Ballschrank
DFB-Pokal
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| Donnerstag, 25. März 2004
„nur vier Tage nach Beginn der Rückrunde ist der FC Bayern direkt auf den Leidensweg eingebogen“ (SZ) – Zweite Liga im Aufschwung (BLZ) u.v.m.
Nicht nur Hans-Joachim Waldbröl (FAZ 6.2.) erliegt der Faszination des Tivolis: „Adi Preißler hat dem Fußballalltag so einige pseudophilosophische Pointen abgewonnen, die nach dem Tod des früheren Torschützenkönigs und ehemaligen Trainers im vergangenen Jahr noch öfter zitiert werden als zu seinen Lebzeiten. Dabei hat der gebürtige Duisburger auch schon mal den I-Punkt auf einen Platz gesetzt, der dort gar nicht hingehörte. Am Aachener Tivioli, der nach Preißlers unverbesserlicher Mundart die Assoziation mit den italienischen Ravioli eher nährt als die Ähnlichkeit mit dem schlichten Tivoli, könne man nur mit Athletichkeit bestehen. Das gilt offenbar, zur Freude der Aachener, auch noch Jahrzehnte, nachdem Preißler als Dortmunder Borusse am Tivoli offenbar die körperliche und kämpferische Kraft der Alemannia fürchtete.“
Mehr als eine SV-Meppen-Liga
Christof Kneer (BLZ 6.2.) fasst das Viertelfinale zusammen: “Es war ein wenig wie früher, als der Pokal noch diese Gesetze hatte; als die Bundesliga noch kein Premiumprodukt war, sondern nur die Bundesliga; als Spieler noch nicht werthaltig waren, sondern nur gut oder schlecht. Romantiker könnten jetzt auf die Idee kommen, das sei doch ein herrliches Viertelfinale gewesen im DFB-Pokal. Klein-Aachen blamiert Groß-München und gründet mit Klein-Lübeck ein lustiges gallisches Dorf, das sich bis ins Halbfinale durchschlägt und den Römern aus Bremen und Gladbach tapfer Widerstand leistet. Das klingt gut, ist aber leider gelogen. Die Wahrheit ist, dass hinter dem Pokal ein neuer Trend hervorscheint, der noch so neu ist, dass viele ihn noch gar nicht bemerkt haben. Der Trend besagt, dass Willi Landgraf nicht mehr die Regel ist, sondern die Ausnahme. Landgraf stammt aus einer Zeit, als die zweite Liga noch eine SV-Meppen-Liga war. Wer damals als anständiger Erstligaprofi ein Angebot aus Liga zwei bekam, galt fast als vorbestraft, und wer als Erstligist im Tabellenkeller stand, fand in der nächsten Boulevardzeitung garantiert eine Anfahrtskizze nach Meppen. In Wahrheit hat die zweite Liga Meppens Stadtgrenze längst hinter sich gelassen. Es ist wohl keinem putzigen Pokalgesetz mehr geschuldet, dass nun zwei Zweitligisten im Pokalhalbfinale Quartier bezogen haben; und viel hat ja nicht gefehlt, und die Zweitligisten wären dort sogar vollends unter sich gewesen. Es ist ein klarer Trend, dass die zweite Liga der ersten langsam entgegenwächst. Womöglich hat der Fußballgott einen Sinn für Ironie, denn er hat den Größenwahn der ersten Liga dadurch bestraft, dass nun die zweite davon profitiert. Weil die Erstligisten ihre Kader in der Not radikal verschlanken, muss so mancher Profi, der Liga zwo bis vor kurzem noch für unter seiner Würde hielt, reuig und für kleines Geld im Unterhaus unterkriechen.“
Den fußballerischen Möglichkeiten dieser Mannschaft sind engere Grenzen gesetzt
Wolfgang Hettfleisch (FR 6.2.) ist enttäuscht von Bayern München: „Es ist erst ein paar Wochen her, da klang die Chose bei Uli Hoeneß so: Jetzt gibt es keine Ausreden mehr. Da hatten die Spieler des FC Bayern München gerade die Vorbereitung in Dubai hinter sich gebracht, oder wie Hoeneß zu sagen beliebte: das härteste Trainingslager aller Zeiten. Man spricht beim erfolgreichsten deutschen Fußballclub der Gegenwart gern in Superlativen. Das unterstreicht den Anspruch, der nationalen Konkurrenz voraus zu sein – das Alpha-Tier im Ligarudel. Nun setzt der Fehlstart nach der Winterpause die erwarteten Mechanismen in Gang: Ottmar Hitzfeld streicht den vorgeblich zu sehr abgelenkten Stars die privaten Werbetermine und übt sich in Fünf vor Zwölf-Rhetorik. Und Franz Beckenbauer wundert sich, dass Kritik nach der schwachen Vorstellung in Frankfurt keine Trotzreaktion hervorrief, sondern die Seelchen in den weißen Trikots weiter geschwächt hat. Trainer und Präsident deuten die Krise der nominell stärksten deutschen Vereinsmannschaft also als eine Art kollektive Psychose. Die jüngsten Eindrücke aus dem Frankfurter Waldstadion und vom Aachener Tivoli legen einen anderen Schluss nahe: Den fußballerischen Möglichkeiten dieser Mannschaft sind engere Grenzen gesetzt, als viele – nicht zuletzt unter den professionellen Berichterstattern – uns glauben machen wollen.“
Wo FC Bayern draufstand, war nicht FC Bayern drin
Christoph Biermann (SZ 6.2.) ergänzt: „Was angesichts des Ausgleichs von Ballack mit dem Pausenpfiff wie die hundertste Variante vom Lied über den abgebrüht professionellen Rekordmeister oder die „Dusel-Bayern“ wirkte, war nur Etikettenschwindel. Wo FC Bayern draufstand, war nicht FC Bayern drin.“
Münchner Reaktionen auf das Spiel taz
Stefan Hermanns (Tsp 6.2.) befasst sich mit dem Sieger: „Auf dem Tivoli, der Heimstätte des ungezähmten Fußballs, werden Grätscher und Renner schon aus Tradition geschätzt. Einer der Helden der Achtzigerjahre trug den Namen Günther Delzepich – und genauso hat er gespielt. Sein legitimer Nachfolger in der Jetztzeit ist Willi Landgraf, ein 1,66 Meter großes Arbeitstier aus Bottrop. Gegen die Bayern rettete „der kleine Willi“ (Torwart Straub) nach einem Kopfball von Ballack auf der Torlinie, und vermutlich war es für Landgraf das Spiel seines Lebens. Hinterher sagte er: „Wir haben das gut runtergespielt, ganz locker.“ Man sah, wie viel Selbstbeherrschung ihm diese Aussage abnötigte. Andere reagierten weniger kontrolliert. „Das muss man erst mal verarbeiten“, sagte Torwart Straub, und Trainer Jörg Berger freute sich gleich „für die ganze Region“, in der das Viertelfinale zum „Spiel des Jahrzehnts“ ausgerufen worden war. Die lokalen Zeitungen hatten eine Sonderbeilage herausgegeben, und Alemannia hätte das Stadion auch fünfmal voll bekommen. Der Andrang war so groß, dass sogar ZDF- Sportchef Wolf-Dieter Poschmann seine Familienangehörigen nur noch auf der Pressetribüne hatte unterbringen können.“
Jörg Stratmann (FAZ 6.2.) fügt hinzu: „Sönke Wortmann kennt sich mit Fußballwundern aus. Nicht nur mit einem historisch belegten, wie es der Regisseur kürzlich mit dem Wunder von Bern für die Kinos ins Bild setzte, sondern auch mit solchen, die aus heiterem Himmel kommen. Wunder wie in seinem Werbespot für jenen Hauptsponsor der Zweitligamannschaft Alemannia Aachen, der in seinem Namen die Aachener und Münchner zusammenführt. Und in diesem Trailer siegen die schwarz-gelben Kicker, nach allerlei lustigen Mißgeschicken, dann auch noch. Dem geradezu hellseherischen kurzen Streifen hätte man für seine Premiere keinen schöneren Zeitpunkt und Ort wünschen können als die Halbzeitpause am Mittwoch im aus allen Nähten platzenden Tivolistadion. Denn anschließend erreichte die Alemannia das Halbfinale um den Pokal des Deutschen Fußball-Bundes – mit einem wundersamen Sieg über den Titelverteidiger und hohen Favoriten Bayern München. Wobei das Merkwürdigste war, daß er schließlich wie ein sportlicher Normalfall wirkte. Denn die Aachener bildeten einfach die bessere Mannschaft, die ihren Sieg hochverdient erspielte. Das räumten sogar die blamierten Stars ein, wenn sie sich denn überhaupt zu einer Einschätzung herabließen. Und das verblüffte die Sieger so sehr, daß sie vor Überraschung ganz zu vergessen schienen, sich einfach nur ausgelassen zu freuen. Irgend jemand im finanzklammen Verein, ein grenzenloser Optimist, hatte T-Shirts mit der Aufschrift Rekordpokalsiegerrauswerfer – die Legende lebt drucken lassen. So konnten sich die Aachener sogar noch mit einem Gag von den Anhängern verabschieden, die das Stadion am liebsten gar nicht mehr verlassen hätten.“