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Entlassung Jupp Heynckes’: Gegen Hoeneß‘ Überzeugung

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Entlassung Jupp Heynckes’: Gegen Hoeneß‘ Überzeugung

Der Spiegel (42/1991) über die Entlassung Jupp Heynckes’ – vor 12 Jahren

Der Spiegel (42/1991) befasst sich mit der Entlassung Jupp Heynckes’ – vor 12 Jahren: „Mit Millionenaufwand versuchte Bayern München, zu den großen europäischen Fußballklubs aufzuschließen. Weil der Erfolg ausblieb, wurde Trainer Jupp Heynckes durch den Ex-Profi Sören Lerby ersetzt – ein Personalwechsel mit weitreichender Bedeutung. Der Klub nimmt Abschied von seinem Anspruchsdenken. Ganz klein macht sich der Erfolgsmensch der Bundesliga. Die Schultern tief heruntergezogen, die Hände fest um das rechte Knie gespannt, scheint Uli Hoeneß in dem großen schwarzen Sessel hinter seinem Schreibtisch fast zu verschwinden. Gerade hat der FC Bayern München die Trennung von Trainer Jupp Heynckes beschlossen. Und Hoeneß, der Manager, trägt die Entscheidung mit – gegen seine Überzeugung. Mühsam sucht er nach Begründungen für die Entlassung, doch alle Argumente wandeln sich noch im Laufe des Satzes zu Hymnen auf den Geschaßten, münden schließlich in Ironie. Er genieße soeben, verkündet Hoeneß aus der Tiefe des Sessels, den Höhepunkt meines Lebens. Jahrelang hatte Hoeneß von seinem Schreibtisch aus in europäischen Dimensionen geplant, hatte an einem Verein gebastelt, der es aufnehmen könnte mit Institutionen wie AC oder Inter Mailand, Juventus Turin, Real Madrid oder FC Barcelona. Gerade hatte er noch einmal die Front des neuen Klubzentrums abgeschritten, den in grauen Beton und roten Stahl gefaßten Machtanspruch des FC Bayern im europäischen Fußball. Jetzt sitzt er in seiner Konzernzentrale, die das schönere Wohnen im europäischen Haus ermöglichen sollte, und beobachtet fassungslos, wie die Zeitenwende die Innenwände zum Einsturz bringt. Mit Heynckes hatte Hoeneß sein Konzept für die Zukunft verbunden, daß er ihn dennoch nicht hat halten können, hat ihn mehr als irritiert, er findet es zum Weinen und zum Kotzen. In zwölf Jahren hat Hoeneß den FC Bayern zu einem leistungsbesessenen Musterbetrieb der freien Fußballwirtschaft gepuscht, hat ein nahezu perfekt funktionierendes ökonomisches System geschaffen, mit dem die Bayern der Bundesliga längst enteilt schienen. Hoeneß durfte sich schon in bester Gesellschaft wähnen, etwa der italienischen Vereinseigner Giovanni Agnelli oder Silvio Berlusconi, die schon mal scherzhaft den Besitzwechsel einer Kaufhauskette im Tausch gegen Ruud Gullit erwägen. (…) Hoeneß ist nicht Agnelli. Den zukunftsorientierten Manager, der einem Vergleich mit dem Daimler-Benz-Chef Edzard Reuter keineswegs widerspricht, hat das deutsche Vereinsrecht aus dem vergangenen Jahrhundert eingeholt. Nicht er entscheidet, sondern das Präsidium, ein Gremium, das im November wiedergewählt werden will. Natürlich hätten die Herren, ganz der weißblauen Schickimicki- und Politprominenz verpflichtet, mit ihrem Ensemble gern große Opern aufgeführt. Aber wenn das Sparbuch in Gefahr gerät, muß es halt wieder Bauerntheater sein. So verabschiedeten sie sich schnell von einem Konzept, das sie erst vor gut einem Jahr beschlossen hatten. Unter der Aufsicht des Fußballehrers Heynckes und der Anleitung von gleich drei ehemaligen Bundesligatrainern sollten Talente im klubeigenen Internat wie in einer Lehranstalt heranreifen für das totale Fußballgeschäft im Namen des FC Bayern: Stars produzieren, für den Verein nutzen und dann schließlich teuer verkaufen. Doch jetzt, in der Krise, hat auch Hoeneß den Schwachpunkt entdeckt. Als er die Bayern-Truppe nach Persönlichkeiten durchforstet, macht er ein Gesicht, als habe er soeben schmerzlich festgestellt, daß jene Emnid-Umfrage, die bei den 20jährigen eine verbreitete Karriereunlust ermittelte, auch für den neuen FC Bayern repräsentativ ist. Solche Fußballer sind für die Bayern-Bilanz nichts wert. Wie kein anderer Profi hat Hoeneß dem Credo, daß Leistung sich lohnt, gelebt. Jetzt, da er zum Sturm auf den Gipfel ansetzen wollte (Es fehlte immer nur ein kleines Quentchen), muß er erkennen, daß die dritte Fußballergeneration nach Hoeneß anders, für ihn unverständlich anders ist. Zu unserer Zeit, sagt Hoeneß, wäre ein Trainer wie Heynckes zehn Jahre von Erfolg zu Erfolg gerannt. Jetzt ist der verbissen auf die Perspektive hinarbeitende Heynckes entlassen. Und Franz Beckenbauer, der als Spieler und als Teamchef ohne Trainerlizenz Weltmeister wurde, erklärt lakonisch, um erfolgreich zu sein, müsse ein Trainer nicht unbedingt die Schulbank gedrückt haben. Eher gefragt ist der Animateur für die lebensfrohen Klubkinder. Die Frankfurter fanden ihn in Kneipier Dragoslav Stepanovic; bei Hansa Rostock, das als erster Klub in dieser Saison die Bayern besiegte, pokert Uwe Reinders, als säße er immer noch im Spielkasino. Die Bayern haben den gefragten Typ jetzt im Fleischgroßhändler Sören Lerby, 33, erkannt, der sich einst in München hochkickte, aber noch nie eine Mannschaft trainierte.“

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