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Die Anzahl an Idealisten mit Fußballverstand ist begrenzt

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Die Anzahl an Idealisten mit Fußballverstand ist begrenzt

Fußball ist ‚in’ unter Jugendlichen, Trainer-Experten sind selten – Kritik an Fabio Capello, der Freigabe für Doping fordert – Chievo Verona muss die Verschwendung anderer ausbaden – zur Lage in Polen u.v.m.

Die Anzahl an Idealisten mit Fußballverstand ist begrenzt

Peter Heß (FAZ 18.11.) berichtet hoffnungsvoll über die Nachwuchsarbeit in Deutschland: “Es existiert keine grundsätzliche Krise im deutschen Nachwuchsfußball. Fußball ist in wie noch nie zuvor unter deutschen Kindergarten- und Grundschulkindern. Über 1,3 Millionen Mitglieder hat der Deutsche Fußball-Bund (DFB) 2003 in der Altersklasse bis 14 Jahren registriert. Das sind zweieinhalb Mal so viel wie vor 20 Jahren. Die Vereine werden dem Andrang kaum Herr. Und dadurch entsteht ein Problem: die Qualität der Übungsleiter und Betreuer. Die Anzahl an Idealisten mit Fußballverstand ist begrenzt, die für Gotteslohn zwei- bis dreimal die Woche ihre Freizeit opfern, einer Rasselbande von Sechsjährigen die Grundzüge des Spiels beizubringen. So nehmen die Klubs auch Trainer in Anspruch, die sich nur deshalb zur Aufgabe berufen fühlen, damit ihr übergewichtiger Sohn einen Stammplatz im Bambiniteam sicher hat. Es gibt sie zuhauf, die nichts von Fußball verstehen und wenig von Kindererziehung. Deren Spieler auch nach einem Jahr Training noch wie ein aufgeschreckter Hühnerhaufen dem Ball hinterherrennen, weil der einzige Laufweg, der ihnen vermittelt wurde, der zur Heckklappe des Kombis führt, wo der Fußballehrer nach dem Spiel zur Belohnung Süßigkeiten verteilt, weil sie ausnahmsweise nur 1:5 verloren und sie seinen Sohn alle Abschläge ausführen ließen. Solche Mannschaften zerfallen schnell, und der DFB und die Landesverbände haben ein Konzept entwickelt, um diese Entwicklung durch eine Schulung der ehrenamtlichen Trainer abzuschwächen. In den vergangenen Monaten ist eine dezentrale Übungsleiter-Fortbildung an den 387 Stützpunkten angelaufen, an denen bisher lediglich den Kindern ein zusätzliches Training angeboten worden ist. Mit dieser Begabtenförderung durch kompetente Fußballehrer, darunter einige frühere Profis, reagierten die Verbände auf die Unsitte einiger Jugendbetreuer, auch spielerisch talentierte Teenager in ihr ergebnisorientierten System einzupferchen. Nur den Ball weg, Hauptsache hinten dicht.“

sid meldet: „Es ist Zeit für das deutsche Szenario, fordert das Algemeen Dagblad vor dem entscheidenden Qualifikationsduell gegen Schottland in Amsterdam, das Holland mit zwei Toren Differenz gewinnen muss. Andernfalls findet nach der WM 2002 auch die Europameisterschaft 2004 in Portugal ohne den zweimaligen WM-Zweiten statt. Die Tageszeitung bemüht die Geschichte und wird in der größten Not ausgerechnet beim Erzrivalen Deutschland fündig. Die Routiniers der Mannschaft sollen es machen wie Franz Beckenbauer 1974. Der hatte bei der WM im eigenen Land in der Krisennacht von Malente nach dem 0:1 gegen die DDR Trainer Helmut Schön die Taktik für die zweite Finalrunde vorgegeben. Deutschland wurde später durch ein 2:1 im Finale gegen die Niederlande Weltmeister. Der Hinweis auf eine der schwärzesten Stunden des niederländischen Fußball-Verbandes sagt wohl verklausuliert: Spieler, nehmt die Sache selbst in die Hand.“

Gäbe der Sport den Kampf auf, er gäbe sich in seinen Grundfesten auf

Markus Völker (BLZ 18.11.) kritisiert Fabio Capello, Trainer von AS Roma, der eine Freigabe für Doping fordert: „Wer Doping freigeben möchte, untergräbt die moralische Integrität des fairen Sports. Das klingt schwülstig, aber es ist nun einmal so, dass Verboten und Tabus ein rigider Pathos innewohnt, der in Bereichen des Alltags auch mal lächerlich wirken kann. Im Bereich des Dopings geht’s aber nicht um weiche Moral, sondern um sehr viel mehr, manchmal sogar um Leben und Tod. Was sakrosankt war, der Missbrauch also, soll aus Gründen der Sinnlosigkeit des Hase-und-Igel-Spiels, das Fahnder und Dopern treiben, aufgegeben werden – weil es gerade zupass kommt; weil die Öffentlichkeit desillusioniert ist und nicht mehr an die Lauterkeit des Athleten glaubt. Gäbe aber der Sport den Kampf auf, er gäbe sich in seinen Grundfesten auf. Der Sport beruht auf strengen Regeln. So wie Kampf gegen Doping.“

Ultimatives Alarmzeichen

Peter Hartmann (NZZ 18.11.) hält fest, dass die Finanzkrise in Italien zunächst die Falschen –die Kleinen – trifft: „Chievo, die Märchenmannschaft der Serie A aus einer Vorstadt Veronas, beendigte drei der letzten Spiele in Unterzahl. Zuletzt, in Siena, standen noch neun Mann auf dem Platz, 40 Minuten lang, und Chievo hat trotzdem gewonnen. Am kommenden Sonntag probt Trainer Luigi Del Neri vielleicht sogar die Null-Formation: Es könnte sein, dass er gegen Milan überhaupt keinen Spieler aufs Feld schickt. Dabei handelt es sich um eine Art Meuterei zur Selbstverteidigung. Wenn der Panettone-Fabrikant Luca Campedelli, Urheber des Wunders von Chievo und letzter unternehmerischer Musterknabe der Serie A, mit der Skandalnudel Luciano Gaucci, in Perugia kurzzeitig auch Arbeitgeber des gedopten Wüstensohns Al-Saadi Ghadhafi, gemeinsame Sache macht, dann muss der Fussball endgültig ein Irrenhaus geworden sein. Diesen Schluss zieht die rosarote «Gazzetta dello Sport» aus der Drohung der fünf Präsidenten von Chievo, Perugia, Ancona, Brescia und Empoli, die 10.Meisterschaftsrunde am Wochenende zu bestreiken, weil sie vom Pay-TV-Sender Gioco Calcio noch keinen Euro gesehen haben. Ob die rebellierenden Klubdirigenten ihre Verweigerungshaltung durchstehen oder durch irgendwelche Versprechungen zur Räson gebracht werden, bleibt in der Schwebe (…) Dass nun selbst der haushälterische Aussenseiter Chievo in der dritten Serie-A-Saison aus der Balance geworfen wird, weil ihm das Betriebskapital aus den Fernsehgeldern fehlt, ist ein ultimatives Alarmzeichen. Jedes Jahr spielt Chievo mit neuen Gesichtern und behält doch das ursprüngliche Profil: mitreissendes Angriffsspiel und gleichzeitig beeindruckende taktische Disziplin. Die Mannschaft stückeln Trainer Del Neri und der Technische Direktor Giovanni Sartori als Architekten des Projekts aus Versatzstücken des Marktes zusammen.“

Thomas Roser (NZZ 18.11.) schildert die Lage in Polen: “Kummer ist Polens leidgeprüfte Fussballgemeinde gewohnt. Nach dem missglückten WM-Ausflug nach Südkorea hat die Nationalequipe mit missratenen Auftritten frühzeitig das EM- Ticket verspielt. Niveauarme Spiele in halb leeren Stadionruinen, Hooligan-Ausschreitungen und Bestechungsskandale pflegen den ernüchternden Alltag in der von Finanzproblemen geplagten Liga zu bestimmen. Seitdem der Pay-TV-Sender Canal+ im letzten Jahr seine Zahlungen kräftig reduziert hat, taumelt der Grossteil der Vereine am Rande des Bankrotts. Die schwindenden Gehälter haben den Aderlass in der ausgebluteten „Ekstraklasa“ noch beschleunigt. Selbst Klubs in Ländern wie Ukraine, Israel oder Zypern sind für Polens Söldner inzwischen ein begehrtes Ziel (…) Grösstes Aufsehen hat in dieser Saison indes Groclin Dyskobolia Grodzisk im Uefa-Cup gemacht. Erst warf der Verein mit dem Diskuswerfer im Wappen Hertha BSC Berlin aus dem Wettbewerb. Auch gegen das Starensemble von Manchester City könnte den Hoffnungsträgern des polnischen Fussballs eine Überraschung gelingen. Im Hinspiel in Manchester kam die millionenschwere Equipe von Kevin Keegan gegen den Aussenseiter über ein 1:1 nicht hinaus. Seinen Höhenflug hat der Verein vor allem seinem grosszügigen Sponsor zu verdanken. Der Wohltäter heisst seit 1993 Zbigniew Drzymala, dessen börsennotiertes Unternehmen Inter Groclin Autohersteller in ganz Europa mit Sitzschalen beliefert: Zwei Prozent von Polens gesamtem Export werden von dem 3500-Mitarbeiter-Konzern in Grodzisk erwirtschaftet. Das Sponsern eines Fussballklubs koste seine Firma auch nicht viel mehr als teure Werbekampagnen, begründet Vereinspräsident Drzymala sein Mäzenatentum: Mit einem Jahresbudget von 21 Millionen Zloty (7,2 Millionen Franken) ist Grodzisk derzeit denn auch der am besten gepolsterte Verein der Liga. Dank dem kapitalkräftigen Sponsor gelang dem 1922 gegründeten Traditionsverein in Windeseile der Durchmarsch von der Kreisklasse in die erste Liga.“

Deutschland hat nicht mehr diese Siegertypen wie Matthäus, Völler und Möller

Die FR interviewt, offenbar ohne Anlass, Hristo Stoitchkow, ehemaliger Nationalspieler Bulgariens

FR: Herr Stoitchkow, seit vier Jahren spielen Sie jetzt in den USA. An das Land haben Sie gute Erinnerungen: Bei der WM 1994 wurden Sie zum besten Spieler gewählt, Torschützenkönig…HS: …und habe die Deutschen aus dem Turnier geschossen. Ganz Deutschland hat geweint, und ich war sehr glücklich.

FR: War das einer Ihrer größten Siege?

HS: Es war ein Spiel wie jedes andere. Zwei Monate danach haben wir Deutschland noch einmal geschlagen – 3:2 in Bulgarien. Es wurde zur Gewohnheit, dass wir sie schlagen.

FR: Nach der Weltmeisterschaft waren bulgarische Spieler wie Balakow, Letchkow und Kostadinow in Deutschland sehr begehrt. Warum haben Sie nie in Deutschland gespielt?

HS: Ich habe den deutschen Fußball nie gemocht, der italienische und spanische lag mir mehr.

FR: Und jetzt spielen Sie in den USA. Wie ist das Niveau?

HS: Man kann es nicht mit Europa vergleichen, aber es gibt Fortschritte. Das ist auch der Grund für die gute WM der US-Nationalmannschaft im vergangenen Jahr. Sie hatte Deutschland am Rande einer Niederlage.

FR: Sie spielen in den USA, Deutsche wie Effenberg und Basler lieber in Katar. Hatten Sie kein Angebot?

HS: Sie spielen nur für Geld. Ihnen ist der Sport egal. Wer ist Effenberg? Für mich ist er ein Niemand, ein normaler Spieler. Er hätte dem Nationalteam viel geben können, wenn er seine Möglichkeiten ausgenutzt hätte.

FR: Wie lange wollen Sie denn noch solche Erfahrungen als Spieler machen?

HS: Es ist mein Leben. Ich liebe diesen Sport einfach. Das ist auch der Grund, warum ich einer der Besten in der Welt war. Aber ich hatte auch Glück, dass ich mit dem besten bulgarischen Jahrgang in der Nationalmannschaft und den besten Spielern der Welt bei Barcelona zusammenspielen durfte.

FR: Jetzt spielen die Besten der Welt nicht mehr bei Barca, sondern bei Real Madrid.

HS: Das ist doch nur noch Geschäft. Es geht nur noch um Kommerz, Fernsehen und Merchandising. Madrid bezahlt diesen Spielern zu viel Geld, um ihre Trikots zu verkaufen, aber die Trikots spielen nicht. Als ich bei Barcelona war, hat niemand über Real Madrid gesprochen. Real war eine kleine normale Mannschaft. Barcelona war eine echte Traummannschaft.

FR: Wer sind Ihre Favoriten für die Europameisterschaft im nächsten Jahr?

HS: Italien und Frankreich.

FR: Und die deutsche Mannschaft?

HS: Es ist nicht einfach für Völler, ein Spieler, der Weltmeister war, diese Qualität an sein Team weiterzugeben. Die heutige Generation spielt für Geld anstatt für den Sport. Sie sind nicht motiviert genug, nicht hungrig. Deutschland hat nicht mehr diese Siegertypen wie Matthäus, Völler und Möller.

Im Feuilleton der FAZ (17.11.) vernehmen wir Aufmunterung: „Ach Bochum, du nicht ganz unbesungenes, aber erst jetzt, als Reformhauptstadt, so recht verstandenes Bochum! Dein Wandel ist der Wandel, den ganz Deutschland jetzt beginnt. Heraus aus der schwer lastenden Gewohnheit, hinein in die Innovationskultur, die Olaf Scholz jetzt im Leitantrag dir und uns verkündet. Wenn du, Bochum, dich ändern kannst, dann können es alle. Und endlich widerfährt dir Gerechtigkeit, du vermeintlich graue Maus, wenn nicht soziale, so doch Chancengerechtigkeit. Jeder hat die Chance, Bochumer zu werden, jeder kann Erfolg haben, wenn er nur die Risiken des Lebens, der Marktwirtschaft positiv begreift. Dein Fußballverein macht es vor. Nur ein paar Meter hinüberblicken zum Ruhrstadion müssen die Reformdelegierten der SPD, wenn sie heute nebenan in die RuhrCongress-Halle strömen und das Wichtige tun. Hinüber zum Ruhrstadion, in dem dein großer Sohn Wolfgang Clement dir noch unlängst zurief: Der VfL ist ein Verein, mit dem man auch leiden können muß. Aber gerade der Kampf um den Auf- und Abstieg, momentan wieder um den Aufstieg, meine ich, macht doch gerade Spaß. Das ist die Einstellung, um die es geht. Von dir, Bochum, soll das Land jetzt nicht mehr liegen, sondern vorangehen lernen. Mit dem Doppelpaß oder sonstwie, nur voran.“

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