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Eine wunderbare Geschichte

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Eine wunderbare Geschichte

Stephan Bartels (Zeit 8.5.) erzählt eine wunderbare Geschichte. „Jeder von uns hat Tage, die der Herr am besten niemals hätte werden lassen. Kris Stewart macht da keine Ausnahme. Seiner ist der 28.Mai 2002. Um 11 Uhr an jenem Vormittag eröffnet ihm sein Chef, dass er nach zehn Jahren auf Stewarts Dienste als Finanzberater in seiner Computerfirma verzichten würde. Und am Abend wird bekannt, dass der FC Wimbledon, Stewarts favorisierter Fußballverein, nach Milton Keynes umziehen wird, 100 Kilometer nordwestlich von London. Kris sieht nicht aus wie jemand, der sich leicht umwerfen lässt. Aber er wird krank an diesem Abend. Als Vorsitzender der unabhängigen Fan-Organisation des FC Wimbledon hatte er seit Jahren dagegen gekämpft, dass ihm sein Club genommen wird. Seit 1992 waberten Verkaufsgerüchte, seit der Verein heimatlos ist – das alte, marode Stadion an der Plough Lane wurde abgerissen und das Gelände an eine Supermarktkette verkauft. Kommerziell nutzbares Bauland ist rar in London. Der FC, 1988 immerhin Cup-Gewinner und seit Mitte der Achtziger Mitglied der Premier League, war seitdem Untermieter bei Crystal Palace im Selhurst Park. Einer von 13 Proficlubs in London. Nach Dublin sollte der Club mal transferiert werden, mal nach Belfast. Ein Verein als strategische Manövriermasse für Anleger. Jetzt also Milton Keynes, alle Proteste umsonst, alles Beharren auf einer über ein Jahrhundert alten Tradition vergebens. Verkauft in eine Retortenstadt. „Manche sagen: eine Plastikstadt“, sagt Stewart. Eine Stadt, in der ein großes Freizeit- und Shopping-Paradies entstehen soll. „Da haben die sich wohl gedacht: Ein Proficlub als Profit-Center würde ganz gut dahin passen“, sagt Stewart. Er geht ins Fox Grapes am 28. Mai 2002, wo sich der harte Kern der Fans trifft, denen man gerade einen Teil ihrer Heimat genommen hat. Sie spülen den Tod ihres Vereins hochprozentig hinunter. Ein paar Bier und Schnäpse später hat der Ober-Fan Stewart und frisch gekündigte Finanzberater wieder Arbeit: Er ist Präsident des AFC Wimbledon. Die Jungs beschließen einfach, sich das Spiel zurückzuholen – und gründen einen neuen Verein. Von Fans. Für Fans. Und Kris, dieser Bär von einem Mann, dieser Fels in der Brandung, soll sie anführen. „Der Club“, sagt Stewart, „war eine echte Schnapsidee.“ Ein Neubeginn in der siebten Liga. Die Combined County League – eine Spielklasse, in der in der Regel vor 20 Zuschauern gekickt wird – nimmt den AFC auf. Der Dons Trust wird gegründet: eine Art Genossenschaft, der der Verein gehört. Für 25Pfund im Jahr kann jeder einen Anteil erwerben. Mehr nicht. 2500 Dons-Fans sind mittlerweile Vereinsbesitzer. Ivor Heller, Womble (so nennen sich Wimbledons Fans) seit Ewigkeiten und nebenbei Besitzer einer florierenden Druckerei, kümmert sich um Einnahmequellen. Ein ehemaliger Spieler wird zum Trainer bestimmt. Sein Team castet er im großen Stil: Über Radio und Tagespresse lädt der Club interessierte Kicker zu einem Probetraining ein. 500 wollten kommen. 200 dürfen. 20 bleiben am Ende übrig. Die Presse in England greift den Fall begierig auf – man wittert eine Robin-Hood-Story, einen Aufstand gegen die galoppierende Kommerzialisierung des Fußballs. Sogar Tony Blair meldet sich zu Wort und spricht den Dons für „ihren Durchhaltewillen und ihre Hartnäckigkeit“ seinen Respekt aus. Im Juli bestreitet der AFC Wimbledon sein erstes Freundschaftsspiel, mangels eigener Spielstätte auswärts in Sutton. 4500 entzückte Zuschauer kommen aus Wimbledon, Dutzende von Kamerateams und Journalisten. Hunderte von Luftballons steigen blau und gelb in den Himmel. Viele hätten aus Ergriffenheit geweint, sagt Kris Stewart. Das Spiel geht 0:4 verloren, aber die Fans des wiedergeborenen Fußballs in Wimbledon sind restlos glücklich. Nach dem Spiel stehen sie zu Hunderten vor der Tribüne und feiern Kris Stewart mit endlosen Sprechchören. Der steht da, ganz Präsident, in Anzug und Schlips und weiß gar nicht, wohin mit sich und seinen großen Händen. Er lacht und winkt ab und ringt sichtlich um Fassung. Haut dem kleinen Ivor Heller neben sich ständig auf die Schulter. Er ist ein verflixt glücklicher Mann, nicht einmal sechs Wochen nach dem 28. Mai (…) Stewart ist sich sehr bewusst darüber, dass er die Seiten gewechselt hat, irgendwie. Er ist jetzt ein Funktionär, ob er will oder nicht. „Jeder kennt mich“, sagt er, „und jeder will mit mir reden. Da muss ich durch.“ Und dann ist da die Sache mit den Schiris. „Die sind oft so schlecht“, sagt er, „und ich darf sie nicht mal mehr beschimpfen.“ Im Gegenteil: Jetzt muss Kris Stewart ihnen hinterher die Hand schütteln und in jedem Fall einen good Job bescheinigen. „Und ich fange an, in Fußballphrasen zu sprechen, wenn Journalisten kommen. Furchtbar.“ Man wird vorsichtig, wenn man 2500 Menschen vorsteht. Er ist ein leuchtendes Beispiel für andere, er sendet eine Message aus: Lasst euch nicht alles gefallen. Geld ist nicht alles. Holt euch das Spiel zurück, es gehört euch – und nicht jenen, die euch zu Statisten in einem Spiel um Millionen gemacht haben.“

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