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Drei Pressestimmen über das Ereignis des Jahres

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Drei Pressestimmen über das Ereignis des Jahres

Gefühl der Leere und so etwas wie Phantomschmerz

Christoph Biermann (SZ 28.1.): „Ruhelos strich Günther Koch über die leeren Ränge des Tivoli. Mal reportierte er neben der kleinen Pressetribüne, mal befragte er die winzige Schar der Offiziellen. Dann wieder redete Koch mit Ordnern, der Bedienung an der einzig offenen Würstchenbude oder tauchte auf dem unbesetzten Würselener Wall hinter einem der beiden Tore auf. Immerfort sprach die Reporterlegende des Bayerischen Rundfunks, zweimal 45 Minuten am Stück, so lange wie die Partie unten auf dem Rasen dauerte. Doch nicht im Auftrag der Sportredaktion war Koch unterwegs, sondern für die Hörspielredaktion sprach er das auf Band, was er selbst ein „Echtzeit-Hörspiel“ nannte. Es war richtig, mit Kunst auf die artifizielle Situation eines Fußballspiels unter Ausschluss des Publikums zu reagieren. Noch unbestimmte Zeit wird verstreichen, bis alle hören können, ob Kochs Kunstversuch gelungen ist; das Experiment eines zuschauerlosen Fußballspiels, das ist jetzt schon klar, ist gescheitert. Eine pädagogische Absicht stand dahinter, die Partie auf diese Weise zu wiederholen. Nie zuvor war im deutschen Fußball so eine Strafe ausgesprochen worden, weshalb das Spiel den Charakter einer Versuchsanordnung bekam. Das Vergnügen von höchster Exklusivität bei den Wenigen, die trotzdem hinein durften, verflog bald. Die „größte Freiluft-Pressekonferenz“, wie Stadionsprecher Robert Moonen witzelte, war nämlich nicht das spektakulär Andere, sondern das eigentlich ganz Normale. An jedem Wochenende werden Tausende von Spielen in den Kreis- oder Bezirksligen vor nicht mehr als einer Hand voll Zuschauern ausgetragen. Dort werden Schüsse, Pässe und Dribblings nicht durch Gefühlsaufwallungen von den Rängen mit Bedeutung aufgeladen. Dort ist Fußball nur Sport. Die Abwesenheit des Publikums löste bei allen Beteiligten in Aachen ein Gefühl der Leere und so etwas wie einen Phantomschmerz aus.“

Bernd Müllender (FR 28.1.): „Die Highlights gab es nachher. Verantwortlich waren zum Beispiel die Ordner. Die hatten sich im Laufe der zweiten Halbzeit zu Grüppchen von Securitooligans zusammengerottet, und feierten von den ansonsten gähnend leeren Tribünen herunter lautstark die Tabellenführung: Spitzenreiter, hey, hey. Oder Aachens Spieler. Die liefen nach dem glücklichen Sieg vor den leeren Fanblock, um demonstrativ ihr Jubelritual zu zelebrieren. Machte ja nichts, dass die Anhänger nur in ihrer Fantasie mitfeierten – alle hatten die schöne Geste verstanden. Nach dem DFB-Urteil, das Spiel zu annullieren und vor leeren Rängen zu wiederholen, war wochenlang diskutiert, gestritten und gegiftet worden. Nachher waren alle froh, dass das erste Geisterspiel in der Geschichte des deutschen Profifußballs ohne Zwischenfälle verlaufen war: 90 bizarre und überaus faire Minuten Fußballsport. So vieles war anders in der merkwürdigen Tristesse der Tiefkühltruhe Tivoli. Man verstand, wie sich die Spieler anbrüllten oder Schiedsrichter Lutz Wagner mahnte Hände weg. Eine Geräuschkulisse wie in der Bezirksliga, durch die Tribünen aber wie aus einem Kaffeekessel widerhallend Zeugen waren pro Team abgezählt 40 Beteiligte (Spieler, Betreuer, Cluboffizielle), je knapp Hundert Pressemenschen und Ordner, ein paar Polizisten, der Platzwart. Die Atmosphäre lähmte. Anfangs vor allem die Aachener Spieler, die orientierungslos herumliefen, als seien sie ihre eigenen Geister. Die Reporter hatten das Presseblöcklein wie paralysiert betreten und trauten sich zunächst kaum zu sprechen, als wäre man bei einer Andacht. Widerstandslos ließen sie sich Alemannia-Shirts reichen ( Wir sind die wahre Nr.1), zogen sie, soweit heimisch, über die dicken Wintermäntel und liefen fortan als groteske Fußballleberwürste herum. Musik fehlte, ebenso Werbedurchsagen. Aber es gab einen Stadionsprecher. Die Zuschauerzahl zu verkünden, verkniff er sich mühsam scherzend: An den Spätkassen wird noch gezählt.“

Gut, Williiii! Toll, Williiii! Komm doch, Williiii!

Ingo Petz (Tsp 28.1.): “Im ersten so genannten Geisterspiel des deutschen Profifußballs ging nichts von der taktisch wichtigen Feld-Kommunikation im sonst lauten Stadion-Singsang unter. Die Spieler riefen: „Hey, hey“ und „Jaaaa, jaaa“, „Komm, spiel, hierher!“. Von den Trainern (zumeist Nürnbergs Wolf, Jörg Berger blieb im Schutz der Bank stumm) war zu hören: „Rückraum!“ und „Pass doch“ und „Oh, nein, oh, Gott!“ Und von der Ehrentribüne, die mit rund 100 Journalisten und einigen Alemannia-Funktionären besetzt war, kamen die wichtigsten Tipps: „Gut, Williiii!“ und „Toll, Williiii!“ oder „Komm doch, Williiii!““

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