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Eine breite Welle der Begeisterung
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| Donnerstag, 25. März 2004
die Bedeutung des Titelgewinns für die Zukunft des Frauenfußballs – der Zusammenhang zwischen der gesellschaftlichen Rolle der Frau und dem sportlichen Geschehen – Nia Künzer, Glückskind – Euphorie in Schweden, Ignoranz in Amerika
Eine breite Welle der Begeisterung
Was bedeutet der Titelgewinn für die Zukunft des Frauenfußballs?, fragt Michael Ashelm (FAZ 14.10.): „Der Erfolg wird zweifellos seine Früchte tragen, aber die Welt des Frauenfußballs in Deutschland nicht revolutionieren. Eine breite Welle der Begeisterung hat die Elf von Bundestrainerin Tina Theune-Meyer dennoch in Deutschland ausgelöst, was wohl vor allem daran liegen mag, daß sich die Mannschaft über viele Wochen hinweg so sympathisch in den Vereinigten Staaten verkauft hat. Wann schon hat man zuletzt deutsche Sportler so selbstbewußt aufspielen sehen? Eher hatte man sich an die vielen Ausreden strauchelnder Athleten gewöhnt, warum ein großes Ziel am Ende dann doch nicht erreicht wurde. Die große Fernsehaudienz zeigt, daß der Sportzuschauer in Deutschland in dieser Hinsicht zuletzt wenig Zufriedenstellendes zu sehen bekam, aber natürlich immer an neuen Sporthelden interessiert ist. Nun sind die Fußballfrauen auf die Bühne getreten, die bis zum entscheidenden Moment das Selbstbewußtsein zeigten, das in vielen Teilen unserer Gesellschaft derzeit nicht vorhanden ist und händeringend gesucht wird. Die Spielerinnen selbst hatten schon vor Beginn der WM in den Vereinigten Staaten von dem Titel gesprochen und sind nun ihren eigenen Erwartungen gerecht geworden. Selbstkritisch und nach außen immer leise hat sich das Trainergespann Theune-Meyer/Neid mit den eigenen Leistungen im Turnier auseinandergesetzt, aber immer zugelassen, daß ganz offen vom WM-Pokal gesprochen wurde. Dieses Verhalten zeugt von Stärke und Stabilität – also genau das, was man für solch eine gemeinschaftliche Kraftanstrengung benötigt.“
Thomas Hahn (SZ 14.10.) sieht das ähnlich: „Zu große Hoffnung darf man nicht haben, dass dieser Finalsieg zu einem deutschen Mythos auswächst wie der erste WM-Gewinn der Männer 1954 (obwohl die Vorstellung einer zweiten Wortmann-Verfilmung einen gewissen Reiz besitzt; mit Hannelore Elsner als Tina Theune-Meyer und Ulrike Folkerts in der Hauptrolle). Nein, die Frauen haben noch viel zu tun. Erfolgreich waren sie schon vor dem WM-Titel, großen Zuschauerzuspruch genießen sie trotzdem selten. Und so bleibt ihnen als wichtigste Aufgabe, einen Makel zu tilgen, der viele Randsportarten plagt: Die Leistungsdichte ist zu gering. Als der 1. FFC Frankfurt 2002 Pokalsieger wurde, kam Gegner HSV kaum über die Mittellinie – das Live-Publikum erlebte gähnend den großen Graben zwischen den Halbprofis vom Main und den Amateuren von der Alster. Den müssten sie zuschaufeln, was allerdings geraume Zeit dauern wird. Dazu muss die Jugendarbeit in den Vereinen wachsen und in die höchste Liga mehr Profitum einziehen. Es geht eben um mehr als nur um Vermarktung, es geht darum, einen Sport so grundlegend zu stärken, dass er aus sich selbst heraus bestehen kann. Und deshalb braucht man jetzt auch nicht die Antik-Idee auszugraben, Nationalspielerinnen in figurbetonte Klamotten zu zwingen oder ganz auszuziehen, um die männliche Kundschaft zu betören. Posieren sollen andere. Diese Frauen müssen tun, was sie am besten können: Fußball spielen.“
Meistens weiß man beim Frauenfußball, wie es ausgeht
Matthias Kittmann (FR 14.10.) fügt hinzu: „An der Spitze stimmt es also im deutschen Frauenfußball. Das eigentliche Wunder muss sich aber erst noch vollziehen. Denn unterhalb der Nationalmannschaftsebene hapert es gewaltig. Die Frauen-Bundesliga ist keineswegs jener starke Unterbau, wie dies für den Männerbereich gilt. Weder sportlich noch strukturell. Fußball-Macho Rudi Assauer hat völlig recht, wenn er sagt: In der Spitze ist Frauenfußball sehr ansehnlich, je weiter man nach unten geht, jedoch nicht zu ertragen. So ist es. Selbst in der Bundesliga. Von den zwölf Teams sind eigentlich nur acht erstligatauglich. Eine Partie wie zum Beispiel 1. FC Saarbrücken gegen VfL Wolfsburg möchte man – mit Verlaub – keinem zumuten. Das würde vielleicht auch für den Männerbereich gelten, doch dort wird der Mangel an ausreichenden deutschen Kickern durch internationale Fußballer aufgewogen. Die rituelle Klage im Frauenfußball über das mangelnde Medien- und Zuschauerinteresse sollte stattdessen in eine vernünftige Selbstanalyse münden. Die Menschen zieht es deshalb zum Fußball, weil man nicht weiß, wie es ausgeht. Doch meistens weiß man beim Frauenfußball, wie es ausgeht.“
Wo Frauen emanzipierter sein dürfen, spielen sie erfolgreicher Fußball
Aus dem Geschehen auf dem Rasen zieht Martin Altmeyer (FR 13.10.) Rückschlüsse auf die gesellschaftliche Rolle der Frau: “Während die Vorliebe für bestimmte Sportarten im allgemeinen Aufschluss über die Kultur einer Gesellschaft gibt, liefert der Frauensport im Besonderen Einsichten über die Emanzipation der Frau. Welche kulturellen Lehren lassen sich unter dieser Annahme aus der vierten Weltmeisterschaft im Frauenfußball ziehen? Die erste Lehre ist eher trivial: Wo Frauen emanzipierter sein dürfen und es tatsächlich sind, spielen sie auch erfolgreicher Fußball. In der Vorschlussrunde waren die Teams aus Nordeuropa und Nordamerika unter sich: Kanada und der zweifache Weltmeister USA, Deutschland, das auf der Weltrangliste vor dieser WM hinter den USA und Norwegen auf dem dritten Platz stand, und Schweden als Mutterland des Frauenfußballs – drei der vier Teams mit Frauen auf dem Trainersessel. Es scheint eine Vorherrschaft von Ländern zu geben, in denen die Gleichstellung der Frau weiter fortgeschritten ist als in anderen. Südeuropa spielte keine besondere Rolle. Die stärker eingeschätzten asiatischen Teams aus China und Nordkorea erwiesen sich als taktisch zu unflexibel. Die Teams aus Südamerika und Afrika zeigten technisch feinen und schön anzusehenden Fußball (Brasilien hatte, um in einem Land des Männerfußballs auch Frauen für diesen Sport zu gewinnen, Milene Domingues aufgeboten, die sehr attraktive, fußballerisch auch einigermaßen begabte, freilich noch unfertige Frau von Ronaldo aufgeboten), aber ihnen fehlte es an Effektivität. Die zweite Lehre ist ernüchternd: Die erfolgreichen Teams spielen Fußball, wie wir ihn von den Männern kennen; sie pflegen alle einen ziemlich robusten, körperbetonten Stil und scheuen weder das taktische Foul im Mittelfeld noch die Schwalbe, weder die Grätsche von hinten noch den Ellbogencheck im Luftkampf. Schlagend wurde so das gepflegte Vorurteil widerlegt, die Frauenemanzipation folge eigenen, edleren Regeln, die mit den besonderen Qualitäten des anderen, eben besseren Geschlechts zu tun haben.“
Helen Ruwald (Tsp 14.10.) porträtiert Nia Künzer, die Schützin des Golden Goals: „Die Hessin hat schon als Kind gelernt, sich durchzubeißen. Ihre Eltern waren Entwicklungshelfer in Botswana, wo Nia Künzer auch geboren wurde, und später Pflegeeltern in einem Albert-Schweitzer-Kinderdorf bei Wetzlar. Dort wuchs Nia Künzer zusammen mit ihrem leiblichen Bruder und sieben Pflegegeschwistern auf, „da lernt man sich durchzusetzen“. Zumindest hatte sie immer jemanden, mit dem sie kicken konnte, vier Brüder nämlich. Teamgeist und Verantwortungsbewusstsein halfen ihr auch beim 1. FFC Frankfurt, mit dem sie Meister und Pokalsieger wurde und 2002 den Uefa-Cup gewann. Mit 19 Jahren wurde sie in dem Ensemble etablierter Nationalspielerinnen Spielführerin, nicht Birgit Prinz, die damals schon zweifache Europameisterin und Vizeweltmeisterin war. „Das war anfangs schon ein komisches Gefühl“, erinnert sich Künzer. Doch an das Kapitänsamt hat sie sich längst gewöhnt, genauso wie an seltsame Telefonanrufe. Wie den eines Sprachforschers, der sich bei ihrer Mutter meldete, um sich mit ihr über den Vornamen Nia zu unterhalten. Das ist Tswana für „Glück“, der zweite Vorname Tsholofelo ist Kisuaheli für „Hoffnung“.“
Frauenfußball erlebte in Schweden seinen Durchbruch
Robert von Lucius (FAZ 14.10.) meldet Euphorie im Land des Vize-Weltmeisters: „Eine Woche lang war Schweden im Fußballtaumel: Erstmals seit 45 Jahren – 1958 war Schweden Gastgeber der Weltmeisterschaft und verlor 2:5 gegen Brasilien – stand schließlich eine schwedische Mannschaft in einem WM-Finale. Auch wenn die Niederlage gegen Deutschlands Frauen mit 1:2 in der Verlängerung knapp war: Die größte Tageszeitung Dagens Nyheter widmete dem Frauenfußball am Montag eine zwölfseitige Sonderbeilage. Die Svenska Dagbladet schrieb auf sieben ihrer acht Sportseiten über das Endspiel in Los Angeles, während Michael Schumacher, Eishockey und die schwedischen Fußball-Männer, die sich für die EM 2004 in Portugal qualifizierten, sich die achte Seite teilen mußten. Zudem veröffentlichten beide nationale Tageszeitungen auf der Titelseite ganzseitige Fotos der Mädchen in Gelb mit traurigen, niedergeschlagenen Blicken. Eine solche Aufmerksamkeit finden Sportereignisse in Schweden sonst kaum. Eine Woche lang wurde jeweils über mehrere Seiten hinweg die Geschichte des Frauenfußballs, der Stars und Teams und natürlich auch des Rivalen aus Deutschland ausgebreitet. Am Sonntag verfolgten Fußballbegeisterte vor Großbildschirmen in Sportstätten und Bars von Stockholm bis Umeå das Finale, überwiegend Frauen. Im Fernsehen schauten insgesamt bis zu 3,8 Millionen zu – in einem Land mit neun Millionen Einwohnern – das ist Fußball-Rekord. Frauenfußball erlebte in Schweden in den vergangenen zwei Wochen seinen Durchbruch.“
Matthias Erne (FAZ 13.10.) meldet Ignoranz im Gastgeberland: „Für die Amerikaner ist die Frauenfußball-Weltmeisterschaft bereits am letzten Sonntag zu Ende gegangen, eine Woche bevor in Carson bei Los Angeles das Endspiel zwischen Deutschland und Schweden angepfiffen wurde. Mit dem Ausscheiden im Halbfinale gegen Deutschland hat sich dieser World Cup frühzeitig aus dem Bewußtsein der amerikanischen Sportöffentlichkeit verabschiedet. Im nachhinein sind die Organisatoren der Weltmeisterschaft heilfroh, daß sie der Verlockung widerstanden haben, das Endspiel wie beim Turnier 1999 in das gigantische, 90 000 Zuschauer fassende Rose-Bowl-Stadion zu vergeben, und sich statt dessen für das kleine, aber schmucke Home-Depot-Center mit 27 000 Plätzen entschieden haben. Spätestens als der übertragende Fernsehsender ABC eine Anstoßzeit von zehn Uhr morgens für dieses Endspiel durchgeboxt hatte, konnte man erahnen, daß von der Euphorie von 1999 diesmal wenig zu spüren sein würde – ein stinknormales Golf-Turnier, bei dem auch noch Superstar Tiger Woods fehlt, war den ABC-Machern wichtiger als das Endspiel dieser Frauenfußball-Weltmeisterschaft, das bis Ende voriger Woche immer noch nicht ausverkauft war. Mia Hamm, der alternde Star der amerikanischen Auswahl, ist längst von den Titelseiten verschwunden und zu einer Randnotiz verkommen (…) Deutlich wurde die Tatsache, daß die Zeiten vorbei sind, da auch halbwegs fitte Spielerinnen auf höchstem Niveau bestehen konnten. In den letzten drei Wochen triumphierte die Athletik. Alle vier Halbfinalisten setzen auf Kampfkraft, Kondition und Kopfballstärke. Daß die Chinesinnen, die Nummer zwei der FIFA-Weltrangliste, frühzeitig ihre Koffer packen mußten, war die logische Folge dieser Entwicklung. Die klein gewachsenen Asiatinnen mußten einsehen, daß gute Technik alleine nicht mehr reicht. Im Viertelfinale gegen die aggressiven Kanadierinnen führte der übertragende Fernsehsender ESPN2 eine für den Fußball neuartige Statistik ein. Es wurden die Knockdowns gezählt: Mehr als zwanzigmal gingen die Chinesinnen nach Zweikämpfen mit den körperlich überlegenen Kanadierinnen zu Boden.“
(11.10.)
Rudi Assauer empfiehlt Frauen das Volleyball-Spiel und die Leichtathletik – Portrait Tina Theune-Meyer
Die sollen Leichtathletik betreiben oder Volleyball spielen
FR-Interview mit Rudi Assauer
FR: Haben Sie von der Frauen-WM was mitgekriegt?
RA: Ja, ich habe ein paar Ausschnitte gesehen. Und ich muss sagen: Die Mädels spielen einen gepflegten, ordentlichen Fußball. Die sind durchtrainiert. Die können ganz gut kicken. Das kann man sich ansehen. Aber nur auf diesem Niveau.
FR: Und weiter unten?
RA: Grausam. Je weiter Sie runtergehen, desto unansehnlicher wird es. Frauen sind zu etwas anderem geeignet als zum Fußball spielen.
FR: Warum?
RA: Das hat mit der Anatomie zu tun. Es gibt da ein paar empfindliche Stellen bei den Frauen.
FR: Sie denken jetzt an die Ballannahme mit der Brust?
RA: Unter anderem. Ich finde es übrigens auch unmöglich, wenn Frauen gegenseitig aufeinander einboxen. Das ist doch unansehnlich, wenn zwei Frauen sich gegenseitig auf die Fresse hauen. Finde ich schon bei Männern schlimm genug. Aber bei Frauen absolut unerträglich.
FR: Aber beim Fußball…
RA: Die sollen Leichtathletik betreiben oder Volleyball spielen. Schauen Sie mal beim Frauenfußball in einer unteren Liga vorbei. Machen Sie das mal. Ich wiederhole mich: Nicht zu ertragen. Je höherklassiger, desto besser, gar keine Frage.
Kathrin Steinbichler (SZ 11.10.) drückt morgen die Daumen: „Finale. Ein kurzes Wort, von dem Fußballer lange schwärmen können. Von den drei WM-Titeln der deutschen Männer 1954, 1974 und 1990 erzählen Zeitzeugen noch heute mit leuchtenden Augen. In der Geschichte des Frauenfußballs gab es überhaupt erst drei Weltmeisterschaften. Nur die USA (1991, 1999) und Norwegen (1995) durften sich bislang mit dem Titel schmücken. Wenn also am Sonntag im Home Depot Center im kalifornischen Carson Schiedsrichterin Floarea Cristina Ionescu aus Rumänien das Endspiel zwischen Deutschland und Schweden abpfeift, wird es einen neuen Weltmeister geben. Während die Deutschen dabei von den US-Medien als klarer Favorit beschrieben werden, unterstreicht Bundestrainerin Theune-Meyer die Gefährlichkeit, die von den Schwedinnen ausgeht. Elf Mal standen sich die beiden im europäischen Frauenfußball derzeit führenden Nationen gegenüber.“
Matthias Kittmann (FR 11.10.) porträtiert Tina Theune-Meyer: „Sie hat gelernt, die Medien nicht als Feind zu betrachten. So kommentierte die 49-Jährige den Vergleich von der Schönen und dem Biest, den einmal einer aus der Riege der schnellen Schreiber über das Verhältnis zwischen ihr und ihrer Assistentin Silvia Neid, der Frauenfußball-Ikone der 90-er Jahre, anstellte: Silvia ist beides. Dabei dezent unterschlagend, dass ohne TTM alles nichts wäre. 1996 erbte die erste Frau mit Fußballlehrer-Lizenz das Bundestraineramt von Gero Bisanz, der die Nationalmannschaft mitunter nach Gutsherrenart geführt hatte: Als strenger Vater, der sogar die Coca-Cola verbot. So dass Spielerinnen sich bei der WM 1995 in Schweden sogar heimlich von Journalisten eine Runde Hotdogs bringen lassen mussten unter der Gefahr, aus der Mannschaft ausgeschlossen zu werden. Tina Theune-Meyer hat diese Methoden geändert. Was nicht heißt, dass Hamburger zu den Grundnahrungsmitteln gehören. Aber statt Stadtrundfahrt in Zweierreihe gehen die Spielerinnen schon mal am Strand von Santa Monica surfen. Tina Theune-Meyer – der Doppelname ist ein Überbleibsel ihrer ersten Ehe – vereinigt (einstige) deutsche Tugenden: Fleiß, Akribie, Genauigkeit, kurz made in Germany, wie US-Kollegin April Heinrichs einmal respektvoll bemerkte. In Deutschland springt kein Talent unerkannt über die Wiesen, die Gegner werden detailliert analysiert, genauso wie die eigenen Schwächen.“
Kathrin Steinbichler (SZ 11.10.) fügt hinzu: „Nur einmal, 1995, hatte die Elf zuvor in einem WM-Finale gestanden. 0:2 verlor Deutschland damals gegen Norwegen, und Tina Theune-Meyer lernte noch als Assistentin von Cheftrainer Gero Bisanz. Ein Jahr später, am 1. August 1996, übernahm sie als erste Frau an der Spitze eines DFB-Trainerstabes dieses nicht immer ersprießliche Amt. 1985 hatte sie zuvor als erste Frau überhaupt nach einem siebenmonatigen Lehrgang an der Sporthochschule Köln die Fußballlehrer-Lizenz des DFB erworben. „Ich war einfach an der Reihe und deshalb nicht überrascht, ihn zu beerben“, sagte Tina Theune-Meyer beim Amtsantritt. Gewundert hatte sie sich jedoch über den Vorschlag des DFB, ihr Silvia Neid als Assistenztrainerin zur Seite zu stellen: „Obwohl ich Silvia als Spielerin sehr geschätzt habe, konnte ich mir nicht vorstellen, dass es gut gehen würde.“ Die damalige Rekordnationalspielerin Neid hatte nach dem verlorenen WM-Finale 1995 in Stockholm ihre Karriere beendet. Und während die heute 39-Jährige aus dem Wallfahrtsort Walldürn selbstbewusst auftritt und redegewandt ist, stilisierte die Öffentlichkeit die zurückhaltende Pfarrerstochter Theune-Meyer aus Kleve zum scheuen Gegentypen. Doch die beiden spannten ihre Charaktere zu einem erfolgreichen Trainerduo zusammen.“
FR-Interview mit Bettina Wiegmann
Tsp-Portrait Maren Meinert
(10.10.)
Willenskraft, Kampfstärke, ein erstaunliches Selbstvertrauen
Matthias Erne (FAZ 10.10.) befasst sich mit dem deutschen Final-Gegner: „Ihre Finalteilnahme bei der Fußball-WM der Frauen verdanken die schwedischen Fußballerinnen Charaktereigenschaften, die man in diesem Sport normalerweise den Deutschen zurechnet: Willenskraft, Kampfstärke, ein erstaunliches Selbstvertrauen und die Fähigkeit, im entscheidenden Moment über sich hinauswachsen zu können. Weder die 1:3-Startniederlage gegen die Auswahl der Vereinigten Staaten vermochte Schweden zu entmutigen noch der 0:1-Rückstand gegen Kanada im Halbfinale, als die Nordländerinnen in den letzten elf Minuten das Steuer noch herumreißen konnten. Angesichts der 23 Tore bei dieser WM und der Tatsache, daß sie den Titelverteidiger Amerika aus dem Rennen geworfen haben, gelten die Deutschen zwar als Favoritinnen, doch niemand soll ein ängstliches schwedisches Team erwarten, wenn am Sonntag zur deutschen Hauptsendezeit um 19 Uhr das Endspiel in Carson bei Los Angeles stattfindet. Es ist gleichzeitig die Neuauflage des EM-Finales von Ulm, das die Deutschen vor zwei Jahren mit einem Golden Goal 1:0 gewonnen hatten. Diese Niederlage, sagt die Nationaltrainerin Marika Domanski Lyfors, schmerze bis heute noch. Wir wollen uns dafür revanchieren.“
Kathrin Steinbichler (SZ 10.10.) fügt hinzu: „Gewisse Deutschkenntnisse sind in Kalifornien in diesen Tagen gefragt. Der österreichische Filmstar Arnold Schwarzenegger gibt die Rolle des Politikers. Und beim Fifa-Frauenfußball-Symposium in Long Beach erklärte gestern der Schweizer Sepp Blatter, Präsident des Fußball-Weltverbandes Fifa, er sei positiv überrascht von der Qualität der Spiele bei der Frauen-WM. So sehr, dass die Fifa überlege, in Zukunft auch den Fußballerinnen Siegprämien auszuzahlen. Dann teilte Blatter den anwesenden Journalisten mit, dass wegen des „starken Auftretens“ der deutschen Nationalmannschaft gleich fünf ihrer Spielerinnen ins All-Star-Team der WM in den USA gewählt wurden. Torhüterin Silke Rottenberg, Verteidigerin Sandra Minnert, Mittelfeldspielerin Bettina Wiegmann sowie die Offensivkräfte Maren Meinert und Birgit Prinz zählen zu den besten Fußballerinnen, die diese WM zu bieten hat.“
(9.10.)
Royalty of women’s football
Kathrin Steinbichler (SZ 9.10.) porträtiert Birgit Prinz: „Wenn jemand auffällt, versuchen die anderen um ihn herum meist, das Besondere an ihm einzuordnen und mit Etiketten zu versehen. Ob es dem Betroffenen passt oder nicht, der Mensch will wissen, was er vor sich hat, und wenn es nur die eigene Vorstellung davon ist. Birgit Prinz hat sich daher daran gewöhnt, als Fußballerin bestaunt und beobachtet zu werden, „als wenn ich im Zoo hinter der Scheibe wäre“. Dabei ist das, was die 25-jährige Frankfurterin auf dem Platz zeigt, für sie selbst so normal, wie „wenn ein Bäcker besonders gute Brote backt“. Bemerkenswert, aber nicht starverdächtig. Doch die Fakten klingen nicht so normal. Sieben Tore hat die Stürmerin bislang bei der Fußball-WM in den USA geschossen, so viele wie niemand sonst bei diesem Turnier. 15 Mal hat sie dafür zwischen die Torstangen gezielt und abgezogen, so oft wie keine andere Spielerin. Dazu hat sie schon vier Torvorlagen gegeben, nur Sturmpartnerin Maren Meinert übertrifft sie dabei mit sieben Assists. USA Today nannte sie schon vor dem Halbfinalsieg über Titelverteidiger USA „The Great German“, die große Deutsche. Und die WM-Seiten der Fifa im Internet erhoben sie nach Deutschlands Einzug ins WM-Finale gegen Schweden zur „new royalty of women’s football“ – zur neuen Majestät des Frauenfußballs. Damals, im Februar 1995, hatte sich Birgit Prinz kaum Gedanken gemacht über den Wirbel, den sie erstmals international verursacht hatte. Mit gerade 17 Jahren wurde sie im EM-Halbfinale gegen England eingewechselt und erzielte den deutschen Siegtreffer. Im Finale gegen Schweden in Kaiserslautern setzte sie sich – zwei Minuten nach ihrer Hereinnahme – gegen die gesamte schwedische Abwehr durch und traf zum 2:1. Deutschland wurde Europameister. Acht Jahre später, mit inzwischen 109 Länderspielen, bei denen sie 61 Tore schoss, trägt Prinz bereits 17 nationale und internationale Titel.“
(7.10.) Deutschland im Finale – Silke Rottenberg, der weibliche Kahn – Verschiebung der Machtverhältnisse – Max Merkel, der Ignorant
Nadeschda Scharfenberg (SZ 7.10.) zahlt es einem Guru heim: „Diese Sätze müssen aus einer weit zurückliegenden Zeit stammen: Frauenfußball sei so attraktiv wie der schielende Karl Dall. Oder: Es schmerze, diese Spielerei in Slowmotion ansehen zu müssen. Falsch, die Äußerungen stammen vom 27. September 2003, mitten während der Frauenfußball-WM. Gesagt hat das alles Max Merkel, Pokalsieger, Deutscher Meister und so genannter Fußball-Guru. Sein einziger Trost sei, dass das Turnier aus den USA zur Tiefschlafzeit übertragen werde. Wenn Herr Merkel da mal nichts verschlafen hat. Montagnacht, 3.18 Uhr, sind die deutschen Fußballerinnen durch ein 3:0 gegen die USA ins Finale vorgerückt, nicht in Zeitlupentempo, sondern durch ein flottes, spannendes Spiel. Und die Amerikanerinnen sind ja nicht irgendwer im Frauenfußball: Olympia-Zweiter, zweimaliger Weltmeister, bei bisherigen WM-Turnieren nur einmal geschlagen (Halbfinale 1995). Bis die Deutschen kamen und vorführten, dass sie seit der WM 1999 ordentlich aufgeholt haben gegenüber Titelträger USA mit seiner – jüngst abgeschafften – Profiliga. Das Spiel der Deutschen ist dynamischer geworden, athletischer.“
das schrieb Max Merkel
, if-Leser und Trainer der Mädchen-Bezirksauswahl Gießen/Marburg, schreibt: “Max Merkel, der Ignorant, hat sicher noch kein Spiel der Frauen-WM gesehen. Ich gehe davon aus, dass er zu dieser Zeit nicht ARD oder Eurosport schaut – sondern Neun live oder DSF.”
Verschiebung der Machtverhältnisse
Michael Ashelm (FAZ 7.10.) zeichnet die Landkarte des Frauen-Fußballs neu: „Alte Welt und Neue Welt – mal hämisch, mal ernsthaft ist zuletzt der Vergleich zwischen den Kontinenten auf beiden Seiten des Nordatlantiks gesucht worden. Was den jüngsten Coup der besten weiblichen Kicker aus Deutschland bei der Weltmeisterschaft in den Vereinigten Staaten angeht, so ist eine Verschiebung der Machtverhältnisse im internationalen Frauenfußball zugunsten Europas festzustellen. Nicht nur, daß die kämpferische deutsche Mannschaft nach vielen vergeblichen Anläufen endlich ihren Angstgegner Amerika bei dem wichtigsten Turnier überhaupt bezwingen konnte und den WM-Gastgebern damit eine empfindliche Niederlage zufügte. Darüber hinaus hat sich die Alte Welt mit dem gleichzeitigen Einzug der Schwedinnen in das Endspiel am Sonntag gegen die Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) – durch einen Sieg über Kanada – machtvoll positioniert. Nachdem in den vergangenen Jahren bei WM oder Olympischen Spielen vor allem die Amerikanerinnen mit ihren unter professionellen Bedingungen arbeitenden Spielerinnen dominierten und zusammen mit den Chinesinnen eine starke Achse des Frauenfußballs bildeten, ist Europa mit diesem WM-Turnier die breitangelegte Rückkehr an die Spitze gelungen. Zuletzt trafen 1995 bei einem der beiden wichtigsten internationalen Turniere im WM-Finale mit Deutschland und Norwegen zwei europäische Teams aufeinander.“
Matthias B. Krause (FTD 7.10.) lobt Torsteherin Silke Rottenberg: „Was immer die US-Girls auch versuchten, die deutsche Torfrau schien es zu ahnen und warf sich ihnen furchtlos entgegen. Die Null stand bis zum Schluss, die Tore von Maren Meinert und Birgit Prinz in der Nachspielzeit waren nur noch Zugaben, und Heinrichs bekannte: „Silke war einfach großartig.“ Das Lob für die 31-jährige Torhüterin aus Duisburg wollte nach der Partie gar kein Ende nehmen. Bundestrainerin Tina Theune-Meyer sprach: „Silke hat alles heruntergepflückt und war einfach Weltklasse.“ Sie wurde als wertvollste Spielerin der Partie ausgezeichnet und im US-Fernsehen spielten sie Bilder von Oliver Kahn ein, um Rottenberg in eine Reihe mit großen deutschen Ballfängern zu stellen. Dass Kahn derzeit nicht der Alte ist, hatte sich hier noch nicht herumgesprochen. Rottenberg jedenfalls beherrschte den Strafraum so souverän, dass die Angriffe der USA immer wütender und ratloser wurden. Ob sie es mit hohen Zuspielen versuchten oder mit flachen Bällen, lang oder kurz, nie entgingen sie den Fängen der Torfrau. Wie selbstverständlich fischte sie in ihrem 88. Länderspiel schwierigste Schüsse aus den Ecken und zirkelte Angreiferinnen gnadenlos die Bälle von den Füßen. US-Stürmerin Mia Hamm trat ihr dabei einmal mit voller Wucht auf den rechten Unterarm, Kollegin Abby Wambach rammte sie zu Boden. Unbeeindruckt machte Rottenberg weiter.“
Letzter Zwischenstopp auf dem Weg zum Finale
Stefan Liwocha (FR 7.10.) sah die Amerikanerinnen tief fallen: „Das Halbfinale war das vorweggenommene Endspiel. Und am Ende des spannenden Schlagabtausches stand auch der Frauenfußball als Sieger fest. Das war für mich das beste Spiel aller Zeiten, offensiv von zwei großartigen Mannschaften geführt, sagte US-Trainerin April Heinrichs, die unter Tränen von den vielen vergebenen Chancen ihrer Mannschaft sprach. Und davon, wie phantastisch die deutsche Torfrau gehalten habe. Vor allem im ersten Abschnitt hatten die Gastgeberinnen die weitaus besseren Möglichkeiten, aber Silke Rottenberg (FCR Duisburg) parierte glänzend gegen Kristine Lilly sowie Abby Wambach und nahm der frei vor ihr auftauchenden Mia Hamm den Ball vom Fuß. Wir hatten sicher unsere Möglichkeiten, sagte die amerikanische Star-Stürmerin, aber es ist die eine Sache, sich Chancen herauszuarbeiten, und eine andere, sie auch zu vollenden. So scheiterten die Soccer-Girls reihenweise in aussichtsreicher Position. An Rottenberg und wohl auch an der eigenen Überheblichkeit und Arroganz. Schließlich hatte der Titelverteidiger erst dreimal in 19 Duellen mit Deutschland verloren, zuletzt im Oktober 1997 in einem Freundschaftsspiel in Duisburg (1:3). In der WM-Bilanz hatte man die Deutschen sowohl 1991 in China (5:2 im Halbfinale) als auch 1999 in den USA (3:2 im Viertelfinale) besiegt. Was sollte also schief gehen? Sports Illustrated hatte bereits vor zwei Wochen einen Halbfinal-Sieg gegen Deutschland prognostiziert und den WM-Sieg als sichere Sache eingestuft. Als der TV-Reporter des Kabelkanals ESPN die Zuschauer am Sonntag mit den Worten begrüßte, dies sei der letzte Zwischenstopp auf dem Weg zum Finale, waren die Weichen im amerikanischen Soccer-Bewusstsein gestellt. Das 0:1 durch Kerstin Garefrekes per Kopf nach Ecke von Renate Lingor wurde zunächst als kleiner Schönheitsfehler eingeordnet. Kein Grund zur Panik. In der Halbzeitpause appellierte Kapitänin Julie Foudy an ihre Mitspielerinnen, weiter Druck auszuüben, denn Germany würde gleich einbrechen. Denkste.“
Rudi Völler gratuliert in einem Gastkommentar (Welt 7.10.): „Die deutsche Frauen-Nationalmannschaft steht im WM-Finale, und ich muss gestehen: Dieser Auftritt in den USA hat mich begeistert. Endlich wurde die DFB-Auswahl mal für ihre guten Leistungen belohnt (…) Der Erfolg der Frauen – ganz gleich, ob es zum zweiten Platz reicht oder zum Titel – ist gerade in Deutschland wichtig. Denn Deutschland ist ein traditionelles Männerfußball-Land, und ich glaube, dass nun auch der Frauenfußball hier zu Lande an Anerkennung gewinnt. Das wäre enorm wichtig. Insofern stehen wir vor einem großen Wochenende für den deutschen Fußball. Ich hoffe, dass wir uns mit einem Sieg über Island am Samstag in Hamburg für die Europameisterschaft 2004 in Portugal qualifizieren und dann die Frauen den Weltmeistertitel holen. Das wär‘ doch was.“
Ulrike Spitz (FR 7.10.) bedauert: „Der Frauenfußball kommt einfach nicht richtig voran, und nicht nur hier zu Lande nicht. Außer in Norwegen, wo den Fußball spielenden Frauen ein ähnlich hohes Interesse zuteil wird wie den Männern, hakt es allerorten. Sogar in der eigentlichen Hochburg USA, wo die einzige Profiliga der Welt direkt vor der Weltmeisterschaft in die Pleite geschlittert ist. In Deutschland teilen die Fußballerinnen ihr Schicksal mit Basket- und Handballerinnen, deren Ligen ebenfalls nicht nur kaum beachtet sind, sondern auch stets am finanziellen Abgrund stehen. Und mit Radfahrerinnen, die ebenso im Schatten der Stars ihr Dasein fristen wie Golfspielerinnen, aber nicht mit Schwimmerinnen, Marathonläuferinnen oder Skifahrerinnen, die den Männern in der öffentlichen Wahrnehmung mindestens gleichberechtigt sind. Warum das so ist? Sicher ist, dass es nicht von der Leistung abhängt, schließlich präsentieren sich Kickerinnen und Radfahrinnen genauso wie die Schwimmerinnen sportlich erstklassig. Wie auch (männliche) Hockeyspieler, Kanufahrer oder Rodler. Die müssen im Übrigen genauso um öffentliche Anerkennung ringen und wissen auch nicht immer warum.“
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