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Internationaler Fußball

Englische Klubs, Spielzeuge von Neureichen

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Englische Klubs, Spielzeuge von Neureichen

Lord-Protektor des in die Schieflage geratenen englischen Fussballs

Heinz Stalder (NZZ 31.10.) stellt uns den Mann vor, der in England aufräumen will: „Jeder kennt die FA, die Football Association. Aber wer ist dieser sportlich und gut aussehende 51-Jährige namens Mark Palios, der sich bei zwei weltweit operierenden, englisch zurückhaltenden Finanz- und Consultingfirmen als erfolgreicher Partner noch bescheidener gab, als es das britische Understatement ohnehin erlaubt? Seit geraumer Zeit wurden im englischen Fussball Urständ der rüdesten Art gefeiert. Auf den Spielfeldern wurde gespuckt und grobschlächtig gefoult, was das Zeug hielt. Spieler mit Wochenlöhnen, die dem drei- bis vierfachen Jahresgehalt eines Arztes im nationalen Gesundheitssystem entsprechen, gaben sich ungestraft widerlichen Orgien hin und erlaubten sich noch mehr, als sie sich mit ihren schier grenzenlosen Einkommen schon erkaufen konnten. Von der Königin geadelte Trainer würzten ihre öffentlichen Kommentare ungehindert mit Begriffen, die in der Qualitätspresse immer noch durch Sternchen ersetzt werden. Alles schien erlaubt. Und der neue Buchhalter in der Chefetage der FA sah nichts, hörte nichts, sagte nichts. Zwei Monate lang schien Palios in den edel ausgestatteten Räumen am Soho Square das neueste Modell des Wembley-Stadions zu bestaunen, sich gemächlich einzuarbeiten und dann verdächtig gewissenhaft über die Bücher zu gehen. Plötzlich aber stand er auf und wurde mit einer einzigen entscheidenden Geste zum Lord-Protektor des in die Schieflage geratenen englischen Fussballs, zum Saubermann, auf den, auch wenn es bisher niemand allzu laut ausgesprochen hatte, alle gewartet hatten. Der Starverteidiger Rio Ferdinand, der sich um eine angeordnete Dopingkontrolle foutiert hatte, wurde nach einem noch arroganteren Protest des Manchester-United-Managers für das EM-Qualifikationsspiel gegen die Türkei aus der Nationalmannschaft verbannt. Die Drohung der Komplizen Ferdinands, ohne ihn in Istanbul streiken zu wollen, wurde zunichte gemacht, als hätte Margaret Thatcher am Soho Square ein neues Betätigungsfeld gefunden. Nicht genug damit: Sir Alex of Manchester United wurde im Spiel gegen Fulham wegen vorgängig schlechten Benehmens wie ein Schuljunge vom Spielfeldrand auf die Tribüne verbannt. Doch niemand spricht vom neuen, besser kehrenden Besen – auf Mark Palios reimen sich keine Phrasen.“

Aus der Welt der Neuriechen und des Parvenüs erzählt Felix Schönauer (Handelsblatt30.10.): „Leeds und „ManU“ könnten schon bald ihre Notierung verlieren – und damit einen Trend im englischen Fußball verstärken. Denn wer etwas auf sich hält, scheint es, kauft sich in diesen Tagen einen Fußball-Club. „Es ist geradezu trendy, sich mit einem Verein zu schmücken“, sagt Analyst Leigh Webb von WestLB Panmure. Das Beispiel des FC Chelsea London macht Schule. Kürzlich vom russischen Geschäftsmann Roman Abramovich gekauft, deckte sich der Club für mehr als 150 Mill. Pfund mit Spielern ein und sorgt in der nationalen Konkurrenz und der europäischen Champions League für Furore. Seitdem kochen die Spekulationen unentwegt. Das Kandidaten- Karussell dreht sich vom Club Aston Villa, der mit einem venezolanischen Geschäftsmann in Verbindung gebracht wird, bis zu Tabellenführer Arsenal London, dem ein russischer Geschäftsmann nachstellen soll. Gestern kamen Spekulationen auf, der schwer reiche thailändische Ministerpräsident Thaksin Shinawatra interessiere sich für den Londoner Fußballclub FC Fulham – derzeit noch im Besitz des Harrods-Milliardärs Mohammed Al Fayed. „Die meisten Clubs würde ein Gebot freuen, weil sie nicht profitabel genug sind“, sagt Webb. Wegbrechende Fernseheinnahmen lassen europaweit riesige Löcher in den Bilanzen der Vereine klaffen. Das ist auch bei Leeds der Fall, das vor allem auf das Engagement ihres Vize-Chairmans Allan Leighton hofft. Dessen Firma pumpte kürzlich mehr als 4 Mill. Pfund in den Club. Der Kredit soll sich einst in Aktien umwandeln lassen, so der Plan. Auf diese Art könnte Leighton ein Drittel der Anteile anhäufen. Bei ManU dagegen sieht die Lage etwas anderes aus. Der Club ist mit einem Vorsteuer-Gewinn von zuletzt fast 48 Mill. Pfund kerngesund. Hier hat das Hin- und Herschieben diverser Aktienpakete in der jüngeren Vergangenheit Übernahmespekulationen angeheizt. Die haben den Kurs zwar auf ein Zweijahreshoch von gut 230 Pence gehoben. Doch sie haben auch Unruhe verbreitet (…) Der Trend zur Übernahme von Fußball-Clubs deutet sich übrigens auch in Ländern wie Italien und Spanien an. Nur in Deutschland, so schätzen Experten, dürften weniger als eine Hand voll Vereine in Frage kommen. Ein Analyst: „Was wäre mein Prestigegewinn als Besitzer des VfL Wolfsburg?““

Eine weitere Filmbesprechung über „Das Wunder von Bern“ schreibt Rolf Niederer (NZZ 30.10.): „Wortmanns Film, der am diesjährigen Filmfestival Locarno den Publikumspreis erhalten hat, löst – wie das im Übrigen auch bei Fussballspielen der Fall ist – widersprüchliche Gefühle aus. Der Fussballfan spielt gleichsam gegen den Filmkritiker. Ersteren packt die Dramatik der ballsicher nachgestellten Spielszenen und die Emotionalität des Fussballspiels sowie das Vergnügen ob der trefflichen Charakterisierung des Bundestrainers Sepp Herberger und des aufmüpfigen Helmut Rahn. Der Zweite möchte zwar kein Spielverderber sein, ist angesichts der Heimkehrergeschichte, deren versöhnlicher Ausgang für Matthias und seinen Vater ein doppeltes «Wunder von Bern» bedeutet, aber trotzdem versucht, einige offsideverdächtige Verkürzungen und Klischierungen anzuzeigen. So findet der Vater den Zugang in die Gefühlswelt seines Jüngsten fast über Nacht; und als der Morgen dämmert, befinden sich die beiden auf dem schnellstem Weg nach Bern, ein Reiseziel, das vom Ruhrgebiet aus offenbar nur über bunte «Almen» und Kuhweiden zu erreichen ist. Die Aussage des Films ist denn auch eher politisch als sporthistorisch zu verstehen. Zum Schluss entschwindet ein Zug langsam in ein von der Sonne geküsstes ländliches Idyll. In ihm fährt das deutsche Siegerteam seinem Zuhause und der Zukunft entgegen: „Ein Jahr später kamen die letzten Kriegsgefangenen nach Hause zurück. Ein Jahr später begann das Wirtschaftswunder. Die Elf von Bern spielte nie wieder zusammen.“ Auch auf der Leinwand soll so erhärtet werden, dass der Sieg der deutschen Fussballnationalmannschaft neun Jahre nach dem Weltkrieg die Menschen aus ihrer inneren Kriegsgefangenschaft befreite und den wirtschaftlichen Aufbruch ankündigte. Wortmanns Verfilmung des gleichnamigen Romans von Christof Siemens über den Anbruch einer neuen Zeit interpretiert den kollektiven Glückszustand, in den nicht nur der fussballbegeisterte Bevölkerungsteil fiel, als „ein ermutigendes Gegenbild zum Nazireich“. Zum Vorteil des zuweilen pathetisch-distanzlosen Films wird die Parabel auf das deutsche Wirtschaftswunder immer wieder ironisch gebrochen. Zuständig dafür ist die Angetraute eines jungen Sportreporters, dem sich überraschend die Chance bietet, über das Spiel zu berichten. So fahren die Jungverliebten statt auf die Hochzeitsreise nach Ägypten eben in die Schweiz. Die Frau erweist sich dabei als unerschöpfliche Quelle sportjournalistischer Inspiration: Nur sie ist auf Anhieb fähig, die klugen Schachzüge des Bundestrainers zu verstehen.“

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