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Die Sonntagsspiele der Bundesliga in Stuttgart und München
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| Donnerstag, 25. März 2004
VfB Stuttgart – Borussia Dortmund
Martin Hägele (SZ 11.2.) erfreut sich an Stuttgarter Bescheidenheit „Man mag sich kaum vorstellen, wie manch einer von Magaths lauten Vorgängern, Winfried Schäfer oder Christoph Daum etwa, nach solch einem wunderbaren Abend mit über 40.000 glücklichen Anhängern auf einen 1:0-Sieg gegen den Meister Borussia Dortmund reagiert hätten. Vermutlich hätten sie sich sofort zu offiziellen Bayern-Jägern ausgerufen. Magath hat das nicht getan, obwohl der VfB nur wegen der schlechteren Tordifferenz noch hinter Dortmund auf Platz drei liegt. Man könne nicht ständig seinen Kurs korrigieren, sagte Magath, man habe ja schon in der Winterpause das ursprüngliche Saisonziel angehoben. In einer andern Stadt oder mit einem anderen Kader herrschte jetzt Alarm eins, die Vorstufe zum Größenwahn. Der Stuttgarter Musterjahrgang 02/03 kommt auch seinem Meister gefeit vor gegen die branchenüblichen Prozesse. Wo endet der Lauf dieser Sonderklasse hochbegabter und äußerst lernwilliger Kicker? (…) Ähnlich wie den preisgünstigen Überfliegern aus Stuttgart der Himmel offen zu stehen scheint, hat das Dortmunder Star-Ensemble seine Grenzen erkennen müssen. Die Champions vom vergangenen Mai mussten am Neckar wohl nicht nur den Traum von der Titelverteidigung abschreiben. Menschen mit den Ambitionen, die in Dortmund mittlerweile dazugehören, haben kritisch registriert, wie die Rosicky, Ewerthon, Amoroso und Koller von den Lehrlingen der Magath-Schule nicht nur neutralisiert, sondern kontrolliert worden sind. Solche Urteile hasst Trainer Sammer, er mag es nicht, wenn seinem Team schon wieder ein Rückschlag attestiert wird. Das Grummeln der Anhänger und die Suche nach der Form des Vorjahres gehen weiter. Und die Geräusche werden lauter, je näher die Spiele gegen Real Madrid rücken.“
Über die Reaktionen nach dem Spiel lesen wir von Oliver Trust (FR 11.2.). “Über Schwaben geht das Gerücht, sie wüssten genau, wo am billigsten einzukaufen sei. In der Tat verkaufen sich die Schnäppchenführer nirgendwo anders besser als in Baden-Württemberg. Und es macht Schwaben besonderen Spaß, wenn sie viel günstiger als andere ein Markenprodukt nach Hause schleppen. Auch deshalb war es ein besonderer Sieg über den deutschen Fußball-Meister Borussia Dortmund, über diese Mannschaft der millionenschweren Stars. 43.000 Zuschauer machten ein Fußballfest daraus, als die Mannschaft der jungen, wilden Billigkicker auf Platz drei der Tabelle stürmte, nur durch die Tordifferenz vom Zweiten aus Westfalen getrennt. Über Das Wunder von Stuttgart steht fast jeden Tag etwas in den Zeitungen, weil die Burschen, die teilweise für 10.000, 15.000 Euro im Monat spielen, diejenigen schlugen, die ein paar Nullen mehr auf dem Kontoauszug stehen haben. Die Verlierer hatten es eilig am Sonntagabend. Nur schnell weg. Die Krawatten saßen schief, die Gesichter sahen bedrückt und fast grantig aus. Wir müssen mehr Ausstrahlung zeigen und mehr Selbstvertrauen, sagte Dortmunds Kapitän Stefan Reuter. Warum sie es partout nicht hin bekommen, endlich selbstbewusst schönen Fußball zu zeigen, wusste keiner. Von Meisterschaft oder so was brauchen wir gar nicht zu reden, sagte Sportdirektor Michael Zorc. Torsten Frings sagte klagend: Wir müssen eher nach unten schauen. Und Trainer Matthias Sammer meinte seltsam ernüchtert: Die Meisterschaft interessiert mich überhaupt nicht. Die Angestellten der Aktiengesellschaft zogen sich in die Einsamkeit zurück. Den schwäbischen Jubelarien wollten sie nicht länger zuschauen.“
Roland Zorn (FAZ 11.2.) meint zum selben Thema. „Traumatisch war dieser für sie trübe Sonntag nicht einmal für die Dortmunder Verlierer, die sich darum bemühten, gelassen zu bleiben. Trainer Matthias Sammer, sonst schon mal ein Hitzkopf, zog sogar eine am Sonntag verwegen anmutende Parallele zur vorigen Saison, als sein Team an derselben Stätte 2:3 verlor – und später doch noch den Titel gewann. Da sah es auch so aus, als ob alles vorbei wäre, und dann haben wir doch noch die Kurve bekommen. Wollen die Westfalen, nun schon um acht Punkte hinter Tabellenführer FC Bayern München zurückgefallen, in Zukunft geradewegs und geradeheraus Pluspunkte gegenüber dem Rekordmeister sammeln, müssen sie allerdings in der Hauptsache wie Champions auftreten. Wir müssen auswärts eine bessere Ausstrahlung haben, forderte Spielführer Stefan Reuter. Dem altgedienten defensiven Mittelfeldspieler war die zögerliche, abwartende Grundhaltung manches Kollegen negativ aufgefallen. Erst mal nicht in Rückstand geraten und dann sehen, wo sich eine Chance auftut: So agiert auf Dauer kein Meister mit dem Anspruch, die Nummer eins seiner Klasse zu bleiben. Was daraus die Konsequenz sein muß, erklärte Sportmanager Michael Zorc zur Dortmunder Klassenarbeit: Es wäre utopisch, jetzt von der Meisterschaft zu sprechen. Wir müssen eher nach unten schauen und unsere Hausaufgaben machen. Die hausinternen Examina fragt beim VfB Felix Magath mit Akribie ab. Mit den besten Ergebnissen für Magaths Schulklasse, wie sich beim dritten Rückrundensieg in Serie zeigte. Die nach der Winterpause bisher erfolgreichste Bundesliga-Mannschaft sei weiter gereift, lobte ihr Lehrer. Denn gegen Dortmund war nicht jugendlicher Überschwang, sondern die von den erfahrenen Balakow und Soldo vorneweg beherzigte Fähigkeit gefragt, Geduld zu zeigen und einen schwachen Dortmunder Moment auszunutzen. So ein Spiel, hob der VfB-Trainer hervor, hätten wir vor einem Vierteljahr nicht gewonnen, inzwischen aber sind wir cleverer im Umgang mit dem Gegner.“
Dortmunder Reaktionen Tsp
Bayern München – Hamburger SV 1:1
Joachim Mölter (FAZ 11.2.) schreibt. „Für den FC Bayern München traf es sich ganz günstig, daß am Sonntag abend der Hamburger SV zur Bundesligapartie ins Olympiastadion kam, denn der brachte seinen neuen japanischen Stürmer Naohiro Takahara mit, samt 28 Landsleuten aus der Medienbranche. Eine prima Gelegenheit also, die geplante Eroberung des japanischen Fußball-Marktes zu verkünden. In einer auch in japanischen Schriftzeichen verteilten Presseinformation ließ der FC Bayern jedenfalls vor dem Spiel wissen, wie er demnächst in Kooperation mit seinem Sponsorenpartner adidas an die japanischen Geldbeutel gelangen will, nämlich mit Engagement, Intensität und einem erstklassigen Konzept, wie Bayern-Vorstandsvorsitzender Karl-Heinz Rummenigge zitiert wurde. Daß Takahara in letzter Spielminute einen Kopfball ganz günstig zum 1:1 traf, gehörte wohl eher nicht zum erstklassigen Konzept der Münchner. Die haben aber trotz des Unentschiedens ihren Vorsprung an der Tabellenspitze vergrößert, weil Titelverteidiger Borussia Dortmund gleichzeitig in Stuttgart verlor, und deshalb war Trainer Ottmar Hitzfeld dann auch nicht ganz so kritisch: Zehn Punkte Vorsprung wären schön gewesen, aber auch mit acht kann man gut leben. Und ein paar andere gute Aspekte konnte man dem Tor von Takahara außerdem abgewinnen: Dann sieht man, daß es in der Bundesliga doch nicht so einfach ist, fand Bayern-Torhüter Oliver Kahn angesichts des Engagements seiner Vorderleute, das nach dem 1:0 durch Claudio Pizarro (11. Minute) und einiger weiterer Torchancen mit zunehmender Spieldauer nachließ. Da muß mehr kommen von der Mannschaft, das ist zuwenig, forderte er im Hinblick auf kommende Aufgaben.“
Zur Bedeutung des Spiels heißt es bei Ralf Wiegand (SZ 11.2.). „Die Bayern suchen angesichts fehlender Feindbilder nach internen Herausforderungen, für Kahn war es eine, irgendwie 800 Minuten ohne Gegentreffer zu überstehen, was noch keinem Torwart zuvor gelungen war, nicht einmal Kahn selbst. „Die 800 wollte ich schon erreichen“, sagte er später, als er aus der Einsiedelei der Umkleide zurück gekehrt war. Dass es allerdings ziemlich genau nur 800 wurden, exakt 802, weil der Japaner Naohiro Takahara in der Nachspielzeit zum 1:1 für den Hamburger SV traf, hätte auch wieder nicht sein müssen. „Ärgerlich“ fand Oliver Kahn das. Man sah ihm an: ungefähr so ärgerlich wie ein Mückenstich. Mehr ist momentan nicht drin für die Bundesliga, als den Bayern irgendwelche virtuellen Rekordstatistiken zu versauen. Angesichts der Schwäche aller potenzieller Bayern-Jäger, der Dortmunder, der Bremer, der Schalker, findet die Bedrohung für den Tabellenführer generell nur noch im Konjunktiv statt, was sich dann so anhört: „Wenn die Konkurrenz gewonnen hätte, hätten wir jetzt schon vier Punkte von unserem Vorsprung verloren“ (Oliver Kahn). Oder: „Wenn wir gewonnen hätten, wären es zehn Punkte Vorsprung, jetzt sind es nur acht“ (Niko Kovac). Oder: „Daran sieht man, wie schnell es gehen könnte“ (Karl-Heinz Rummenigge). Zwei Unentschieden hintereinander, zuvor stand ein 0:0 in Bielefeld, und trotzdem den Vorsprung an der Spitze ausgebaut – so viel Großzügigkeit der anderen hätte der FC Bayern gar nicht nötig. Um die interne Spannung aufrecht zu erhalten, stilisierten die Münchner das 1:1 gegen schwache Hamburger zur heilsamen Lehre. Deswegen redete Kahn auch eisern davon, das Spiel sei „kurz vor Schluss verloren“ gegangen. Welch ein Luxus, sich Niederlagen selbst einreden zu dürfen.“
Jörg Marwedel (SZ 8.2.) porträtiert den HSV-Trainer. „Nicht, dass Kurt Jara nicht selbst schon Erfolge gehabt hätte. Sechs Meistertitel hat er als Trainer gewonnen. In seiner Heimatstadt Innsbruck haben sie ihn gar zum „König von Tirol“ ausgerufen. Aber es waren eben Titel in der Schweiz und in Österreich. In Hamburg dagegen hat er seit seinem Dienstantritt vor 16 Monaten erst einmal gelernt, was es bedeutet, in der norddeutschen Tiefebene zu arbeiten. Oft spielte der HSV schlecht, und die Punkte blieben aus. Wenn er zum Training fuhr, wies ihm ein von Fans gemaltes Schild am Straßenrand höhnisch die Richtung: „Nach Innsbruck links abbiegen.“ In der AOL-Arena sangen sie zur Melodie von „Heidi“: „Jara, deine Welt sind die Berge.“ Es war die Zeit, als nichts voranzugehen schien bei dem Traditionsklub. Und Jara tat einiges dazu, die Zweifel an seiner Person zu schüren: Die von ihm geholten Landsleute Baur und Kitzbichler erwiesen sich als Flops. Als der damalige Sportchef Holger Hieronymus das letzte Geld des Klubs verjubelte, um für vier Millionen Euro den noch grünen Argentinier Cristian Ledesma zu verpflichten, hat der Trainer erst nachgegeben und dann ausgeplaudert, Ledesma sei alles andere als sein Wunschspieler. Zudem verblüffte Jara mit einem radikalen Sinneswandel: Schwärmte er nach der Saisonvorbereitung, das Team sei fit für die Rückkehr in den internationalen Fußball, klagte er vier Spiele und drei Niederlagen später, ihm fehlten „die richtigen Typen“, ein weiterer Neubeginn sei nötig. Dieser Salto kostete ihn zunächst Glaubwürdigkeit und beinahe auch den Job. Doch es war Jaras vorerst letzte Krise in Hamburg. Der angedrohte weitere Schnitt beschränkte sich letztlich auf das Aussortieren des behäbigen Altstars Jörg Albertz, und die Mannschaft erlangte Stück für Stück mehr Stabilität, was der Trainer mittels Zahlen belegen kann: 17 Punkte holte der Hamburger SV im Herbst 2001, 23 im vergangenen Frühjahr, 25 in der Vorrunde dieser Saison. Platz 15 belegte das Team, als er kam, Rang sechs hat es vor dem Gastspiel am Sonntag beim FC Bayern München erreicht. Und Kurt Jara sagt: „Ich spüre zum ersten Mal, dass die Leute anfangen, mich zu akzeptieren.“ Das ist viel für einen, der nie ein Publikumsliebling war.“
Interview mit HSV-Vorstandschef Bernd Hoffmann FAS
Christoph Biermann (SZ 11.2.) über den Asien-Trend. „„Irgendwann werden wir in China mehr Fanartikel verkaufen als in Deutschland“, glaubt Willi Kühne, Merchandising-Leiter von Borussia Dortmund. „Letzte Woche stach mir in China überall das Trikot von 1860 München in die Augen“, sagt er. Nach seinem ersten Bundesligaspiel für die Löwen war Jiayi Shao auf dem Titel fast aller Zeitungen. Mit Bewunderung und etwas Neid konstatiert Kühne das, denn der deutsche Meister war als erster Bundesligaklub gezielt auf dem asiatischen Markt aktiv. Im Mai vergangenen Jahres hatte Kühne auf einer Fußballmesse in Shanghai festgestellt, dass die Chinesen an Borussia Dortmund sogar mehr Interesse hatten als an den Klubs aus Italien. Daher wurde im September ein chinesischer BVB-Fanklub gegründet, die Homepage des Klubs gibt es inzwischen auf Mandarin, und bald wird der Vertrag mit einem chinesischen Partner abgeschlossen, um Trikots und Fanartikel im bevölkerungsreichsten Land der Welt zu verkaufen. Würde Trainer Matthias Sammer einen Chinesen verpflichten, Kühne würde „einen dreifachen Salto schlagen“, denn damit kämen die Geschäfte richtig in Schwung. So aber saßen rund 230 Millionen Chinesen vor dem Fernseher, als Shao vor zehn Tagen bei München 1860 debütierte und die Blauen wenigstens einmal die Roten abhängten. Bayern München hat noch keinen asiatischen Spieler und muss sich bei der jüngst annoncierten Expansion nach Fernost auf den legendären Ruf von Kahn und Ballack verlassen.“
dazu auch NZZ
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