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Englands Fußball schweigt zum Krieg

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Englands Fußball schweigt zum Krieg

„Dass sich der moderne Fußball mehr und mehr von der Welt abnabelt und eine eigene bildet“, findet Erik Eggers (taz 3.4.) durch die Analyse der momentanen Sprachlosigkeit des englischen Fußballs angesichts der Kriegsbeteiligung bestätigt. „Der ergriffene Leitartikler der Evening Post ließ nach dem Kriegseintritt der Engländer anno 1914 keine Zweifel aufkommen. Jetzt ist keine Zeit für Fußball, so das Credo, die Nation hat sich um wichtigere Dinge zu kümmern. Die jungen Männer, welche Fußball spielen, und die jungen Männer, welche zuschauen, haben Besseres zu tun. Das Vaterland ruft sie. Sie sind aufgefordert, am großen Spiel teilzunehmen. Dies Spiel ist der Krieg, auf Leben und Tod. Zuvor schon hatte die noble Times gedichtet: Der Hauptmann sagt, kein Tor wiegt das jemals auf, was nun benötigt wird. Zieh die Sportjacke und die Mütze aus. Das bezahlte Fußballspiel galt also als unpatriotisch in einer Zeit, in der die ersten Freiwilligen auf den flandrischen Feldern fielen. Die englische Football Association (FA) beugte sich dem Zeitgeist – und stellte Plätze und Stadien militärischen Zwecken zur Verfügung. Doch der Spielbetrieb lief vorerst weiter. Fortan aber stand der Generalverdacht des Vaterlandsverrates im Raum. Selbst dann noch, als sich in den folgenden Monaten 2.000 von 5.000 britischen Berufsspielern freiwillig zur Front meldeten und sich dort teilweise in reinen Fußballbataillonen wiederfanden. Ein Regiment wurde später berühmt, weil es bei Sturmangriffen durch das Niemandsland Fußbälle vor sich her trieb. Erst die Einstellung des Ligabetriebs am Ende der Saison 1914/15 beruhigte die Kritiker an der Heimatfront. Und diese Erfahrungen wirkten nach: Als Hitler-Deutschland im September 1939 den Zweiten Weltkrieg provozierte, ruhte der Ball auf der Insel unverzüglich. Wie aber reagiert der britische Fußball heute? Die Lage stellt sich völlig anders dar. Der britische Fußball wirkt vielmehr geradezu autistisch: Nichts in den Stadien deutet darauf hin, dass parallel zum Spiel ein Krieg mit britischer Beteiligung stattfindet, kein Transparent, kein T-Shirt unter dem Trikot eines Profis, keine friedensfordernde Gesichtsbemalung eines Zuschauers. Allenfalls indirekt: Den Kommentatoren, die sonst allzu gern das klare Vokabular des Krieges zur journalistischen Zuspitzung benutzen, verzichten nun darauf. Und auf den Sportseiten der großen englischen Zeitungen keimt keinerlei Diskussion.“

Leeds United vor der Insolvenz?

Raphael Honigstein (FTD 3.4.) berichtet. „Wenn der neue Vorstandsvorsitzende eines englischen Traditionsklubs wie Leeds United bei seinem Antritt erklärt, dass für ihn nicht der sportliche Erfolg, sondern ausgeglichene Bilanzen die absolute Priorität haben, läuten bei den Anhängern gemeinhin die Alarmglocken. Auch John McKenzie, ein 65-jähriger Universitätsprofessor ohne jegliche Fußballerfahrung, wird angesichts von 79 Mio. £ (114 Mio. Euro) Schulden das weiterführen müssen, womit sein Vorgänger Peter Ridsdale am vergangenen Wochenende aufgehört hat: mit dem systematischen Ausverkauf einer sehr talentierten Mannschaft. McKenzies Namen wird im Stadion an der Elland Road so schnell niemand singen, aber für den Klub dürfte die Amtsübernahme durch den ehemaligen Rektor der Liverpooler Universität und Wirtschaftsexperten keine Sekunde zu früh kommen. Ridsdale hatte Leeds seit 1997 mit Bravour, aber ohne jegliche Rücksicht auf schwarze Zahlen in der Bilanz erst zum englischen, dann zum europäischen Spitzenteam hochgezüchtet. Die Mannschaft konnte 2001 bis ins Halbfinale der Champions League vorstoßen. Nachdem jedoch in den letzten Jahren die Qualifikation für die europäische Königsklasse verpasst wurde, konnte sich der Klub sein Starensemble nicht mehr leisten. Rio Ferdinand, Robbie Keane, Robbie Fowler, Lee Bowyer und Jonathan Woodgate wurden für insgesamt 56 Mio. £ veräußert. Dennoch machte die Aktiengesellschaft Leeds plc im vergangenen Halbjahr immer noch einen Verlust von über 17,2 Mio. £ – kein britischer Fußballklub hat je rote Zahlen in solcher Höhe melden müssen.“

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