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Ein Typ, der im Training wie im Spiel alles gibt

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Ein Typ, der im Training wie im Spiel alles gibt

David Beckham, ein Spieler, der immer alles gibt – Fabio Capello, Roms Trainer mit hohem Wert – Fußball in Vietnam macht Fortschritte – David Seaman und sein Zopf treten zurück – Freddy Adu, 14-jähriges Ausnahmetalent u.a.

Ein Typ, der im Training wie im Spiel alles gibt

Markus Jakob (NZZaS 4.1.) klopft David Beckham Anerkennung auf die Schulter: „Zweifel waren laut geworden, ob es ihm gelingen würde, in dem mit Ausnahmespielern gespickten Team des spanischen Meisters mehr als eine Zierfunktion auszuüben. Im Kalkül des Vereinspräsidenten Florentino Pérez schien ihm in erster Linie die Aufgabe zugedacht, den asiatischen Markt für Real Madrid zu öffnen. Seine angestammte Position bei ManU – rechts aussen – war bereits von Luis Figo besetzt. Trainer Carlos Queiroz wies ihm, zögerlich zunächst, eine neue Rolle im Spielzentrum zu, in die sich Beckham alsbald so gut fand, dass er nun auch Englands Nationalcoach Eriksson zu überzeugen versucht, ihn an der Europameisterschaft als Spielgestalter einzusetzen. Staunend nahmen die Skeptiker zur Kenntnis, dass da nicht eine verhätschelte Primadonna, sondern ein Typ nach Madrid geholt worden war, der im Training wie im Spiel alles gibt. Heute, nach vier gelben Karten in der Liga und zwei ebensolchen in der Champions League, steht er in beiden Wettbewerben am Rande einer Spielsperre: kein Ruhmesblatt, aber doch ein Zeichen, dass er weder sich noch seine Gegner schont. Dass der Schönling zugleich ein beinharter Kämpfer ist, machte wohl schon immer den Kern des Faszinosums Beckham aus. Nicht vorhersehbar war, was nach all den Jahren unter Sir Alex Ferguson noch an Entwicklungsfähigkeit in ihm steckte. Heute wird ihm allgemein attestiert, im Umkreis der Madrider „galácticos“ viel gelernt zu haben. Sein Trainer Queiroz ist des Lobes voll, wie schnell er begriffen habe, wann und wie, ob kurz oder ob lang, er in seiner neuen Position jeweils abspielen müsse. Gewiss, Beckhams Schwächen sind dieselben geblieben: Einen linken Fuss scheint er nicht zu haben – 36-mal schoss er in der Liga aufs gegnerische Tor, 3-mal mit Erfolg, immer mit rechts. Wenn etwas den Erwartungen nicht entsprach, dann seine Qualitäten. Man habe ihn sich, schrieb die Sportzeitung „As“, in Reals Team ziemlich verloren vorgestellt. Nun aber sei keiner so anspielbar wie er: „Er mag nicht der perfekte Liebhaber sein, dafür der ideale Ehemann – schiebt den Staubsauger herum, kocht romantische Diners und schläft nie auf dir ein.“ (…) Immer deutlicher wird, dass der Mensch Beckham einfacher gestrickt ist als das Medienphänomen Beckham, das allmählich – aber man warte da noch die Europameisterschaft ab – an Hypertrophie zugrunde zu gehen scheint oder sich selbst abschafft. Dieselbe Aufgedunsenheit, durch die sich auch Real Madrid ad absurdum zu führen droht: Zum Erfolg verdammt, stehen sich die sechs „galácticos“ Raúl, Roberto Carlos, Figo, Zidane, Ronaldo und Beckham heute gegenseitig im Licht.“

Es stirbt eine mühsam gezähmte Frisur

Klaus Hoeltzenbein (SZ 15.1.) verabschiedet David Seaman: „Es passt zum Verlauf seiner Karriere, dass er die Bühne nicht als strahlender Sieger verlässt. Die Chance hätte er gehabt, im Sommer, als Seaman in seinem letzten Spiel für Arsenal London den FA-Pokal gewann. Nach 13 Jahren bei Arsenal, nach 564 Spielen (235 ohne Gegentor) für den Verein hatten ihn die Londoner für diese Partie gar zu ihrem Kapitän ernannt. Jenseits der Insel war es oft schwer verständlich, dass ihm die Engländer immer wieder, 75 Mal insgesamt, das Tor ihrer Ländermannschaft anvertrauten. Auch bei der WM 2002, als er gegen Brasilien einen als Flanke gedachten Freistoß von Ronaldinho ins Tor fallen ließ. Zum Abschied forderte nun der Daily Mirror: „Vergesst die Fehler, erinnert euch an die guten Momente.“ So geht nicht nur ein Torwart, es stirbt eine mühsam gezähmte Frisur.“

Peter Hartmann (NZZ 13.1.) errechnet den Stellenwert Fabio Capellos, Trainer der AS Roma: „„Du bist doch nicht Maradona“, rief Fabio Capello, der Trainer der AS Roma, seinen Jungstar Antonio Cassano zur Ordnung, „also Schluss jetzt mit diesen Absatztricks.“ Darauf schlich der gedemütigte 21-jährige Ballvirtuose wortlos vom Übungsplatz des Sportzentrums Trigoria. „Nur Hasen laufen davon“, höhnte der Coach über das Feld. Der vaterlos aufgewachsene Bursche aus den Slums von Bari hat einen schwierigen Charakter. Viermal ist er aus dem Trainingslager der italienischen U-21-Mannschaft abgehauen, bis ihn der Coach Claudio Gentile nicht mehr aufbot. Capello, der sich im dritten Jahr mit dem zornigen jungen Mann herumschlägt, welcher ihn immer wieder mit Gehorsamsverweigerung provoziert, ist auf eine versöhnliche Linie umgeschwenkt: Zwei Tage nach dem Zwischenfall liess er ihn in Perugia spielen. Die AS Roma verteidigte dank einem Tor des Brasilianers Mancini in der 2.Minute die Führung in der Serie A. Und Fabio Capello hatte gut lachen: Über Nacht legte ihm der hellhörige russische Oligarch Roman Abramowitsch eine Offerte von 18 Millionen Euro für drei Jahre im Dienst von Chelsea vor, als Nachfolger des zuletzt glücklosen Landsmannes Claudio Ranieri. Der 57-jährige Capello, der früher das Trikot der AS Roma, von Juventus und Milan getragen hat, verdient in Rom 4 Millionen pro Jahr, wird von seinem Präsidenten Franco Sensi allerdings sehr unpünktlich bezahlt. Sieben Monatssaläre aus dem Jahr 2003 stehen entgegen allen Versprechungen noch aus. Der greise Patriarch Sensi hat fatalistisch einen ungeheuren Schuldenberg angehäuft und braucht Capello jetzt als Komplizen für seinen Abgang. Nur eine Mannschaft mit dem Meisterabzeichen lässt sich Ende Saison trotz dem Bilanzdesaster verkaufen. Also versuchen Sensi und Capello alles, um die Braut schön zu machen. Mit vier Meistertiteln und einer Champions League mit Milan, der spanischen Meisterschaft 1996/97 bei Real Madrid, dem Scudetto 2001 in Rom und mit den passablen Englischkenntnissen, die er sich in der Management-Schulung im Fininvest-Konzern seines Entdeckers Silvio Berlusconi angeeignet hat, besitzt Capello eine perfekte Visitenkarte für die Mission in London. Nach fünf Jahren in Rom wäre er reif für einen neuen Karrieresprung. Commissario tecnico will er ausdrücklich nicht werden. Italiens Nationalcoach Giovanni Trapattoni eröffnete kurz vor Weihnachten den Trainerwalzer, als er bei einem Besuch des katholischen Jugendklubs San Carlo im Mailänder Vorort Muggiò auf die entsprechende Frage des zwölfjährigen Davide fast beiläufig bekannte, er werde nach der Europameisterschaft in Portugal zurücktreten. Seither dreht sich hoch über den Abgründen der Milliardenschulden das Spekulations-Karussell.“

Wie alle bewundert Matthias Erne (FAZ 13.1.) Freddy Adu, Vorzeige-Talent der amerikanischen Liga: „Es besteht kein Zweifel daran, daß Landon Donovan der zur Zeit beste Spieler in der Major League Soccer (MLS) ist, und dennoch spricht in Amerika kaum jemand vom 21 Jahre alten Nationalspieler in Diensten des Landesmeisters San Jose Earthquakes. Die Schlagzeilen gehören fast ausschließlich einem Fußballspieler, der noch keine einzige Minute in der MLS absolviert hat – und dennoch als große Hoffnung einer Branche gilt, die in den Vereinigten Staaten immer noch ums Überleben kämpft. Dabei darf Adu mit seinen 14 Jahren noch nicht einmal die millionenschweren Verträge selbst unterschreiben, die ihm in den letzten Monaten offeriert worden sind. Freddy Adu heißt der Wunderknabe, der in Amerika bereits als neuer Pelé gefeiert wird. Daß die Lobeshymnen oft von selbsternannten Experten stammen, von denen die wenigsten den großen Pelé mit eigenen Augen haben spielen sehen, stört niemanden, schon gar nicht die Führungsriege der MLS. Angesichts der beinahe übermächtigen Konkurrenz von Football, Baseball und Basketball ist selbst ein junges Talent als Zeichen der Hoffnung auf eine bessere Zukunft hoch willkommen. Ob Adu jemals die Wundertaten vollbringen wird, die man sich von ihm verspricht, weiß heute natürlich noch niemand – wobei man auch festhalten muß, daß der junge Mann tatsächlich über Anlagen verfügt, wie man sie selten sieht.“

Martin Hägele (NZZ 13.1.) berichtet von einem anderen Fußball-Planeten: „In der halbprofessionellen Liga Vietnams, der die zwölf besten Teams angehören, hat sich jedenfalls einiges positiv entwickelt, nachdem seit kurzem Wirtschaftskonzerne mitmischen dürfen und das Fussballgeschäft nicht mehr allein der Einheitspartei bzw. deren Vertretern in Militär, Polizei, Gewerkschafts- oder sonstigen staatlichen Einrichtungen obliegt. Bezeichnend für den Umbruchprozess ist die Tatsache, dass als Meisterschaftsfavoriten die nach Banken oder der nationalen Luftfahrtgesellschaft benannten Saigoner Klubs gelten. Und als grösstes Problem derzeit stellt sich die Integration der alten Armeeklubs dar. Wie bringt man die ehemaligen Sportsoldaten in einem an Wirtschaftsprinzipien ausgerichteten Fussballbetrieb unter?“

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