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Die führenden Klubs in Europa verhalten sich wie Neokolonialisten

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Die führenden Klubs in Europa verhalten sich wie Neokolonialisten

scharfe Kritik Joseph Blatters an der „G14“ – Birgit Prinz verkörpert Entwicklung unserer Gesellschaft – schwache Europäer bei der U20-WM, starke Südamerikaner

Die führenden Klubs in Europa verhalten sich wie Neokolonialisten

Joseph Blatter, Fifa-Generalsekretär, schreibt einen Gastbeitrag (FTD 17.12.) kritisiert die „G14“ sehr scharf: „Eine lose Gruppe mächtiger und wohlhabender europäischer Fußballvereine, die den pseudopolitischen Namen „G14“ trägt, hat kürzlich verlangt, dass der Weltfußballverband Fifa sie finanziell entschädigt, wenn ihre Spieler in Weltmeisterschafts- oder Europameisterschaftsendspielen antreten. Als ich erklärte, dass ich fest entschlossen bin, diese exotisch anmutenden Geldforderungen nicht zu diskutieren, wollte ich damit keinen Streit beginnen. Ich wollte nur diejenigen unter den G14 – inzwischen gehören tatsächlich schon 18 Vereine zu dieser Gruppe, aber das tut nichts zur Sache –, die noch zuhören, bevor sie lamentieren, daran erinnern, dass sie ihre Ansprüche bei der falschen Institution angemeldet haben. Meine Kommentare haben heftige Reaktionen ausgelöst, aber sie waren nicht das Ergebnis einer autokratischen Laune sondern folgten aus abgewogener Analyse. Die Forderung der G14 nach Entschädigung für Vereine, die ihre Spieler für wichtige Turniere freistellen, sollte nicht an die Fifa gerichtet werden, sondern an die nationalen Fußballverbände. Sie erhalten schließlich den größten Teil der erzielten Einnahmen. Aber sich den bestehenden Verfahren zu beugen ist wohl für die wohlhabenden Vereine, die die hauptsächlichen Nutznießer solcher Kompensationszahlungen wären, weniger attraktiv, als schlecht beraten Soundbites in die Welt hinauszuschicken und viel Lärm zu machen (…) Unabhängig davon bin ich erschüttert über den Trend, dass die Mannschaften der wohlhabenden Vereine in England und anderswo zunehmend einem bunten Nationalitäten-Mischmasch gleichen. Viele Vereine lassen sich ihrem Land gar nicht mehr zuordnen sondern werden von ausländischen Legionären dominiert, deren Loyalität ausschließlich demjenigen gilt, der ihnen 30 000, 50 000 oder gar 100 000 £ pro Woche zahlt. Ich glaube nicht, dass elf Ausländer, die etwa für einen englischen Klub spielen, auf lange Sicht Fans mobilisieren und begeistern können, deren Jahreseinkommen deutlich unter dem Wochenverdienst eines Spielers liegt. Dagegen geht von den Nationalmannschaften nach wie vor eine ungebrochene Faszination für die Zuschauer aus. Aus der Internationalisierung des Klubpersonals lässt sich eine moralische wie auch praktische Lehre ziehen. Ich finde es nicht in Ordnung, um nicht zu sagen widerwärtig, wenn reiche Klubs ihre Späher nach Afrika, Südamerika und Asien schicken, um dort die vielversprechendsten Spieler zu „kaufen“. Diejenigen, die diese Spieler in ihren jungen Jahren trainiert und geformt haben, werden dabei in der Regel mit einer finanziellen Entschädigung abgespeist. Würde und Integrität werden immer nebensächlicher. Der Markt hat inzwischen Züge von Menschenhandel angenommen. Die führenden Klubs in Europa verhalten sich zunehmend wie Neokolonialisten, denen Herkunft und Kultur völlig egal sind und die die Entwicklungsländer auf sozial und wirtschaftlich unverantwortliche Weise ihrer besten Spieler berauben. Wenn wir nicht aufpassen, degeneriert der Fußball immer mehr zu einem Spielball der Gier.“

Prinz Fußball

Michael Horeni (FAZ 16.12.) freut sich über die Auszeichnung für Birgit Prinz: “Daß die Übernahme der Fußballmacht-Insignien – Weltfußballerin und Weltmeisterin – gerade in dieser lange Zeit männlichsten aller deutschen Welten nicht nur mit Respekt, sondern auch mit Begeisterung glückte, ist vor allem ein eindrucksvoller Beleg für gesellschaftlichen Wandel. Der trieb sogar in deutsche Fahnen eingehüllte Männer im Herbst auf den Frankfurter Römerberg, um die heimkehrenden Fußball-Weltmeisterinnen zu bejubeln; jene ausgezeichneten Vertreterinnen einer Sportart, die zu Kaisers Hochzeiten im Ansehen vielleicht mit Schlammcatchen konkurrieren konnte. Aber auch noch bis in die jüngste Vergangenheit gehörten spöttische und herablassende Bemerkungen der männlichen Kollegen zwar nicht zum guten, sehr wohl aber zum üblichen Ton. Nun ist es natürlich ein Zufall, daß ein Prinz männlich ist und daher vom Internationalen Fußball-Verband in Zürich keine Prinzessin aus Deutschland gekürt wurde. Aber bei einer Frau Prinz sind nicht nur seit je die linguistischen Geschlechtergrenzen fließend, sondern ganz aktuell auch die sportlichen. Denn der schillernd-clevere Boß des AC Perugia hat ihr das Angebot unterbreitet, einen Vertrag beim Klub der italienischen Serie A zu unterschreiben, was sportlich ein Witz ist, natürlich – und das kann man im Spiel mit Männern wörtlich nehmen. Aber der Marketing-Gag könnte Prinz Fußball wenigstens finanziell lachen lassen, von angeblich einer Million Euro ist die Rede. Das wäre ganz folgerichtig nur der letzte Schritt, wenn nach dem Respekt und dem Jubel nun auch diejenige Form der Anerkennung für die beste Fußballspielerin der Welt hinzukäme, um die sich im männlichen Fußball ohnehin längst alles dreht.“

FR: „Der ausscheidende DFL-Geschäftsführer Michael Pfad gründet eine Firma, die Partner der Liga werden und Infront ablösen soll.“

Vor dem finale resümiert die NZZ (17.12.) die U20-WM: „Machen die Südamerikaner im Nachwuchsbereich tatsächlich alles oder zumindest vieles besser als die Konkurrenz? Es hat den Anschein, denn es kann kaum auf Zufall beruhen, dass am Turnier der vierundzwanzig besten U-20-Teams mit Brasilien, Argentinien und Kolumbien gleich drei Halbfinalisten aus dem gleichen Kontinent stammen. Die gleichen Verbände stellten vor wenigen Monaten an der U-17-Weltmeisterschaft in Finnland ebenfalls jene Teams, welche unter die letzten vier vordrangen. Und exakt wie auch jetzt in den Vereinigten Arabischen Emiraten lautete auch damals im hohen Norden das Endspiel Brasilien – Spanien. In Helsinki siegten die Brasilianer. Ihre älteren Kollegen gehen am Freitag ebenfalls als Favoriten in die letzte von insgesamt 52 Partien des Turniers, das die lokale Bevölkerung in überraschend hohem Masse in die Stadien zu locken vermochte. Mehr als 9600 Besucher besuchten die Spiele durchschnittlich, 2,3 Tore fielen pro Partie. Besonders ausgelassen bejubelt wurden neben der einheimischen Equipe, die unerwartet bis in den Viertelfinal vorstiess, Ägypten sowie die südamerikanischen Vertreter. Während sämtliche vier afrikanischen Mannschaften bereits vorzeitig ausschieden und ausser dem Team des Veranstalters auch die asiatischen Auswahlen höheren Ansprüchen nicht genügten, erfüllten die Südamerikaner die in sie gesetzten Erwartungen. Spanien ist der einzige Uefa-Vertreter, der sich im Golf- und Wüstenstaat gute Noten verdient hat. Der europäische Nachwuchs liess an diesem Turnier viele Wünsche offen. Deutschland, England, Tschechien und die Slowakei scheiterten schon im ersten Teil des Wettbewerbs, renommierte Fussballnationen wie Italien, Frankreich oder Holland vermochten sich gar nicht erst für die Endrunde zu qualifizieren.“

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