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Der zweite Platz ist offenbar nicht Anreiz genug

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Der zweite Platz ist offenbar nicht Anreiz genug

Richard Leipold (FAS 4.5.) skizziert die Aufgabe des Dortmunder Jung-Trainers. “Meister mit 34 Jahren. Das ist im Handwerk schwer genug, in der Bundesliga ist es erst einem Trainer gelungen. Vor knapp zwölf Monaten bestand der Dortmunder Fußball-Lehrer Matthias Sammer die Prüfung schon im zweiten Dienstjahr. Sammer hatte ein Kollektiv geschaffen, das den Faktor Arbeit so geschickt mit künstlerischen Elementen kombinierte, daß Kunst und Kraft sichzu einem großen Ganzen ergänzten. Dem jungen Trainer und einer vergleichsweise jungen Mannschaft schien die Zukunft zu gehören. Doch der frühe Erfolg hat auch seine Tücken. In dieser Spielzeit wirkt die Dortmunder Meisterklasse des Vorjahres wie eine Gruppe Hochbegabter, die in der Schule zwei Klassen übersprungen hat. Die meisten Spieler besitzen das Können dafür, aber nicht alle die Reife. So steht Sammer in der Schlußphase des aktuellen Lehrjahres vor einer Nachprüfung, deren Schwierigkeitsgrad die Anforderungen der eigentlichen Meisterprüfung übersteigt. Nach dem überraschenden Titelgewinn hat sich unter den Spielern eine Sorglosigkeit breitgemacht, die selbst die Qualifikation für die Champions League zur Zitterpartie macht. Der zweite Platz ist offenbar nicht Anreiz genug, jede Woche an die Leistungsgrenze zu gehen. Auf einmal muß Sammer erkennen, was die Spieler alles nicht beherrschen. Die Defizite haben nichts mit Technik oder Taktik zu tun. Ob der Trainer ein wenig offensiver oder defensiver spielen läßt, ist bei der Klasse derMannschaft unerheblich. Die Sonderaufgabe, die er zu lösen hat, ist schwieriger. Sammer muß seinen früheren Musterschülern beibringen, daß es auch jenseits des Titels lohnende Ziele gibt (…) Der Meistertrainer erfährt im Jahr danach die Kehrseite seines Leitmotivs, wonach in erster Linie (harte) Arbeit adelt. Dennoch hält er daran fest. In seiner Prinzipientreue, die zuweilen in Prinzipienreiterei ausartet, zeigt sich, daß Sammer keinen Zickzackkurs fährt. Seine Lehre basiert nicht auf unergründlichen Motivationskünsten a la Toppmöller. Ihn umgibt nicht die Aura des Zampanos, dafür wirkt er zu technokratisch, zu spröde. Vielleicht ist Sammer gerade deshalb prädestiniert, auch als Krisenmanager seine Meisterprüfung zu bestehen.“

Zwischen strengem Zuchtmeister und mildem Sozialhelfer

Roland Zorn (FAZ 5.5.) schreibt zum selben Thema. „Die Köpfe und Herzen seiner hochbezahlten Spieler zu erreichen fällt dem Coach in der Schlußphase einer aus Dortmunder Sicht enttäuschenden Saison zunehmend schwer. Dabei hat der 35 Jahre alte Sachse zwischen strengem Zuchtmeister und mildem Sozialhelfer schon alle pädagogischen Register gezogen. Vergeblich? Zumindest erweckt ein Teil seines Teams am Arbeitsplatz Stadion seit Wochen den Eindruck, sich lieber beim Trimmtrab im Grünen die Zeit zu vertreiben, als leidenschaftlich um Platz zwei und damit die direkte Qualifikation für die kommende Champions-League-Saison zu kämpfen. Für Sammer eine Situation zum Verzweifeln. In einer Phase, da es für den Verein um Leben und Sterben geht, trabt der eine oder andere nur hinterher. Schon Ende vergangener Woche hatte der Trainer seinem Kader mit aufrüttelnden Worten einen Ruck geben wollen. Die Spieler müssen lernen, sich zu fragen: Tue ich alles für den Erfolg? Es kann nicht sein, daß ich um 18 Uhr bei Pommes rot-weiß und Cola auf dem Sofa liege. Was nicht sein darf, ist dennoch nicht auszuschließen bei diesem derzeit weit unter seinem Niveau kickenden Meister a. D. Nur ein einziger Borusse durfte sich am Samstag ein Extralob bei seinem Chef abholen: der Ur-Dortmunder Lars Ricken. Von Verletzungen und Formkrisen geplagt, hat sich der einst vorschnell zum Supertalent hochgejubelte Borusse mit Extratrainingsschichten wieder als Stammkraft empfohlen.“

Du musst alles vorgeben, das ist die Quintessenz

Dirk Graalmann (SZ5.5.) kommentiert die Äußerungen der Dortmunder Verantwortlichen nach dem Spiel. „Michael Zorc ist ein höflicher Mensch. Er ist 40 Jahre alt, er war zwei Jahrzehnte lang Fußball-Profi. Lange genug, um sämtliche Kanten abzuschleifen. Ein Kandidat für den diplomatischen Korps. Doch nach dem frustrierenden 2:2 stand der Manager von Borussia Dortmund in den Katakomben des Westfalenstadions und polterte: „So kann es nicht gehen. Das ist zu wenig. Man bekommt den Eindruck, dass wir hier mit Platz drei oder vier zufrieden sind.“ Er war gereizt. Genervt. Von den hoch bezahlten Angestellten und wohl auch ein wenig von Trainer Matthias Sammer: „Mit Eigenverantwortung kommst du im Fußball nicht weit. Du musst alles vorgeben. Das ist die Quintessenz“, echauffierte sich Zorc und bremste damit die Bemühungen seines Coaches aus. Der Trainer schließlich müht sich seit Monaten in der Hauptrolle einer BVB-Variante des Brecht-Klassikers Der gute Mensch von Sezuan als „guter Mann vom Borsigplatz“. Er kämpfte gegen die Selbstgefälligkeit, kritisierte „die Spaßgesellschaft“ im Team und hält den Profi zur Verantwortung an. „Wenn ich mich abends bei Cola und Pommes rot-weiß aufs Sofa lege, darf ich mich nicht wundern, wenn ich körperlich zu wenig drauf habe. Da muss man abends die Laufschuhe anziehen“, schimpfte er. Man könnte sagen: eine Generalabrechnung. Doch Spielerversteher Sammer wollte „nur eine Hilfestellung geben“. Das Team zeigt seit Wochen, wie man dessen pädagogischen Bemühungen durchkreuzen kann, selbst gegen die eher ambitionslosen Niedersachsen gelang dies.“

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