Ballschrank
Die Weltmeisterschaft in Asien
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| Donnerstag, 25. März 2004
Die Weltmeisterschaft in Asien ist nun gut eine Woche alt, und die Suche nach Trends hat erste Antworten erzeugt. Einer allgegenwärtigen Aussage zufolge ist es das Turnier des Favoritenscheiterns. „Im großen Ganzen dieser WM fügte sich Argentiniens Niederlage bestens in den Trend“, heißt es in der FR nach dem 0:1 der hochgehandelten Südamerikaner gegen England. In Anbetracht der heiklen Lage des Titelverteidiger Frankreich „besteht nun die kuriose, aber realistische Chance, dass die beiden Turnierfavoriten gemeinsam in der Vorrunde ausscheiden“ (FR). Man darf zweifellos festhalten: Einen eindeutigen Favoriten gibt es nicht (mehr) – nicht mal einen engen Favoritenkreis. Dieser hat sich auf mehr als ein halbes Dutzend Teams erweitert.
Worin nun liegen die Ursachen dieser vermeintlichen Tendenz? Nach einer auszehrenden Saison in nationalen Vereinsmeisterschaften sowie auf dem Europapokalparkett seien viele Weltstars am Ende ihrer Kräfte und Konzentration, ist in der FAZ zu lesen. Dies habe zur Folge, dass die „Kleinen“ ihre spielerischen Rückstände durch physisches Investment aufwiegen können; mehr noch: ihren Gegner streckenweise dominieren, wie das Beispiel der siegreichen Amerikaner gegen die Portugiesen gezeigt habe. „Kann es also sein, dass diese Spiele womöglich gar nicht die wahren Kräfteverhältnisse widerspiegeln?“ fragt die FR nicht ohne Sorge um eine Entwertung des wesenhaft bedeutendsten globalen Fußballereignisses und im Hinblick auf eine mögliche Verzerrung des Endklassements. Werden wir Zeuge einer „Kraftmeier-WM“, bei der „überspielte und ausgebrannte Teams keine Chance haben“, wie die SZ befürchtet und „Kraft- und Tempobolzer den Ton angeben“ (FR)?
Doch wird die WM 2002 am Ende tatsächlich als das Turnier der Überraschungen in die Annalen eingehen? Gegen die Diagnose des Machtausgleichs innerhalb der Fußballweltgemeinde spricht zum Beispiel das 8:0 der Deutschen gegen Saudi-Arabien; ein Ergebnis aus dem Mustopf der Fußballhistorie. Außerdem ist die Vergänglichkeit von Prognosen – die man aus den Äußerungen und Fragestellungen der Presse ableiten könnte -im Fußballspiel hinlänglich bekannt.
Außerdem: die Stimmung in Deutschlands Lager, die Stimmung in Frankreichs Lager, die Rolle der Bild-Zeitung, die Rolle von ARD und ZDF, Berichte über drei Spiele, Favorit Spanien?, Euphorie japanischer Medien sowie bunte Frisuren.
Pressestimmen zu den Spielen der Gruppe F (ARG-ENG, NIG-SWE)
Pressestimmen zum Spiel Spanien-Paraguay (3:1)
Pressestimmen
Pressestimmen zur Situation Deutschlands
Die Ursachen für die Schwäche der Favoriten sind, Roland Zorn (FAZ 8.6.) zufolge, im Vorfeld der WM zu finden. „Was ist bloß los mit mancher Ikone aus den stärksten europäischen Ligen und der Champions League zum Höhepunkt eines endlos langen Spieljahrs? Sie sind teils verletzt wie Zidane, teils uninspiriert wie Figo, teils überstrapaziert wie Ballack, teils außer Form wie Veron. Gegenüber den von bis zu siebzig Pflichtterminen in ihren Klubs zermürbten Profis aus der europäischen Spitzenklasse wirken die WM-Aufsteiger aus Südkorea, Senegal oder den Vereinigten Staaten taufrisch. Monatelang hatten die Trainer Guus Hiddink und Bruce Arena Zeit, ihre Teams auf den Tag X einzustimmen und einzuschwören, während die Senegalesen, beflügelt durch den unerwarteten Satz auf Platz zwei bei der Afrikameisterschaft, ihre Premiere bei einer Weltmeisterschaft sogleich zu einer Demonstration unverbrauchter Spielfreude nutzten. Für die Aufsteiger der weltgrößten Ballmesse kommt die WM gerade recht, für die Absteiger und Sitzenbleiber dieser WM kommt sie augenscheinlich zu spät.“
Helmut Schümann (Tsp 8.6.) meint zum selben Thema. „Die Superstars sind es, die den Unterschied machen zwischen großen und grandiosen Mannschaften. Jetzt sind sie malade, die Superstars, und die Mannschaften sind gleichwertig. Auch deshalb gibt es so viele offene Spiele.“
Das heutige Anforderungsprofil eines Fußballers skizziert Thomas Kilchenstein (FR 8.6.). „Der moderne Fußballer muss ein Athlet sein. Er muss Kraft haben, viel Kraft, er muss physisch enorm stark sein, und er muss schnell sein. Diese WM wird eine WM der Kraftmeier sein, der filigranen Kraftmeier. Denn natürlich ist für den Erfolg im Strafraum letzten Endes immer noch die bessere Ballbehandlung ausschlaggebend. Dies freilich ist die Grundvoraussetzung, ohne ein gehöriges Maß an Technik nutzen selbst die in tausend Stunden Fitness-Studio erworbenen „Muckis“ nichts. Nur: ohne die notwendige Kraft, ohne entsprechende Physis geht kaum mehr etwas, da nutzt auch die beste Technik nichts.“
Völkerverbindende Ambitionen der WM stellt Ralf Wiegand (SZ 8.6.) in Abrede. „Vielleicht hatte ja jemand in der Fifa insgeheim darauf gehofft, für den Friedensnobelpreis in Betracht gezogen zu werden durch diese WM. Es ist nämlich in der Sportpolitik eine populäre Schwärmerei, die einigende Kraft des Sports möge auf Länder wirken, die ein paar Probleme mit sich selbst oder mit anderen haben. Auf diese Weise gelangte China an die Olympischen Spiele 2008, deshalb flatterten Friedens-tauben durchs schwerst- kommunistische Moskau, und gerne glauben die Sportführer der Welt, der Ausschluss Südafrikas vom Rennen, Laufen und Springen habe geholfen, die Apartheid zu überwinden. Friedensstifter Sport – welch eine Vision.“
Die Reaktionen der japanischen Medien auf das 2:2-Remis ihrer Mannschaft gegen Belgien analysiert Anne Scheppen (FAZ 8.6.). „Die Presse betätigt sich als Cheerleader für die Nation. Wieder und wieder werden die beiden Tore von Junichi Inamoto und Takayuki Suzuki im Fernsehen bejubelt. Nachdem sich die Gegner der nächsten Begegnung erstmals beim Training einem größeren Publikum gezeigt hatten, stellte die Zeitung Sankei Sports voller Genugtuung fest, die russischen Eisbären hätten offensichtlich größere Schwierigkeiten mit den hohen Temperaturen in Japan und der großen Luftfeuchtigkeit: Die Siegeschancen stehen also gut, denn der Wetterbericht sieht für Sonntag in Yokohama Hitze voraus. Die nicht zu ekstatischer Begeisterung neigende, überaus seriöse Yomiuri Shimbun vermerkte immerhin, es gebe keinen Grund, warum die Japaner sich nicht gegen die wechselhaften Russen durchsetzen sollten. Schließlich zögen Troussiers Soldaten mit etwas ins Stadion ein, das vor vier Jahren unter dem unerfahrenen Okada noch gefehlt habe: Vertrauen. Die Asahi Shimbun orakelt mit Weitblick: Japans Schicksal steht auf dem Spiel.“
Von spanischen Ambitionen berichtet die NZZ (8.6.). „Vermögen sich die Spanier in diesem Sommer an den Sandstränden in sportlichen Großerfolgen zu sonnen? Drei „Sandhasen“ von der Iberischen Halbinsel in den Halbfinals von Roland Garros und die spanischen Fußballer auf schnellstem Weg in die WM-Achtelfinals: Spaniens Gitarren erklingen. Die Hoffnung auf ein erfolgreiches Abschneiden des Nationalteams wird dadurch genährt, dass es zu Turnierbeginn gelungen ist, mit der Tradition zu brechen. Spanien hatte in den letzten Jahren mit verblüffender Regelmäßigkeit Fehlstarts produziert; ertönte das Startzeichen, blieb es in den Pflöcken stecken. Selbst Mannschaften wie Österreich, Honduras, Uruguay und Südkorea platzierten in der Vergangenheit ihre Stolpersteine so, dass sie für die Spanier zu unüberwindbaren Hürden wurden. Mit andern Worten: Der Sieg gegen Slowenien vom letzten Sonntag war der erste spanische WM- Startsieg seit 1950. Aus diesem Jahr stammt auch die beste WM-Rangierung: Platz 4. Ein vergleichbarer Erfolg ist dem Team in diesem Jahr zuzutrauen, wodurch die Spanier ihren Ruf als „schlechte Patrioten“ aufpolieren könnten. Auf Klubebene zuletzt besser als alle andern, hat sich die Nationalmannschaft auf Grund ihrer Ergebnisse selten bis nie als Stolz des Landes erwiesen.“
Paul Ingendaay (FAZ 8.6.) weilt in Spanien. „Es ist schön, im Land des künftigen Fußballweltmeisters zu leben. Der Bäcker ist freundlich, die Apothekerin strahlt, der Friseur braucht kein Trinkgeld; die Autofahrer hupen lachend, statt fluchend zu hupen; und das Make-up der Müllfrauen leuchtet noch festlicher als sonst. In den nächsten Tagen wird sich daran nichts ändern. Im Gegenteil, die Bäume wachsen gen Himmel, und irgend jemand wird fragen: Hat nicht Spanien von allen Mannschaften den besten Fußball gespielt? Seht nur, selbst die Tore des Gegners schießen wir selbst! Und sollte dann doch die Niederlage kommen, dann werden die Leute die Fahnen wieder einrollen und ihren transportablen Patriotismus bis zum nächsten Turnier verstauen, friedlich und ohne Groll. Denn der Patriotismus dient den Spaniern, nicht umgekehrt.“
Michael Horeni (FAZ 8.6.) beschreibt die selbst ernannte Aufgabe von Deutschlands größter Boulevardzeitung. „Bei Bild ist noch Jubelstimmung gefragt. Aus der Redaktion in Hamburg kommt die Nachricht, das Fernsehen versage in seiner Rolle als Stimmungsmacher. ARD und ZDF dürfen die deutschen Tore nur am Spieltag zeigen, viele Begegnungen sind nur im Bezahlfernsehen zu sehen, die WM-Zusammenfassung auf Sat.1 läuft zu spät, die Quoten sind lausig. Das Defizit des Fernsehens will Bild ausgleichen (…) Doch der Ruhm ist vergänglich, oftmals über Nacht, und mitunter kennt niemand außer Bild die Gründe dafür. Das 1:1 gegen Irland hat den Trend noch nicht gewendet, wir warten auf Kamerun, das Endspiel der Vorrunde. Die deutschen Nationalspieler sind mit den extremen Zyklen der Pressebeobachtung bestens vertraut. Vor zwei Jahren hatte Bild die Mannschaft mit guten Wünschen zur Europameisterschaft verabschiedet. Als charakterlose Rumpelfüßler wurden die Spieler heimgeholt – aber nicht alle. Die Herabsetzung verlief nach einem fein austarierten System: Bild schützt seine langjährigen Freunde und Informanten in Nationalteam auch in Krisenzeiten. Die, die nicht plaudern, bekommen dafür um so mehr ab, von den Gegnern des Blattes gar nicht zu reden. Dessen Vorzeigespieler war zuletzt Lothar Matthäus, was dazu führte, dass Bild beim letzten großen Fußballturnier eine publizistische Parallelwelt hervorbrachte, die mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun hatte (…) In Japan ist das Bild-Team unabhängiger als damals. Trends und Stimmungen in der Nationalelf werden ohne falsche Rücksichtnahme aufgespürt. Zudem geht mit Rudi Völler ein Teamchef voran, der nicht nur für den deutschen Fußball ein Glücksfall ist, sondern auch für Bild. Das kolportierte sportliche Urgesetz des Blattes – Fußball ist gut für Bild, Beckenbauer ist gut für den Fußball, Beckenbauer ist gut für Bild –, dieser Dreisatz über den seit Jahren dem Blatt dienenden Kolumnisten, gilt auch für den Sympathieträger Völler.“
Reinhard Lüke (FR 7.6.) bewertet das TV-Programm der Öffentlich-Rechtlichen. „Mit einem einzigen Fußballspiel rund fünf Stunden Programm bestreiten zu müssen, ist kein Zuckerschlecken. Dabei geben sich die Verantwortlichen von ARD und ZDF angesichts der massiven verweisen darauf, dass die Rechtslage doch seit einem halben Jahr bekannt sei. Der Vertrag mit KirchMedia erlaube ihnen nunmal nur das eine Spiel pro Tag. Schon richtig. Doch das Problem liegt nicht in dem, was sie nicht senden (dürfen), sondern in dem, was sie senden. Genauer gesagt in diesem Gestus, mit dem sie fortwährend so tun, als hätten sie über diese 90 Minuten hinaus irgendetwas Sehenswertes zu bieten. Was sie definitiv nicht haben.“
Von den Frisuren der japanischen Spieler gehe Signalwirkung aus, so Holger Gertz (SZ 8.6.). „Jaja, sagen die Köpfe der japanischen Fußballer, wir sind nicht, wie ihr da draußen immer gedacht habt: eine Armee von kleinen Menschen, frisiert in der leidenschaftslosen Art von Playmobilmännchen. Wir sind bunt, wir haben Belgien fast hergespielt und werden auch Russland verzaubern, berauschen mit unseren Farben, unser Tuschkasten wird nie leer.“
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