Sportdirektor Jorge Valdano. Während Real Sociedad San Sebastian, vorige Saison Madrids ärgster Widersacher und am Schluss Zweiter, wochenlang in Österreich zwei- bis dreimal täglich gezielt arbeitete, haben wir kein einziges Training von Substanz gemacht, klagte Zidane. Aber Real Sociedad ist ja auch kein Marketingprodukt. Sondern nur eine Fußballelf. Es gibt in der Primera Division, neben der italienischen und englischen die stärkste Liga, etliche solche Teams, über die in den Sportzeitungen erst ab Seite 13 geschrieben wird, hinter den Texten über den Ausflug von Beckham mit seinen Kindern ins Safariland.“

Georg Bucher (NZZ 28.8.) fügt hinzu. „Im Umfeld des FC Barcelona herrscht seit Wochen Ronaldinho-Mania. Alles dreht sich um die Diva aus Porto Alegre, mit 25 Millionen Euro – zehn Millionen weniger als Beckham – der zweitteuerste Transfer des Sommers. Barça setzt nach vierjähriger Titel-Durststrecke auf eine neue, Geduld erheischende Philosophie mit Klubsymbolen aus sportlich ergiebigeren Zeiten, verkörpert durch Sportdirektor Begiristain und Assistenztrainer Eusebio. Erst nächste Saison wird von Cheftrainer Frank Rijkaard eine Trophäe erwartet. Schwachstellen sollen der Türke Rüstü (im Tor) und der mexikanische Abwehrchef Marquez beheben. Die Nicht-Teilnahme an der Champions League erweitert gemäss Eusebio den Spielraum zum Experimentieren. Das Präsidium des 40-jährigen Anwalts Joan Laporta steht unter höherem Druck, zumal sich die Schulden auf über 200 Millionen Euro belaufen. Erstmals in der Klubgeschichte werden die Trikots Publizität tragen. Mit dem unglaublich antrittsschnellen Südkoreaner Lee Chun Soo, einer Entdeckung der WM 2002, wird Real Sociedad in der Champions League debütieren. Die Fäden ziehen soll Alkiza, der mit 33 Jahren und knapp 400 Ligaspielen aus Bilbao in seine Heimatstadt zurückgekehrt ist. Sieht man von Makaays polemischem Wechsel von La Coruña nach München ab, haben die galicischen Klubs Deportivo und Celta unwesentliche Retuschen im Kader vorgenommen und dürften wie Valencia wieder vorne mitspielen.“

Felix Reidhaar (NZZ 28.8.) kommentiert das Ausscheiden von Grasshoppers Zürich in Athen. „Auch den FC Basel hatten die Grasshoppers und ihr Anhang im Kopf, als sie sich ihre Wunschvorstellungen für die internationale Saison ausmalten. Die einträgliche und werbeträchtige Tour des Rivalen vom Rheinknie durch berühmte Fussballarenen wie die Anfield Road in Liverpool, das Old Trafford von Manchester oder das Turiner Delle Alpi hatte im vergangenen Winter manch neiderfüllten bis beeindruckten Zürcher Blick auf sich gezogen. Die vielen geringschätzigen Kommentare aus Sankt Jakob zur Unverfrorenheit des Hardturm-Teams, sich dem wahren Champion des Landes mit einer Mischung aus Glück und Zufall in der Meisterschaft vor die Nase zu setzen, stachelten den Ehrgeiz zur Bestätigung von Leistung und Klasse zusätzlich an. Trotz Budgetreduktion und Investitionsstopp blieb die Ambition bestehen, die Basler Champions-League-Saison als Gradmesser zu nehmen. Doch GC ist nicht Basel. Das Wettkampfglück, das die Mannschaft von Christian Gross in der Qualifikation für die Meisterliga gegen den nachmaligen Uefa-Cup-Finalisten Celtic Glasgow erzwungen hatte, begleitete die Zürcher nicht nach Athen. Die vermeintlich günstige und in GC-Kreisen etwas gar oft beschworene 1:0-Ausgangslage reichte schliesslich nicht aus.“

Tobias Erlemann (Tsp 28.8.) empfängt Thomas Häßler in Salzburg. „Salzburg hat neben Wolfgang Amadeus Mozart einen neuen Helden. „Icke, wir freuen uns, dass Du da bist!!!“, prangt in dicken Lettern auf der Internetseite. Der österreichische Bundesligist SV Wüstenrot Salzburg feiert die Verpflichtung des deutschen Welt- und Europameisters Thomas Häßler. Recht ungewöhnlich, dass ein deutscher Profi in Österreich begeistert empfangen wird. In den 90er Jahren hatte „Die Piefke-Saga“ großen Erfolg, ein Film über Deutsche Urlauber in Österreich, die als arrogante Schnösel verhöhnt wurden. Im Gegenzug werden Österreicher in deutschen Boulevardzeitungen gerne als Dösis (doofe Österreicher) bezeichnet. Doch Fussball verbindet. Häßler jedenfalls ist glücklich. „Ich freue mich tierisch, hier zu sein“, sagt er. Schließlich sei Salzburg eine tolle Stadt und sportlich eine reizvolle Aufgabe.“

Wie gut wäre ein Sportler, wenn er alles geben würde, wirklich alles, weil er im Fall einer Niederlage sterben müsste?

Unglaubliches! Heike Faller (Zeit28.8.) berichtet die Folter des irakischen Fußballverbands. „Die schlimmsten Geschichten über den Fußball im Irak kündigen sich fast immer durch ein Lächeln an, das auf dem Gesicht des Interviewpartners erscheint und sich dann auf den Übersetzer überträgt. Es ist ein peinliches Lächeln, mit dem die demütigendsten Geschichten erzählt werden, und manchmal weitet es sich zu einem Lachen aus, worüber eigentlich? Vielleicht über die Dummheit einer Diktatur, die Spiel und Ernst nicht unterscheiden konnte. Das Gerücht, dass irakische Fußballspieler für verlorene Spiele inhaftiert und gefoltert wurden, tauchte 1997 zum ersten Mal auf. Der ehemalige Nationalspieler Sharar Hayder hatte im Exil in London als Erster darüber gesprochen. Zwei Fifa-Offizielle fuhren in den Irak und reisten ohne Ergebnisse aus Bagdad ab, wo sich niemand zu reden traute. Aber nach dem Sturz des Regimes hat sich bestätigt, dass die meisten irakischen Nationalspieler und Jugendnationalspieler der neunziger Jahre irgendwann einmal im Gefängnis waren. Drei der Spieler, die an diesem Abend in Teheran im Bus saßen, sind nach Niederlagen inhaftiert worden, „Bestrafung“ nennen die Spieler das noch heute, als hätten sie es irgendwie verdient. 1997 wurde die gesamte Nationalmannschaft für eine Woche in eine drei mal drei Meter große Gefängniszelle gesperrt, nachdem sie ein Qualifikationsspiel für die Weltmeisterschaft gegen Kasachstan zu Hause mit 1:2 verloren hatte. Hayder Mahmoud, der Kapitän, musste in eine Isolationszelle, die rot gestrichen war und in der auch nachts rotes Licht brannte. „Man hat mich nicht geschlagen, aber ich hatte unglaubliche Angst, dass man mich auspeitschen würde. Ich hatte von Jabbar Hashem gehört und von Rhadi Snechal, dass man sie an die Decke gebunden und ausgepeitscht hat. Ich hatte Angst um meine Familie, die nicht wusste, wie es mir ging. Aber jeder im Irak kennt mich. Die Wärter haben mich in eine Zelle gesperrt und auf einen Tisch eingeprügelt. Ich musste dazu schreien, damit es so aussah, als ob.“ Der Innenverteidiger Hayder Obid hatte sich 1998 mit seiner Jugendnationalmannschaft drei Niederlagen in der Vorrunde der Asienmeisterschaft zuschulden kommen lassen, darauf stand eine Woche Gruppenhaft. Isham Mohammed kam nach der Asienmeisterschaft 2000 für eine Woche ins Gefängnis, nachdem der Nationaltrainer behauptet hatte, der Stürmer hätte seine Fußballschuhe vergessen, weshalb er ihn nicht habe einwechseln können, damit er den rettenden Ausgleich erziele. 1994 trat die U18-Nationalmannschaft bei einem Turnier in Algier an und belegte dort nur den vierten von acht Plätzen. Akram Salman, der Jugendtrainer, erinnert sich an die Fahrt zurück durch die Wüste, als er seinen Spielern versicherte, dass ihnen in Bagdad nichts passieren würde, obwohl er es besser wusste. Die Mannschaft kam für eine Woche ins Gefängnis, und einer der Spieler wurde ausgepeitscht, weil er auswärts mit einem Mädchen geflirtet hatte. Salman erinnert sich an ein Fußballspiel, das sie im Gefängnis spielen mussten, gegen die Wächter. Der 62Jährige ist seit 30 Jahren Trainer, und er weiß noch fast jedes Resultat, das eine Mannschaft unter seiner Leitung erzielt hat, aber dieses Spiel hat er versucht zu vergessen. „Manche der Jungs hatten zu viel Angst und konnten nicht spielen. Wir hatten keine Ahnung, wie wir spielen sollten. Ich dachte, man soll den Gegner vermutlich gewinnen lassen, aber dann wird man vielleicht bestraft, weil man nicht gekämpft hat.“ Im letzten Jahrzehnt der Diktatur gab es im Irak Spiele, die so unheimlich und merkwürdig sind wie diese Werbespots von Nike, die suggerieren, dass es beim Sport um Leben oder Tod geht. Eigentlich handeln sie von der Frage, die einen manchmal streift: Wie gut ein Sportler wäre, wenn er alles geben würde, wirklich alles, weil er im Fall einer Niederlage sterben müsste. Ob es ungeahnte Reserven gibt, die jeden in die Lage versetzen würden, die Tour de France zu gewinnen oder einen Elfmeter gegen Oliver Kahn zu verwandeln (und die Fähigkeit, solche Reserven anzuzapfen, ist es ja angeblich, die einen Weltklassetrainer von einem guten Trainer unterscheidet). Wie hat sich der Fußball der irakischen Nationalmannschaft vor dem Hintergrund solcher Drohungen verändert? „Die Spieler sind nicht entspannt“, sagt Coach Salman: „Sie sind nervöser, sie spielen schneller, aggressiver…“ Kämpft man in einer solchen Situation härter? „Ja, natürlich. Aber Kampf bringt nur etwas, wenn man ihn in ein Spiel umsetzen kann. Man kann nicht gut spielen, wenn man Angst hat.“ Aber warum? „Die Muskeln werden steif. Man macht mehr Fehlpässe.“ Hayder Mahmoud sagt: „Die Technik wird schlechter, die Konzentration lässt nach. Man denkt vielleicht nicht mehr an das Spiel oder an die Anweisungen des Trainers.“ Die Rolle irakischer Nationaltrainer in den neunziger Jahren, wie Coach Salman sie interpretierte: „Den Spielern sagen, dass sie sich entspannen sollen und nicht an das denken, was sie erwartet.““

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