Ballschrank
Ewiger holländischer Hochmut – ist deutsche Schadenfreude angebracht im Falle holländischen Scheiterns? – Youri Mulder klagt über Cliquenbildung und mangelnden Teamgeist in der holländischen National-Elf – Nervosität in der Türkei – Unzufriedenheit in Norwegen – Außenseiter Wales
Kommentare deaktiviert für Ewiger holländischer Hochmut – ist deutsche Schadenfreude angebracht im Falle holländischen Scheiterns? – Youri Mulder klagt über Cliquenbildung und mangelnden Teamgeist in der holländischen National-Elf – Nervosität in der Türkei – Unzufriedenheit in Norwegen – Außenseiter Wales
| Donnerstag, 25. März 2004Zur Ausgangslage der EM-Barrage vor den heutigen Rückspielen NZZ
Das ewige Wunder des holländischen Fußballs
Sehr lesenswert! Christian Eichler (FAZ 19.11.) beschreibt traditionellen holländischen Hochmut: „Das hat Land längst genug von Kickern, die sich wie verwöhnte Kleinkinder aufführen. Das Algemeen Dagblaad fordert vom eigenen Team endlich eine deutsche Einstellung – soweit ist es gekommen. Die deutschen Fußballtugenden, mit denen bei der WM 1974 die Holländer gestoppt wurden, als Hilfe gegen Holland in Not? Dem ewigen Mahner Cruyff muß das den Rest geben. König Johan der Letzte hat noch so gut wie jedem den Verrat am totalen Fußball vorgeworfen, den als Patent anzumelden er leider in den siebziger Jahren vergaß. Besonders arrogant zeigt er sich gegenüber uneleganten Kämpfern wie Advocaat, die ihn schon als Spieler nervten, wie es etwa Berti Vogts im Finale 1974 tat. Von einem Advocaat, so Cruyff, könne er nicht erwarten, daß er meine Ansichten teilt, weil er nie auf diesem Niveau gespielt hat. Den Mangel an Mannschaftsgeist, die Tradition des Aufruhrs bei Oranje hat Cruyff begründet, als er 1978 nicht mit zur WM wollte. 1988 forderte er Marco van Basten auf, von der EM in Deutschland heimzureisen, weil Rinus Michels den Stürmer erst auf die Bank setzen wollte. Van Basten hörte nicht auf die Einflüsterungen und schoß Holland zum Titel. 1994 ließ Kapitän Ruud Gullit das Team kurz vor der WM im Stich, weil er mit der Taktik des Trainers nicht einverstanden war – der hieß, weil Cruyff den Job nicht wollte, Advocaat. Heute ist Gullit als Juniorentrainer Mitarbeiter von Advocaat in dessen zweiter Amtszeit – und offenbart als Fernsehexperte alte Oranje-Arroganz gegenüber als minderbemittelt eingestuften Gegnern. Holland werde locker siegen, prophezeite Gullit – und wußte dann, auf die Frage nach den gefährlichsten Schotten, keinen einzigen Namen zu nennen. Noch mehr als ihre Vorgänger ist die heutige Oranje-Generation von Eigensinn und Disziplinlosigkeit geprägt. Allein in den letzten zwölf Monaten mußte Advocaat eine Kabinenschlägerei zwischen Davids und van Bommel schlichten, Ricksen nach einem Saufgelage nebst zerstörter Hoteltür aus dem Team werfen, Seedorf vom Platz holen, weil er Anweisungen mißachtete und nur für sich selbst spielte, und van Nistelrooy disziplinieren, weil er nach der Auswechslung beim 1:3 in Tschechien eine Flasche in Richtung des Trainers getreten und ihn als Feigling beschimpft hatte. David Winner, der britische Autor der Analyse Brilliant Orange. Der neurotische Genius des holländischen Fußballs sieht die Ursache für die Unfähigkeit, kollektives Talent in Teamwork umzusetzen, in der nationalen Psyche: Die Niederländer haben in allen Bereichen des Lebens ein Problem mit Autorität. Lieber diskutieren sie und treffen die Entscheidungen unter sich. Dem, der Autorität ausüben und Entscheidungen fällen muß, bleibt da manchmal nur Galgenhumor, wie ihn Advocaat äußert: Wenn unser Team ruhig ist, glaubt jeder, es sei krank. Holland hat im Mittelfeld mit Davids einen Mann mit zuviel Antrieb und mit Seedorf einen mit zuwenig; eine alternde, wackelnde Abwehr; ein in Cliquen gespaltenes Star-Ensemble. Und doch immer noch ein Team, das nur ein, zwei Erfolgserlebnisse braucht, um sich wieder am eigenen Können berauschen und Spielkunst in Vollendung bieten zu können – das ewige Wunder des holländischen Fußballs.“
Dick Advocaat ist kein großer Trainer
Sehr lesenswert! SZ-Interview mit Youri Mulder, holländischer Ex-Profi von Schalke 04, über die Mängel der holländischen Nationalmannschaft
SZ: Seit der 0:1-Niederlage der holländischen Nationalmannschaft am Samstag in Glasgow singen die deutschen Fans bereits: „Ohne Holland fahr’n wir zur EM“. Ist die Vorfreude vor dem Rückspiel in Amsterdam berechtigt?
YM: Ja, allein schon wegen des Ergebnisses, aber sie könnte noch größer sein, wenn Holland doch noch zur Europameisterschaft fahren sollte. Dann gibt es nämlich wirklich etwas zu lachen.
SZ: Das klingt aber böse.
YM: Es gibt auch genug Gründe, um böse zu sein. Wenn etwas nicht klappt, man aber Einsatz zeigt, ist es nicht schlimm. Denkt man jedoch, man könne sehr gut Fußball spielen, wie es die Holländer tun, es klappt aber nie, wird man zur Lachnummer. Und unsere Nationalmannschaft ist inzwischen die nationale Lachnummer.
SZ: Glauben deshalb auch viele Niederländer nicht mehr an die Qualifikation?
YM: Genau, weil sie gesehen haben, dass die Schotten gemeinsam etwas erreichen wollten und die Holländer nicht. Sie sind Inseln, jeder möchte gerne gut für sich herauskommen.
SZ: Woran liegt das, schließlich ist das Team im Kern seit Jahren zusammen?
YM: Aber die meisten Spieler stehen in ihren Klubs auf der Kippe. Ob Kluivert, Cocu oder Overmars in Barcelona, Davids in Turin oder Frank de Boer bei Besiktas Istanbul, alle haben Probleme und sitzen mitunter sogar auf der Bank. Deshalb nutzen sie die Spiele mit der Nationalmannschaft nicht, um dort im Team erfolgreich zu sein, sondern um selbst gut auszusehen.
SZ: Seit Jahren ist von Cliquen in der Mannschaft die Rede, gibt es die noch?
YM: Ja, das Team wird von den Spielern dominiert, die aus Amsterdam stammen, und es ist für Spieler von Utrecht oder Twente Enschede schwierig, akzeptiert und richtig aufgenommen zu werden. Niels Oude Kamphuis von Schalke war ein Mal dabei und fand, dass es eine komische Atmosphäre ist. Um Ruud van Nistelrooy gibt es eine Gruppe, die aus Eindhoven kommt. Dann sind Kluivert, Davids, Seedorf und Reiziger, also die farbigen Spieler, schon von klein auf Freunde, und diese Jungs haben sehr viel Geld verdient. Deshalb ist jemand wie Mark van Bommel, der noch in Eindhoven ist, etwas eifersüchtig, weil die anderen auf ihn herunter gucken. Es ist tödlich, wenn Geld, Eifersucht und kleine Intrigen eine Rolle spielen.
SZ: Wäre da nicht der Trainer gefragt?
YM: Selbstverständlich, aber Dick Advocaat ist kein großer Trainer. Er wirkt immer bitter und vermittelt den Eindruck, als ob hinter jedem Baum ein Feind stehen würde. Unter ihm spielt niemand frei auf, weil er zu ängstliche Vorgaben macht, und seine Entscheidungen sind kaum nachzuvollziehen. Advocaat kann froh sein, dass die Zeitungen in Holland so brav sind. In Deutschland hätte er schon vor einem Jahr lesen müssen: „Hau ab, wir wollen dich nicht mehr sehen!“
Eine Mannschaft im Zustand der Verwesung
Stefan Hermanns (Tsp 19.11.) fasst die Kritik holländischer Medien an der Nationalelf zusammen: „„Eine Versammlung überschätzter Fußballer“, hat die Zeitung Het Parool im Nationaltrikot ausgemacht. Die Volkskrant will „eine Mannschaft im Zustand der Verwesung“ gesehen haben. Dazu passt die Nachricht, dass zehn Spieler nach der Niederlage noch um drei Uhr in der Nacht bei einer Party im Amsterdamer Hafen aufgetaucht sein und dort bis zum Morgengrauen gefeiert haben sollen. Selbst wenn Holland heute mit zwei Toren Unterschied gegen die Schotten gewinnen sollte und damit das peinliche Ausscheiden verhindert – so recht glaubt in den Niederlanden niemand mehr, dass diese Mannschaft noch einmal das Versprechen einlöst, das sie vor langer Zeit gegeben hat. Aus dem goldenen Jahrgang, der 1995 mit Ajax Amsterdam die Champions League gewonnen hat, ist in den Medien fast über Nacht eine „net-niet-generatie“ geworden, eine Nicht-ganz-Generation. Selbst Bondscoach Dick Advocaat scheint inzwischen von tiefen Zweifeln ergriffen worden zu sein. Dass er im Fall des Scheiterns sein Amt aufgibt, ist längst bekannt; nun aber gibt es sogar Zeichen dafür, dass er auch dann zurücktritt, wenn seine Mannschaft die Qualifikation doch noch schafft. Advocaat ist als Bondscoach längst gescheitert, und sein mattes Gesicht verrät, dass er das vermutlich selbst weiß. Seine letzten Maßnahmen sind nur noch ein untauglicher Versuch, das nachzuholen, was er in zwei Jahren versäumt hat: der Mannschaft eine Struktur zu geben.“
Anno Hecker (FAZ 19.11.) bemerkt aus deutscher Sicht: „Ausscheiden in der EM-Qualifikation gegen Schottland? Das täte uns aber leid! Natürlich hilft Schadenfreude dem weltoffenen Beobachter aus Deutschland allenfalls für ein paar Abendstunden darüber hinweg, daß die Spieler Ihrer Königlichen Majestät auf dem Feld des Fußballs irgendwie künstlerisch begabter wirken als Deutschlands Kick-Heroen. Vogts sagt, das sei schon immer so gewesen. Ist denn da nichts zu machen? Niemals? Mit dieser fatalen Erkenntnis könnte man sich noch abfinden, solange Spiele gegen bedeutende Fußballnationen wenigstens ab und an gewonnen würden. Aber wenn nun schon die Schotten mit einem Hackentrick in fremder Leute Strafraum virtuoses Spiel vorführen, so gewitzt gegen die mächtigen Holländer gewinnen, dann wird’s unbequem im deutschen Fernsehsessel. Weil sich der Verdacht einschleicht, Vogts, der frühere Wadenbeißer, der aus der Heimat in die Highlands Abgeschobene, räche sich für all die Schmähungen mit einem Beweis für seine kreative Lehrtätigkeit: Schottlands Kicker, geborene Grätscher, brachten einen Großen spielend leicht ins Wanken. Muß man sich nun nicht fragen, ob Vogts hierzulande einfach nicht verstanden worden ist? Und ob es so klug war, den leidenschaftlichen Liebhaber der Spielkultur auf die Insel vertrieben zu haben? Wer genauer hinhört und hinschaut, entdeckt den Beginn einer wunderbaren Beziehung zwischen Vogts und Schottland nach ersten, heftigen Mißverständnissen. Vogts spricht schon liebevoll von my Scots. Schottische Zeitungen vergleichen den guten Mann aus Korschenbroich und seine Bravehearts bereits gerührt mit Nationalhelden.“
Jan Christian Müller (FR 19.11.) fügt hinzu: “Berti Braveheart nimmt es mit den übermächtigen Holländern auf. Die sind besser als wir, und deshalb wäre es gut, wenn Berti sie wegschaffen würde. Derselbe Berti, über den sich halb Deutschland halb totgelacht hat, als er beim 2:2 zum Auftakt der EM-Qualifikation in einer viel zu großen dunkelblauen Winterjacke auf den Färöern verloren wie ein Hirte ohne Schafherde am Spielfeldrand stand, die Arme vor dem Reißverschluss der dicken Jacke verschränkt und dabei so aussah, als sei seine Mission in Schottland ein einziges Missverständnis. Derselbe Berti, über den seine Landsleute sich spätestens seit dem Aus bei der WM 1998 nur noch lustig gemacht haben, als er böse Mächte in der Fifa gegen sich und den DFB wähnte und später bei Bayer Leverkusen noch weltfremd die Zukunft plante, als längst jeder wusste, dass seine Tage gezählt sein würden. Der Fußballlehrer Berti Vogts ist – im Gegensatz zum Terrier im Trikot von Borussia Mönchengladbach – hier zu Lande nie geliebt worden, noch nicht einmal nach dem Gewinn der Europameisterschaft 1996. Wahrscheinlich liegt es daran, dass ihn ständig die Aura eines beleidigten Besserwissers umgibt. Vogts hat schmerzvoll erleben müssen, dass das Maß an persönlichem Fachwissen und Fleiß für die Akzeptanz in der Öffentlichkeit keine Rolle spielt. Egal, was heute Abend in Amsterdam passiert. Vogts hat sich in Schottland erarbeitet, was ihm in Deutschland zuletzt verwehrt blieb: Achtung.“
FTD-Interview mit Frank Verlaat, holländischer Ex-Bundesliga-Spieler, über Hollands Fußball
FTD Leidet Holland an seiner eigenen Romantik? Man muss immer 4-3-3 spielen, immer schön spielen, und am Ende gewinnen die anderen.
FV: Das ist einfach eine Mentalitätsfrage. In Holland kommen die Zuschauer nicht unbedingt ins Stadion, um ihr Team gewinnen zu sehen.
FTD Nein?
FV: Also, gewinnen wollen die Fans schon, aber sie wollen nicht, dass ihr Team sich mit zehn Mann vors eigene Tor legt und dann das Heimspiel 1:0 gewinnt. Das wird in Holland nicht akzeptiert. In Holland sagt man: Wer gewinnen will, muss das im Spiel auch zeigen. Oder nehmen Sie die Jugendarbeit: Es geht immer darum, dass ein Spieler individuell besser wird. Wenn seine Mannschaft nebenbei Meister wird, okay, aber wichtig ist, dass man schön Fußball spielt.
FTD Der Weg ist das Ziel.
FV: Kann man vielleicht so sagen. Kann schon sein, dass das später auf höchster Ebene ein Nachteil ist. Dass man nicht von klein auf gelernt hat, einen Sieg auch mal zu erkämpfen.
FTD Neigt der holländische Fußball zur Überheblichkeit?
FV: Ich denke, es ist eine Mischung aus Selbstbewusstsein und Überheblichkeit. Aber der Grat ist sehr schmal. Man sieht das ja manchmal im Spiel, wenn Holland klar dominiert und es unter seiner Würde empfindet, den Ball kurz vor Schluss auf die Tribüne zu hauen. Als Holländer willst du immer eine fußballerische Lösung finden. Im tiefsten Inneren denkt jeder Holländer: Schade, dass es überhaupt Verteidiger gibt. Okay, lassen wir sie mitspielen, aber eigentlich wollen die ja nur, dass unsere Stürmer keine Tore schießen. Und mit dieser Denkweise kommt es eben vor, dass du ein überlegenes Spiel verlierst, und hinterher sagen die Spieler: Okay, der Torwart von denen war halt gut, aber hast du gesehen, wie schön wir wieder gespielt haben! Aber das ist eher ein grundsätzliches Problem, das hat jetzt nichts mit der aktuellen Mannschaft im Spiel gegen Schottland zu tun.
Das war eine Qual
Hannes Gamillscheg (FR 19.11.) stellt fest, dass auch die norwegische Öffentlichkeit mit ihrem Team unzufrieden ist: „Die skandinavische Solidarität ist im Sport sonst schwer zu erschüttern. Vor dem entscheidenden EM-Qualifikationsspiel des norwegischen Teams gegen Spanien aber erwiderte Dänen-Coach Morten Olsen in Oslos auflagenstärkster Zeitung VG auf die Frage, wie die Norweger die Sensation schaffen könnten: Ich hoffe, gar nicht. Spanien habe ein glänzendes Team, das grandiosen Fußball spielt, sagte Feinschmecker Olsen, und das wollen wir bei der EM sehen. Nicht das norwegische Gemauer. Schon um die Gruppenspiele der skandinavischen Nachbarn hatte sich Olsen mit seinem norwegischen Kontrahenten Nils Johan Semb heftige Wortduelle geliefert und erklärt, eher als Sembs Mannschaft hätten Rumänen oder Bosnier den zweiten Gruppenplatz verdient. Damals war er in den norwegischen Medien noch angefeindet worden. Jetzt ist man selbst in den sonst stark nationalistisch gefärbten Sportredaktionen geneigt, ihm zuzustimmen. Die Ansicht, dass eine Mannschaft, die nichts zu bieten hat als destruktiven Fußball, genauso gut daheim bleiben kann, sei legitim, schrieb der Kommentator von Aftenposten. Da blamieren wir uns wenigstens nicht vor ganz Europa. Dagbladetstimmte ein: Unser Team zu sehen, macht keinen Spaß. Man müsse kein großer Kenner zu sein, um zu verstehen, dass die EM mit Spanien ein besseres Turnier würde. Als der Reporter nach dem Hinspiel in Valencia das Heldenlied der Abwehrschlacht singen wollte, bremste ihn TV-Co-Kommentator und Ex-Profi Mini Jacobsen aus: Das war eine Qual. Zynismus nannte VG die Menschenmauer, die Spaniens Stürmer fast zur Verzweiflung trieb.“
Raphael Honigstein (FTD 19.11.) drückt Wales die Daumen: „Vor ein paar Wochen saß Mark Hughes in Frankfurt bei der Auslosung der Relegationsspiele für die Fußball-Europameisterschaft 2004 neben einem freudig erregten russischen Funktionär. „Der rief immer Wales, Wales, Wales, wir waren anscheinend das Wunschlos“, erinnert sich der 40-Jährige. Früher, als Hughes noch für Manchester United auf dem Platz stand, hätte sich der bullige Stürmer so eine Unverschämtheit nicht gefallen lassen. Doch seit er 1999 die walisische Nationalelf übernommen hat, ist aus ihm ein ruhiger, souveräner Trainer geworden, der jeden Satz überdenkt: „Ich habe nichts gesagt – der Delegierte hat ja nicht gewusst, wer ich bin.“ Die Chancen stehen nicht schlecht, dass sich Hughes für die herablassende Bemerkung heute Abend äußerst elegant revanchieren kann: Wales wäre nach dem hart erkämpften 0:0 in Russland mit einem Sieg im Cardiffer Millenium Stadion für die Endrunde in Portugal qualifiziert. Das strukturschwache Land im Westen der Insel dürfte dann zum ersten Mal seit der WM 1958 bei einem großes Turnier teilnehmen. Seit diesem Höhenflug haben sich nur heroische Niederlagen ins kollektive Gedächtnis gebrannt. Als Hughes sein Amt antrat, lag Fußball in der Popularität weit hinter Rugby zurück und Ryan Giggs, der einzige Weltklassespieler der Nation, fing sich rechtzeitig vor jedem Länderspiel eine mysteriöse Oberschenkelzerrung ein. Doch seit „Sparky“ – so Hughes’ Spitzname – das Sagen hat, prügeln sich die Spieler darum, für ihr Land zu spielen. „Ich habe schon einige Male mit meinem Vereinsarzt gekämpft, weil der mich nicht zur Nationalmannschaft fahren lassen wollte”, sagt Birminghams Robbie Savage. Der mit bescheidenden Fähigkeiten gesegnete Mittelfeldspieler macht seinem Namen in der Premier League alle Ehre – er ist ein Meister der Provokationen und gemeingefährlichen Grätschen; vor zwei Jahren musste er 10 000 £ Strafe zahlen, weil er vor einem Spiel die Toilette des Schiedsrichters benutzt hatte. Wenn er für Wales spielt, hält sich Savage jedoch auffällig zurück. Der Mann ist ein echter Patriot: Als sein Großvater verstarb, legte ihm der Mittelfeldspieler das Trikot seines ersten Länderspiels auf den Sarg.“
Thomas Seibert (Tsp 19.11.) berichtet türkische Nervosität: „Ein Ausdruck der traditionellen türkischen Gastfreundschaft war das nicht: Als die Fußball-Nationalmannschaft von Lettland in Istanbul eintraf, musste die Delegation eine Stunde lang an der Passkontrolle warten. Anschließend wurde ihr Gepäck von Suchhunden der Drogenpolizei durchschnüffelt. Vor dem Hinspiel, das die Türken 0:1 verloren, sei es den türkischen Spielern in Riga genauso ergangen, begründeten die Gastgeber den feindseligen Empfang. Diese kleinlichen Schikanen sind ein Zeichen der Schwäche: Die türkische Mannschaft ist weit von der Form ihres WM-Erfolges vom vergangenen Jahr entfernt. Sie spielt schlecht und hat ihre Emotionen nicht unter Kontrolle – am Mittwoch fehlen drei Stammspieler wegen Gelber und Roter Karten. „Wie Schmuggler“ seien sie behandelt worden, beschwerten sich Mitglieder der lettischen Delegation nach der langwierigen Prozedur am Flughafen. Unerwartet war das Verhalten der türkischen Behörden aber nicht. Der Chef des türkischen Fußballverbandes, Haluk Ulusoy, hatte nach der Rückkehr aus Riga angekündigt, die Türkei werde fortan ihre Gegner nicht wie Gäste behandeln. Das war nicht der einzige Ausrutscher des Verbandschefs. Auch die Wahl des Schiedsrichters für das entscheidende Spiel im Inönü-Stadion von Istanbul schmeckte ihm nicht. Denn der Unparteiische ist Anders Frisk, ein Schwede. Jeder wisse doch von den engen Beziehungen zwischen Schweden und Lettland, sagte Ulusoy. Schon beim Hinspiel in Riga sahen sich die türkischen Spieler als Opfer des Schiedsrichters, des Franzosen Gilles Veissiere. Ulusoy und die Mannschaft greifen damit auf den alten Grundsatz zurück, dass man sich nicht so sehr über die eigene Leistung ärgern muss, wenn man sich über den Schiedsrichter aufregen kann. Dabei gäbe es zum Thema Leistung einiges zu sagen, finden die türkischen Zeitungen.“
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