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Einen Fluss von Scheiße hat Ferlaino über Neapel ausgegossen

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Einen Fluss von Scheiße hat Ferlaino über Neapel ausgegossen

Enthüllungen über Maradona sind in Neapel Blasphemie – Zeit beanstandet Netzers „spekulative Ideologie“

Einen Fluss von Scheiße hat Ferlaino über Neapel ausgegossen

Aus Neapel meldet Birgit Schönau (SZ 25.9.) eine Art Gotteslästerung: „Napolis Übervater Corrado Ferlaino, packt aus, und seine Erinnerungen sind wenig idyllisch. Über 30 Jahre lang hatte Ferlaino den Verein geführt, nun gab er der neapolitanischen Tageszeitung Il Mattino ein langes Interview. Natürlich ging es um Diego Armando Maradona, „meine bittere Liebe“, vom Patron nach Neapel geholt, als Fußballgott gefeiert und verehrt, als Dopingsünder aus der Stadt vertrieben. Bis heute hat Maradona in Neapel eine treue Anhängerschaft von Nostalgikern. Die Taxifahrer tragen sein Bild neben der Familie in der Geldbörse, Universitätsprofessoren vom Fanklub „Te Diegum“ arbeiten an seiner Ehrendoktorwürde. Ferlaino kratzte am Mythos: „Maradona habe ich einige dutzend Male gerettet. Vor allem vor den Dopingkontrollen.“ Unter den Spielern des SSC Neapel sei Ende der 80er Jahre der Konsum von Kokain gang und gäbe gewesen, berichtete der frühere Präsident, „es war eine Mode“. Einige junge Spieler hätten „nur Montags geschnupft und basta“. Andere, wie Maradona, seien süchtig gewesen. „Ich hatte Anweisung an alle gegeben: Von Montag bis Mittwoch könnt ihr tun, was euch passt, aber ab Donnerstag müsst ihr sauber sein. Es reichte ja, für ein paar Tage kein Kokain zu nehmen, damit es nach dem Spiel am Sonntag nicht mehr nachgewiesen werden konnte.“ Für den Ernstfall hatte man allerdings Vorsorge getroffen. „Bevor jemand was riskierte, gaben wir ihm ein Reagenzglas mit dem Urin eines Mitspielers mit auf den Weg.“ Der Kandidat konnte die Probe im Trainingsanzug verstecken und bei der Pinkelprobe unbemerkt das saubere Urin in den Behälter der Dopingkommission abfüllen. „Heute geht das nicht mehr, die Spieler müssen ja nackt sein“, gab Ferlaino zu bedenken, „aber es ist nicht besonders schwierig, Freunde unter den Ärzten zu finden.“ Und unter den Schiedsrichtern wohl auch nicht. Bei der zweiten Meisterschaft seines Klubs sei ein wenig nachgeholfen worden, deutete Ferlaino an. Worte, wuchtiger als ein Wolkenbruch. Einen „Fluss von Scheiße“ habe Ferlaino über Neapel ausgegossen, schnaubte in der populären Fußballshow Biscardivenerdi der Regisseur Pasquale Squitieri. Der Abgeordnete der postfaschistischen Nationalen Allianz ist mit der Schauspielerin Claudia Cardinale verheiratet und deswegen prominent in Italien. Und dann sprach der Meister selbst. Seit Maradona, der mit dem SSC Neapel zwei Meisterschaften und einen Uefa-Cup gewann, im März 1991 mit Kokainspuren im Urin erwischt wurde, hatte er sich in Neapel nicht mehr blicken lassen. Als Stargast bei Biscardivenerdi kommentiert er nun die Serie A. Er nutzte das Forum, um zu verkünden, er werde Ferlaino verklagen. 74 Prozent der Zuschauer unterstützen ihn darin.“

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Die Kritik wird zur spekulativen Ideologie

Wolfram Eilenberger (Zeit 25.9.) schilt Günter Netzer: „Netzer steht mit seinem ingeniösen Totalausfall nicht allein auf Deutschlands Fluren. Die ungut angesetzte Paarung zwischen lokalem Geniekult und Führersehnsucht hat bewährte Tradition und bildet seit mehr als 250 Jahren einen roten Faden deutschzüngelnder Geistesgeschichte. Fing es bei Ostgenius Immanuel Kant (Chinese aus Königsberg) noch unschuldig ästhetisch an, so nahm der Geniebegriff bereits in der deutschen Romantik ein distinkt nationales Geschmäckle an, wurde von Über-Spieler Friedrich Nietzsche (Ossi!) in neue, gemeinschaftsgefährdende Sehnsuchtshöhen geführt, bis die Geniereligion schließlich zum kollektiven Glaubensbekenntnis des freien Westens aufstieg: Sind wir nicht alle potenzielle Führungsspieler? Hätte Netzer gewohnt präzis festgehalten, jede erfolgreiche Mannschaft bedürfe auf dem Platz zweier oder besser gleich dreier besessener Asozialer, die in ihrem unbedingten Siegeswillen selbst die Minimalregeln des spielerischen Miteinanders unterlaufen, wir hätten ihm einmal mehr schweigend zunicken müssen. Oliver Kahn aus Stutensee, Nordbaden, ist auf dem Platz solch ein Grenzwertcharakter, der talentierte Herr Ballack hingegen nicht – Ende der kritischen Durchsage. Mit Ballacks Herkunft aus dem Osten hat dessen moderateres Wesen gewiss nicht mehr zu tun als etwa mit seiner schwarzen Haarfarbe. Wobei, denkt man einmal darüber nach, ja auch der willensstarke Führungsmotzki Matthias Sammer so blond beschopft ist wie Kahn, wie Stefan Effenberg, Boris Becker, Jan Ullrich, Dieter Bohlen, wie einst Netzer. Ecce, Günter! Hat man sich erst einmal dem Führungspielerfahndungswahn verschrieben, kennt der Thesenunfug keine Grenzen mehr. Die Kritik wird zur spekulativen Ideologie. Auf diese Weise verdirbt gar die Freude am letzten wahren Gesamtkunstwerk unserer Zivilisation, dem Fußball. Ähnliche Befürchtungen mag schon das Genie Richard Wagner in seiner urdeutschen Oper von der sagenhaft blonden Führungskraft Lohengrin gehegt haben. „Nie sollst du mich befragen, noch Wissens Sorge tragen, woher ich kam der Fahrt, noch wie mein Nam’ und Art“, dröhnt Lohengrin seiner bedrängten Elsa aus Brabant entgegen; ein weiser Rat, ganz gleich welcher Heilsbringer gerade auf dem Boulevard angefahren wird. Ob Olli im Ferrari, Ballack im Opel oder Angie im Trabant.“

Die Zeit (25.9.) fragt: Wo waren Sie, als Kennedy ermordet wurde? Als der erste Mensch den Mond betrat? Als die Mauer fiel? Mitunter fährt die Weltgeschichte in das eigene Leben wie ein Blitz, auch wenn sie sich ganz woanders entladen hat, in fremden Ländern, auf anderen Kontinenten oder im Weltall. Dann ist auch das vermeintlich unscheinbare Eigene grell erleuchtet, es schmilzt auf ewig zusammen mit dem historischen Moment und wird selbst bedeutend. Nach Jahrzehnten weiß man noch genau, mit wem man zusammensaß, welche Musik lief oder wie das Wetter war. Nebensachen, die unter dem Mikroskop der Erinnerung zu Hauptsachen werden. In der deutschen Nachkriegsgeschichte gibt es nicht viele dieser Daten, doch der 4. Juli 1954 ist eines davon. Damals, an einem verregneten Sonntagnachmittag, gewann die deutsche Fußballnationalmannschaft im Berner Wankdorfstadion das Endspiel um die Fußballweltmeisterschaft. Als das „Wunder von Bern“ ging der 3:2-Sieg über die seit Jahren ungeschlagenen Ungarn in das kollektive Gedächtnis der Nation ein. Dort ist es zurzeit so präsent wie selten zuvor. Weil sich der 50. Jahrestag dieses bundesrepublikanischen Mythos nähert. Weil der größte Held jenes Spiels, Helmut Rahn, kürzlich gestorben ist. Weil am 16.Oktober Sönke Wortmanns Film Das Wunder von Bern ins Kino kommt. Christof Siemes, der Kulturreporter der Zeit, hat das Buch zum Film geschrieben und dafür prominente Zeitzeugen gefragt: Wo waren Sie, als Deutschland zum ersten Mal Weltmeister wurde?

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