indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ballschrank

Die Bedeutung des Tores von Ronaldo beim 1:0-Sieg gegen Türkei

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Die Bedeutung des Tores von Ronaldo beim 1:0-Sieg gegen Türkei

erklärt uns Christoph Biermann (SZ 27.6.). „In diesem entscheidenden Moment von Ronaldo lag der ganze Zauber des brasilianischen Fußballs und des einzigen Teams, das dieser Weltmeisterschaft den Glamour gebracht hat, der ihr im Laufe der Schlussrunden fast ganz entwichen war. Ein Traumteam ist diese Seleçao trotzdem nicht, dazu hat sie zu viele offensichtliche Schwächen. Aber sie kann diese Momente von Klasse aufleuchten lassen, deretwegen sie die populärste Mannschaft der Welt ist. Dabei war die türkische Mannschaft durchaus ein gleichwertiger Gegner. Trainer Senol Günes war zurecht „sehr stolz“ auf seine Mannschaft. Es kann nämlich keine Mannschaft bei diesem Turnier für sich in Anspruch nehmen, die Probleme der Brasilianer so offensichtlich gemacht zu haben, wie die türkische (…) Wie viele Chancen mochten es insgesamt gewesen sein, die sie brauchten, um das eine Tor zu schießen? Sieben, acht, ein Dutzend? Das trug zum leicht unseriösen Eindruck bei, den das brasilianische Team erneut verbreitete. Wieder einmal verbreiteten sie den Eindruck, aus einer anderen Zeit zu kommen schien, als man noch lustig daherspielte und sich nicht drum scherte, was am Ende auf dem Ergebniszettel stand.“

Jürgen Kaube (FAZ 27.6.) beschreibt ein Tor. „Gab es je so viele Chancen, die wie Rückgaben zum eigenen Torwart, abgeschlossen wurden? Hat Brasilien jemals zuvor ein Spiel gewonnen durch einen Schuss, der so verwackelt war, als hätte ihn Gerd Müller selbst ins Netz geschubst? Bei aller Abschlussschwäche, die den Südamerikanern stets zu attestieren war und eigentlich einem tiefen paartänzerischen Trennungsschmerz entspringt: So schnöde hat sich ein Brasilianer noch nie von seinem „einfachen Hier“ getrennt wie der merkwürdig kubisch-scharf frisierte Ronaldo. Das hatte wohl auch Torwart Rüstü, der Mutigste der Mannelucken, vom Brasilianer am wenigsten erwartet und langte daneben, indem er nach einem Schuss griff und einer Kugel, aber eine Coladose angestolpert kam.“

Den türkischen Turnierauftritt fasst Martin Hägele (taz 27.6.) zusammen. „Der türkische Fußball hat sich bei diesem Turnier etabliert. Er ist zu einem Markenzeichen in Europa geworden. In ihren Köpfen aber bleibt jener Augenblick zurück, der den großen Traum verhinderte. Es war kein Tor, wie es sonst in den Filmen von Ronaldo gezeigt wird, wo „Il Phenomeno“ durch die Luft fliegt oder ganze Reihen von Abwehrspielern stehen lässt. Er war im Duell mit den türkischen Verteidigern, er konnte sich nicht entscheidend absetzen. Aber anstatt einen Haken zu schlagen, schlug er plötzlich mit der Stiefelspitze zu, so wie es die kleinen Jungs auf dem Dorfplatz tun – aber auch die Genies dieses Spiels, wenn es der Augenblick erfordert. Für das Tor, mit dem Ronaldo nun auch die Führung in der Torschützenliste des Turniers übernommen hat, wird es keinen Schönheitspreis geben. Und dennoch war es einer der wertvollsten Treffer in der Karriere des wiedergekehrten Superstars.“

Felix Reidhaar (NZZ 27.6.) über das Team Türkei. „Das Team vom Balkan war den Brasilianern auch im zweiten Match, am kühlen Mittwochabend in Saitama, ein nahezu ebenbürtiger Rivale, hielt spielerisch verblüffend mit und hätte mit etwas mehr Abschlussglück auch treffen können gegen die defensiv fehlerhaften, oft etwas leichtsinnigen und nach der Führung gleich auf Absicherung bedachten Südamerikaner. Keine andere Mannschaft aus dieser Konföderation (Uefa) erreichte in Ostasien das spiel- und balltechnische Rendement der Türken.“

Peter Heß (FAZ 27.6.) zum Spiel Brasilien gegen Türkei (1:0). „Während die Deutschen mit ihrem Eintopf der Nützlichkeit immerhin Sättigenderes als die magere Kost der Südkoreaner auf den Tisch brachten, trug die Türkei zum Festmahl beinahe genau so viel zur Tafel bei wie die Brasilianer. Der Unterschied? Der Hauch Genialität, den weder Chefköche noch Fußballprofis erlernen können, sondern der ihnen in die Wiege gelegt wird (…) So einen Spieler hatten die Türken nicht, der in der entscheidenden Sekunde die einzig richtige Entscheidung traf. Aber sie boten eine Mannschaft auf, die sehr vieles richtig machte. Von der taktischen Disziplin über die Kampfkraft bis zu den spielerischen Fähigkeiten. Und sie verloren nie die Beherrschung. Obwohl sie von den Brasilianern in den letzten Minuten provoziert wurden, als die Südamerikaner versuchten, ihr Spielchen mit ihnen zu treiben, sie vorzuführen (…) Im Vergleich der Mannschaftsleistungen wäre ein Unentschieden das gerechteste Ergebnis gewesen. Aber die Brillanz eines Ronaldo und eines Rivaldo verdienten es doch, mit dem Sieg belohnt zu werden.“

Peter B. Birrer (NZZ 27.6.) zum Spiel. „Die Brasilianer dokumentierten vorerst auch ohne zählbaren Erfolg eindrücklich, inwiefern sie sich während des World Cup zu steigern vermochten, inwiefern sie an Sicherheit, guter Laune und nicht zuletzt Rendement hinzugewonnen haben. Rivaldo, dieser spezielle, sich bisweilen richtiggehend über den Rasen schleppende Fußballer, legte gleich mehrere Zeugnisse ab, dass mit ihm zu rechnen ist, vielleicht sogar mehr denn je (…) Obschon sich Ronaldo und Co. nach der dritten WM-Final-Qualifikation in Folge von der selbstsicheren Seite zeigten, darf nicht unerwähnt bleiben, dass der türkischen Mannschaft nicht viel zu einem neuerlichen Coup fehlte. Sie ist eine der technisch versiertesten Equipen des gesamten Teilnehmerfeldes in Fernost, und zwar von Spieler A bis Spieler Z. Sie war auch in ihrem letzten WM-Auftritt gut organisiert, bisweilen auch inspiriert, rannte sich aber mit zunehmender Spieldauer immer deutlicher vor dem gegnerischen Strafraum am festen kanariengelben Cordon fest. Die Torchancen für den Ausgleich der Türken waren durchaus vorhanden. Aber zuletzt fehlten eben doch der letzte Zwick, nach dem Rückstand die Kraft und vielleicht auch die innere Überzeugung, den Widersacher tatsächlich ernsthaft gefährden zu können.“

Die Türkei ist stolz auf ihre Mannschaft. Christiane Schlötzer (SZ 27.6.). „Das Gefühl, die Elf habe die Ehre der krisengeplagten Türkei in der Welt gerettet, durchzog in den letzten Tagen alle politischen Kommentare. Auch die türkische Wirtschaft hat profitiert. Nicht nur stieg die Nachfrage nach rot-weißem Tuch für T-Shirts und Flaggen enorm, auch Verkäufer von Blumen, Luftballons und Knallkörpern melden beste Geschäfte. Das gilt selbst für den Bierabsatz in dem mehrheitlich moslemischen Land.“

Die Stimmung in Kreuzberg schildert Michael Reinsch (FAZ 27.6.). „Deutschland entdeckt seine Türken neu. Und die Türken verstehen sich plötzlich ebenfalls neu als erfolgreiches Fußballvolk. Tatsächlich gibt es reichlich Gemeinsamkeiten zwischen den verhinderten Finalgegnern Deutschland und Türkei: die Gilde der inzwischen mehr als zwanzig deutschen Trainer, die seit Friedel Rausch und Jupp Derwall den türkischen Fußball geprägt haben; und die acht „Deutschländer“ in der türkischen Nationalmannschaft – in Deutschland geborene und aufgewachsene Spieler, die nicht nur die Sprache, sondern auch den Fußball ihres Geburtslandes gelernt haben. Nicht wenige deutsche Fußballfunktionäre halten sie für verlorene Söhne (…) die Berliner Türken längst etabliert. Warum wohl hat der Autokorso, mit dem Hunderte von Fans nach den Siegen ihrer Nationalmannschaft von Kreuzberg aus den Verkehr lahm legen, stets den Kurfürstendamm zum Ziel? Weil sie alte West-Berliner sind! 1961, im Jahr des Mauerbaus, schlossen Deutschland und die Türkei das Anwerbeabkommen, das insgesamt 2,5 Millionen Türken in die Bundesrepublik gebracht hat. Bis heute, im Jahr dreizehn nach dem Fall der Mauer, leben gerade drei Prozent der 130.000 Berliner Türken im Ostteil der Stadt. Ihr stolzer Einsatz der Fahrzeuge aus Stuttgart, Rüsselsheim und Wolfsburg drückt nicht nur den Stolz der wirtschaftlichen Aufsteiger aus, sondern wirkt durchaus stilbildend.“

Gewinnspiel für Experten

Kommentare

Comments are closed.

  • Quellen

  • Blogroll

  • Kategorien

  • Ballschrank

114 queries. 0,997 seconds.