Nachschuss
Dietrich zur Nedden – Spiel ohne Ball. Materialien zu einer postheroischen Fußballtheorie für Kunstfreunde
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| Donnerstag, 25. März 2004
Wer das grün-weiße Bändchen „Spiel ohne Ball“ unter der Herausgeberschaft von Dietrich zur Nedden das erste Mal auf einem gut sortierten Büchertisch erblickt, denkt unweigerlich, der renommierte Merve Verlag hätte eine sportphilosophische Reihe eröffnet. Da in der Tischnachbarschaft dann allerdings Ulf Poschardts „Über Sportwagen“ fehlt, fällt der Etikettenschwindel mit dem grünen Trapez auf dem Cover bald auf – es handelt sich hier um eine geschickte Finte des „Internationale Härte Verlags“, der die theoriehaltige Textsammlung in die Nähe des Berliner Originals stellen will.
Der Titel des Vorworts unterstreicht die hohen Ambitionen – „Der Ball ist rund, damit er in alle Richtungen denken kann“ – der Herausgeber gibt damit die Taktik für die nachfolgenden 142 Seiten aus. Die Leser erwartet dann eine lockere Aneinanderreihung mehr oder weniger theoriestarker Reflexionen über unterschiedliche Themenkomplexe des modernen Fußball-Feuilletons. Hans-Ulrich Gumbrechts bereits in mehreren Variationen in der FAZ publizierten Gedanken über die Ästhetik des Sports eröffnen die Materialsammlung – sein Beitrag lobt die „Schönheit des Sports“ und stützt sich auf die „fundamentale Verbindung zwischen Sport und Gewalt“. Seine Kopplung der Begriffe Gewalt und Sport öffnet geschickt einen weiten Denkraum für ein flüssiges Kombinationsspiel mit den Überlegungen: „Gewalt ist eine ausgespielte Macht. Und was ist Macht? Macht ist das Potenzial, Räume durch Körper zu besetzen oder zu blockieren.“ Hatte Gumbrecht diesen Gedanken auch schon als wesentliches Konzept des American Football formuliert, so lässt er sich unschwer auf den europäischen Fußball übertragen: Hätten Christoph Metzelder und Carsten Ramelow im Spiel gegen Irland (1:1) nur ein wenig mehr Macht ausgeübt, wäre Deutschland bereits vor dem letzten Gruppenspiel gegen Kamerun die Achtelfinalteilnahme nicht mehr zu nehmen gewesen.
Auf den prominenten Aufmacher, der durchaus noch etwas mehr Spielanteile hätte haben können, folgen meist kleinere Textstücke, die von Reportagen aus dem Fan-Leben (u.a. ein Groundhopper-Portrait von Christoph Biermann) bis zur fußnotenhaltigen Darlegung über die gesellschaftliche „Konstruktion von Fußballfans als gefährliche Gruppe“ reichen. Dazwischen tauchen aus der Tiefe des Raumes immer wieder künstlerische Auseinandersetzungen mit der Thematik auf, etwa die „taktischen Sonette“, die Michael Quasthoff dem Fußball-Poeten Ror Wolf widmet, oder die erlebnisorientierte Prosa von Florian Waldvogel.
Passend zur Weltmeisterschaft lässt sich auch Jürgen Roths Collage zu einer „meist monströsen Medienspezies“ lesen – in 13 Miniaturen skizziert der Frankfurter Autor ein amüsantes Bild des Fußballreporters. Am eindringlichsten wirkt dabei der elfte Abschnitt: „1998 erreichte mich aus Stuttgart während einer hochbrisanten WM-Partie von einem befreundeten SDR-Fernsehjournalisten das schlicht-schöne Fax: „Bring´ mir den Kopf von Heribert Fassbender!“. Es hat nichts genützt.“
Im ganzen muss die Analyse allerdings eher kritisch ausfallen – der Band enthält zwar manchen nett anzuschauenden Gedanken, doch das große taktische Konzept ist nicht durchgängig zu erkennen. Außerdem ist den aufmerksamen Anhängern anspruchsvoller Sport-Lektüre vieles davon bereits bekannt, sei es aus anderen Standardwerken oder den Zeitungsseiten der gehobenen überregionalen Sportpresse. Und dennoch gehört der Band ins Bücherregal des denk- und lesefreudigen Fußballfans – nicht zuletzt wegen der schelmischen Aufmachung.
Christoph Bieber
Dietrich zur Nedden (Hg). Spiel ohne Ball. Materialien zu einer postheroischen Fußballtheorie für Kunstfreunde. Hannover, Internationale Härte Verlag.
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