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Die Situation bei Bayern München

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Die Situation bei Bayern München

Auf deutschen Sportseiten dreht sich momentan alles um die Situation bei Bayern München und „den seit Wochen unaufhaltsamen Niedergang einer Mannschaft, die als weißes Ballett in die Saison schwebte, sich in falscher Hoffnung zu Traumtänzern entwickelte und in Bremen nur noch wie eine Stolpertruppe vom Lande durchs Weserstadion irrlichterte“, wie die FAZ ungewohnt streng urteilt.

Während die sportliche Durststrecke dieses Klubs im Herbst 2001 hauptsächlich die Position des damaligen Führungsspielers Stefan Effenberg schwächte, sieht sich derzeit allerdings Trainer Ottmar Hitzfeld nach der erneuten 0:2-Niederlage in Bremen den Zurechtweisungen seitens des Boulevards, den so genannten TV-Experten und anderen Narren ungeschützt ausgesetzt. Wie nicht anders zu erwarten, tritt in solchen Zeiten so mancher Gernegroß als Kritiker in Erscheinung; und blamiert sich dabei so gut er kann. Das Ärgerliche daran ist, dass die nunmehr besserwissenden Breitner, Matthäus Co. dem renommierten Hitzfeld nicht im Ansatz das Wasser reichen können, zumal sie im Traineramt bisher nichts geleistet haben.

Darüber hinaus – und das ist für ihn viel fataler – ist der erfolgreichste Vereinstrainer des letzten Jahrzehnts in den Machtkampf der bayerischen Führungsriege geraten; und dort zwischen die Mühlsteine der persönlichen Eitelkeiten. Mit Hoeneß und Rummenigge hat der kürzlich von diesen aus dem Tagesgeschäft gedrängte Beckenbauer nämlich noch eine Rechnung offen. Der Moment der Schwäche, auf den der Degradierte gewartet hat, ist nun gekommen. Dabei scheint er nicht davor zurückzuscheuen, Hitzfeld für eigene Begierden und Einflusszugewinne zu opfern.

Weitere Themen: Auslandsfußball , Porträt über den deutschen Jungprofi Robert Huth (Chelsea London), Hintergründe aus Kaiserslautern u. Stuttgart, Zweite Liga in Frankfurt, Oberhausen, Duisburg u.v.m.

Werder Bremen – Bayern München 2:0 – und die Lage in München

Zur Situation von Hitzfeld lesen wir von Michael Horeni (FAZ 5.11.). „Der Mathematiklehrer Hitzfeld hat sich ein Bewertungssystem geschaffen, nach dem er die Beiträge der alten Münchner Meister über den Fußballlehrer Hitzfeld ordnet. Ganz unten auf der Kritikerrangliste befindet sich sein derzeit schärfster öffentlicher Ankläger und gnadenloser Richter in Personalunion, Paul Breitner. Weltmeister zwar, aber sonst nichts geleistet und nur fürs Stänkern bezahlt, da kümmert sich der Bayern-Trainer nicht um Parolen, die da lauten: Angsthasen-Fußball unter Hitzfeld, der Trainer muß weg. Eine kleine Stufe über Breitner – aber immer noch ziemlich weit unten – rangiert für ihn Lothar Matthäus. Weltmeister und Weltrekordnationalspieler zwar, aber als Trainerneuling gescheitert – auch da hört Hitzfeld kaum hin, wenn Matthäus in Bremen über teilnahmslose Bayern-Profis spricht. Was dagegen Udo Lattek, einst einer der erfolgreichsten Trainer der Welt, zu sagen hat, findet Hitzfeld durchaus bedenkenswert. Lattek stellte fest, daß mit dem Abschied von Stefan Effenberg die Hierarchie der Bayern-Mannschaft zusammengebrochen sei, der Trainer die verfehlte Einkaufspolitik nicht allein zu verantworten habe, aber seine Arbeit dennoch wohl nur auf Abruf erledigen könne – bis die Bayern einen Nachfolger gefunden haben. An der Spitze der Münchner Meinungshitparade steht, wie es sich gehört und niemand wundert, der Fußball-Kaiser (…) Was Hitzfeld so fein auseinanderhalten wollte, läßt sich im Münchner Meinungs-, Beziehungs- und Intrigenstadl aber nie und nimmer trennen. Breitner poltert dort, wo auch Beckenbauer als Kolumnist sein Geld verdient, aber derzeit schweigt. Da sich Beckenbauer als Aufsichtsratsvorsitzender vom Vorstandsvorsitzenden Rummenigge und Manager Hoeneß aus dem Tagesgeschäft gedrängt fühlt – auch wenn er diese Rolle mal anstrebte –, spart Beckenbauer auch nicht mehr an Spott und Kritik am Führungsduo, während Kapitän Kahn die Haudraufkritiker Beckenbauer und Rummenigge gegen den Schweiger Hoeneß ausspielt. In dieser Münchner Personalityshow als schwächstes Mitglied unbeschadet zu bleiben ist ein Kunststück, das Hitzfeld nicht mehr vollbringen wird.“

Michael Horeni (FAS 3.11.) erkennt „viele Zeichen, daß Oliver Kahn für den FC Bayern zu einem Rätsel geworden ist. „Mit ihm stimmt etwas nicht, irgend etwas paßt ihm nicht, das merkt man“, sagte Franz Beckenbauer schon vor gut zwei Wochen. Aber was? Der FC Bayern ist jedoch offenkundig bis heute nicht dahintergekommen, und das ist vielleicht das größte Versäumnis des Klubs in dieser Saison. Oliver Kahn hängt zwar ohnehin der Meinung an, daß – von höheren Mächten abgesehen – nur einer in der Lage ist, ihn zu verstehen: Oliver Kahn. Der Torwart vermittelt für viele allzuoft den Eindruck, daß sein Leben ein bißchen zu außergewöhnlich geraten ist, um es zu verstehen, wenn man dieses Leben nicht selbst lebt. Aber irgendwie kennt man diese Tragik ja schon seit der Antike: Titanen und Cesaren sind einsam. Wenn nicht alle Zeichen trügen, befindet sich Kahn aber tatsächlich in einem Dilemma, aus dem es keinen Ausweg gibt – und er darum weiß. Nicht nur Teamchef Rudi Völler ist der Meinung, daß der Gewinn der Champions League im vergangenen Jahr ohne Kahn nicht möglich gewesen wäre für den FC Bayern. Trotz der exzellenten Führungskräfte, trotz der Finanzkraft, trotz der großen Macht, über die der Münchner Rekordmeister verfügt – der Erfolg hängt von einzelnen Spielern ab, und Kahn ist sich seiner Rolle und seiner Verantwortung vollkommen bewußt.“

Wie könnte eine mögliche Zukunft Hitzfelds aussehen? fragt sich Joachim Mölter (FAS 3.11.). „Mit solch einem Lebenslauf muß man sich um die Zukunft keine Sorgen machen, sollte man meinen. Ottmar Hitzfeld aber macht sich offenbar welche. Manchmal erweckt er sogar den Eindruck, richtiggehend Existenzangst zu haben. Auf der anderen Seite: Wo will einer denn auch schon hin, wenn er mal beim FC Bayern München gearbeitet hat? In der Bundesliga ist das das Ende, da geht nichts mehr drüber, da kommt nichts mehr. Wer in den vergangenen zwei Jahrzehnten als Trainer beim FC Bayern engagiert war, hat sich danach entweder zur ruhe gesetzt (Udo Lattek), ist ins Ausland gegangen (Jupp Heynckes, Sören Lerby) oder irgendwo Nationaltrainer geworden (Erich Ribbeck in Deutschland, Otto Rehhagel in Griechenland, allerdings erst nach einem Intermezzo in Kaiserslautern). Der Posten des deutschen Bundestrainers, für den Ottmar Hitzfeld nach der EM-Pleite im Jahr 2000 im Gespräch war, ist nun langfristig besetzt von Rudi Völler. Da bliebe Ottmar Hitzfeld wahrscheinlich nur noch die Rückkehr in die Schweiz, wo er vor seinem Engagement in Dortmund jahrelang als Spieler und Trainer beschäftigt war. Dort ginge es zwar gemütlicher und friedlicher zu als beim umjubelten und umtrubelten FC Hollywood München – aber ob sich das mit seinem bekannten Ehrgeiz verbinden ließe? Für den General bedeutet Friede Frust.“

Andreas Burkert (SZ 5.11.) beleuchtet die Lage der Münchner. „Der FC Bayern ist nicht nur der Pfau des deutschen Fußballs, das Feindbild für seine Konkurrenz. Sondern längst auch ein Wirtschaftsunternehmen, dem nur Titel ordentliche Rendite garantieren. Noch wird Hitzfeld durch seine Reputation und den Mangel einer Alternative geschützt. Dennoch wird er vermutlich nur dann das Saisonende in München erleben, wenn rasch der Erfolg wiederkehrt. Wenn seine nicht von allen im Klub goutierte Variante der sensiblen Menschenführung nicht weiter Schaden anrichtet. Wenn die eklatante Vakanz auf den Führungspositionen einer Star-Auswahl, die er erschaffen durfte, vom Comeback der mannschaftlichen Geschlossenheit ausgeglichen wird. Überhaupt ist Hitzfeld in den nächsten Wochen auf Unterstützung angewiesen. Von der sportlichen Leitung, und von seinen Spielern. Die Wende im Alleingang zu erzwingen, dazu ist er nicht mehr in der Lage. Dafür hat sich seine Wirkkraft zu sehr abgenutzt, und Hitzfeld sollte diesen logischen Vorgang akzeptieren.”

Zur Niederlage in Bremen schreibt Michael Horeni (FAZ 5.11.). „In Bremen jedenfalls war rein gar nichts von einstiger bayerischer Stärke oder Widerstandskraft in der Krise zu sehen. Alle Appelle Hitzfelds an die Kampf- und Leistungsbereitschaft drangen zu den Spielern nicht mehr durch. Anstatt einer Trotzreaktion war bei den Bayern in der ersten Halbzeit nur Hilflosigkeit zu besichtigen, nach dem Wechsel Harmlosigkeit. Einige Spieler hielten dem Druck offensichtlich nicht stand (…) Neben der aktuellen Einstellung, die sich um fundamentale Notwendigkeiten im Bundesligafußball nicht mehr kümmert, haben die Bayern offenbar auch einen Kampf der Kulturen in ihren Reihen auszufechten. Wir haben unterschiedliche Philosophien von Fußball, sagte Linke, und es ist nicht schwer zu erraten, welche Tugenden der knorrige Verteidiger für die richtigen hält – und welche Philosophie die neuen kreativen Kräfte wie Michael Ballack und Zé Roberto aus Leverkusen zu ihren ehemaligen Bayer-Kollegen und brasilianischen Landsleuten mitgebracht haben. Der Bayer-Virus vom schönen Fußball als Ende der Münchner Erfolgsgeschichten?“

Andreas Burkert (SZ 5.11.) meint dazu. „Hitzfelds erstaunliche Zuversicht und seine öffentliche Gelassenheit sind derzeit die einzigen unumstößlichen Werte im Herbststurm, welcher das prachtvolle Gebilde einer vermeintlich großen Mannschaft recht herzlos eingerissen hat. Diese Mannschaft, das hat ihr verzweifelter Auftritt von Bremen manifestiert, sie liegt in Trümmern, und niemand weiß wirklich, wie die Renovierung gelingen könnte, nicht einmal Oliver Kahn, gewöhnlich ein überzeugender Vertreter der Immer-weiter-immer-weiter-Theorie (…) Einen Fortschritt haben die Bayern in Bremen dennoch gemacht, einen kleinen: Sie lamentieren nicht mehr. Niemand verfluchte nach der angemessenen Niederlage durch die Tore von Daun und Krstajic übergeordnete Mächte. Die Münchner waren in allen Anklagepunkten geständig: Kahn hat nun endgültig zugegeben, dass er sich in einer Sinnkrise befindet und als Leitfigur derzeit nicht zu gebrauchen ist , und seine Kollegen hadern nicht mehr über vergebene Chancen. Weil es ja kaum welche gibt. Gegen den kompakten SV Werder, zuvor viermal nicht siegreich, sah man nach der Pause nur Hargreaves und Santa Cruz in einer Szene, die Puristen als Torgelegenheit durchgehen ließen. Der Rest wirkte wie das kalkulierte Bemühen, kein Disziplinarverfahren wegen Arbeitsverweigerung zu riskieren.“

VfL Bochum – Hertha Berlin 3:0

Richard Leipold (FAZ 5.11.) über den Spieler des Spiels. „Dariusz Wosz dachte nicht daran, sich zu verstellen, wie es viele Kollegen nach solchen Erfolgserlebnissen tun, wenn sie behaupten, das Wiedersehen mit dem früheren Verein sei ein ganz normales Spiel gewesen. Für Wosz war es etwas Besonderes. Der Kreative ließ seiner Freude freien Lauf. Torhüter Kiraly hatte den Ball noch nicht aus dem Netz geholt, da entledigte sich der Torschütze schon seines blauen Trikots und eilte triumphierend zur Fantribüne. Jeder sollte sehen, was er drunter trägt; und jeder sollte wissen, daß der VfL, anders als einst die Hertha, mehr für ihn ist als ein Arbeitgeber. Ich bin ein Bochumer Junge, stand auf dem weißen Unterhemd geschrieben. Eine Liebeserklärung an die Stadt, in die er im Sommer vor einem Jahr zurückgekehrt ist, um auf dem Umweg über die zweite Liga noch einmal zu alter Stärke zu finden und als erstklassiger Fußballspieler wahrgenommen zu werden. Das Thema Hertha sei erledigt, sagt Wosz, der in der Hauptstadt nur am Anfang Spaß an Arbeit, Sport und Spiel gehabt hatte. An diesem Abend hat der Dreiunddreißigjährige sich von seinem Berliner Albtraum befreit und seinen sportlichen Frieden gefunden.”

Christoph Biermann (SZ 5.11.) dazu. „Drei Jahre verbrachte der kleine Mittelfeldspieler bei Hertha BSC. Und selbst wenn sein Transfer nach Ansicht von Manager Dieter Hoeneß in der Hauptstadt eine wichtige Etappe in Richtung Spitzenteam repräsentierte, wurde Wosz dort nur kurze Zeit so verehrt wie in Bochum eigentlich immer. Mit ihm wurde Hertha 1999 Dritter der Bundesliga, und im Jahr danach erzielte er in der Champions League den Siegtreffer über den AC Mailand, aber die Ambitionen wuchsen bald über Wosz hinaus. Als Beinlich und Deisler kamen, blieb für Wosz nur noch auf der Ersatzbank ein Platz. In Bochum hingegen gilt offenbar: Wenn es Wosz gut geht, geht es auch dem VfL gut. Als der Spielgestalter 1993 vom FC Halle kam, stieg Bochum direkt in die Bundesliga auf, 1996 gelang erneut der Wiederaufstieg. Im Jahr darauf qualifizierte sich das Team sogar für den Uefa-Cup und kam drei Runden weit. Als Wosz 1998 hingegen für gut 2,5 Millionen Euro nach Berlin transferiert wurde, tobten in Bochum die Fans. Der Trabant, mit dem Wosz immer zum Training gefahren war, wurde angezündet und brannte vor dem Stadion aus, als der Wechsel bekannt wurde. Anschließend stieg Bochum ohne ihn zum dritten Mal aus der Bundesliga ab. Seine Rückkehr im Sommer vergangenen Jahres wurde von vielen zunächst als ein Abstieg interpretiert.“

Auslandsfußball aus England, Italien, Spanien, Portugal, Schottland, Schweden u.v.m.

Aus Funktionärskreisen

„Noch müssen sich die Top-Manager vorkommen, als wären sie in einem Sportverein des vorigen Jahrhunderts gelandet.“ Martin Hägele (SZ 2.11.). „In Bandkes Rede trägt nur eine Person die Schuld an der miserablen Lage rund ums „Rote Haus“: jener MV, den man zum Abschied noch zum Ehrenvorsitzenden ernannte, für den aufwändige Hausparties organisiert wurden, und der zum Schluss immer höhere Aufwandsentschädigungen verlangte. Während die Aufsichtsratsmitglieder in Anbetracht der ständig steigenden Schulden persönliche Bürgschaften zeichneten, verlangte der Finanzminister a. D. zur stattlichen Rente noch ein Direktorengehalt. Man einigte sich schließlich auf 25.000 Mark im Monat und ein als Aufwandsentschädigung deklariertes Darlehen von mehreren hunderttausend Mark, das nicht zurückgezahlt werden musste. Gefallen hat diese Abrechnung mit dem ehemaligen Präsidenten nicht allen im Beethoven-Saal der Liederhalle. Auch die Staatsanwaltschaft Stuttgart beschäftigt sich ja wegen des Verdachts der Untreue mit den Vorgängen der MV- Ära. Ganz besonders dem neuen Aufsichtratsvorsitzenden Dieter Hundt passte diese öffentliche Aufarbeitung der VfB-Vergangenheit nicht ins Konzept. Wieso sich gleich mit einem alten Weggefährten anlegen, obendrein einem Mann, der als DFB-Präsident und Mitglied von Fifa- und Uefa-Exekutive im Welt-Fußball Strippen zieht? (…) Um die Serie von Geduldsspielen in einem Talentschuppen mit zehn Profis aus der eigenen Jugend- und Amateurabteilung durchzuziehen, müssen die neuen Controller vor allen Dingen das Klima verbessern und den Mief aus den Büros der alteingesessenen Angestellten zum Fenster hinausjagen. Diese Aufgabe ist um einiges schwerer als der Job der Mannschaft.“

Martin Hägele (NZZ 5.11.) zur sportlichen und finanziellen Lage der Schwaben. „Vor allem die jungen Leute im Kader, von denen zehn aus dem eigenen Jugend- und Amateurbereich kommen, haben kapiert, welche Aufstiegschancen die Finanznot ihnen geboten hat. Auch das Publikum im Daimler-Stadion identifiziert sich immer mehr mit diesem Sparprogramm. In den Schlagzeilen der Sportpresse wird der Talentschuppen des Trainers Felix Magath längst als „die jungen Wilden“ bezeichnet. Und fände nicht gerade jetzt die grosse Regierungskrise im Fussballstaat Bayern statt, wäre der 1:0-Auswärtssieg des VfB in Leverkusen am Wochenende mitsamt dem positiven sportlichen Trend des vergangenen Monats noch viel mehr gewürdigt worden. Zusammen mit den grossen Namen und Stars in der Nachbarschaft geht man nun in eine richtungsweisende, vielleicht sogar schicksalhafte Woche. Während Ottmar Hitzfeld in München nur zwei Erfolge gegen Hannover und Borussia Dortmund vor dem grossen Knall retten können, bietet das VfB-Programm dieser Woche die Chance, einmal ordentlich die Kurve nach oben zu kriegen. Am Mittwoch im Cup in der BayArena den Coup aus der Liga wiederholen; am Samstag den VfL Bochum in seinem guten Lauf stoppen und danach den Platz tauschen; nächsten Dienstag ein Pflichtsieg gegen Ferencvaros Budapest für die dritte Runde im Uefa-Cup – das sind die Träume. Doch wo es Träume gibt, gibt es auch Ängste. Und im VfB wissen sie jetzt schon genau, was dann kommt. Ohne das Zusatzgeschäft aus dem nationalen und internationalen Geschäft muss das Tafelsilber verkauft werden. Der erste Kandidat dafür wäre Marcelo Bordon, der brasilianische Abwehrchef. Das wäre kein gutes Signal. Deshalb spielt die Mannschaft derzeit nicht nur für ihr Gehalt und den sportlichen Ruf, sondern auch dafür, dass ihnen ihr Libero erhalten bleibt.“

Vor der heutigen Jahreshauptversammlung in Kaiserslautern wirft Peter Heß (FAZ 5.11.) ein. „Der ungeliebte ehemalige Vorstandsvorsitzende Jürgen Friedrich stellt keine Machtansprüche mehr. Mit René Charles Jäggi ist ein Nachfolger gefunden, den so gut wie alle Gruppierungen im Verein für einen fähigen Mann halten. Der ehemalige Oppositionsführer Kirsch, der viel Porzellan zerschlug, spielt praktisch keine Rolle mehr, er hat sich selbst diskreditiert. Die finanzielle Situation ist wegen der Bürgschaft, Jäggis Verhandlungsgeschick, dem Verzicht der Mannschaft auf 1,5 Millionen Euro und des Verkaufs der Werberechte von Miroslav Klose für fünf Millionen Euro nicht mehr zum Zerreißen gespannt. Die Reizfiguren sind verschwunden, die finanzielle Not überwunden. Dennoch könnte eine Schlammschlacht auf der Jahreshauptversammlung den Weg in eine geordnete Zukunft verzögern. Denn 37 Kandidaten bewerben sich für die fünf auf der Versammlung vergebenen Plätze im Aufsichtsrat, darunter alle bisherigen Mitglieder. Durch Schuldzuweisungen erhoffen einige, ihre Aussichten auf die Wahl oder Wiederwahl erhöhen zu können.”

Uwe Marx (FAS 3.11.). „Foul! Ganz mies! Raus mit ihm! Wir sind beim Fußball. Wenn auch nicht auf dem Fußballplatz. Am fleißigsten ausgeteilt wird derzeit nämlich woanders: in den Chefetagen der Bundesliga. Hier wird beinahe flächendeckend gezerrt und geschubst, attackiert und verteidigt, daß die Tabelle nach den jüngsten Runden in der Disziplin Nachtreten in Nadelstreifen so aussieht: Erster – der 1. FC Kaiserslautern: Dort wurden in den vergangenen Wochen zwei Vorstandsmitglieder, darunter der Vorsitzende, ausgewechselt. Der Chef des Aufsichtsrats hatte schon zuvor die Rote Karte gesehen. Nun klagt der neue starke Mann im Verein über gnadenlose Mißwirtschaft und eine falsche Transferpolitik der alten Führungsriege. Ein paar Strafanzeigen kamen auch noch ins Spiel. Zweiter, einige Streitpunkte dahinter – der VfB Stuttgart: Hier klagte ein Mitglied des Aufsichtsrates bei der Jahreshauptversammlung, der frühere Vereinspräsident sei nicht teamfähig gewesen und habe den Verein ungeheure Summen gekostet, weil er zu schlechte Spieler zu teuer eingekauft habe. Wie passend, daß gegen den Angegriffenen, mittlerweile Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, immer noch die Staatsanwaltschaft ermittelt; es geht unter anderem um beachtliche Aufwandsentschädigungen in seiner Amtszeit. Dritter in der Mobbing-Liga – der Hamburger SV: Hier schickte der Aufsichtsrat den Vorsitzenden des Vorstandes unlängst vorzeitig in den Ruhestand. Eine Trennung, die sich nach Wochen des Mißtrauens und der schleichenden Entmachtung angedeutet hatte – kein lauter Knall zwar, aber ein stetes Grollen (…) Mit der Beaufsichtigung haben es einige der jetzt schimpfenden Aufpasser offenbar nicht so genau genommen. Erst ihre Schwäche hat die Stärke und den Allmachtsanspruch mancher Vereinsfürsten ermöglicht. Deshalb klingt ihr wortreiches, aber verspätetes Lamento hohl.“

Zweite Liga

Roland Leroi (FR 5.11.) schreibt über den Trainerwechsel in Duisburg. „Man darf getrost davon ausgehen, dass Littbarski seinen Abgang bewusst provozierte. Mittlerweile dämmerte ihm, was er früher nie wahrhaben wollte. Der MSV kommt auch in dieser Saison nicht über biederes Mittelmaß hinaus. Das war aber für ihn, den Weltmeister von 1990, der so gerne über offensiv-attraktiven Fußball referiert, kein befriedigender Anspruch. Und dann wurde auch noch fortlaufend Kritik laut. Die Fans stellen sich gegen Littbarski, dem Coach wurde permanent vorgehalten, dass er im Sommer acht Wochen WM-Urlaub in Japan machte, anstatt sich um die Mannschaft zu kümmern. Hinzu kam die sportliche Bilanz: In 47 Pflichtspielen unter Littbarskis Regie wartete das Umfeld vergeblich auf den versprochenen Aufschwung. Von Bernard Dietz muss Hellmich keine Extratouren befürchten. Der heute 54-Jährige, der 395 Bundesligapartien für den MSV bestritt und neulich von den Fans zum Jahrhundertspieler gewählt wurde, identifiziert sich voll mit seinem Verein. Nur weil der MSV anklopfte, erklärte sich Dietz bereit, kurzfristig auf die Bühne des bezahlten Fußballs zurückzukehren. Noch vor einem Jahr hatte er als Cheftrainer des VfL Bochum hingeworfen und dem Profifußball abgeschworen. In Duisburg mussten sie daraufhin viel Überredungskunst anwenden, um Dietz wenigstens für den Nachwuchsbereich engagieren zu können.“

Jan Christian Müller (FR 4.11.) schreibt über Frankfurter Aussichten. „Ein Blick auf die Tabelle zeigt, wie groß die Chance der Eintracht in dieser Saison ist, überraschend dabei zu sein im ernsthaften Interessentenkreis für einen Bundesligaaufstieg. Hinter den drei Schwergewichten Köln, Frankfurt und Freiburg drängt sich niemand sonderlich aggressiv auf. Und die Art und Weise, wie die Mannschaft sich auf dem Platz darstellt, erinnert an jene Zeit unter Horst Ehrmantraut, als die einst so schöne Eintracht zum Kämpfer-Klub mutiert war und die für den erstmaligen Abstieg aus der Bundesliga verantwortlichen Führungsspieler Köpke, Binz, Schupp, Zelic und Okocha durch die Nikolov, Schur, Zampach, Brinkmann und Epp ersetzt worden waren, Männer, die für eine andere Art Fußball standen: Für Kampf und Hingabe, nicht mehr für die typische Frankfurter Fußballtradition.”

Christoph Biermann (SZ 4.11.) war beim Spitzenspiel zwischen Oberhausen und Köln. „19.135 Besucher waren es am Freitagabend sogar, und fast wäre das Niederrhein-Stadion zum ersten Mal in seiner Geschichte ausverkauft gewesen. Immerhin war die Kulisse beim Spitzenspiel der zweiten Liga der beste Besuch seit fast dreißig Jahren. Die Fans saßen auf den Zäunen, hockten auf den Dächern der Würstchenbuden und lugten gar vom Damm der Emscher kostenfrei hinüber. Das Punktspiel hatte die Atmosphäre einer Partie im Pokal, wenn der Große den Kleinen besucht. Weil die Mehrzahl der Zuschauer aus Köln angereist war, geriet auch die örtliche Polizei in großer Aufregung. Martialisch trat sie auf und hantierte etwas zu freigiebig mit Pfefferspray. „Das war unterste Schublade“, fand Kölns Libero Thomas Cichon, der bei der Verabschiedung der mitgereisten Fans nach dem Spiel selbst etwas vom Tränengas abbekommen hatte. Ein wenig überfordert wirkte Oberhausen mit dem großen Match, allerdings nicht auf dem Rasen, denn dort reichte es zu einem 2:2 gegen den Aufstiegsfavoriten vom Rhein. Das Remis hält Rot-Weiß Oberhausen in Sichtweite der Aufstiegsplätze, auch wenn davon niemand etwas hören will.“

Zur Lage in Unterhaching SZ

Weiteres

Hartmut Scherzer (FAZ 2.11.) erzählt die Story eines besonderen Fußballfans. „Andreas Schuster ist sehr enttäuscht. Wie jeder bekennende Gladbach-Fan auf der Nordtribüne grämt sich auch der korpulente Mann aus Wetzlar über die Heimniederlage gegen 1860 München. Gladbach hat erst keinen rechten Zugang zum Spiel gefunden und nach dem 0:1 dann keinen richtigen Druck entfacht, kommentiert der Stehplatzbesucher den Auftritt der Borussia. Ein Unentschieden, findet er, wäre dem Spielverlauf dennoch angemessen gewesen. Schließlich hatte Gladbach drei hochkarätige Chancen, wie den Hinterhaltschuß von Stassin, den Torwart Jentzsch toll parierte. Die Einschätzung ist bemerkenswert: Andreas Schuster hat das Spiel überhaupt nicht gesehen. Er ist von Geburt an blind. Was den Einunddreißigjährigen nicht hindert, ein, wie er sagt, Fußballverrückter zu sein und Spiele in den Stadien der Bundesliga, vorzugsweise auf dem Bökelberg, zu verfolgen. Die Akustik und die Atmosphäre machen Fußball für ihn zum Erlebnis (…) Mit einem nur sehbehinderten Freund fuhr Andreas Schuster im Zug fast zu jedem Heimspiel nach Mönchengladbach. Hand in Hand tasteten sich die beiden Behinderten zu den unteren Stufen der Nordtribüne hinab, dort, hinterm Tor, wo sich die Geräusche vom Platz und die Kommentare von den Rängen treffen. Aus dem Sammelsurium von Pfiffen des Schiedsrichters, Zurufen der Spieler, Reaktionen der Zuschauer und Schilderungen des Begleiters macht sich Andreas Schuster mit höchster Konzentration über neunzig Minuten sein Gedankenbild vom Spielverlauf (…) Für zwei Stunden sieht Andreas mit meinen Augen. Ich schildere ihm alles, was ich auf dem Spielfeld sehe. Inbrünstig singt Andreas das Vereinslied mit und stimmt kräftig bei der Bekanntgabe der Gladbacher Aufstellung in das Echo der Nachnamen ein. Der Fußballtag ist ein Festtag in seinem Leben ohne Licht. Seine Umgebung nimmt kaum Notiz von dem Fan mit den gelben Blindenbinden an beiden Armen – und wenn, dann mit Respekt. Beim Torjubel jubelt er mit. Doch abseits. Vor dem Abseitstor der Sechziger hat sein ausgeprägtes Gehör den Pfiff vernommen. Da war er sozusagen mit dem Schiedsrichter auf Augenhöhe und den Sehenden voraus. Er gibt Entwarnung. Das zweite Aufstöhnen im Stadion signalisiert ihm dann den korrekten Münchner Treffer (…) Schuster schafft sich seine Bilder nach seinen Wahrnehmungen durch Anfassen, Abtasten und Beschreibung. Wie weit die Vorstellungen in seiner dunklen Welt dann mit der Realität der Sehenden identisch sind, werde sich nie in letzter Konsequenz klären lassen. Das gilt auch und vor allem für das Fußballspiel. Das ist kein Gegenstand, den er durch Berühren begreift. Das Stadion kann er sich vorstellen: Wie eine große rechteckige Schüssel. Die Vereinsfarben von Borussia Mönchengladbach, weiß er, sind Grün-Weiß-Schwarz. Aber er hat keinerlei Vorstellung von Farben. Die kann ich nicht anfassen. Farben kann man mir auch nicht erklären.“

Michael Eder (FAZ 2.11.) erzählt die Geschichte eines anderen besonderen Fußballanhängers. „Sparen, das lernen wir täglich von höchster Stelle, ist nicht etwa, weniger Geld auszugeben, sondern es den anderen gekonnter aus der Tasche zu ziehen. Dazu braucht, wer nicht gerade in der Regierung sitzt, eine passende Idee. So eine wie Union Berlin zum Beispiel. Der Fußball-Zweitligaverein hat im Internet für die Partie gegen Eintracht Frankfurt einen Platz auf der Ersatzbank versteigert. Siehe da: Der Zuschlag ging für 2096,52 Euro an einen Fan namens Adi. Pech für die Berliner: Adi kommt aus Frankfurt, aber was soll’s? Jedenfalls ist das eine hübsche Geschäftsidee, die sich locker ausbauen ließe bis hin zu einer Ersatzbank mit lauter Eintracht-Fans. Und könnte einer von ihnen auch noch als Berliner Trainer wirken, nicht auszudenken, was da zu verdienen wäre. Alles wunderbar also? Nicht ganz, denn unterdessen hat die Deutsche Fußball Liga die Aktion humorlos abgegrätscht mit dem Hinweis auf Paragraph drei ihrer Spielordnung, die besagt, daß auf der Auswechselbank nur Ersatzspieler sowie medizinisches und technisches Personal sitzen dürfen. Zugegeben, Adi fällt in keine der genannten Kategorien. Noch nicht. Vorschläge, dies zu ändern, gibt es viele. Ein Tagespraktikum als Zeugwart wäre nicht die schlechteste aller Möglichkeiten, aber auch innerhalb der medizinischen Abteilung der Berliner könnte sich Adi nützlich machen, schließlich pflegt der großflächig tätowierte Frankfurter regelmäßig einen mit alkoholischer Flüssigkeit gefüllten Kanister mit sich zu führen, dessen Inhalt auch bei der Behandlung von Sportverletzungen Verwendung finden könnte. Wie auch immer, zwischen Frankfurt und Berlin wird fieberhaft nach Möglichkeiten gesucht, um zu erreichen, daß Adi doch noch seinen verdienten Platz auf der Union-Bank einnehmen kann. Probleme, beteuern die Frankfurter Fans vorab, seien ausgeschlossen. Zwar habe Adi, wie er zugibt, schon im Knast, aber noch nie auf einer Ersatzbank gesessen, dennoch werde er sich dort zu benehmen wissen. Seine Kumpel aus Frankfurt haben ihm vorsichtshalber einen wichtigen Hinweis mit auf den Weg gegeben. Wenn er im Eifer des Gefechts ein Union-Trikot zusammenfalten sollte, so ihr Tip, müsse er sich in jedem Fall zuvor versichern, daß kein Berliner Spieler mehr darin stecke. Man sieht: Alle Beteiligten geben sich große Mühe, damit die Berliner Geldbeschaffungsmaßnahme doch noch zu einem ungetrübten Erfolg wird.“

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