Ballschrank
Eigenartiges Führungstrio
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| Donnerstag, 25. März 2004
Im Augenblick des Erfolgs erinnert Frank Heike (FAZ 19.5.) an interne Hannoveraner Konflikte. „Es ist schon ein eigenartiges Führungstrio, das Hannover 96 ein weiteres Jahr Bundesligafußball beschert hat. Während Trainer Ralf Rangnick nach dem in letzter Minute sichergestellten 2:2 gegen Borussia Mönchengladbach nach Worten rang, um die Freude über den Klassenverbleib zu formulieren, küßte Manager Ricardo Moar jeden seiner Profis ab, der zufällig in der Nähe stand. Der Spanier mit dem buschigen Schnauzer strahlte vor Glück, die zur Halbserie noch unmöglich erscheinende Aktion erste Liga durch dann doch nicht so schlechte Transfers ermöglicht zu haben. Und der Mann, der in Hannover über allem thront? Der zeigte sich schon vor dem Spiel in standesgemäßer Gesellschaft. Martin Kind, Präsident von 96 und erfolgreicher Geschäftsmann in Sachen Hörgeräte, überreichte dem neuen Ministerpräsidenten Christian Wulff (CDU) ein Trikot der Roten mit dessen Namensbeflockung hintendrauf. Flankiert wurden Vereins- und Landesvater vom Stadtoberhaupt Herbert Schmalstieg (SPD), einem bekennenden 96-Fan. Natürlich war es symbolisch, daß Rangnick, Kind und Moar hier, da und dort saßen und zunächst einmal nicht gemeinsam feierten. Das wurde später am Abend anders, als man sich im Vip-Zelt am Stadionbad traf und Zeit für ein bißchen Freude und Glück fand, daß der Aufsteiger den Abstieg schon einen Spieltag vor der Zeit verhindert hat. Und das völlig zu Recht: Die im Laufe der Serie neu zusammengestellte Mannschaft hat in der Rückrunde den erfrischendsten und taktisch reifsten Fußball der Abstiegskandidaten gespielt. Die professionelle Kurzzeitsympathie der drei auf der Brücke kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß es kaum Gemeinsamkeiten gegeben hat zwischen diesen so verschiedenen Männern, die man allenfalls als Funktionsteam bezeichnen kann. Mißtrauen und Unbehagen prägten das Bild.“
Protest statt Party
Sascha Zettler (FR 19.5.) sieht das ähnlich. „Dass mit dem Tschechen Stajner ausgerechnet sein Sorgenkind mit seinem Ausgleich in der Nachspielzeit die Abstiegssorgen vertrieb, passt messerscharf in eine kuriose Saison des Aufsteigers, der spielerisch eine echte Bereicherung für die Liga darstellte, sich aber oft selbst im Weg und deshalb immer mal wieder mit einem Bein in der zweiten Liga stand. So auch am Samstag, als nach der Führung durch Krupnikovic der Gladbacher Wunderstürmer Forssell und dann Asanin das Blatt gewendet hatten, ehe Stajners Kullerball ins Glück traf. Da, gestand Präsident Martin Kind nach dem Abpfiff, habe er nicht nur das drohende und nun abgewendete Abstiegs-Endspiel am kommenden Samstag in Bielefeld vor seinem geistigen Auge gesehen, sondern auch das ganze Szenario danach. Was der Präsident nicht ausspricht, aber meint: Ein Bestehen im Finale hätte er für unwahrscheinlich gehalten. Bielefeld hätte ein 1:0 gereicht. Kind war auch der Einzige, der im Zuge der Nicht-Abstiegs-Feierlichkeiten nicht gefeiert wurde. Rund 300 Fans hatten sich nach dem Abpfiff vor dem Vip-Zelt versammelt, um gegen den Präsidenten und dessen Preispolitik zu protestieren. Weil 96 nächstes Jahr im Zuge des Stadionumbaus auf einer Baustelle spielt und das Fassungsvermögen der AWD Arena schmilzt, soll der Einnahmeverlust durch eine Preiserhöhung um 30 Prozent aufgefangen werden. Protest statt Party – auch das passt ins Bild einer verrückten Hannoveraner Spielzeit, der schlimmsten Saison, die ich je erlebt habe, wie es Sportdirektor Ricardo Moar formulierte. Der Spanier selbst passt ebenfalls ins vielschichtige Bild der 96er: Einerseits kompetent, andererseits gnadenlos verrückt. Pöbel statt Möbel titelte der Boulevard, als Moar kürzlich beim Möbelkauf mit einer Verkäuferin aneinander geraten war (…) Verrechnet hatte sich der Gladbacher Betreuerstab. Drei Kisten Bier vom Hauptsponsor Jever sollten in den Schlusssekunden bereits durch den Spielertunnel in Richtung Spielfeld geschleppt werden, da die Rettung bis zu Stajners Ausgleich perfekt war. Auf dem Weg durch den Tunnel fiel der Ausgleich und die Kisten landeten unter einer Treppe in den Katakomben. Jetzt müssen wir uns halt nächste Woche retten, konstatierte Trainer Ewald Lienen. Dann muss frisches Bier her. Denn die drei Kisten blieben in Hannover.“
Frank Heike (FAZ 18.5.) porträtiert den entscheidenden Torschützen. „In der Vorbereitungszeit im Sommer drehte der Norddeutsche Rundfunk einen kurzen Film über Jiri Stajner. Der Tscheche war der teuerste Einkauf in der Vereinsgeschichte, da lohnte es sich, genauer hinzusehen. Der Reporter vom Fernsehen sah einen Spieler, der kein Deutsch sprach, übergewichtig und phlegmatisch wirkte und selbst in einem bedeutungslosen Testturnier das Tor nicht traf. Das Urteil über Stajner stand fest, bevor die Bundesliga begonnen hatte: Fehleinkauf. Danach tat Stajner wenig, um die Argumente zu entkräften, die gegen ihn sprachen. Es lief nicht bei den im Abstiegskampf steckenden Hannoveranern, und Jiri lief auch nicht. Eigentlich die ganze Vorrunde lang ging das so. Den Kampf gegen die Vorverurteilung auch der Fans und Verantwortlichen bei Hannover 96 hat der 26 Jahre alte tschechische Nationalspieler erst in der Rückrunde aufgenommen. Das heißt, er kämpfte gar nicht. Das entspricht auch nicht wirklich dem Naturell dieses oft genialen Technikers. Er verließ sich einfach auf das Vertrauen, das ihm Trainer Ralf Rangnick gab, und darauf, daß es ein normaler Prozeß ist, wenn ein Profi sich nicht sofort im Ausland zurechtfindet.“
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