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Dominanz der Defensive und Destruktivität – Andreas Möller geht – die Stimmung in Cottbus (traurig) und in Berlin (höhnisch)
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| Donnerstag, 25. März 2004
Daniel Theweleit (FR 21.5.) zieht ein ernüchterndes Saisonfazit. „Noch vor einem Jahr beglückte Bayer Leverkusen Europa mit wunderbarem Offensivfußball. Ich habe halt eine eigene Philosophie. Ich liebe den technisch schönen Ansatz, das Kurzpassspiel, das begeistert, erklärte Klaus Toppmöller sein Konzept, mit dem die Mannschaft die Herzen verzauberte. Er beharrte auf diesem Konzept, bis er deshalb entlassen wurde. Inzwischen erfreuen sich zwar immer noch Menschen – nämlich jene mit einem Faible für die Lust am Niedergang – an Bayer Leverkusen, aber in Wahrheit ist der Zerfall des toppmöllerschen Konzeptes, der Umschwung auf einen Fußball der Prägung Thomas Hörster (dennoch entlassen zwar), eine Tragödie. Geholfen hat dieser fußballerische Paradigmenwechsel kaum, aber er steht beispielhaft für eine Tendenz, die die am kommenden Wochenende endende Fußballsaison kennzeichnet (…) Lichtblicke der Spielfreude waren allein der VfB Stuttgart mit seiner disziplinierten Leidenschaft und Hannover 96, dessen Trainer Ralf Rangnick wohl am eindeutigsten das Offensivspiel zur Priorität erklärte. Am Ende wurde er belohnt, weil Jiri Stajner in letzter Minute mit einem Hoppelball zum 2:2 gegen Borussia Mönchengladbach traf – übrigens nach einem langen, verzweifelten Befreiungsschlag des Torwarts Tremmel. Das Highlight also ein Abstiegskandidat, dessen Trainer lange Zeit um seinen Job fürchten musste. Es kann Zufall sein, aber auffällig ist die Parallele des Erscheinungsbildes der Fußballsaison zur allgemeinen Befindlichkeit schon: Bloß nichts verlieren, die Bereitschaft zu Solidarität und Risiko tendiert gegen Null, die Schwelle zur Resignation ist niedrig, und überall steht Besitzstandswahrung im Mittelpunkt. Die Angst vor dem Verlust treibt die Leute in die Defensive, und der messbare Erfolg tritt noch stärker in den Vordergrund. So lässt sich die Stimmung im Land beschreiben, und mit dieser Einstellung liefen am Wochenende meist auch die Bundesligaspieler auf den Platz. Das Resultat: Fußballerische Tristesse. Bälle werden lang nach vorne geschlagen, die Nachsicht gegenüber Spielern, die das Risiko suchen, schrumpft auf ein Minimum, und Trainer predigen Realismus, greifen auf Spieler zurück, deren Primärstärke Zuverlässigkeit ist. Genialität, Inspiration und das Gefühl für das Außergewöhnliche gedeiht in solch einem Umfeld nur dürftig. Wo waren die wirklich begeisternden Spiele in diesem Jahr?“
BSC-Connection
Mit einem liebenswerten Portrait verabschiedet Thomas Kilchenstein (FR 21.5.) einen der erfolgreichsten deutschen Spieler der 90er aus der Liga. „Andreas Möller kommt aus Frankfurt-Sossenheim, einem Stadtteil an der Peripherie der Stadt, er stammt aus einfachen, aus intakten Verhältnissen. Sein Trainer war Klaus Gerster, der später schwarzer Abt hieß und von der Uefa kurzzeitig zur Persona non grata erklärt wurde. Damals, Mitte der Siebziger, hieß er aber noch Bimbo, spielte Mittelstürmer in der ersten Mannschaft und bekam die Bälle aufgelegt von Thomas Kruppa, der später als Anwalt den beiden bei den hochkomplizierten Vertragswerken, etwa beim Wechsel von Eintracht Frankfurt zu Juventus Turin, zur Hand ging. Es war eine überschaubare Welt, simpel gestrickt, aber höchst effizient: Der Andy kickte, besser als die meisten, der Bimbo, Freund und Berater, führte ihn und der Kruppa erledigte das Juristische. Manche sprachen da von der BSC-Connection. Aber sie funktionierte prächtig, für alle Beteiligten. Und Andy Möller startete seine, wie er sagt, Traumkarriere. In diesen Tagen des Abschieds fragt man sich krampfhaft, warum sich die unzweifelhaft vorhandenen Erfolge des Andy Möller nicht fester im Gedächtnis eingebrannt haben. Gemessen an seinen errungen Pokalen und Titeln hätte Möller eigentlich ein Weltstar sein müssen. Doch in Erinnerung bleibt irgendwie nur: Jammerlappen, Schönwetterspieler, Schwalbenkönig. Ein Held der Massen war Andy Möller nie, dazu war er, obwohl bodenständig, höflich und kreuznormal, nicht authentisch genug. Er taugte nicht zum Helden der Massen, weil man sinnbildlich stets die Strippen sah, an denen Gerster zog. Andreas Möller ist, trotz manch gedrechselten Satzes, trotz des vielen Geldes, des Ruhms, im Grunde immer der kleine Junge vom BSC 19, vom Rosegger Sportplatz geblieben, der nichts als Fußball spielen wollte, schönen, schnellen Direktfußball. Am liebsten ohne die ganzen unangenehmen Dinge wie Körperkontakt, Grätschen, arbeiten nach hinten, ackern und kämpfen. Bei ihm sollte es leicht aussehen, spielerisch. Es sah aber oft aus, als sei er sich zu schade für den gemeinen Pressschlag, als wolle er sich nicht wehtun beim Sport. Dabei wollte er nur den perfekten Fußball spielen, so wie damals 1992 in Frankfurt bei der Eintracht unter Stepanovic. Das war meine schönste Zeit als Fußballer. Nur gewonnen hatte er damals nichts. Das hat er später nachgeholt, mit Borussia Dortmund ist er erstmals Meister geworden, das war sensationell, er ist mit Juventus Turin Europapokal-Sieger geworden, mit Deutschland Welt- und Europameister, 1992 Vize-Euromeister. 1990, als damals jüngster Spieler, hatte er nur ein paar Kurzeinsätze, in keinem der drei Endspiele war Möller dabei. Möller war nie unumstritten. Er weiß das inzwischen, bei jedem meiner Wechsel musste ich mich neu beweisen. Ungewöhnlich für einen Fußballer seiner Klasse.“
Alles Denkbare ist auch machbar
Christian Zaschke (SZ 21.5.) analysiert die Stimmung in Cottbus. „Das Poesiealbum wurde vor drei Jahren geöffnet. Damals haben Antje Schlodder-Franke und ihr Mann Peter Franke ein rot gebundenes Buch bereitgelegt, etwas breiter als hoch, und jeder Erstliga-Trainer, der seitdem im Stadion der Freundschaft in Cottbus zu Gast war, hat etwas hineingeschrieben. Die beiden führen einen Landgasthof außerhalb der Stadt, und sie sorgen für Essen und Getränke für die Vips und die Presse bei den Heimspielen des FC Energie, des Fußballklubs der Stadt. Am 23. September 2000, der Aufstieg des FC Energie Cottbus in die Erste Liga war noch frisch, schrieb Christoph Daum, damals Trainer von Bayer 04 Leverkusen: „Alles Denkbare ist auch machbar.“ Er war ein Mann, der in Slogans sprach, und damals glaubte man ihm. Im Nachhinein scheint es, als habe er der erstaunlichen Geschichte des Cottbuser Fußballvereins ein Motto verpassen wollen. Natürlich ist es ein pathetischer Spruch, doch er passt zu Cottbus und seiner eigenwilligen Poesie. Worte klingen in dieser Stadt manchmal sehr groß. Als am vergangenen Samstag der FC Energie zu seinem letzten Heimspiel in der Ersten Liga antrat, haben die Fans ein Transparent entrollt. „Träume werden von der Realität verschluckt“ stand darauf, und dazu hielten sie graue Tafeln in die Luft. Die drei Jahre von Cottbus sind vorbei. Plötzlich war die kleine Stadt mit ihren 105.000 Einwohnern damals auf die Landkarte geworfen worden, der Fußball kann das. Unterhaching ist auf diese Weise bekannt geworden, oder Wattenscheid und Uerdingen. Der Fußball hatte der Stadt Cottbus Selbstbewusstsein gegeben, jetzt wussten die im Westen immerhin ungefähr, wo dieses Cottbus liegt.“
Er ist aber ’n Schalker!
Javier Cáceres (SZ 21.5.) war auf der Mitgliederversammlung von Hertha BSC. „Gewiss, einen Eklat im engeren Sinne gab es nicht. Und mit Ausnahme einer an Nationalverteidiger Marko Rehmer adressierte Erkundigung aus dem off („Marko, was macht die Psyche?“) waren auch die verbalen Tiefschläge eher spärlich gesät. Aber man musste schon eine eigene Sicht auf die Dinge haben, um die Mitgliederversammlung des Fußball-Bundesligisten Hertha BSC Berlin als „sehr harmonisch“ zu empfinden, wie es der Vereinsvorsitzende Bernd Schiphorst tat, seiner Miene nach in vollem Ernst. Das war allein deshalb überraschend, weil er der Erste gewesen war, der im Redefluss unterbrochen wurde: Als er unter Tagesordnungspunkt eins, Eröffnung und Begrüßung, feststellte, dass Hertha „vor zehn Jahren praktisch am Ende“ war, erntete er gemurrten Unbill – dies sei ja langsam bekannt. Als Schiphorst aber ansetzte, Hertha einen Platz „in der deutschen Spitze“ zuzuschreiben, formte sich das Echo zu Hohn. Und Gelächter. Es brauchte am Montagabend keines Stethoskops, um festzustellen, wie sehr das Herz der Hertha rast am Vorabend des letzten Spieltags der laufenden Saison (…) Trotz der Inszenierung des Abends durch Hoeneß ließ sich ein Thema nicht vertreiben: die Distanz zwischen Trainer Huub Stevens und jenem Teil der Herthaner, der ihm seinen Lebenslauf vorhält, der zwischen 1996 und 2002 eine Tätigkeit bei Schalke 04 ausweist. Auch Stevens richtete sich per Mikrofon an die Mitglieder, in Demut zwar („Es ist nicht einfach, hier zu stehen“) , aber doch auch mit Grimm. Vermutlich würde Kanzler Schröder auf einer IG-Metall-Tagung mehr Zuspruch erfahren als der Niederländer in Berlin. „Die ganze Liga beneidet uns um Huub Stevens“, beteuerte Hoeneß – und hörte Protest. Als er Stevens „ein Juwel“ nannte, gellte es ihm aus einer Kehle entgegen: „Er ist aber ’n Schalker!““
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