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Drei-Säulen-Theorie des Abstiegskampfs
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| Donnerstag, 25. März 2004Drei-Säulen-Theorie des Abstiegskampfes: die akut bedrohliche Situation in Leverkusen – die fast so akut bedrohliche Situation in Rostock – Shao, der Münchner Chinese assimiliert sich – St. Pauli muss Personal entlassen – ein Trainerrausschmiss während der Pressekonferenz in Verl u.a.
Drei-Säulen-Theorie des Abstiegskampfes
Michael Horeni (FAZ 26.4.) erklärt die Situation in Leverkusen. “Vor genau einem Jahr, auf den Tag genau, da spielte Leverkusen bei Manchester United, und in dieser Nacht verzauberte Bayer die Fußballwelt. Das war phantastisch für den Fußball, sagte damals Sir Alex Ferguson, nachdem Bayer sich mit einer zauberhaften Vorstellung (2:2) in Old Trafford den Weg ins Finale der Champions League geebnet hatte. Wie sich heute zeigt, war diese Nacht der Höhepunkt in einem Jahrhundert Bayer-Fußball. Aus Träumen werden Ziele, sagte Trainer Toppmöller damals. Im Rückspiel retteten sie den Ertrag noch über die Zeit. Danach ging alles verloren. Calmund hat sich am Mittwoch das großartige 4:3 von Real Madrid im Viertelfinale in Manchester angesehen. Die beiden großen Bayer-Gegner vom letzten Jahr – aber jetzt Lichtjahre entfernt (…) Calmund hat eine Drei-Säulen-Theorie des Abstiegskampfes. Nachdem er Reals Sieg in Manchester sah, ist er tiefer denn je davon überzeugt, daß Bayers vielleicht unaufhaltsamer Absturz die schwindelnde Höhe zur Bedingung hat. Die erste Säule: Existenzkampf. Wenn er den Spielern mit diesem Argument komme, dann weiß er, was diese sich denken und womöglich sogar sagen: Schau dir mein Haus an, schau dir mein Konto an, sagt Calmund, Existenzkampf ist bei uns Fehlanzeige. Die Spieler haben gute Perspektiven. Die zweite Säule: Selbstkritik. Ohnehin kaum vorhanden bei Bundesligaspielern, sagt Calmund, aber bei erfolgreichen Spielern noch viel weniger. Die hören doch zu Hause und von ihren Freunden nur, wie gut sie im letzten Jahr noch waren, in Leverkusen und bei der Nationalmannschaft. An ihnen könne das doch nicht liegen. Und wenn sie Selbstkritik übten, zeigten sie gleich auf drei oder vier andere dazu. Selbstkritik – dafür gibt es keine Pillen. Dritte Säule: Das Strickmuster des Spiels. In Notsituationen, so Calmund, tendierten die Spieler auch unter veränderten Bedingungen dazu, auf diejenigen Muster zurückzugreifen, die sie erfolgreich gemacht hätten – auf das spielerische Muster also, auf Toppmöllers Erbe. Aber am Strickmuster läßt sich etwas ändern, sagt Calmund. Das ist des Trainers Aufgabe. Aber die Säulen-Theorie klingt nicht nach Calmund. Auch nicht nach Hörster. Sie klingt nach Daum, nach seinem Vermächtnis. Aber wer weiß, ob es in diesen Tagen nicht schon um Calmunds Erbe geht.“
Kopfsache
Erik Eggers (Tsp 26.4.) schreibt. „Der Kern des Problems bei Bayer liegt ohnehin woanders. Es ist „die Kopfsache“, wie Hörster sie nennt. Auch er hat noch keine Generalantwort darauf gefunden, warum seine Mannschaft in kritischen Momenten in beunruhigender Permanenz kollabiert. „Wir haben viel darüber geredet“, sagt er. Hörster hat die Hoffnung nicht aufgegeben, dass sein Team endlich „die guten Leistungen im Training auf dem Platz umsetzen kann“. Vor gut zwei Jahren noch hat sich bei Bayer ein Sportpsychologe mit derlei Kopfsachen beschäftigt. Der damalige Trainer Klaus Toppmöller hat ihn sofort abgeschafft. Sein Argument: Ein Trainer müsse sein Team selbst motivieren. Und nun, da viele Spieler ganz offenbar schwere mentale Probleme haben? „Da haben wir nicht drüber nachgedacht“, sagt Hörster. „Wenn man so etwas macht, dann die ganze Saison über.“ In dieser Situation sei das zu kurzfristig. Bayers Sportdirektor Jürgen Kohler verzieht bei solchen Worten keine Miene. Und das leidige Thema Udo Lattek, die ganze Diskussion, wer nun wem einen Korb gegeben hat, Bayer Lattek oder Lattek Bayer – da verdreht Kohler nur noch genervt die Augen. „Wir konzentrieren uns nur auf Gladbach, alles andere interessiert uns nicht“, sagt Kohler. Thema erledigt, für ihn jedenfalls – aber auch für Bayer Leverkusen?“
Mit sieben Millionen Euro gegen den Abstieg versichert
Christoph Biermann (SZ26.4.) teilt mit. „Sollte Bayer absteigen, werden sich andere Vereine darum reißen, Schneider, Bastürk, Lúcio oder Neuville zu verpflichten. Sie mögen das sportliche Stigma eines Abstiegs mitbringen, aber selbst das wäre bald vergessen. „Es ist jedenfalls lachhaft im Vergleich zur Situation bei anderen Klubs“, findet Calmund, denn in Gladbach oder Nürnberg, Bochum oder Rostock würde manchem Profi in der Zweiten Liga ein deutlich bescheideneres Auskommen oder gar die Arbeitslosigkeit drohen (…) Es dürfte an den Bayer-Profis auch nicht spurlos vorübergehen, dass sich ihr Arbeitgeber fast zwei Wochen lang vom geltungssüchtigen Udo Lattek vorführen ließ. „Es muss endlich Ruhe in den Laden“, fordert Carsten Ramelow. Der Mannschaftskapitän scheint sich zu fragen, wie im Kabinentrakt Geschlossenheit und Teamgeist entstehen soll, wenn aus den Büros nur Kakophonien zu hören sind, als wolle jeder vor dem Versinken in der Zweiten Liga noch so oft in der Zeitung stehen, wie es geht. „Das kann doch für die Spieler kein Alibi sein“, entgegnet Calmund und rechnet vor, dass unter Toppmöller, wo es noch ruhig blieb, im Schnitt 0,95 Punkte pro Spiel geholt wurde. Unter Hörster hingegen wären es trotz all der öffentlichen Debatten im Schnitt immerhin 1,25 Zähler gewesen. Das mag sein, nur wenn in diesem Tempo weiter gepunktet würde, hätte Bayer Leverkusen am Ende der Saison 36 oder 37 Zähler. Und müsste absteigen. Immerhin ginge Bayer selbst in diesem Fall nicht ganz leer aus. Der Klub ist mit sieben Millionen Euro gegen den Abstieg versichert.“
Lattek kontra Leverkusen SZ
Wenn man den Platz betritt, beginnt der Krieg
Christian Zaschke (SZ 26.4.) porträtiert einen Chinesen in den Reihen von 1860 München. „Als der Fußballer Jiayi Shao aus China nach Deutschland kam, von Peking nach München, von Guo’an Bejing zum TSV 1860 München, da haben sie ihm erstmal Weißwürste serviert. Manche Eltern werfen ihre kleinen Kinder ins Wasser, weil diese dann angeblich schwimmen lernen. Sie beginnen, sich im Wasser zu bewegen, weil sie überleben wollen; das sagt die Theorie. Jiayi Shao schob mit der Gabel ein Stückchen Weißwurst in den Mund. Er kaute. Er lächelte dabei. Die Fotografen drückten auf die Auslöser ihrer Kameras. Schließlich schluckte Shao. „Lecker“, ließ er den Dolmetscher sagen. Nach dieser ersten und ernsten Prüfung brachte er alle weiteren Initiationsriten ohne Probleme hinter sich. Er wurde in Lederhosen fotografiert, er wurde mit riesigen Brezeln fotografiert, er hielt Weißbier in die Kameras. Dazu lächelte er. Ein Chinese in München. Den Sechzigern war ein Coup gelungen. Aber konnte der Mann auch Fußball spielen? Bei seinem ersten Spiel verloren die Löwen 0:1 gegen Hannover. Es war ein absurd schlechtes Spiel, die wenigen Zuschauer hatten ziemlich miese Laune, es war trostlos. Weit mehr als das Weißwurstessen hat dem Fußballer Shao dieser erste Auftritt deutlich gemacht, wo er gelandet war. Er hatte von dem Fußball gekostet, der in den tieferen Lagen der Bundesliga gespielt wird. Geschmeckt haben kann ihm das nicht. Auch die Sechziger sahen nun, wen sie da eingekauft hatten. Einen technisch guten Fußballer, Linksfuß, harter Schuss, der bisweilen staunt über das Spiel, das auf dem Platz um ihn wogt. „Ich muss noch viel lernen“, sagte Shao, und dieser Satz stimmt. Taktik zum Beispiel, Härte, Übersicht, Selbstbewusstsein (…) In China ist er ein Star, er wird dort verehrt. In München ist er jemand, der lernt, vielleicht eine Hoffnung, sicher ein Exot. Eine neue Rolle. „Es braucht Zeit“, sagt Jiayi Shao, „alles braucht Zeit.“ Wann er bereit sei? „Ich muss den Rhythmus des Teams lernen. Es dauert nicht mehr lange.“ Er ist so ruhig. Dann sagt er: „Man muss seine Haltung hier ändern. Fußball ist nicht mehr nur Spaß. Wenn man den Platz betritt, beginnt der Krieg.“ Dabei schaut er genau so freundlich wie damals, als er seine erste Weißwurst aß.“ Kantinenfußball
Dirk Böttcher (FR 26.4.) skizziert die bedrohliche Lage für Hansa Rostock. „Eine Lokalzeitung hat in dieser Woche über die Kandidaten für die zweite Liga abstimmen lassen, Hansa Rostock war dabei. Nun kann man das sachverständige Publikum im Norden zwar loben, doch so wenig Glaube an das eigene Team verwundert schon. Das Wissen kommt aus erster Hand. Wer die stolprigen Heimauftritte der Hanseaten bisher verfolgen musste, tut sich schwer, auf diese Mannschaft noch einen der viel zitierten Pfifferlinge zu geben. Zumal doch bessere Fußballkost versprochen wurde. Armin Veh soll Rostock noch immer das elegante Ballspiel beibringen. Was der Zuschauer zu sehen bekam, war jedoch die gleiche Standard-Norm-Soße, wie schon zu Friedhelm Funkels Zeiten. Den jagten sie davon, weil sie es nicht mehr mit angucken konnten, das grobfüßige Gebolze. Dabei war sich Funkel sicher, Rostock könne nur diesen Kantinenfußball, für das Gala-Buffet reicht es nicht. Auch Armin Veh plagen nun solcher Art Einsichten. Besser können sie es nicht, lautete sein Fazit nach der jüngsten Heimniederlage gegen die Hertha. Statements wie in der Rückrunde der letzten Saison, als Veh den Kader für derart ungeschickt zusammengestellt hielt, dass er viele taktische Feinheiten im Training gar nicht erst probte. Weil ihn doch die meisten der Durchschnittsspieler eh nicht verstanden hätten. Also wünschte er sich neue, bekam sie auch – und es änderte sich nichts (…) Veh stöhnt derweil: Geld schießt Tore und verhindert sie, und sagt, wenn wir am Ende drei Mannschaften hinter uns lassen, ist das ein großer Erfolg. Das ist es zweifelsohne, doch seine und die Ansprüche des Vereins waren das nicht. Sein Intimfeind, die Zeitung mit den großen Schlagzeilen, rechnete ihm in dieser Woche recht knackig ihr Einmaleins vor. Immerhin kann sich Rostock einen jährlich 1,3 Millionen Euro teuren Bachirou Salou leisten, für Rade Prica blätterte man immerhin 2,2 Millionen hin.“
Interview mit Hans Meyer FR
Zwei Berliner Tageszeitungen porträtieren Fredi Bobic Tsp BLZ
Aus dem Unterhaus
Zur finanziellen Lage in St. Pauli liest man von Jörg Marwedel (SZ 26.4.). „Der Brief an Kölns Trainer Friedhelm Funkel enthielt eine Reihe unkonventioneller Ratschläge für das Fußball- Zweitligaspiel gegen den FC St. Pauli an diesem Montag. „Geben Sie Ihrer Mannschaft vor dem Spiel vier Tage am Stück frei, die diese dafür nutzen soll, die Aufstiegsfeierlichkeiten bereits einmal zu proben“, hieß es dort. Oder: „Es ist in den Regeln nicht vorgeschrieben, dass eine Mannschaft mit elf Spielern auf dem Platz stehen muss. Zeigen Sie Mut zur Lücke!“ Oder: „Probieren Sie mal ein 2-2-6 resp. 2-2-4-System aus!“ Die Ideen zur Förderung eines St. Pauli-Sieges beim Tabellenführer, ausgeheckt von einem Kölner Fan und einer St.-Pauli-Anhängerin, spiegeln die aktuelle Stimmung im Sympathisantenlager des in Not geratenen Hamburger Kultvereins ziemlich gut wider: irgendwo zwischen Verzweiflung und ungebrochenem Humor. Weniger humorig geht es in diesen Tagen auf der Geschäftsstelle am Millerntor zu. In dem Container neben Klubhaus und baufälligem Stadion spürt man längst die Vorläufer des düsteren Szenarios, das dem drohenden Abstieg des FC St. Pauli in die Regionalliga folgen würde. Der Abschied aus dem Profilager würde bedeuten, dass der größte Amüsierbetrieb jenseits der Reeperbahn Stellenabbau betreiben muss – in einem Maße, das nicht einmal der abgezockteste Unternehmer sozialverträglich nennen würde. Doch die Sparwelle hat schon begonnen. Dem Platzwart und dem Klubwirt ist bereits gekündigt worden, den Redakteuren des Vereinsmagazins 1/4nach5 ebenso. Um ihre Jobs bangen die Damen in der Buchhaltung, ein Marketingmann, der Talentspäher und mehrere Jugendtrainer (…) Fest steht, dass man die Personalkosten nun um rund 50 Prozent reduziert. Und weil reizvolle Alternativen für die meisten Spieler rar sind, wollen viele selbst zu den neuen Bedingungen bleiben. St. Pauli profitiert also ein weiteres Mal von der Rezession. Beutel jedenfalls ist überzeugt, dass die veränderte Marktlage „die Wertigkeiten verrückt“. Statt der „Fokussierung auf das Geld“ bekämen „Werte wie Atmosphäre und Tradition wieder mehr Bedeutung“ für die Spieler. Kann nur heißen: St. Pauli hat Zukunft.“
Dirk Graalmann (SZ 26.4.) meldet sich aus der Provinz. „Peter Mankartz ist ein Geschäftsmann. Seit 25 Jahren kümmert sich seine Firma um Schuhreparaturen, Beschilderungen und Schlüsseldienst. Mankartz hat viel zu tun. Er ist ein Entscheider. Seit vergangenem Sommer ist er nebenbei Präsident des Fußball-Regionalligisten SC Verl. Auch da entscheidet er schnell. Zuletzt am Donnerstag. Da hat er seinen Trainer Dieter Brei entlassen. Live. Vor Publikum. Auf der Pressekonferenz vor dem Spiel gegen den Dresdner SC. Ein Novum im deutschen Fußball. 40 Minuten hatte der 52-jährige Fußballlehrer Brei (der als Spieler von Fortuna Düsseldorf im Europacup-Finale 1979 stand) über die prekäre Situation des abstiegsbedrohten Klubs (Rang 13) referiert, dabei auch Seitenhiebe auf die Vereinsspitze eingestreut. Dann wurde es Mankartz zu viel. „Er fühlte sich wohl beleidigt, in die Ecke getrieben“, glaubt Brei. Der Boss stand auf, ging raus, telefonierte kurz – und senkte cäsaristisch den Daumen: „Du hast fehlende Einigkeit und ein Machtvakuum beim SC Verl beklagt. Ich als Präsident fülle das jetzt aus und beurlaube dich mit sofortiger Wirkung.“ Eine lustige Posse, und vermutlich wird sie das Einzige sein, das jemals in der Fußball-Geschichtsschreibung über den SC Verl zu lesen sein wird.“
Stefanie Kneer (FR 25.4.) besuchte Union-Trainer Miroslav Votava. „Ein halbes Jahr ist der frühere Bremer Profi jetzt in Berlin-Köpenick; ein halbes Jahr Auf und Ab im Ostteil der Hauptstadt. Noch sind sich die Berliner nicht einig über die Qualitäten ihres Trainers. Stürmer Baumgart formulierte es so: Ob er wirklich ein Guter ist, muss er sicher erst noch unter Beweis stellen. Aber Votava leistet engagierte Arbeit und hat eine faire Chance verdient. Eine Eins mit Stern klingt anders. Votava selbst sagt über die schwierige Situation in Berlin: Wo ein Georgi Wassilew oder, wie früher in Bremen, ein Otto Rehhagel lange Jahre erfolgreich gearbeitet haben, da ist es immer schwer, sich als Trainer zu etablieren. Der zweifellos begabte Fußballlehrer, der bisher nur auf kurze Engagements bei den damaligen Regionalligisten VfL Oldenburg und SV Meppen zurückblicken kann und danach als Scout beim SV Werder Bremen tätig war, wirkt manches Mal noch wie in der Lehrzeit. Manchmal übt der Übungsleiter selbst noch ein bisschen. So zum Beispiel bei der Torwartrotation. Zwei Spiele war Sven Beuckert die Nummer eins, zwei Spiele stand Robert Wulnikowski im Kasten – immer abwechselnd. Schmarrn sagte Sepp Maier, Bundestorwarttrainer, dazu auf Anfrage der Berliner Zeitung. Von da an war Wulnikowski Stammtorwart.“