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Ballschrank

England – Ungarn (3:6) vor 50 Jahren

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für England – Ungarn (3:6) vor 50 Jahren

zur Erinnerung an das epochale Spiel England – Ungarn (3:6) vor 50 Jahren stöbern FAZ und NZZ in den Geschichtsbüchern – SpOn-Interview mit Christoph Daum, Trainer in diplomatischer Mission – Ausschreitungen in Aachen kräftigen das „Chaotenimage“ (taz) – aufregende Mitgliederversammlung bei Hertha BSC Berlin u.v.m.

Sonnenbrand auf der Zunge

Sehr lesenswertes aus dem Nähkästchen! Christian Eichler (FAZ 25.11.) berichtet vom „Tag an dem die Fußball-Welt eine Kugel geworden ist“: „Es war eine Demonstration: die Entwicklung des Fußballs vom Positions- zum Raumspiel, von einer statischen zu einer dynamischen Struktur. Die Ungarn ließen es beim 6:3 bewenden. Mehr noch als das Ergebnis zeigte die Zahl der Torschüsse (35:5) ihre Überlegenheit. Ein halbes Jahr später gewannen sie in Budapest sogar 7:1, und der Engländer Broadis beklagte, weil er seinen Gegnern so hinterherhecheln mußte, einen Sonnenbrand auf der Zunge. Seit Wembley galten die Ungarn als Wunderteam, unschlagbar. Daheim jubelten die Landsleute, für die der Sieg im Jahr von Stalins Tod als Zeichen des Aufbruchs galt. Man glaubte noch an eine menschliche Form des Sozialismus. Trainer Gustav Sebes nannte das frei wechselnde Positionsspiel, dieses Beispiel für Genialität des Kollektiven, sozialistischen Fußball. Daß dieser schöne Traum zerplatzte, daß Ungarn die beste Elf wurde, die nie den WM-Titel gewann – das lag auch daran, daß an jenem Novembermittwoch in London zwei Männer aus Deutschland auf der Tribüne saßen. Auch sie waren beeindruckt. Und doch sagte Sepp Herberger auf der Rückfahrt mit der Fähre über den Ärmelkanal zu seinem Spieler Jupp Posipal: Ich weiß, wie es geht. Herberger hatte schon vor dem Krieg in seiner berühmten Breslau-Elf mit einer Art hängendem Mittelstürmer operiert, dem früh verstorbenen Otto Siffling (er schoß 1937 fünf Tore beim 8:0 gegen Dänemark). Deshalb wußte er, daß Mittelläufer Liebrich nicht gegen Hidegkuti spielen müßte, sondern gegen Puskas, weil sonst die Abwehr entblößt würde – dafür Außenläufer Eckel gegen Hidegkuti. Er sah auch, wo die Schwäche der Ungarn lag: auf deren rechter Seite, wo Bozsik mit seinen Attacken als sechster Stürmer Lücken öffnete. Alle drei deutschen Tore im WM-Endspiel 1954 sollten auf dieser Seite vorbereitet werden. Vor dem Spiel in Wembley hatten die Ungarn alles getan, um die Engländer zu studieren: den Platz vermessen, englische Bälle besorgt, Trainingsspiele gegen Teams mit WM-System arrangiert, Informationen über Gegenspieler beim Kulturattaché ihrer Londoner Botschaft beschafft; schließlich im Spiel gegen Schweden die englischen Beobachter getäuscht, mit einer ganz anderen Taktik als der für Wembley längst geplanten. Nach dem Triumph aber begannen sie, sich dem Gefühl der Überlegenheit hinzugeben – so daß sie, wie die Engländer vor Wembley, vor dem WM-Finale von Wankdorf ihren Gegner nur flüchtig, nur ein einziges Mal studierten. Während die Fußballgeschichte ihren großen Wendepunkt genommen hatte, arbeitete der kleine, schlaue Mann aus Ludwigshafen schon an einem neuen, an seinem Meisterwerk. Die Ungarn hatten ihr Wunder vollbracht, es trug schon den Keim des Scheiterns in sich. Das der Deutschen stand noch bevor.“

Heinz Stalder (NZZ 26.11.) ergänzt: „Auch noch fünfzig Jahre nach dem ersten wirklich denkwürdigen Match im Wembley wird immer wieder der Name eines Mannes genannt, den unverbesserliche Chauvinisten in der bitteren Stunde der Niederlage Verräter schimpften: Jimmy Hogan aus Lancashire. Er spielte zu Beginn des 20.Jahrhunderts bei Burnley, Bolton, Swindon und Fulham, machte von sich reden, weil er der Begabteste am Ball war, aber mit seinen Forderungen nach mehr Flexibilität auf dem Feld auf den Widerstand der Trainer stiess. Als Coach begann er zuerst in Holland zu arbeiten und sah sich von allem Anfang an in erster Linie als Fussball-Pädagoge, der seine Spieler lehrte, dass Fussball auch Intelligenz und eine gesunde Ernährung voraussetzt. Er unterrichtete erfolgreich in Österreich, Ungarn, Deutschland, Frankreich und Afrika. Helmut Schön spielte unter Trainer Jimmy Hogan in Dresden und nannte später den vielleicht innovativsten und wegweisenden Coach „mein leuchtendes Vorbild“. Dass Hogan den Ungarn lange zuvor all das beigebracht hatte, womit sie an diesem späten Novembertag die Engländer deklassierten, wurde von der Football Association erst wahrgenommen, als es zu spät war. Seine frühen Warnungen, das englische Spiel entwickle sich nicht, wurden belächelt. Als er 1974 einundneunzig Jahre alt starb, erschienen auf dem europäischen Festland unzählige ergreifende Nachrufe. In England hatte man seine revolutionären Trainingsmethoden bis 1953 abgelehnt und ihm danach übel genommen, dass er die europäischen Gegner auf die Überholspur coachte.“

Die Lage in Brasiliens Liga NZZ

Ich möchte zu einem besseren Verhältnis zwischen Türkei und Deutschland beitragen

SpOn-Interviewmit Christoph Daum, Trainer von Fenerbahce Istanbul und Diplomat in aller Bescheidenheit

SpOn: Herr Daum, wie geht es Ihnen als Deutscher inmitten der türkischen Fußball-Kultur?

CD: Sehr gut, danke. Die Leute hier sind unheimlich freundlich und liebenswert. Die Begeisterung für den Fußball ist riesig. Ich fühle mich grundsätzlich sehr wohl. Die Stimmung in der Stadt ist nach den schlimmen Bombenanschlägen natürlich gedrückt.

SpOn: Stimmt es, dass Sie sogar türkischer Staatsbürger werden wollen?

CD: Also ich möchte nicht in die Türkei auswandern, übersiedeln oder ähnliches, sondern lediglich zur deutschen auch die türkische Staatsbürgerschaft annehmen. Die wurde mir angeboten und ich dachte, warum sollte ich neben dem deutschen Pass nicht auch den türkischen haben? Ich möchte damit zu einem besseren Verständnis und Verhältnis zwischen der Türkei und Deutschland beitragen. Es wäre auch ein Dankeschön für die Gastfreundschaft, die mir in der Türkei entgegengebracht wird. Und es soll ein positives Zeichen für die EU-Mitgliedschaft der Türkei sein.

SpOn: Die Aufnahme der Türkei wird kontrovers diskutiert. Trotz vieler politischer Veränderungen im Land zögert die EU immer noch. Ist das Land noch nicht soweit?

CD: Das ist der falsche Denkansatz. Die Voraussetzungen der Türkei sind besser als die in Bulgarien, Estland oder Lettland. Die Türken wollen in die EU und haben bereits viele ihrer Rahmenbedingungen geändert. Ich lebe lange genug hier, um sagen zu können, dass ich kaum Unterschiede feststelle, ob ich in Köln oder Istanbul bin. Ich sehe mich durchaus als Fürsprecher der Türkei.

SpOn: Kann man bei Ihnen zwischen den Zeilen auch ein wenig Deutschland-Verdruss durchhören?

CD: Verdruss würde ich das nicht nennen. Aber die Frage muss erlaubt sein, wie toll die Situation in Deutschland derzeit ist. Mir als Bürger gefallen einige Dinge genauso wenig wie anderen auch. Politische Blockaden, fehlende Entscheidungen, der Arbeitsmarkt leidet – alles Dinge, die einen Bürger beschäftigen. Vielleicht wäre beispielsweise mal eine Große Koalition sinnvoll, damit wichtige Reformen endlich auf den Weg gebracht werden.

SpOn: Sie sagen, Sie fühlen sich in Istanbul wohl. Wie leben Sie dort?

CD: Ich habe es vorgezogen, mich nicht in eine Ausländer-Siedlung einkasernieren zu lassen. Ich wohne in einem türkischen Viertel. Wir gehen gemeinsam mit türkischen Freunden aus. Ich habe mich auf das Land eingelassen und teilweise gut integriert. Das ist quasi das Gegenstück zu vielen Türken, die sich in Deutschland bewusst abschotten und unter sich bleiben wollen. Diese Haltung habe ich immer wieder kritisiert.

SpOn: Finden sie Gehör?

CD: Ich bin einer der wenigen Deutschen, der einem Türken so etwas auch mal sagen darf. Bei einem richtigen Deutschen wäre so etwas undenkbar. Die Abgrenzung ist der völlig falsche Weg. Die Türken in Deutschland müssten viel mehr auf Ihre Nachbarn eingehen. Sonst bleibt es letztlich nur bei einem Nebeneinander, mir schwebt ein Miteinander vor. Ich bin multi-kulturell aufgewachsen und denke, man muss in dieser Sache aufeinander zugehen.

Nach den Ausschreitungen in Aachen (Alemannia Aachen – 1. FC Nürnberg 1:0) , bei denen Nürnbergs Trainer Wolfgang Wolf verletzt wurde, fordert Thomas Kilchenstein (FR 26.11.), dass das Spiels neuangesetzt wird: „Als urplötzlich an diesem Montagabend ein Hagel aus Feuerzeugen, Nägeln und so genannten Flachmännern ein zweitklassiges Fußballspiel zerstörte (und einen Fußballtrainer am Kopf traf), ist Jörg Berger auf schreckliche Art und Weise bestätigt worden. Der Coach der Alemannia hat, vor allem aus Gründen der eigenen Sicherheit, zuletzt öfter den Finger warnend gehoben: Dass die Trainerbänke direkt vor den Block der Hardcore-Fans gerückt wurden, ohne Fangzäune und besondere Schutzmaßnahmen, weil der finanzklamme Club ein paar Werbebanden ordentlich ins TV-Bild rücken mochte, birgt ganz einfach ein erhebliches Sicherheitsrisiko. Dass da irgendwann mal was passieren würde, hätte man sich ausrechnen können. Berger hatte davor gewarnt. Nun ist das Kind in den Brunnen gefallen, flugs werden die Trainerbänke wieder auf die andere Spielfeldseite versetzt, auf die deutlich sicherere. Zu spät. Die schnelle Reaktion ehrt die Alemannia, allein es wird ihr nicht viel helfen. So wie es aussieht – und vergleichbare Fälle zeigen das – wird der ermittelnde DFB-Kontrollausschuss kaum umhin können, diese Partie zu annullieren und ein neues Spiel, womöglich auf neutralem Platz, anzusetzen. Tatsächlich war der 1. FC Nürnberg nach der Wurfattacke gegen Trainer Wolfgang Wolf erheblich benachteiligt. Wolf musste in der Kabine bleiben und ärztlich versorgt werden. Ihm war die Möglichkeit geraubt worden, weiterhin sein Team zu coachen.“

Das Chaotenimage will nicht weichen

Bernd Müllender (taz 26.11.) fügt hinzu: „Das Chaotenimage will nicht weichen. Die Aachener ermitteln nun bei sich selbst wegen der passiven Security. Der Manager, sonst der Unaufgeregtesten einer, tobte in den Tumultminuten brüllend über den Platz, weil die Sicherheitsleute sich lieber selbst in Sicherheit brachten. Schlagzeilen aus Altlastenzeiten bleiben sowieso. Seit Monaten durchleuchtet Aachens Staatsanwaltschaft die Hintergründe einer 100.000-Mark-Spende der Firma Babcock an den Club in Zusammenhang mit dem Müllverbrennungsskandal. Und es läuft derzeit der Geldkoffer-Prozess, rund um die maximal viertelseidene Ex-Clubführung vor drei Jahren, als Unterlagen manipuliert und Urkunden gefälscht wurden, wo Bargeld verschwand, Scheinablösen in die eigene Tasche wanderten und der Verein fast ruiniert zurückblieb. Noch 182 Tage hatte ein friedlicher Fan am Montag per Transparent angezählt. Eine Wiederkehr in die Bundesliga nach 1967-70 schüfe Raum für zwei gravierende Besonderheiten: Willi Landgraf (35), der halbhohe Publikumsliebling, der am Montag Nürnbergs Toresammler Jacek Krzynowek spektakulär souverän abmeldete, würde den ewigen Einsatzrekord für Zweitligaspiele um wenige Partien verpassen. Für Jörg Berger (59) könnte der Aufstieg zur großen persönlichen Nummer werden. Falls er später erfolglos entlassen wird, wäre er mit sieben Erstliga-Rausschmissen alleiniger deutscher Rekordhalter. Derzeit teilt er sich die Pole-Position des häufigsten Extrainers noch mit Gyula Lorant. Bis dahin wollen sie in der Ulla-Schmidt-Stadt noch oft frohe Kunde vom neuen Torsponsor hören. Zu Alemannia-Toren erklärt der Stadionsprecher am Tivoli: Plötzlich liegt der Gegner hinten, alles nur durch Nobis Printen.“

Javier Cáceres (SZ 26.11.)berichtet die aufregende Hauptversammlung bei Hertha BSC Berlin: „Wenn es jemanden gab, der Groll auf sich vereinigte, ob eines für Hertha „unbekömmlichen Jahres“, wie es der frühere Clubpräsident Wolfgang Holst nannte, wenn es also einen gab, der einen eher unschönen Abend verbringen musste, dann er: Huub Stevens. Denn als ein Mitglied bekannte, einstmals „Stevens raus!“ gebrüllt zu haben, dann aber hinzufügte, sich nun dafür zu schämen, erntete es Pfiffe, ebenso für seine Beobachtung: „Herr Stevens, sie gehören zu unserer Familie!“ Applaus bekam hingegen einer, der garantierte, dass Stevens seine Gunst „nie“ kriegen werde; des weiteren ein Mitglied, das meinte, dass Stevens gut zu Gelsenkirchener Barock passe. „Zu Hertha passt er nicht.“ Einen anderen Beifall wird Dieter Hoeneß als noch perfider empfunden haben. Denn dieser setzte ein, als der Manager erklärte, dass andere Vereine in vergleichbarer Lage ihren Trainer längst gefeuert hätten. Es war auch sonst ein bitterer Abend für Hoeneß, frustriert prangerte er den Populismus und die mangelnde Fairness einzelner Einlassungen an. Manche Mitglieder hätten wohl „seit sieben Jahren nur darauf gewartet, ihren Schmarren loszuwerden“. So sehr sich Hoeneß auch gemüht hatte, die Erfolge der Vergangenheit herauszustreichen, um Kredit für Gegenwart und Zukunft zu fordern – so wenig gelang es ihm, Kritik auch an seiner Person zu verhindern. Jedoch: Wenn sie geäußert wurde, wurde sie von der Mehrzahl der Anwesenden missbilligt, zumal dann, wenn sie der Form und dem Inhalt nach über das Ziel hinausschoss. Ein Widerspruch war das nur bedingt. Denn im Großen und Ganzen goutiert die Hertha-Familie Hoeneß’ Wirken und Werk. Im konkreten Gegenwartsfall aber wird ihm das Festhalten an Stevens tendenziell negativ ausgelegt, und auch die Einkäufe Niko Kovac, Artur Wichniarek und Fredi Bobic boten Anlass für kontroverse Zwischenrufe. Sie kamen, wie Hoeneß zu Recht beklagte, von denselben, die sich noch vor sechs Monaten von ihren Plätzen erhoben hatten, um über die Verpflichtungen von Bobic und Wichniarek zu jubeln.“

Tsp: „Nach dem Geheimtreffen der Spitzenklubs muss die DFL vermitteln“

Leserbriefe an die FR-Sportredaktion zum Thema Eintracht und die Schiedsrichter

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