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Ballschrank

Der Unverfolgte

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Der Unverfolgte

wundersame Ruhe beim Tabellen-Letzten Köln – Fachs Einstand in Gladbach – Hansa Rostock: armer, hartnäckiger Erstligist – das Verhältnis zwischen VW und dem VfL Wolfsburg – Portrait Timo Hildebrand – Simak gesucht u.v.m.

Christoph Biermann (SZ 27.9.) wundert sich über die Ruhe beim Tabellen-Letzten: „Was eigentlich ist beim 1. FC Köln los, der mit nur drei Punkten aus sechs Spielen am Tabellenende ist? Ketten sich die Menschen ans Marathontor des Stadions in Müngersdorf? Tagen am Geißbockheim nachts die Krisenstäbe, während sich die Fans in zerwühlten Kissen wälzen? Wird von ihnen angesichts des schlechtesten Saisonstarts seit elf Jahren der Kopf des Trainers gefordert? (…) Die Bild-Lokalausgabe fordert seit Wochen der Rauswurf von Friedhelm Funkel mit derart viel Schaum vorm Mund, dass man schon gar nicht mehr weiß, warum eigentlich. Aber die Forderungen haben so viel Resonanz wie eine Versammlung von Alt-Stalinisten auf dem Roten Platz in Moskau, die für die Wiedereinführung des Fünfjahresplans in Russland demonstriert. Um also an die Frage zu erinnern, was beim Tabellenletzten in Köln los ist: von besagten Stürmen im Wasserglas abgesehen nichts. Und vergleicht man das mit früher, ist es eine verdammte Sensation (…) Funkel gilt als Trainer ohne große Ausstrahlung, und noch in der Vorsaison murrte das Publikum trotz endloser Serien ohne Niederlage über Defensivfußball. „Wir sind in diesem Jahr spielerisch besser und überzeugen kämpferisch“, sagt der Trainer. Man kann es auch so zusammenfassen: Es macht Spaß, Köln unter Funkel zuzuschauen. Und das ist eine nicht minder große Sensation als die Ruhe am Geißbockheim. „Das Gesamtbild ist in Ordnung, nur die Punkte fehlen“, hat Kölns Manager Andreas Rettig in dieser Woche gesagt. Für ihn wäre die Trainerfrage kein Tabuthema, stellte er klar: „Wenn ich ein richtiges Problem sehen würde, würde ich zum Trainer gehen und sagen: ‚Friedhelm, entweder du bringst das jetzt hin oder du gehst über Bord.‘“ Nur: Das Problem gibt es nicht, der Trainer bleibt an Bord, und nicht einmal richtig scharfer Wind bläst ihm dabei um die Nase. Deshalb hat der Kölner Stadt-Anzeiger Funkel ein für Männer im Tabellenkeller seltenes Etikett angepappt. „Der Unverfolgte“ steht darauf.“

Ich werde die Spieler wie Erwachsene behandeln

Richard Leipold (FAZ 27.9.) kommentiert die Lage in Gladbach: “Teamleiter Hochstätter wird in diesen Tagen häufig angefeindet. In der Sache nicht falsch, im Ton arg moralinsauer, werfen verschiedene Kommentare ihm vor, es sei unfair, wie er Fach ausgewechselt und sogleich wieder eingewechselt habe. Der Aufschrei der Empörung mag auch deshalb so laut sein, weil Mönchengladbach unter dem legendären Geschäftsführer Helmut Grashoff jahrzehntelang einen Spitzenplatz in der Rangliste der Seriosität behauptet hat. Doch die Zeiten ändern sich. Zumal vor dem Hintergrund des Stadion-Neubaus, der den Klub wirtschaftlich und sportlich wieder zu dem machen soll, was er in der Bundesliga einmal war. Vizepräsident Königs wertet das feingesponnene Intrigenspiel des Sportdirektors sogar als Fortschritt in der Persönlichkeitsbildung: Er hat sich weiterentwickelt. Hochstätter gehe gestärkt aus dem Trainerwechsel hervor . Trainer Fach steht nun vor der Aufgabe, die neue Allianz zu festigen. Im Bewußtsein, Nutznießer eines nicht ganz sauberen Vorgehens zu sein, gibt er sich in der Öffentlichkeit zurückhaltend, als der nette Trainer von nebenan. Wenn andere all die bösen kleinen Anekdoten über Lienen erzählen, hört Fach geduldig zu. Vor ein paar Tagen hat er angekündigt, in vielen Einzelgesprächen zu ergründen, warum die Mannschaft so tief gefallen ist. Welche Erkenntnisse er gewonnen hat, wolle er nicht verraten. Wie sehr die Profis unter Lienen zuletzt gelitten haben, deutet Fach zumindest an. Ich werde die Spieler wie Erwachsene behandeln, sagt er. Die Mannschaft sei intakt. Also kann es nur am Trainer gelegen haben. Da sein Bild als Gladbacher Saubermann von vornherein befleckt ist, will er nicht auch noch schmutzige Wäsche waschen. Die größte Motivationshilfe der letzten Tage lieferte den Borussen der Trainer Peter Neururer des VfL Bochum. Neururer setzte sich wieder einmal an die Spitze der populistischen Bewegung. Was sich in Mönchengladbach zuletzt abgespielt habe, sei sittenwidrig, die größte Unverschämtheit der letzten Jahre. Und die Moral von der Geschicht‘? Auch sie liegt letztlich auf dem Platz.“

Arne Böcker (SZ 27.9.) schätzt die Beständigkeit von Hansa Rostock: „Frag mal einen Fan des 1. FC Nürnberg, wie gerne er auf seiner Stecktabelle das Club-Emblem hinter die Erstliga-zwölf pfriemeln würde. Auf diesem Platz liegt Hansa Rostock. Die ehrlichste Antwort auf die Frage, ob sich die Hanseaten dort wohlfühlen, lautet: Sie wissen es nicht. Das ist eine der Unschärfen im Bild des Vereins. Wenn jedoch wie an diesem Samstag der FC Bayern München ins Ostseestadion kommt, ist die Sache für 90 Minuten klar: Der reiche Onkel besucht den armen Vetter in Dingsda/Ost. Seit acht Jahren spielt Hansa Rostock in der ersten Liga. Klingt wie eine schlichte Feststellung, birgt aber eine Sensation, wenn man das Umfeld des Klubs betrachtet. Es gibt rund um Rostock keine Weltfirmen; Mecklenburg-Vorpommerns Wirtschaftskraft dürfte irgendwo in der Größenordnung von Aserbaidschan liegen. Wer soll da Fußball sponsern? Mecklenburg-Vorpommern hat lediglich 1,7 Millionen Einwohner – mit rapide abnehmender Tendenz. Der Mangel in diesem Bundesland ist dafür verantwortlich, dass Hansa „bei den Sponsoren mittlerweile an die Decke gestoßen ist“, wie der Vorstandsvorsitzende Manfred Wimmer, 49, sagt. Die Geldgeber stammen mehrheitlich aus dem Osten; der Trikotsponsor (Vita Cola) überweist die größte Summe. Hansa kalkuliert so knapp, dass derzeit nicht mal eine zweite Anzeigetafel drin ist. Wenn man die Bausumme für die Schalke-Arena auf den einzelnen Zuschauerplatz umlegt, kommt man auf 3700 Euro. Die entsprechende Zahl für das schmucke Ostseestadion: 950 Euro. In Anbetracht der knochentrockenen Seriosität, welche die Vereinsführung um Manfred Wimmer ausstrahlt, scheint es unmöglich, dass ein Freibeuter aus dem Westen die Hansa-Kogge entert und kielholt – wie es Dynamo Dresden passiert ist. Hansa hat eine der raren Erfolgsgeschichten geschrieben, die im wunderschönen, bitterarmen Mecklenburg-Vorpommern spielen.“

Von der grauen Maus zum Werksklub?

Frank Heike (FAZ 27.9.) erläutert Anspruch und Leitbild des VfL Wolfsburg: „Wer sich mit dem VfL Wolfsburg beschäftigt, findet immer wieder Belege für die enge Verbindung zwischen Verein und Sponsor. Oder sollte man sagen zwischen Fußball-GmbH und Hauptanteilseigner? Mancher möchte ein Gleichheitszeichen zwischen dem Verein und seinem weltweit operierenden Hauptsponsor setzen. Vor allem vor dem Spiel gegen Bayer Leverkusen hat sich der VfL bemüht, nicht von einem Image ins nächste zu rutschen: von dem der zwischen den Traditionsvereinen aus Hannover und Braunschweig eingeklemmten grauen Maus aus Ostniedersachsen in das des Werksklubs. Manager Peter Pander, der durch die Erfolgstransfers aus Südamerika gestärkte Mann beim VfL, sagt: Wer uns das Image eines Firmen- oder Plastikklubs anheften will, kennt die Realität nicht. VW und der VfL sind Partner, aber das Geschäft des VfL ist der Fußball. Genaugenommen ist die Fußball GmbH nicht mehr und nicht weniger als eine Tochtergesellschaft von VW (…) Natürlich hat es der VfL Wolfsburg inzwischen leichter, große Summen zu bekommen, wenn er sie benötigt. Wie im Falle Andrés D‘Alessandro. Bei VW ist man über D‘Alessandro wesentlich glücklicher als seinerzeit über Stefan Effenberg – da hatte Pander in seinem Bemühen, den VfL in die Schlagzeilen zu bringen, übers Ziel hinausgeschossen. Der VfL und VW stehen für Stabilität, Solidität. Effenberg hat die Herren im VW-Vorstand mit seinen Eskapaden eher erschreckt. Der Bonner Medien-Tenor maß damals aber auch eine deutliche Zunahme der Artikel über den VfL – der Klub stieg im Winter 2002 von Platz 14 auf Platz elf in der Medien-Tabelle. Derzeit steht er auf Platz neun.“

Morgen treffen zwei Teams aufeinander, die ihre ursprünglichen Ambitionen gestrichen haben. Ronny Blaschke (BLZ 27.9.) schreibt vor dem Spiel Hertha gegen den HSV: „Wenn der Hamburger SV in der AOL-Arena seine Heimspiele abhält, bringt der Verein seine Anhänger mit großen Gefühlen in Verzückung, noch vor der ersten Grätsche. Er wirbt im Vorspiel mit seiner Vergangenheit: Felix Magath bugsiert den Ball noch einmal traumwandlerisch ins lange Eck, Horst Hrubesch bahnt sich seinen Weg mit geschmeidiger Wucht durch die ängstliche Gegnerschaft, und Uwe Seeler, Oberhaupt aller Idole, liegt waagerecht in der Luft und köpfelt das Arbeitsgerät ins Tor. Die Zuschauer kennen diese Bilder früherer Dekaden, die von der Videoleinwand – Hamburgs Brücke zu einer besseren Zeit – wöchentlich in die Gegenwart gestreut werden. In diesen Tagen ist die Sehnsucht nach Erfolg besonders groß. Nicht erst seit dem beschwerlichen 2:1 am Donnerstag gegen Dnjepr Dnjepropetrowsk im Erstrunden-Hinspiel des Uefa-Cups erweist sich die Hansestadt als Heimstätte chronischer Fußball-Nostalgie. Tradition heißt eine der strapazierten Losungen, Zukunft ein andere. Viel hatte sich das Personal von Trainer Kurt Jara vor der Saison vorgenommen, die Rolle der dritten Kraft hatte der Verein in der Ball-Branche für sich beansprucht, so wie Hertha BSC. Doch die Entfernung zwischen Anspruch und Realität ist so gewaltig wie jener Weg des FC St. Pauli zurück in die Bundesliga. Der HSV, letzter Dauermieter im Oberhaus, verbirgt sich nach dem schlechtesten Saisonstart seiner Geschichte auf Rang siebzehn. Am Sonntag gastieren die Hamburger in Berlin, es wird das Treffen zweier Teams, deren glänzende Visionen längst verblasst sind.“

„Beim biederen Uefa-Cup-Kick pfeift das Hamburger Publikum den Falschen aus“ SZ

Ein Torwart, der mitspielt und mitdenkt

Martin Hägele (SZ 27.9.) porträtiert Timo Hildebrand, Torhüter des VfB Stuttgart: „Der Wandel vollzog sich in diesem Sommer. Hildebrand hat sich nur ein paar Tage bei den Eltern in Lampertheim gegönnt und zwischen ein paar Kurztrips ein intensives Trainingsprogramm absolviert. Im Kraftraum trainierte er sich drei Kilo Muskelmasse an. Zum Saisonauftakt erschien Hildebrand nicht nur mit imposanterer Statur, wichtiger sei gewesen, wie er sich der beruflichen Herausforderung gedanklich gestellt habe: „Mit Dirk Heinen bekam ich zum ersten Mal einen echten Konkurrenten. Er war der Spitzentorwart der türkischen Liga und Felix Magath kannte ihn aus Frankfurter Zeiten. Ich musste also um meinen Stammplatz kämpfen. Außerdem war mir klar, dass nach dem Erfolg der letzten Saison jetzt mit unserer Champions-League-Teilnahme viel höhere Erwartungen aufkommen würden.“ Die Wandlung vom „Luftikus zum Vorbild“ (Stuttgarter Zeitung) war keine jener Imagekorrekturen, wie sie manchen schüchternen und deshalb leicht arrogant wirkenden Profis von ihren Beratern verordnet werden. Es sei eine bewusste Umstellung gewesen, sagt Hildebrand. Er habe wegen einer langwierigen Verletzung und einer rätselhaften Viruserkrankung, die ihn im Frühjahr bremste, über einen neuen Lebensplan nachgedacht. Und er sei bei dieser Orientierung nicht nur vom Magath unterstützt worden. Offenbar erkannten mehrere Leute, dass Hildebrand nicht nur der beste Feldspieler aller Bundesliga-Torhüter ist, sondern mit der entsprechenden Einstellung vor einer großen Karriere stehen könnte. „Im Feld könnte er locker in der Regionalliga mithalten“, behauptet Jochen Rücker, der Torwarttrainer des VfB. Von den technischen Fähigkeiten her gebe es in Europa nur noch einen Torhüter, der es mit Hildebrand aufnehmen könne: Edwin van der Sar, die Nummer eins der Niederlande. Wie kein anderer profitiert der VfB-Torwart vom sachlichen und disziplinierten Stil einer Mannschaft, deren Selbstbewusstsein sich vor allem darauf gründet, dass jeder Spieler verteidigen und den Ball halten kann. Ein Torwart, der mitspielt und mitdenkt bekommt in diesem System automatisch eine Hauptrolle.“

Erik Eggers (FR 27.9.) sucht Jan Simak: „Es hat Gründe, dass große Teile der Fußball-Öffentlichkeit diesen Fall als Sensation verkaufen. Zum einen gilt der 24-Jährige mit Spielmacherqualitäten als schwer handzuhabende Persönlichkeit. Früher hätte ihn der Fußball zweifelsohne mit dem altmodischen Ausdruck des enfant terrible bezeichnet; Simak gilt als verschlossen und immer irgendwie einsam, als äußerst introvertiert, und seine Sprachprobleme erschwerten seine Integration in Hannover und vor allem in Leverkusen; dort wurde der Neuling, als er vergangene Saison Ballack ersetzen sollte, von seinen Mannschaftskameraden offensichtlich geschnitten. Dazu entspricht seine Entourage schon fast verdächtig dem Klischee eines jungen und neureichen Fußballprofis: Nach Spielschluss erwartet ihn stets eine Clique, die dann in seinem 500er Mercedes vorfährt; offenbar profitieren diese Freunde sehr von den genialen Künsten ihres Freundes Jan, davon zeugen die obligatorischen dicken Halsketten und protzigen Uhren. Sie sollen ihn auch zu seinen zahlreich belegten Alkoholeskapaden animiert haben, die es schon vor Jahren gab. Vergangene Saison jedenfalls wertete es kaum einer als Sensation, als Klaus Toppmöller den wundersamen Tschechen, weil er nicht in das Leverkusener Kurzpass-System passen wollte, als nicht zu kurierenden Pflegefall bezeichnete. Die Gründe aber dafür, dass Simaks Abtauchen nun als Sensation vermarktet wird, liegen vielmehr an den angeblichen Depressionen des Tschechen, einem im Leistungssport bisher tabuisierten Thema.“

Er kaschiert seine Verletzlichkeit mit einem Selbstverständnis als Macho

SZ-Interview mit Oliver Kirchhof, Sport-Psychologe

SZ: Herr Kirchhof, es heißt, Jan Simak von Hannover 96 leide unter Depressionen. Sind Sportler eine besonders gefährdete Gruppe?

OK: Es gibt Sportarten mit mehr Risikofaktoren. Ausdauersportarten wie Radsport, Marathon oder Ski-Langlauf, die mit Monotonie verbunden sind und sehr viel Verzicht fordern. Wenn jemand jeden Tag fünf, sechs Stunden auf dem Rad sitzt, können Kontaktdefizite die Folge sein, eine altersgemäße Persönlichkeitsentwicklung könnte gestört werden.

SZ: Fußballprofis bewegen sich permanent in Gemeinschaft.

OK: Richtig. Aber wenn einer aus dem Ausland kommt und eher introvertiert ist, hat er oft mit Integrationsproblemen zu kämpfen. Das kann zu depressiven Störungen führen. Wie bei dem hochtalentierten Marek Heinz, der in Hamburg und Bielefeld in einem Loch steckte. Seit seiner Rückkehr in die Heimat zu Banik Ostrau spielt er wieder groß auf.

SZ: Simak ist schon drei Jahre in Deutschland und wurde nach einem missglückten Jahr in Leverkusen in Hannover wieder wie ein verlorener Sohn aufgenommen.

OK: Trotzdem: Er ist ein Typ, der sich wenig öffnet und die eigene Verletzlichkeit mit einem Selbstverständnis als Macho kaschiert. Ich weiß nicht, ob Klaus Toppmöller, sein damaliger Trainer in Leverkusen, Simaks Probleme bewusst waren. Aber sein Wort vom „Pflegefall“ hat ausgedrückt, dass was mit dem Jungen nicht in Ordnung war.

SZ: Das war sicher keine sehr hilfreiche Äußerung.

OK: Nein. Und es ist auch problematisch, seelische Erkrankungen öffentlich zu erörtern, das ist ja in unserer Gesellschaft noch immer ein Tabu-Thema und berührt die Privatsphäre. Andererseits hilft es auch nicht, Lügengeschichten von Magen-Darm-Grippen zu spinnen.

SZ: Die öffentliche Aufmerksamkeit verstärkt das Problem?

OK: Es gibt Spieler, denen ist die Beachtung, die sie genießen, unangenehm. Auch bei Sebastian Deisler merkt man, wie er darunter leidet. Der signalisiert mit allen Mitteln: Lasst mich in Ruhe.

SZ: Wie gefährdet sind Profis, die, wie der Dortmunder Otto Addo in dieser Woche, mit schweren Verletzungen über viele Monate ausfallen oder sogar mit dem Karriere-Ende rechnen müssen?

OK: Das ist eine gefährliche Phase: Man ist raus aus dem Team und oft völlig allein. Man merkt, dass ein Profiteam nur eine ökonomische Zweckgemeinschaft ist und kein sozialer Verbund, der trägt. Man bekommt das Gefühl, ein Außenseiter zu sein. Dazu kommt eine existenzielle Ungewissheit. Generell gilt: Die Vereine müssten viel mehr Hilfe anbieten – bei der Integration von Ausländern wie bei Spielern, die verletzt sind.

Michael Horeni (FAZ 27.9.) klagt über Ernsthaftigkeit – am Beispiel der Aufregung über die Steuerpraxis von Borussia Dortmund: “Der juristisch untadelige, aber das Gerechtigkeitsempfinden arg strapazierende Fall war als Vehikel bestens geeignet, um eine Grundsatzdiskussion über Moral und Steuern zu entfachen, an der sich sogar der Bundesfinanzminister zu beteiligte. Zu lachen gibt es jedenfalls nichts mehr. Wenn zum Beispiel ein italienischer Fußballklub einen solchen Weg gefunden hätte, um 1,5 Millionen Euro Steuern für die geliebten Fußballhelden zu sparen, das deutsche Publikum hätte es wohl mit lächelnder Anerkennung zur Kenntnis genommen: Wie findig diese Italiener doch sind! Was denen alles einfällt! Warum uns nicht? Aber jeder regt sich eben auf, so gut er kann. Selbst wenn Rudi Völler mal lospoltert, wird darüber nicht geschmunzelt wie einst, als Giovanni Trapattoni das gebrochene deutsche Wort ergriff. Auf des Teamchefs erregte Fernsehrede an die Nation (Scheißdreck), die auch keineswegs an die kunstvolle Trapattoni-Form (schwach wie Flasche leer) heranreichte, wurde zumeist auch entsprechend deutsch entgegnet: felsenfeste Zustimmung inklusive Kritikerbeschimpfung oder hochernste Ablehnung wegen Formfehlers. Auch hier waren alle Verdächtigen, die sich des Sports für ihre Zwecke bemächtigen, wieder dabei: vom Kanzler an abwärts. Wo der Sport nicht mehr nur Sport sein darf, sondern auf gesellschaftliche Tiefenwirkung getrimmt wird, geht auch wieder ein Teil seiner Leichtigkeit dahin. Seit einigen Jahren schon ist zu beobachten, wie vor allem Fußball-Länderspiele und Olympische Spiele nicht mehr nur als reine Sportereignisse wahrgenommen werden, sondern inflationistisch als Erklärungsmodell für Deutschland und die Welt herhalten sollen. Die politische Metaphorik wird in den Medien immer gewaltiger und gewagter. Das Wunder von Bern kommt zwar bald in die Kinos, aber es steht nicht jede Woche auf dem Spielplan. Meistens findet einfach nur Sport statt, ganz ernsthaft.“

Gewinnspiel für Experten

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