indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ballschrank

Die Spielverderber sind zurück

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Die Spielverderber sind zurück

Ronald Reng (Berliner Zeitung 24.4.) resümiert ebenso entsetzt. “Hart knallte die Wahrheit all jenen ins Gesicht, die naiv genug waren zu glauben, erfolgreicher Fußball sei im 21. Jahrhundert immer auch mutig und elegant. Die Spielverderber sind zurück. Mit diesem schrecklichen Pragmatismus, der den italienischen Fußball schon seit Jahrzehnten prägt, erreichte Juventus genauso wie Inter Mailand, das im anderen Duell vom Dienstag den FC Valencia ausschaltete, das Halbfinale. Manchester United, Real Madrid, sogar Bayern München – es waren die Mannschaften, die nicht nur gewinnen, sondern auch spielen wollten, die zuletzt den Europacup prägten. Als der AC Mailand zu Beginn dieser Saison plötzlich betörende Fantasie in sein Spiel mischte, sah es so aus, als würden selbst aus den italienischen Zynikern noch Romantiker. Welch ein Trugschluss, welch eine Enttäuschung. Milan spielt längst wieder seinen schematischen Stiefel, und diese sterile Passivität, dieses aufreizende Sich-Beschränken auf ein paar Gelegenheiten, mit denen sich Inter sowie Juventus am Dienstag durchsetzten, trieb einem die Wut ins Gesicht; die Wut der Machtlosen. Aber Sieger haben immer Recht.“

Ein scheußlicher Fußball, den Inter sich erlaubt

„Am Ende konnten sich die Mannschaften aus den beiden spanischen Mittelmeermetropolen nur mit ihrem fürs Auge schönen Spiel trösten; durchgesetzt hat sich der norditalienische Zweckfußball“, lesen wir von Walter Haubrich (FAZ 24.4.). „Nach einem hervorragenden Spiel mit 27 Schüssen auf das von Francesco Toldo exzellent gehütete Tor von Inter Mailand gegenüber nur drei Torschüssen der Italiener reichte der 2:1-Sieg nicht für den Einzug ins Semifinale. Schon im Hinspiel war der FC Valencia die bessere Mannschaft gewesen. Doch das alles zählte letztlich nicht. Hector Cúper, der vor seinem Engagement in Mailand den FC Valencia trainiert hat, stellte nach dem Zufallstor von Vieri – Verteidiger Ayala war der Ball vom Fuß gerutscht – acht, häufig sogar neun Spieler als Schutz vor Toldo, der im Mestalla-Stadion so gut wie vielleicht nie in seiner langen Laufbahn hielt. Nur Aimar und Baraja schafften es, Toldo zu bezwingen, doch am Ende fehlte Valencia ein Tor zur Wende. Ein scheußlicher Fußball, den Inter sich erlaubt, schreibt die große Madrider Zeitung ABC. Catenaccio von der schlimmsten Art und dazu noch zelebriert von einem Trainer wie Cúper. Den Argentinier Cúper mochte man bei allen Erfolgen in Valencia nie über die Maßen. Als Mensch verscherzte er sich wegen seiner unwirschen Art die Sympathien, sein purer Nützlichkeitsfußball ohne Rücksicht auf jegliche Ästhetik mißfiel den lebensfrohen Valencianern. Fast scheint es, als hätte Cúper für seine Unbeliebtheit in Valencia doppelt Rache nehmen wollen. Im vergangenen Jahr versperrte er mit demselben puren Defensivfußball Valencia den Weg ins Finale des Uefa-Cups; jetzt hat er seiner früheren Mannschaft auch den weiteren Weg in der Champions League versperrt. Eine Mannschaft wie Inter Mailand unter Cúper, die es nicht interessiert, den Ball zu spielen, ist die Negation eines schönen und populären Sports, schreibtEl País. Cúper antwortete auf solche Kritik barsch und knapp, wie es seine Art ist: Wir haben ein erlaubtes Spielsystem gewählt, ob das nun gefallen mag oder nicht. Rafael Benítez, der Coach des FC Valencia, dagegen fällte ein vernichtendes Urteil über den Mauerfußball der Sieger: Wenn alle so wie Inter spielen, kommen bald keine Zuschauer mehr ins Stadion.“

Der Schlaks mit dem weichen Akzent der Venetier

Birgit Schönau (SZ 24.4.) porträtiert den Spieler des Spiels in Valencia mit den Augen einer Frau. „Beim Stand von 1:1 sehnte Inter Mailand den Pausenpfiff herbei, da musste Francesco Toldo es allen noch einmal ganz schnell zeigen. 46. Minute, Vicente von rechts: abgewehrt. Zum Ersten. Sekundenbruchteile später Vicente von links: mit den Fäusten über’s Tor gelenkt. Zum Zweiten. Im Strafraum stand, wie aus dem Boden gewachsen, Pablo Aimar. Toldo ließ sich fallen, der Ball klatschte an ihm ab. Zum Dritten. Der Schlussmann tobte aus seinem Kasten, auf seinen Mannschaftskameraden Gigi Di Biagio zu, der Aimar an sich vorbeigelassen hatte und auch noch ein paar andere. Die Augen schienen dem rasenden Toldo aus den Höhlen zu treten, er streckte die riesigen Hände in den Lederhandschuhen aus, als wolle er Di Biagio eine kleben. Aber Toldo schrie nur, irgendetwas, machte sich Luft nach seinen drei Paraden in 15 Sekunden (…) Toldo, der Schlaks mit dem weichen Akzent der Venetier, ist abseits des Spielfelds alles andere als ein Löwe. Ein freundlicher, unprätentiöser Mann, der zur Hochzeit mit seiner Jugendliebe Manuela auf einer Vespa vorfuhr. Manuela war Verkäuferin gewesen in einem Wäschegeschäft in Padua, und Toldo war wochenlang um sie herumgestrichen, bis er sich ein Herz fasste und den Laden betrat. Er habe ihr lange verschwiegen, dass er Fußballspieler sei, hat Manuela Toldo einmal berichtet – und zwar aus Scham. Francesco Toldo aus Padua hätte Kellner werden können und hätte sich dessen ganz sicher nicht geschämt. Aber niemand wäre glücklich darüber gewesen. Außer vielleicht den Kickern vom FCValencia.“

Brüchige Moral, zerrissener Charakter

Die NZZ(24.4.) sucht nach Ursachen und Beschreibungsmustern für den Misserfolg der Barcelonesen. „Vorbei sind die rauschenden Fussballfeste im Camp Nou, als jeweils an die 100.000 Menschen in einem Meer von blauroten Tüchern, Schals und Fahnen zu ertrinken schienen und hinterher ein rhythmisches Hupkonzert im Stau bis ins Stadtzentrum und dessen Ramblas die Nacht zum Tag werden liess. Vorbei die Glanzstunden des katalanischen Fussballs – er wurde gedemütigt. Der FC Barcelona ist sportlich pleite, ohne grosse Perspektiven, von Juventus Turin brutal in der Verlängerung eines mitreissenden Spiels im eigenen Stadion aus dem internationalen Fenster geworfen. Erstmals seit 1942 droht der 16fache spanische Meister eine arg missglückte Saison in der unteren Tabellenhälfte der Primera Division zu beenden, aus der er in der ganzen Klubgeschichte noch nie abgestiegen ist. Der Abschied der Katalanen aus der Champions League wurde zu einem denkwürdigen Schauspiel, zur Tragödie, und das lag allein an dem, was der Schriftsteller Javier Marías die „brüchige Moral“ des FC Barcelona genannt hat – seinem unentschlossenen, zerrissenen Charakter, der oft mehr an Hamlet als an einen Fussballverein erinnert: in einer Minute Weltklasse, in der nächsten ein Häufchen Elend, und dazwischen lediglich ein winziger Schritt (…) Taktik, Kampf und Disziplin setzten sich schliesslich gegen die grössere Kreativität durch, die „nicht vollendet wurde“ (Trainer Antic) – als ob der Fussball ein künstlerisches Werk von Beethovens Rang und nicht einfach ein sportlicher Wettbewerb wäre. Es war denn auch typisch, dass zuletzt der „Abräumdienst“ in den hinteren Regionen der Turiner – mit Thuram als Kopf – weit grösseres Lob als die Kreativität von Xavi, Luis Enrique oder Saviola erhielt. Barça „Ausgabe 2003“ ist eben nur noch eine Kleinkunstgruppe, die nun von Intertoto-Qualifikation statt Champions League sprechen muss (…) Die wirklichen Probleme, die letztlich zum Niedergang Barcelonas in dieser Saison führten, sind allerdings im Umfeld zu orten. Das seit drei Jahren vergiftete Klima erschwert die Arbeit der Trainer ungemein. Früher hatte Johan Cruyff die Kontrolle über alle Sektoren, was entscheidend zur Beruhigung in kritischen Momenten beitrug, nun wollen zu viele Leute ihren Einfluss dazu benutzen, sich zu profilieren.“

weiteres zur Champions League hier und hier und hier

Gewinnspiel für Experten

Kommentare

Comments are closed.

  • Quellen

  • Blogroll

  • Kategorien

  • Ballschrank

104 queries. 0,667 seconds.