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Effenberg hilft Wolfsburg

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Effenberg hilft Wolfsburg

Martin Hägele (NZZ 19.11.). „Der Mann, der vier Jahre lang die Verantwortung übernommen hat im deutschen Rekordmeister, der im Champions-League-Final 2001 zwei Penaltys verwandelte, als sich keiner seiner Mitspieler in den Strafraum des FC Valencia traute, der würde seiner alten Firma ohne Zweifel noch immer gut tun. Gerade jetzt, wo sie immer noch in einer Krise steckt – trotz den luxuriösen Umständen, mit fünf Punkten Vorsprung vor der Konkurrenz die Bundesligatabelle anzuführen. Dies als Fazit jener Debatte, die über dem Wochenende geschwebt hatte, an welchem der Star mit seinem neuen Ensemble zum ersten Mal in die Vergangenheit zurückgereist war. Vor und erst recht nach dem Besuch bei den Bayern aber muss die generelle Frage lauten: Hat es sich rentiert, dass der grosse Blonde seine Karriere in der niedersächsischen Provinz fortgesetzt hat? Ja. Effenberg hilft Wolfsburg. Und zwar an allen Ecken und Enden der Stadt. In der VW- Stadt hat der Fussballprofessional sogar einen festen Wert. Bernd Sudholt, Vorstand im Autokonzern und stellvertretender Aufsichtsratschef der VfL Fussball GmbH, hat ihn sogar im Detail taxiert: zehn Millionen Euro Werbewert, zehn Millionen sportlicher Wert. Macht zusammen zwanzig Millionen Euro für den «absoluten Glücksgriff» (Sudholt). Viele, die geglaubt hatten, der alternde Ausnahmespieler benutze Wolfsburg vor allem deshalb, um auf seiner letzten Station als Professional noch einmal richtig Kasse zu machen und den nach mehr Image strebenden Klub abzuzocken – all diese Kritiker könnten nun Entschuldigungsschreiben nach Wolfsburg schicken. Effenberg mag zwar ein schwieriger und manchmal erschreckend egozentrischer Zeitgenosse sein; was seinen Beruf betrifft aber, besitzt er einen richtig guten Fussballcharakter. Er quält sich für den Erfolg und fühlt sich auch für seine Mitspieler verantwortlich; er ist alles andere als eine Diva (…)Effenberg zeigt mit jeder Geste und mit jedem Wort, dass man nur an Ziele glauben muss. Bevor sie in Wolfsburg eher zufällig auf ihre Frontfigur gestossen sind, hat die Volkswagen-Stiftung an der Universität Tübingen ein Forschungsprojekt unter dem Titel «Global Player – Local Hero» in Auftrag gegeben. Heute schon lässt sich sagen, dass am Ende dieser sportwissenschaftlichen Untersuchung ein ganz anderes Bild vom Fussballidol und Publikumsliebling der Zukunft stehen wird. Aber auch das wäre den Menschen in Wolfsburg, und ganz gewiss Stefan Effenberg, momentan absolut egal.“

Thomas Kilchenstein (FR 16.11.). „Einer wie Effenberg, Paradebuhmann der Bundesliga, Typ neureicher Flegel, kann nicht aus seiner Haut. Ob der gelernte Briefträger aus Hamburg-Bramfeld nun in Mönchengladbach, Florenz, München oder jetzt in Wolfsburg den Strategen (VfL-Manager Peter Pander) gibt, einer wie er eckt an. Weil er, die Fleisch gewordene Ich-AG, nicht anders kann, inzwischen auch nicht mehr anders will. Ich bin der Effenberg, und das muss reichen. Das ist die eine Seite des Stefan Effenberg, die unangenehme, die den Verantwortlichen des VfL und mehr noch den Herren vom VW-Werk, arge Kopfschmerzen bereitet hat, damals, als sie im August diesen Coup ausheckten. Größer konnte der Widerspruch nicht sein – hier die Diva Effenberg, die seiner Ex-Ehefrau zum Geburtstag einen Ferrari vor die Tür gestellt hat, dort der kreuzbrave Verein für Leibesübungen Wolfsburg, Provinz in Reinkultur (…) Effenberg geht, das ist die andere Seite, vorne weg und macht das, was er am liebsten tut: da sein und dazwischen fegen. Es ist ja nicht so, dass der mittlerweile 34-Jahre alte Mittelfeldspieler die meisten Ballkontakte hätte. Er läuft auch nicht mehr viel, aber richtig. Er dirigiert, er zeigt Flagge und ist einfach eine Persönlichkeit (Franz Beckenbauer), mit ihm, sagt Wolf, hat ein anderer Geist Einzug gehalten, vor allem ist er auch kritischen Situationen gewachsen, findet Pander. Und seine permanente Präsenz, sein Charisma strahlt auf die anderen, deutlich blasseren Typen im Team ab. Effenberg hilft den grauen Wölfen allein durch seine Anwesenheit. Bislang also ist das Konzept mit Effenberg aufgegangen.“

Jörg Marwedel (SZ 16.11.). „Anlass, eine erste Bilanz zu ziehen nach Effenbergs nun knapp dreimonatigem Wirken in der niedersächsischen Provinz. Und die fällt so aus, dass bereits jetzt jeder des Irrtums überführt ist, der dem alternden Ausnahmespieler unterstellte, er wolle auf seiner wohl letzten Profistation vor allem noch einmal abzocken. Effenberg ist noch immer ein Selbstdarsteller, zuweilen bis zur Schmerzgrenze, doch er ist keine Diva. Er hat beim 1:0 gegen Hansa Rostock trotz arger Rückenschmerzen bei Sturm und peitschendem Regen im Matsch malocht, er hat mehr Tore erzielt als die Stürmer Petrov und Maric, nämlich drei. Auch in anderen Disziplinen weist ihn die Statistik als einen aus, der voran geht: Die meisten Pässe (480), die meisten Torschuss-Vorlagen (20), die meisten Tacklings (43) – keiner im Wolfsburger Team hat ihn in den bislang zehn Bundesliga-Spielen übertroffen. Natürlich ist Effenberg auch der Chef, weil es bislang keine starken Führungsfiguren gab im VfL-Team, doch als die Spieler merkten, dass der berühmte Kollege nicht nur gekommen war, um ein bisschen Medienzauber in der grauen Stadt zu veranstalten, ordneten sich selbst Kapitän Karhan, Regisseur Munteanu oder der wortgewandte Abwehrchef Schnoor schnell unter (…) So oder so ist Effenberg in Wolfsburg längst ein Wirtschaftsfaktor. Bernd Sudholt, VW-Mann und stellvertretender Aufsichtsratschef der VfL Fußball GmbH, hat ihn neulich gegenüber Sport-Bild beziffert: Zehn Millionen Euro Werbewert, zehn Millionen sportlicher Wert.“

Uwe Marx (FAZ 16.11.). „Zuletzt sahen vor allem die Schlagzeilen in Deutschlands größter Boulevardzeitung anders aus, als sie es hier gewöhnt sind. Es kam noch nicht vor, daß ein Wolfsburger Spieler in der Bild-Zeitung einem Bundesfinanzminister vorgezogen wurde. Effenberg schafft das. Seine Freundin ist aus dem gemeinsamen Haus ausgezogen, um in Hamburg beruflich vorwärtszukommen. Und das ausgerechnet vor dem Spiel an diesem Samstag in München gegen den FC Bayern, Effenbergs früheren Verein. Vor der Umkleidekabine warten schon drei Fernsehkameras auf ihn. Effenberg kommt als letzter aus der Kabine, an seiner Seite Trainer Wolfgang Wolf. Er läuft sich allein warm, fällt im Trainingsspielchen nicht weiter auf, ermutigt den jungen Tobias Rau nach einem Fehlschuß (egal, immer probieren) und läuft allein wieder aus. Das war’s. Effenberg will hier keine Freunde finden, er hat einen Job zu erledigen. In Wolfsburg ist er, weil der Verein ihn wollte und bezahlen konnte. Zuvor waren Transfers nach England, in die Türkei und nach Österreich gescheitert. Jetzt will der Mann im Zentrum des Mittelfelds den VfL nach oben bringen. Und er möchte den Bayern zeigen, daß es falsch war, ihn wegzuschicken (…) Der VfL ohne Effenberg, das war ein Klub mit begrenztem Nachrichtenwert in einer Stadt mit dem Ruf eines bewohnten Industriegebiets. Er soll den zaudernden Niedersachsen die bayerischeMiasan mia-Mentalität vermitteln. Effenberg ist ein Platzhirsch des Fußballs, bedächtig, beobachtend, immer auf dem Sprung, sein Revier zu verteidigen. Keiner, der vom Kilometergeld leben könnte, aber einer, vor dem sich Konkurrenten wegducken. In Wolfsburg ist er nicht von Konkurrenten umgeben, sondern von lernbereiten Kollegen, heißt es. Der Kader vertritt – zumindest nach außen – die Meinung der Verantwortlichen: Effenberg pusht die Mannschaft, er nimmt Druck von ihr, indem er die Aufmerksamkeit auf sich zieht, er orientiert sich an großen Zielen. Bei dieser Omnipräsenz wirkt es allerdings wie ein frommer Wunsch, daß aus dem VfL Wolfsburg kein VfL Effenberg werden soll.“

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