Ballschrank
Empfang in Frankfurt
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| Donnerstag, 25. März 2004
Nach dem gestrigen begeisternden Empfang in Frankfurt scheint eine Euphoriewelle ausgebrochen. Deutschland ist mehr denn je eine Fußball-Nation. Der Blick ist auf 2006 gerichtet: das Jahr, in dem die Endrunde zwischen Elbe und Rhein ausgerichtet wird. Die FAZ spricht von „prächtigen Perspektiven“. Die taz hat bereits die bevorstehenden Aufgabe im Visier: „die aus dem WM-Kader verbliebenen Akteure von den lichten Höhen des Vizeweltmeistertums unfallfrei in den grauen Alltag des europäischen Durchschnittsfußballs zu überführen“, womit die EM-Qualifikation gemeint ist. Der Kalender hält für den 7. September ein Auswärtsspiel in Litauen bereit.
„Diese Weltmeisterschaft hat die Türen weit aufgestoßen und frischen Wind eingelassen“, begrüßt die SZ die allgemein ausgemachten Entwicklungslinien des Turniers. „Überall auf der Welt haben Spieler, Trainer und Verbände bemerkt, dass die Ordnung des Weltfußballs nicht mehr so starr ist, wie man geglaubt hatte.“ Ob diese Diagnose allerdings für ganze Kontinente zutrifft, sei in Zweifel gestellt. Vielmehr waren es einzelne Nationen, die das Establishment erschütterten: neben den beiden asiatischen Gastgebern zählt der Senegal dazu, die spielerisch enorm starken Türken sowie nicht zuletzt die USA.
Mit den Perspektiven für die WM 2006 beschäftigt sich Roland Zorn (FAZ 2.7.). „Wer ein derart guter Zweiter ist, der hat noch Spielräume nach oben und dazu die nötige Bodenhaftung für ein neues großes Aufbauwerk. Wie maßgeschneidert müssen die Verantwortlichen im Deutschen Fußball-Bund und deren Verwandte in der Deutschen Fußball-Liga das Ergebnis der beispielhaften Fußballwerbetournee durch Japan und Südkorea empfunden haben. Einerseits, weil sich die Mannschaft von Teamchef Völler in der Weltspitze zurückgemeldet hat; andererseits, weil der deutsche Ertrag an der WM 2002 auch als eine gigantische Werbebotschaft für die WM 2006 verstanden werden konnte. Was bleibt, ist Aufbruchstimmung in allen Etagen des Fußballunternehmens Deutschland. Sportlich, wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich wird das erste Jahrhundertprojekt des deutschen Sports im neuen Jahrtausend nun noch besser vorankommen, als ohnehin zu erwarten ist.“
Zu den deutschen Feierlichkeiten bemerkt Wolfgang Hettfleisch (FR 2.7.). „Hierzulande kann man sich nicht mit der Niederlage bescheiden. Nein. Sie muss größer, heroischer sein als selbst der Sieg des Gegners. Deutschland feiert finster entschlossen. Hurra, wir haben verloren! Geht’s auch ’ne Nummer kleiner? Und, nebenbei: Sind Politiker und Manager wirklich so dämlich, dass ihnen beim Ausschlachten des ausgefallenen Wunders von Yokohama nur ein weiterer Raubzug durch die längst bis zur Besenreinheit geplünderte Elf-Freunde-Gruft einfällt? Nein, wir Deutschen haben, entgegen dem, was da an Selbstinszenierung angerührt wird, nicht verlieren gelernt. Sonst hätten wir gejammert und mit dem Schicksal gehadert, hätten den Umständen, Collina, Brasilien, sonstwem die Schuld gegeben. Das wäre normal.“
Über die Reaktionen in Argentinien auf den Sieg Brasiliens schreibt Josef Oerhlein (FAZ 2.7.). „In der übrigen Welt gibt es kaum jemanden, der Brasilien den Sieg neidet. Am ehesten noch sind Bitterkeit und Trauer im Nachbarland Argentinien zu finden, das als Favorit in die Weltmeisterschaft zog und schon in der ersten Runde ausschied. Doch trotz einiger Nörgelei versagen auch die argentinischen Beobachter Brasilien nicht den Respekt. In einer Weltmeisterschaft ohne jeden Glanz habe sich der durchgesetzt, der zumindest am meisten versucht habe, zu spielen, heißt es im Bericht über das Endspiel der in Buenos Aires erscheinenden Zeitung „La Nación“. Ohne eine großartige Mannschaft darzustellen, habe Brasilien mit seinen Spielerpersönlichkeiten gegenüber den übrigen Teams Vorteile zu ziehen gewusst. „Warum die und nicht wir?“ fragte indes bohrend die argentinische Sportzeitung „Olé“ nach dem brasilianischen Sieg über Deutschland. Noch immer leckt Argentinien die eigenen Wunden, aber es versucht sich auch ein wenig im Ruhm des Nachbarn zu sonnen. Brasilien hat immerhin den Pokal wieder einmal auf den südamerikanischen Subkontinent geholt.“
Zum Endspiel schreibt Gerhard Schröder (FAZ 2.7.). “ Hoffentlich ist der Fußball nur ein Anfang – wir können auch auf vieles andere stolz sein: Kein anderes Land hat zum Beispiel die finanziellen Belastungen der deutschen Einheit gehabt, und dennoch spielen wir heute wieder in der Spitze. Dank einer bravourösen Mannschaftsleistung, dank einer gemeinsamen Anstrengung aller.“
Edmund Stoiber (FAZ 2.7.) zum selben Thema. „Die Nationalmannschaft hat keine leeren Versprechungen gemacht und Ankündigungen, sondern auf dem Spielfeld eine überzeugende Leistung geboten. Leistung war ihr Schlüssel für den Erfolg. Die Mannschaft ist jetzt das größte Vorbild in Deutschland. Wer sich reinkniet, hart arbeitet, nicht aufgibt und keine Sprüche klopft, dem eröffnen sich auch große Chancen.“
Zu den gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen des sportlichen Erfolgs in Brasilien heißt es bei Nicolas Richter (SZ 2.7.). „Es gibt diese alte Genesungstheorie: Ein Sieg bei der Weltmeisterschaft kann eine ganze Region beflügeln, er wird das Volk milde stimmen, die Regierung wird in den Umfragen aufholen und im Oktober wiedergewählt, was wiederum die Investoren freut, weswegen Geld ins Land fließt, und so weiter. Was zumindest stimmt, ist, dass Brasilien in einer Krise steckt, die in erster Linie eine Vertrauenskrise ist (…) Schöner Fußball bringt kein Geld. Wenn der Titel auch an der verzwickten politischen Lage nichts ändert, wenn er auch Brasilien nicht das Vertrauen der Finanzmärkte zurückgibt, so gibt er doch wenigstens den Menschen Selbstvertrauen, weil ihre Mannschaft, die als Außenseiter antrat, mit Siegeswillen und Disziplin den Titel holte. Das Volk feiert jetzt nicht das Ende derKrise, sondern vergisst einen Augenblick, dass es sie gibt.“
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