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Die zweite Runde des DFB-Pokals
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| Donnerstag, 25. März 2004
Die zweite Runde des DFB-Pokals besitzt nicht den sportlichen Stellenwert eines gewöhnlichen Bundesliga-Spieltags. Das erkennt man nicht zuletzt an der Gestaltung der heutigen Sportseiten in den deutschen Tageszeitungen. Dort beschäftigen sich die Experten u.a. mit der von Schalke-Manager Rudi Assauer initiierten Diskussion um die zusätzliche TV-Live-Übertragung der Partie Bayern München gegen Hannover 96 (2:1). DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder, der „Typus des paternalistischen Sportfunktionärs“ (FR), hatte diese Entscheidung im Alleingang getroffen: eine Kompetenzüberschreitung, die ihm von vielen Vereinsvertretern verübelt wurde.
Weiteres Thema diese Woche: „Der 1. FC Kaiserslautern hat wieder eine Zukunft“, glaubt die FAZ im Anschluss an die dortige Mitgliederversammlung prognostizieren zu können. Insbesondere der Auftritt des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck (SPD), „dessen souveräne Moderation wohl die Wiederkehr der Lynchjustiz verhindert hat“ (SZ), wird von allen Beobachtern hervorgehoben. „Gütig, aber streng, bisweilen selbstironisch, mit feinem Gespür für die Stimmungen im Saal, rotbäckig, hemdsärmelig hielt er die FCK-Familie zusammen“ beschreibt die FAZ dessen Wirken. Die FR hingegen betrachtet den Fall kritischer, nachdem zahlreiche finanzielle Verfehlungen der ehemaligen Vereinsspitze um „Atze“ Friedrich Co. ans Tageslicht gezerrt wurden. „Das Bild des etwas anderen Provinzklubs mit Herz, das die Pfälzer gerne von sich gezeichnet haben, ist endgültig zerstört. Mehr und mehr kommt da ein Netzwerk aus Männerfreundschaften und Günstlingswirtschaft zum Vorschein, wie es Außenstehende kaum für möglich gehalten hatten“. Und weiter: „Bleibt für den Beobachter die Frage offen, wie viele solche maroden Bauten im deutschen Profi-Fußball noch stehen“.
Zum Sportlichen: Der „notorische Pokal-Verlierer Borussia Dortmund“ (FAZ) wird vom „Kurzpassensemble“ (SZ) SC Freiburg mit 3:0 abgefertigt. „Dem Bayer-Team“ aus Leverkusen, dieses Mal im Gegensatz zur Vorwoche Sieger gegen den VfB Stuttgart, „geht es derzeit wie den Diäten von Manager Calmund, es gibt einen Jojo-Effekt zwischen guten und schlechten Tagen“ (SZ) und „die Rückkehr der Dusel-Bayern“ (FR).
Weitere Themen: Porträt Jens Lehmann – Seligsprechung für Wildmoser – neuer Trainer in Karslruhe sowie ein if-Dossier zur momentanen Lage des FC Bayern München u.v.m.
Wie geht´s weiter mit dem FCK?
Zum Ausscheiden des ehemaligen FCK-Vorstand meint Sven Astheimer (FR 7.11.). „Friedrich Co. stießen in den eigenen Reihen nur selten auf Widerstand. Und wo kein Kläger, da auch kein Richter. Deshalb überzeugt es nicht wirklich, wenn sich ehemalige Aufsichtsratsmitglieder nun hinstellen und den Unwissenden markieren. Das Kontrollgremium hat in seiner Gesamtheit versagt. Die bestellten Aufpasser hätten ihre Zweifel früher äußern müssen. Nicht erst beim großen Kehraus. Denn Alarmsignale gab es genügend. Da war beispielsweise die Sache nach dem Wiederaufstieg 1997, als Friedrich unter dem Verdacht stand, seinem Sohn einen lukrativen Auftrag zugeschanzt zu haben. Einige horchten auf, an der Basis bildete sich eine Opposition, die eine außerordentliche Sitzung erzwingen wollte. Doch die Palastrevolution verlief im Sand, auch, weil der Aufsichtsrat stramm an Friedrichs Seite stand. In erfolgreichen Zeiten lassen sich kritische Stimmen leicht mundtot Machen (…) Bleibt für den Beobachter die Frage offen, wie viele solche maroden Bauten im deutschen Profi-Fußball noch stehen.“
Martin Hägele (SZ 7.11.) beobachtete die Zurückgetretenen. „Beiden ging es darum, ohne Aufsehen aus dem Saal zu kommen. Denn die Augen hinter ihnen verhießen nichts Gutes. So schaut man Angeklagten hinterher, wenn sie in die Zelle abgeführt werden, nachdem ein hartes, aber gerechtes Urteil gesprochen wurde. Friedrich und Wieschemann gingen als freie Leute, doch ihr Leben wird sich verändern. Jeder von ihnen wird persona non grata sein in der kleinsten Bundesligastadt, die eigentlich ein Dorf ist: Jeder kennt Jeden. Von Friedrich und Wieschemann fühlen sich die Menschen betrogen. Anwalt und Konkursverwalter Wieschemann hat sein Ehrenamt vor allem auf gesellschaftlichem Parkett für das Ego genutzt. Boutiquenbesitzer Friedrich aber interpretierte den Präsidentenjob zum Zwecke persönlicher Vorteilnahme (…) Dem FCK drohen weitere Enthüllungen. Den Fahndern sei zum Einstieg jene Rechnung empfohlen, welche die Spieleragentur Rogon in diesem Sommer geschickt hat. Rogon berät fast die Hälfte der Stammspieler des FCK. Für die drei Profis Timm, Anfang und Teber wurden 5,5 Millionen Euro Ablöse überwiesen – für die Transfers aber kassierte Firmenchef Roger Wittmann, der Schwager des Kaiserslauterer Spielers Mario Basler, 1,78 Millionen Provision, also 34 Prozent. Branchenüblich beziehen Vermittler die Hälfte. Stellt sich die Frage, wieso Friedrich sich auf einen solch schlechten Handel zum Schaden des Klubs eingelassen hat. Mit großem Vorsprung wählte die Versammlung den früheren Nationalspieler Hans-Peter Briegel in den neuen Aufsichtsrat. Briegel soll Fachkompetenz und Transparenz in das Kontrollgremium bringen. In diesem Zusammenhang hätte es die fast 2000 Versammlungsteilnehmer vielleicht interessiert, mit wem ihr Idol seinen letzten Urlaub verbracht hat: Es war Roger Wittmann.“
Sven Astheimer (FR 7.11.) an anderer Stelle. „Machten Jäggi, Briegel und Beck den Mitgliedern Hoffnung auf eine bessere Zukunft, geriet der Abend für eine andere Troika zum Tribunal. Während der geschasste Finanzvorstand Gerhard Herzog gar nicht erst gesehen wurde, verließen die ehemaligen Führungsfiguren Jürgen Friedrich und Robert Wieschemann gegen Mitternacht kommentarlos und mit Leichenbittermiene ihre Sitzplätze in der zweiten Reihe. Die Mitglieder hatten dem Vorstand sowie den allesamt abgewählten Aufsichtsratsmitgliedern zuvor die Entlastung verweigert. Ob rechtliche Schritte gegen die Betroffenen eingeleitet werden, lässt der Verein derzeit prüfen. Die Vorwürfe sind erschreckend, und ihre Aufarbeitung hätte Stoff für drei Versammlungen geboten.“
Über den Einfluss der anwesenden Mitglieder schreibt Peter Heß (FAZ 7.11.). „Die rund 2000 Mitglieder des Bundesligavereins, die die Jahreshauptversammlung besuchten, dürfen sich von allen Freunden des FCK als Geburtshelfer feiern lassen. Nicht, daß vom Fußballvolk die rettenden Ideen für den wirtschaftlich und sportlich angeschlagenen Fußballverein gekommen wären. Die hat die herrschende Klasse längst entwickelt. Doch hätte die Empörung der Massen über die existenzbedrohende Krise des Vereins zu Tumulten geführt, hätten die gegenseitigen Schuldzuweisungen eine Schlammschlacht zwischen dem ehemaligen Vorstand mit Jürgen Friedrich und Gerhard Herzog und dem Aufsichtsrat ausgelöst, die Rettungsaktion wäre womöglich ausgefallen. Vor allem der Mann, der dem FCK den meisten Rückhalt gibt, hätte sich dann ein weiteres Engagement nicht leisten können: Ministerpräsident Kurt Beck. Wäre der Landesvater in seiner Rolle als Freund des Vereins beschädigt worden, hätte er sich abwenden müssen (…) Die Bundesligabranche gilt als Haifischbecken. Wer bestehen will, kann nicht immer nur schnurgerade Wege gehen. Fehler sind programmiert. Ob der Ball nach einem Schuß gegen den Innenpfosten oder ins Netz fliegt, entscheidet oft nachträglich, ob eine Maßnahme falsch oder richtig war. Dann sind Vertrauen und Loyalität gefragt zwischen Vorstand und Aufsichtsrat. Friedrich kommt erst jetzt vielen Mitgliedern als Inkarnation des Bösen vor, nachdem zweimal die Teilnahme am Uefa-Cup knapp verpaßt wurde. Aber in seine Zeit fiel auch der Gewinn der deutschen Meisterschaft. Zu dieser Zeit wurden seine umstandslosen Entscheidungen goutiert. Sein Nachfolger schätzt Friedrichs Arbeit anders ein als die Masse. Jäggi will sich bei ihm sogar manchmal Rat holen. Selbst wenn der Schweizer dabei scheitern sollte, den FCK wieder nach oben zu führen: Solange der Verein sich auf seinen Landesvater verlassen kann, ist er zukunftsfähig.“
Auflistung der verschleuderten FCK-Millionen kicker
DFB-Pokal, 2. Runde
Zur Diskussion um die zusätzliche Live-Übertragung in der ARD (Bayern – Hannover) wirft Michael Horeni (FAZ 8.11.) ein. „Ruck, zuck kamen so die Bayern auch noch ins Programm, die ARD freute sich über eine gute Quote über den gesamten Abend, und alle Klubs der zweiten Runde (vor allem aber die Bayern und Hannover) bekamen mehr Geld. Der Schalker Manager Rudi Assauer wollte von der Marktwirtschaft auf kurzem herrschaftlichem Dienstweg aber nichts wissen und versuchte sich nach dem Schlußpfiff in der Rolle des Predigers der wahren Werte. „Da sieht man, daß es nicht um Sport geht, sondern um reine Sensationslust“, schimpfte Assauer über einen Deal, der zwar laut Vertrag nicht hätte zustande kommen dürfen – aber bei nüchterner Betrachtung keinen ökonomischen Verlierer zurückließ. Die juristisch lachhafte Regreßforderung, die Assauer nach der Partie erhob, mochte er auch am nächsten Tag nicht explizit zurückziehen. Da sekundierten auch schon Wolfgang Holzhäuser, der Geschäftsführer von Bayer Leverkusen, der von einer „Riesensauerei“ sprach, und Noch-Ligachef Werner Hackmann, der dringenden Gesprächsbedarf erkannte. Dem lautstarken Trio darf man unterstellen, daß sie sich an der Sache eigentlich nicht über Gebühr stören. Über ein zusätzliches Livespiel selbst für die ungeliebten Bayern ließe sich reden – viel empfindlicher werden sie allerdings angesichts der Entscheidung nach Gutsherrenart, die sich Gerhard Mayer-Vorfelder immer noch glaubt leisten zu können. Eine „Katastrophe für den gesamten deutschen Fußball“ (Assauer) ist die Sache zwar nicht, aber sie spiegelt, wie der Manager treffend feststellte, die Situation im DFB tatsächlich sehr exakt wider. Allein die oberste Reizfigur des deutschen Fußballs wirkt fußballintern wie ein hochentzündlicher Treibstoff in einer Angelegenheit, die beim breiten Publikum jedoch auf ungeteilte Zustimmung stößt.“
Andreas Burkert (SZ 8.11.) meint dazu. „Der Ligaverband DFL muss den Alleingang MVs als Beleidigung empfinden, denn dieser hat damit nicht zum ersten Mal seine Kompetenzen überschritten und zugleich, um es einmal vorsichtig auszudrücken, die Grenzen von Absprachen gedehnt. Der gelernte Machtmensch aus Schwaben hat es eben nie verwunden, dass er mit der Gründung der Deutschen Fußball-Liga im Grunde als Amtsvorsteher ohne Macht existiert. Leider plagt auch die DFL ein Führungsproblem in Person ihres angeknockten Präsidenten Werner Hackmann. Über dessen Mitteilung, er sei verstimmt, wird MV milde lächeln. Er verträgt ja Einiges. Und so stehen die starken Schattenmänner der Liga in der Pflicht, MV das Wesen einer Partnerschaft und von Abmachungen eindringlich zu erläutern: Rummenigge, Holzhäuser, Calmund und Meier. Sonst ergeht es ihnen wie den Elefantenbullen. Bei denen vergehen meist zwanzig Jahre, bis das Werben um eine Elefantin erstmals von Erfolg gekrönt ist. So weit sollte die Geduld der Liga mit MV nicht reichen.“
Reaktionen auf den Alleingang des DFB-Präsidenten SZ
Bayern München – Hannover 96 2:1
Elisabeth Schlammerl (FAZ 8.11.) kommentiert den Fehler Kahns. „Vor ein paar Monaten wäre Kahn solch ein Blackout wohl nicht passiert, aber die Geschehnisse der vergangenen Wochen, Tage gingen nicht spurlos am Kapitän vorbei. Kahn hat schon bessere Zeiten erlebt beim FC Bayern. Seit Saisonbeginn hat er oft zufriedenstellend gehalten, aber eben nie richtig gut. Es folgte Kritik an seiner Leistung und an seiner Person, weil er nach den Huldigungen bei der Weltmeisterschaft vermeintlich die Bodenhaftung verloren hatte, sich offenbar ein bißchen wie „der Überirdische unter all den Irdischen“ fühlte und sich auch dementsprechend benahm. Mittlerweile ist Kahn wieder auf der Erde gelandet, ziemlich unsanft. Der Münchner Boulevard hat längst die sportliche Ebene verlassen, berichtet über eine angebliche Affäre des Tormanns und einen möglichen Wechsel ins Ausland. Die persönliche Krise von Kahn geht einher mit der des FC Bayern. Die Mannschaft schien zuletzt auch deshalb führungslos, weil der Kapitän derzeit viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt ist, um die Kollegen wieder auf den rechten Weg zu bringen. Gegen Hannover 96 sprang einer in die Bresche, dem man die Fähigkeit, die Elf zu führen und anzutreiben, schon abgesprochen hatte – und der zudem nicht fit ins Spiel gegangen war: Michael Ballack.“
Zur vermeintlichen Bedeutung des Siegs für Trainer Hitzfeld heißt es bei Thomas Becker (FR 8.11.). „DFB-Pokal! Ein Wettbewerb, der in der Wahrnehmung des Lichtgestalts-Präsidenten Franz Beckenbauer wahrscheinlich überhaupt nicht existiert, eine zweite Runde ja erst recht nicht. Und dann: Hannover! Ein Team, das vor ein paar Monaten, als der FC Ruhmreich noch Weltpokalsieger war, sich mit Reutlingen, Oberhausen Co in den Untiefen von Liga zwo rumtrieb. Ein solches Spiel soll wichtig sein für einen Ottmar Hitzfeld, als Trainer deutscher Meister und Super-Cup-Gewinner 95 und 96, Champions-League-Sieger und Weltpokalsieger 97, Deutscher Meister 1999, 2000 und 2001, DFB-Pokalsieger 2000, Ligapokal-Sieger 1998, 1999 und 2000, Champions-League-Sieger und Weltpokalsieger 2001. Aber: Das Spiel war verdammt wichtig für ihn. Er gewann. 2:1. Halleluja! Ein Sieg, der die Panik beim FCB und den angehörigen Boulevardblättern nur ein wenig dämpfen wird. Zu harm- und ideenlos die bayerischen Krisen-Kicker, zu großzügig der gegebene Fast-Kein-Foul-Elfmeter, zu lustlos der ebenbürtige Aufsteiger aus Hannover (Trainer Rangnick: „Hier war mehr drin“), zu peinlich der Auftritt von Oliver Kahn in der Schlussminute, als er unnötig einen Strafstoß verursachte. Und doch gewonnen: Die Rückkehr der Dusel-Bayern.“
Spielbericht und Reaktionen SZ
Zur Lage der Bayern – ein if-Dossier
Schalke 04 – Borussia Mönchengladbach 5:0
Ulrich Hartmann (SZ 8.11.). „Ein vorsätzliches Wortspiel war es wohl nicht, als er nüchtern mitteilte: „Bei uns war heute Sand im Getriebe.“ Dabei traf er damit den Nagel auf den Kopf. Der Sand im Gladbacher Getriebe heißt Ebbe. Der 30-jährige Däne erzielte beim Schalker Sieg nicht einfach nur drei der fünf Tore – vielmehr schoss er sich frei von der spielerischen Lethargie in der jüngeren Vergangenheit, und überdies war jedes seiner Tore schöner als das vorangegangene. Drei Tore in nur 20 Minuten – und das, obwohl ihm bei elf Einsätzen in dieser Bundesliga-Saison bislang nur zwei Treffer gelungen waren. An der wechselhaften Verfassung des Stürmers Sand jedenfalls machen sich dieser Tage auch die Leistungsschwankungen des Pokalverteidigers Schalke fest (…) Am Mittwoch haben die Gelsenkirchener das 14. Pokalspiel in Serie als Sieger beendet. Im Hier und Jetzt hingegen nutzte Schalke den jüngsten Pokalauftritt zu einer Art Rehabilitation und versöhnte die bislang wenig verwöhnten Anhänger mit fünf Traumtoren und dem höchsten Sieg, den man bisher in der neuen Arena zustande gebracht hat.“
SC Freiburg – Borussia Dortmund 3:0
Tobias Schächter (taz 7.11.) sah einen überzeugenden 3:0-Erfolg der Freiburger über den deutschen Meister. „Der französische Schriftsteller Stendhal war ein sensibler Mensch. Bei einem Spaziergang durch Florenz fiel er irgendwann in Ohnmacht. „Zu viel, zu viel Schönheit“, soll der von der Pracht der Stadt Überwältigte noch im Taumeln gesagt haben. Der Vorfall fand Einzug in die Medizingeschichte. Unter dem „Stendhal-Syndrom“ leidet, wem beim Anblick prächtiger Kunstwerke die Sinne schwinden. Die Zahl am „Stendhal-Syndrom“ erkrankter Fußballfans hält sich nach vorsichtigen Schätzungen in Grenzen. Erringt die Mannschaft ihres Herzens einen glanzvollen Sieg, so äußert sich die Begeisterung der Fangemeinde zumeist in kollektiver, klatschender, hüpfender und sehr lebendiger Ekstase, untermalt von lautem Gesang. So gesehen und gehört am Dienstagabend, als Zweitligist SC Freiburg den deutschen Meister Borussia Dortmund aus dem DFB-Pokal kegelte. Der bunte Strauß der Fußballästhetik, den die Freiburger beim 3:0 boten, erinnerte an Zeiten, in denen die Freiburger noch in Liga eins ihre Künste zeigten und als Breisgau- Brasilianer gefeiert wurden. Mutige Tacklings und schneidiger Biss verbanden sich mit Doppelpässen, Hackentricks und wunderbar herausgespielten Toren zu einer tödlichen Melange für einen Gegner, der außer der Überheblichkeit des Klassenhöheren nichts zu bieten hatte.“
Uwe Marx (FAZ 7.11.). „Der notorische Pokal-Verlierer Borussia Dortmund ist ausgeschieden. Er kennt das schon. In den vergangenen Jahren unterlag er in diesem Wettbewerb Gegnern wie Carl Zeiss Jena, Wattenscheid 09, Eintracht Trier oder, im vergangenen Jahr erst, den Amateuren des VfL Wolfsburg. Nun also Freiburg. Es gibt Schlimmeres. Allerdings war das Ergebnis eine rechte Ohrfeige (…) Es war verblüffend, wie schnell der deutsche Meister aus dem Gleichgewicht geriet, nachdem bewährte Stammkräfte auf der Bank Platz genommen hatten (…) Es war weniger ein vorsätzliches, als vielmehr ein fahrlässiges Scheitern. Eine Grundregel der Sportpsychologie ließ sich auch von Sammer nicht außer Kraft setzen: Wer ständig gegen große Gegner spielt – vor einer Woche gegen Arsenal London, an diesem Samstag gegen den FC Bayern –, der tut sich schwer, die kleinen ernst zu nehmen.“
Christoph Kieslich (SZ 7.11.) blickt voraus. „Ein Genuss für das Kurzpassensemble; und der Sprung ins Achtelfinale des DFB-Pokals wirke wie ein Seelentröster für die vom Abstieg schwer betroffenen Südbadener. Das Lebenszeichen aus Freiburg ist auch so etwas wie eine dick unterstrichene Ankündigung fürs nächste Jahr, wenn es nicht mehr allein das Los sein soll, dass dem Sport-Club Festtage im Dreisamstadion beschert. Sondern auch der Terminplaner der Ersten Liga. Noch taucht der SC Freiburg nicht im Hauptprogramm auf, aber beim Besuch eines Branchenkrösus’ wie der Borussia besetzte der Freiburger Trainer schon mal den Werbeblock: „Ich habe ja schon vor dem Spiel gesagt, dass wir gewinnen, weil e.on gegen Naturenergie spielt. Und Strom aus Wasser und Wind ist einfach besser.“”
Udo Muras (Welt 7.11.) kritisiert die Rotation des Borussen-Trainer. „Das ist Wettbewerbsverzerrung, eine Ohrfeige für die eigenen Fans – und auch für die des Siegers. Der Pokal hat zwar seine eigenen Gesetze, nämlich, dass die Kleinen die Großen jederzeit schlagen können. Doch wenn man ihnen derart behilflich ist, geht der Spaß verloren. Auch die Fans des Meisters haben übrigens Anspruch auf die Kultreise nach Berlin. Sammer tritt ihn mit Füßen.“
Uwe Marx (FAZ 5.11.) beleuchtet die Lage der Breisgauer. „Die Nettigkeiten kommen so sicher wie der Abpfiff. Immer wenn Volker Finke mit seinem Sportclub Freiburg in der Zweiten Fußball-Bundesliga eine Partie hinter sich gebracht hat, versichern ihm die Trainer des Gegners: Freiburg ist die beste Mannschaft der Liga, Freiburg spielt den schönsten Fußball, Freiburg hat ein beneidenswertes, weil ruhiges Umfeld, Freiburg hat einen allseits respektierten Trainer. Nach Siegen der Freiburger klingt das plausibel, erklärend, entschuldigend. Nach Niederlagen aber verwundert so viel Lob. Dann schaut Finke gequält freundlich und denkt daran, daß seine Mannschaft bei aller Stärke noch nicht angekommen ist in dieser Spielklasse (…) In Gedanken hat sich mancher aus seinem Kader noch immer nicht von der Bundesliga gelöst, auch wenn die Spieler Woche für Woche das Gegenteil versichern. Möglicherweise schwirrt auch noch anderes in den Köpfen herum. Der Zweitligaverein Freiburg war vor nur einem Jahr nämlich noch international tätig. Erst in der dritten Runde des Uefa-Cups scheiterte der Sportclub an Feyenoord Rotterdam, dem späteren Sieger dieses Wettbewerbs.“
1860 München – VfL Wolfsburg 8:7 n.E.
Christian Zaschke (SZ 7.11.) erzählt. „Was tatsächlich geschah: ein Spektakel. Man könnte Epen über solche Szenen verfassen, Heldengesänge und Lieder des Lobes. Was für ein Stoff: Das Spiel zweier Mannschaften, 90 Minuten, 120 Minuten, zehn Elfmeter, zwanzig Elfmeter, ein Rausch und keine Entscheidung. Was am Ende bleibt, ist das Duell Mann gegen Mann, Torwart gegen Torwart, Jentzsch gegen Reitmaier. Wenn man wirklich übertreiben wollte, dann sagte man in einem solchen Moment: Es kann nur einen geben (…) Die Geschichte ist noch besser, als es das Finale verspricht. Der große Drehbuchschreiber hatte beschlossen, Jentzsch nach 50 Minuten der Pokalbegegnung gegen den VfL Wolfsburg einen richtigen Fehler ins Spiel zu schreiben. In solchen Momenten zählt nicht, was ein Torwart zuvor vollbracht hat. In solchen Momenten ist er schuld. Die Geschichte ist also herrlichster Kitsch: Torwart ist schuld, Torwart ist verzweifelt, in einem großen Kampf macht Torwart alles wieder gut. Warum, wurde Jentzsch gefragt, hat er nach seinem entscheidenden Elfmeter nicht gejubelt? „Ich dachte noch an meinen Fehler, das 2:2 hat mich noch gewurmt“, sagt er. Das kennt man doch, diesen Hang zum Perfektionismus, das Denken an den Fehler im Moment des Triumphs – Kennzeichen Oliver Kahns. Doch Jentzsch ist anders. Er ist ruhiger, er wirkt nicht getrieben wie Kahn, nichts mahlt in ihm.“
Über den Held vom Dienstag schreibt Elisabeth Schlammerl (FAZ 7.11.). „Mit dem Torhüter haben die „Löwen“ im Moment ziemlich viel Spaß, weil er so zuverlässig und glänzend seine Arbeit verrichtet wie nie zuvor in München. In der Bundesliga ist er in elf Spielen fünfmal ohne Gegentreffer geblieben, weshalb er in der Saisonstatistik derzeit auf Platz eins geführt wird, als deutsche Nummer eins also. Die Erfolgsserie des TSV 1860 ist eng verbunden mit Jentzsch (…) Der ehemalige Karlsruher hat eine erstaunliche Entwicklung hinter sich. In seinen ersten beiden Jahren in München unterliefen ihm regelmäßig grobe Patzer, weshalb Petar Radenkovic, Torhüter der Meistermannschaft 1966, den Verein immer wieder aufforderte, endlich einen guten, einen erstligatauglichen Schlußmann zu verpflichten. In dieser Saison ist Radenkovic fast zum Fan von Jentzsch geworden. Er habe endlich verstanden, sagt „Radi“, die physischen Vorteile seiner Körperlänge von 1,96 Meter zu nutzen.“
Bayer Leverkusen – VfB Stuttgart 3:0
Christoph Biermann (SZ 8.11.). „Was eigentlich ein harter Hund ist, das weiß niemand, weil es zwar dicke Hunde gibt – aber keine weichen. Trotzdem müssen Fußballtrainer immer dann harte Hunde sein, wenn es mal nicht so läuft, oder den Nachweis antreten, dass sie es eigentlich immer schon gewesen sind. Entsprechend knurrig ist Klaus Toppmöller dieser Tage gewesen, weil er plötzlich als zu kumpelhaft im Umgang mit seinen Spielern galt. So, als würde er lieber mittendrin im Rudel laufen als vorneweg. Udo Lattek, der gefürchtete Hundekenner, hatte diese These nach der 0:1-Niederlage gegen den VfB Stuttgart aufgebracht und die Verhaltensforscher in vielen Gazetten hatten sie entsprechend analysiert. Es schien auch einiges darauf hinzudeuten, denn Toppmöller gab am Sonntag bekannt, dass im Zwinger an der BayArena für die faulen Hunde von Bayer Leverkusen der Acht-Stunden-Tag eingeführt würde – inklusive Trainings- Doppelschichten (…) Auf dem Rasen hatte es jedenfalls den gewünschten Effekt. Das konnte man an der fast idealen Versuchsanordnung ablesen, gegen den gleichen Gegner vier Tage später erneut anzutreten. Stuttgart war fast im Wortsinne chancenlos, denn die Gäste hatten ihre einzige Torgelegenheit, als alles schon entschieden war. Auch wenn Leverkusen erneut zu viele Torchancen vergab und manches noch holperte, war die Mannschaft weit entschlossener als am Samstag.“
Spielbericht Tsp
Sammelbericht DFB-Pokal SZ
Spielbericht St. Pauli – Werder Bremen (0:3) SZ
Weiteres aus der Bundesliga
Sebastian Krass (SZ 6.11.) war beim Delegiertentreffen von 1860 München. „Solche Vereinsversammlungen von Fußball-Bundesligisten haben sowieso öfter einen größeren Unterhaltungswert, als es die eigentlich trockene Abfolge von Tagesordnungspunkten erwarten lässt. Bei Schalke 04 gab es schon so manchen Tumult, wenn mal wieder ein Präsident abzuwählen war. Bei der Frankfurter Eintracht wurde vor einigen Jahren ein Redner mittels eines kraftvollen Fausthiebs vom Podium befördert. Und auch bei den Löwen wurde der eine oder andere Delegierte schon einmal ausfällig. So etwa Winfried Schreyer, der nach eigener Auskunft vor drei Jahren „die Kontrolle verloren, getobt und geschrieen“ hat. Schreyer zählt sich zur Opposition gegen das aktuelle Präsidium. Eine Opposition, die es nicht leicht hat. Unter den 140 Delegierten war kaum einer, der etwas von Kritik an der Vereinsführung wissen wollte (…) Auf der Delegiertenversammlung wurde Wildmoser mit der Goldenen Ehrennadel für sein Wirken in den zehn Jahren seiner Präsidentschaft geehrt. Die Abgeordneten feierten ihn mit rhythmischem Klatschen im Stehen. Es fehlte nur noch, dass Wildmoser noch einmal aufstand und mit gereckten Armen den V-Stil des Kanzlers nachahmte. Bei all der Zustimmung und all dem Lob konnte der Präsident, wie das so seine Art ist, auch nicht zurückstehen und musste seine Arbeit selbst noch ein bisschen würdigen”
Felix Meininghaus (Tsp 8.11.) porträtiert den Dortmunder Torhüter. „Lehmann darf nicht nur an seinen Paraden gemessen werden. Sein Auftreten ist ebenso erstaunlich. Lange stand Lehmann in dem Ruf, der größte Kotzbrocken der Liga zu sein. Mittlerweile ist der Imagewandel vollzogen. Längst hat sich das ehemals so belastete Verhältnis zu den BVB-Fans und den Journalisten normalisiert. Früher gab es nach Spielen aus Trotz keine Statements vom Dortmunder Torwart. Der fühlte sich stets ungerecht behandelt. Heute ist der Mann ein gefragter Gesprächspartner.“
Spielbericht Hertha Berlin – Apoel Nikosia (4:0) Tsp
Interne Reaktionen in Berlin über die Situation der Hertha Tsp
Zweite Liga
Uwe Marx (FAZ 6.11.) über den neuen Trainer des Karlsruher SC. „Köstner ist kein Visionär des Fußballs und auch kein Schwärmer. Er fragt vielmehr: Was habe ich? Was kann ich? Und vor allem: Was kann ich nicht? Mit dieser selbstkritischen, oft unbequemen Bestandsaufnahme begann einst auch seine Arbeit bei der Spielvereinigung Unterhaching, die er mit beschränkten Mitteln, fußballerisch wie finanziell, aus der Regionalliga in die Bundesliga führte – bis heute eine der erstaunlichsten Erfolgsgeschichten in dieser Spielklasse. Auch in Karlsruhe setzt Köstner auf bewährte fußballerische Primärtugenden: „Hingabe, Disziplin, Loyalität.“ Er baut hier vor allem auf erfahrene Spieler, die ihre beste Zeit hinter sich haben. Seine Achse gleicht einer Altherren-Auswahl: In der Verteidigung sind Kapitän Thijs Waterink und Torsten Kracht gesetzt, der eine 33, der andere 35 Jahre alt. Im Mittelfeld rackert der 37 Jahre alte Bernhard Trares, im Angriff Bruno Labbadia, auch schon 36 (…) Ihren Talentiertesten haben die Karlsruher schon verloren, obwohl er noch da ist: Offensivkraft Clemens Fritz wechselt nach dieser Saison zu Bayer Leverkusen. 1,5 Millionen Euro brachte sein Transfer den Karlsruhern ein. Das Geld wurde bereits überwiesen, andernfalls wäre die Lizenz in Gefahr gewesen. Sportlich ist das ein Schritt zurück, finanziell einer nach vorn.“
Frank Heike (FAZ 6.11.). „Besonders, irgendwie „anders“ sind die Profis des FC St. Pauli nur noch einmal im Monat. Dann nämlich, wenn die Vereinszeitschrift „Viertel nach fünf“ die Spieler als Pin-ups im Mittelteil des Monatsmagazins abbildet: Nico Patschinski räkelt sich in Leopardenfellunterhose auf einer Samtcouch, Markus Lotter hockt in engen Jeansshorts auf einem orangenen Motorrad, Yakubu Adamu blickt fast nackt am Elbstrand liegend in die Kamera. Daß gerade diese drei Modelle auf der Streichliste von Trainer Joachim Philipkowski vor dem Pokalspiel an diesem Mittwoch gegen den SV Werder Bremen stehen, hat nichts mit den gewagten Aufnahmen zu tun, sondern mit ihrer Leistung beim 0:1 am vergangenen Freitag gegen den SC Freiburg. Und das wiederum sagt viel über den Gesamtzustand des tief gefallenen Absteigers aus der Bundesliga in diesen kalten Novembertagen 2002 – ausgerechnet die Stützen der St.-Pauli-Gesellschaft versagen. Das gilt für alle Ebenen des auf den drittletzten Rang der zweiten Liga gepurzelten Klubs von der Reeperbahn. Nicht der Wiederaufstieg, allein der Klassenverbleib ist das Ziel von Philipkowski, dem Nachfolger von Dietmar Demuth, und des Präsidenten Reenald Koch. Daß es in nur drei Monaten so weit gekommen ist, daß innere Ordnung und Anflüge von Professionalität als Überbleibsel des Bundesligaabenteuers längst wieder verloren sind, hat seine Gründe in einer Mischung aus verfehlter Einkaufspolitik und längst abgestellt geglaubter Führungsschwäche (…) Wenn man ehrlich ist, entspricht der FC St. Pauli derzeit dem Idealbild eines Absteigers – auf dem Rasen und in der Führungsetage. Warum nur wurde Henning Bürger vertrieben, der gerade bei der Eintracht in Frankfurt zeigt, welch guter Zweitligaspieler er ist? Wieso ließ man das Urgestein Andre Trulsen zu Holstein Kiel in die Regionalliga gehen? Zlatan Bajramovic, Thomas Meggle und Jochen Kientz waren nicht zu halten, fehlen trotzdem an allen Ecken. Es sieht düster aus auf St. Pauli, und die „Paadie“ am Millerntor ist selten geworden
Ausland
Peter Hartmann (NZZ 8.11.) berichtet. „Noch im Jahr 2000 gewann Lazio den Titel, im Sommer danach feierte eine Million Menschen die modernen Gladiatoren der AS Roma für das Meisterschaftsabzeichen im antiken Circo Massimo. Doch jetzt scheint dem megalomanischen Lazio-Mehrheitsbesitzer Sergio Cragnotti ein finanzielles Desaster bevorzustehen, und in der AS Roma mottet ein Bilanzskandal.“
„Präsident Campedelli von Chievo Verona will keine Schulden machen und seinen Klub verkaufen“ SZ
Spielbericht Champions League: Spartak Moskau – FC Basel (0:2) NZZ
„Der erwartete Rücktritt des Iren-Coachs McCarthy“ NZZ
Gewinnspiel für Experten