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Entscheidung im Titelkampf

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Entscheidung im Titelkampf

Keine Frage: Wegen der frühzeitigen Entscheidung im Titelkampf verliert die Bundesliga an Spannung und Attraktivität. „Wer in die Oper geht, will auf der Bühne große Gefühle sehen und hören. Die Fußball-Bundesliga ist (noch) die Oper der kleinen Leute. Schmachtfetzen, Ränke und Irrungen inklusive“, beschreibt die FR deren Reiz und mahnt indirekt an, dass das „Unterhaltungsprodukt“ Fußball in Gefahr gerät. Die pessimistische Diagnose vieler Experten bestätigt sich diese Saison: Durch hohe Einnahmen weniger Vereine auf europäischem Parkett entstehen wirtschaftliche Ungleichgewichte, die die herkömmliche sportliche Hierarchie zementieren. Die Liga wirkt trotz der negativen Ausnahme Bayer Leverkusen sowie der positiven, dem mittellosen Tabellenzweiten VfB Stuttgart, berechenbar.

Hoffentlich gehen den Bundesligavertretern Vertragsverhandlungen mit Sponsoren und TV-Anstalten nicht die Argumente aus, denn nicht alle Anhänger sind so genügsam wie die Dortmunder Fans, die die FR folgendermaßen beschreibt: „Es ist immer wieder faszinierend, die Kulisse im Dortmunder Westfalenstadion auf sich wirken zu lassen. Wenn der Himmel über dem Ruhrpott aufreißt und sich die Sonne in die Betonschüssel ergießt, ist das Bild schwarz-gelber Heerscharen einfach beeindruckend. Doch längst fragt sich der Betrachter, was die Menschen immer wieder anzieht. Die fußballerischen Darbietungen der Borussia können es nicht sein.“

Der Mangel an Dramatik machte am Wochenende den Weg frei für Randgeschichten. Der in Vergessenheit geratene Stuttgarter Stürmer Sean Dundee wurde zum Matchwinner und verbesserte beim Auswärtserfolg in Hannover (2:1) durch zwei Tore die Aussichten seines Teams auf den begehrten Champions-League-Platz. Beim 2:1 in Nürnberg avancierte Weltmeister Thomas Häßler (1860 München) in einer seiner letzten Bundesligapartien zum entscheidenden Spieler und erzeugte nach seiner Einwechslung nicht nur die Wende, sondern verschaffte sich sogleich Genugtuung, war er doch in der Vorwoche von Karl-Heinz Wildmoser in „einer der „fiesestem Mobbing-Attacke der neueren Bundesliga-Geschichte gemobbt“ (SZ) worden. Der Löwen-Präsident hatte ohne Not und Anlass über den verdienten Spieler hergezogen.

„Wo die Niederlage wohnt“: ein Slogan der SZ, der die Stimmung in Nürnberg gut – und keineswegs hämisch – trifft, haben sich dort die treuen und versöhnungsbereiten „Clubberer“ aus der Nordkurve mit dem vermeintlichen sechsten Abstieg der Vereinsgeschichte arrangiert. Zurück nach Dortmund: „Der nächste Gegner heißt Nürnberg. Wieder ein Heimspiel, wieder eine Chance, endlich Engagement zu zeigen. Dass es besser laufen wird, scheint fraglich. Dennoch werden knapp 70.000 Masochisten im Westfalenstadion dem Gekicke beiwohnen. Wetten?“ Diesen hoffnungsvollen Ausblick von Felix Meininghaus (FR) sollten die Verkäufer der „Ware“ Fußball als Trumpf-As stets mit sich führen. Die ungebrochene Leidenschaft zweier so unterschiedlich geplagter Anhängerschaften aus Nürnberg und Dortmund ist noch immer der beste Beweis für die Anziehungskraft des runden Leders, samstags um halb vier.

Vorschlag: Endrunde um die deutsche Meisterschaft, mit Halbfinals und einem oder mehreren Endspielen

„Ein neuer Ligamodus kann alte Spannung schaffen – und vielleicht auch neue Vielfalt.“ Michael Horeni (FAZ 5.5.) schlägt Revolutionäres vor. „Dem Volkssport Nummer eins fehlen beim Blick auf diese Spielzeit (und für die Zukunft) gute Argumente, weshalb er noch solch erstklassige Unterhaltung sein sollte, wie er das Fernsehen, die Fans und sich selbst gerne glauben macht. Dreizehn Punkte hat der Meister FC Bayern an Vorsprung schon seit Wochen angehäuft. Die Meisterschaft war fast schon im Winter entschieden. Für so etwas wie nationale Fußball-Spannung taugt allein die Frage, ob Bayer Leverkusen in die zweite Liga absteigt. In den endlosen Bundesliga-Weiten zwischen Champions League und Abstiegskampf herrscht seit Monaten ohnehin gepflegte Langeweile auf niedrigem Niveau. Ein Premiumprodukt, wie das mittlerweile im Fernsehfußball-Neudeutsch heißt, sieht anders aus. Grob skizziert etwa so: mit einer Endrunde um die deutsche Meisterschaft, mit Halbfinals und einem oder mehreren Endspielen. Mit einer Abstiegsrunde und mit einer Relegation mit Mannschaften aus der zweiten Liga. Ansonsten steht zu befürchten, daß die Langeweile und sportlichen Rückschritt garantierende Spaltung der Bundesliga zwischen einem großen Haufen ewiger Habenichtse, einer dünnen und fragilen Mittelschicht, einer kleinen Elite sowie einem Herrscherduo sich weiter verfestigen wird. Schon in den letzten elf Jahren hießen die deutschen Meister nur Bayern München oder Borussia Dortmund, lediglich Aufsteiger Kaiserslautern kam mal dazwischen. Und angesichts der enorm ungleich fließenden Geldströme sieht es nicht danach aus, als ob sich daran noch etwas änderte.“

Wir, die es uns unbeirrbar nach großen Gefühlen verlangt

Auch Wolfgang Hettfleisch (FR 5.5.) vermisst Dramatik in der Bundesliga-„Oper“. „Die Stücke, die in der nun fast abgelaufenen Spielzeit auf den Bühnen der Bundesliga aufgeführt wurden, sie hielten oft nicht, was sich der Freund dramatischer Wendungen und Zuspitzungen von ihnen erhofft und erwartet hatte. Gut, die Klassiker, die funktionieren halt immer. Weshalb dem FC Bayern an dieser Stelle Dank gebührt für manch gewagte Inszenierung, manch überraschende Neuinterpretation des Repertoires aus dem geistigen Steinbruch der ewig jungen Fragen von Geld, Macht und Einfluss. Dank gebührt auch der letztjährigen Allzweck-Zweitbesetzung Bayer Leverkusen. Im Mittelmaß vor sich hindümpeln, das können manche. Sich binnen Jahresfrist aus den glänzendsten europäischen Fußballopernhäusern heraus bis kurz vor die Tournee über deutsche Provinzbühnen zu spielen, ist dagegen nicht vielen gegeben. Dass es, während das Drama seinen Lauf nahm, gelegentlich vor und hinter den Kulissen zuging wie in einer kitschigen Operetten-Klamotte, hat dem Unterhaltungswert des Ganzen sicher nicht geschadet. Danke, Bayern also. Und vielen Dank auch, Bayer. Aber sonst? (…) Irgendwie grau ist dem Münchner Oberspielleiter Uli Hoeneß diese Saison denn auch vorgekommen. Wohl nicht zuletzt, weil die Seinen die nationale Konkurrenz nicht zu fürchten brauchten und die internationale Konkurrenz nicht die Seinen. Was die Europa-Tournee betrifft, ist dem Manne geholfen worden. Was aber soll werden in der nächsten Spielzeit in den anderen 17 Häusern von bundesweiter Strahlkraft, nun, da der Hochkultur des deutschen Fußballs die einst üppigen Zuwendungen des übertragenden Fernsehens noch einmal zusammengestrichen werden? Wir, die es uns unbeirrbar nach großen Gefühlen verlangt, können nur hoffen.“

Gewinnt immer, außer manchmal

In der Financial Times Deutschland (5.5.) räsoniert Katrin Weber-Klüver. „Einiges deutet darauf hin, dass die Profession des Fußballlehrers als Ausbildungsberuf überschätzt wird. Man braucht als Trainer womöglich gar keine angelernten fachlichen Qualitäten. Besonders in der Bundesliga nicht, wo das Niveau derart absinkt, dass es mit der Wirtschaftskrise locker mithalten kann. Hier wie da ist vieles eine Frage der Einstellung: Es muss der Trainer erstmal für die richtige Stimmung sorgen. Für diese Mission braucht er: die richtige Stimmung. Seit Marc Wilmots Interimstrainer bei Schalke wurde, ist der Verein granatenmäßig gut drauf und gewinnt immer. Außer manchmal, aber das macht nichts. Die Laune hält trotzdem. Prima.In Leverkusen hingegen schlägt geballte Kompetenz allen aufs Gemüt. Thomas Hörster hat zwar lange mit solidem Fachwissen niedere Teams gecoacht, aber seit er das Erstligateam trainiert, werden ihm wöchentlich neue Vorgesetzte und Degradierungen präsentiert. Kleiner Trost: Bayers Sportdirektor Jürgen Kohler meint, man wachse „an schweren Aufgaben als Persönlichkeit“. Demnach müsste Hörster bereits zirka vier Meter messen. Kohlers Kompetenz stammt übrigens aus einem Trainer-Schnellkurs für verdiente Nationalspieler. Die meisten in der Rückrunde zu Rettungszwecken engagierten Trainer sind allerdings ernsthaft vollausgebildet und gucken auch so. Etwa Wolfgang Wolf. Dessen Ausstrahlung reichte für 37 Sekunden Club-Glück durch ein Blitztor. Der Rest war Niederlage.“

Ihren Platz neben Patentante und Trinkkumpan

Philipp Selldorf (SZ 5.5.) bedauert. „Am Ende einer Bundesligasaison heißt es immer auch Abschied zu nehmen von Menschen, die einen über Jahre begleitet haben, weshalb sie einem durch die gewohnheitsmäßige Begegnung am Samstagnachmittag näher sind als mancher Trinkkumpan, mit dem man schon unter dem Tresen gelegen hat. Man macht sich auf die Dauer ein Bild von ihnen, das klarere Konturen hat als etwa das von der Patentante, denn die wohnt weit weg, und wenn sie mal zu Besuch kommt, dann läuft vielleicht gerade die Sportschau, und dort wird womöglich ein Drama beschrieben, wie es derzeit Claus Reitmaier und Thomas Häßler erfahren (…) Zwar ist die Bundesliga ein schrecklicher Ort, in dem es Woche für Woche „überspitzt gesagt, für den Verein um Leben oder Sterben geht“ (Matthias Sammer); ein Ort also der Angst und des Leistungszwangs. Aber noch schrecklicher ist es, wenn man nicht mehr dazugehören darf. Der 1.FC Nürnberg geht nicht allein ins Zweitliga-Exil, seine Anhänger folgen ihm, und eines Tages kehrt er mit ihnen zurück. Kicker wie Claus Reitmaier und Thomas Häßler jedoch verschwinden aus der Welt der schönen Illusionen und sehen sich plötzlich verloren in der Wirklichkeit abgeladen. Im Gedächtnis der Fußballfans nehmen sie nun ihren Platz neben Patentante und Trinkkumpan ein.“

Vielleicht ein bisschen Unsinn machen

Katrin Weber-Klüver (BLZ5.5.) teilt mit. „Überall haben alle kein Geld und viel Zukunftsangst, sind ausgelaugt und ideenlos (auch in München bei Bayern). Spieler im Revier trösten sich über ihre Freudlosigkeit angeblich mit Pommes rot-weiß hinweg; Spielerköpfe in Franken sind leer, da hat auch ein Motivationstrainer nicht mehr geholfen. Gewerbliches Motivieren ist passé. Leverkusen, ein Pionier der Idee, sich teuer anfeuern zu lassen, erlebt gerade die Fußballhölle, der einstige Guru sitzt im Gefängnis. Was also tun unter all den Verzagten? Vielleicht ein bisschen Unsinn machen! Das befreit, solange der Unruhestifter mit der antiquierten Eigenschaft ausgestattet ist, positiv verrückt zu sein.“

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