Ballschrank
Fazit einer komischen Saison
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| Donnerstag, 25. März 2004
Ralf Wiegand (SZ 12.5.) sah zwei Trainer, die über vergeben Chancen räsonierten. „Es war der dümmste Zeitpunkt für eine Niederlage. Das Gottlieb-Daimler- Stadion war mit 51.000 Zuschauern fast ausverkauft, was in Stuttgart so gut wie nie vorkommt. Magath hatte Anfang der Woche ein neues Ziel ausgegeben: Der VfB, das Überraschungsteam der Saison, will in die Champions League, es ist nun eine ganz offizielle Anordnung des Trainers. Schließlich war da die Statistik, seit acht Jahren zu Hause gegen Werder nicht verloren zu haben. Das alles weckte Erwartungen. Aber dann schoss doch nur Rui Marques den Ball ins eigene Tor. So ist das mit dem Anspruch und der Wirklichkeit, sie wollen zu selten zueinander finden. Die Bremer kennen das auch. „Realistisch betrachtet“, sagte deren Trainer Thomas Schaaf, „spielen wir eine gute Saison innerhalb unserer Erwartungen.“ Und trotzdem: „Wenn ich die Chancen sehe, die wir hatten, könnte ich verrückt werden.“ Er meinte nicht diese vergänglichen Chancen eines Spiels, von denen der SV Werder viele bei seinen späten Kontern in Stuttgart vergab; Schaaf meinte die Chancen eines Jahres, das große Ganze, das Fazit einer komischen Saison. Errechnete man eine Tabelle der besten sieben Mannschaften untereinander, Werder wäre Erster. Zweimal gegen die Bayern gewonnen, zweimal gegen Hertha, nun auch zweimal gegen den VfB. Die Bremer siegten in Dortmund und gegen den HSV. „Man denkt mit Wehmut daran, wo wir stehen könnten“, seufzte Manager Klaus Allofs. Werder hat gegen Wolfsburg verloren, in Nürnberg, gegen Cottbus, Hannover, in Kaiserslautern.“
Zum Reden brauchen wir kein Licht
Oskar Beck (FTD 12.5.) erklärt die Bedeutung einer möglichen Stuttgarter Qualifikation für die Champions League. “In Stuttgart empfing der VfB-Präsident Manfred Haas kürzlich seinen Torjäger Kevin Kuranyi zum Vertragsgespräch, sie setzten sich, und Haas blies die Lampe aus und sagte: „Zum Reden brauchen wir kein Licht.“ Warum erzählen wir die Geschichte? Weil sie, selbst wenn sie in weiten Teilen schamlos erfunden ist, der letzte und endgültige Beweis dafür ist, dass dem VfB gar nichts anderes übrig bleibt, als sich für die Champions League zu qualifizieren. Schlagartig müssten die Schwaben am Strom nicht mehr sparen, wären ihre 16 Mio. Euro Schulden los und könnten mit den jungen Wilden von Kuranyi über Hleb bis Hinkel verlängern. Mit diesem Anreiz hat Trainer Felix Magath seine Rasselbande am Samstag hoch motiviert in das Spiel gegen Werder Bremen geschickt – doch es hat sich herausgestellt, dass so ein „Traumziel“ (Magath) schnell zum Albtraum geraten kann. Wie ein voller Rucksack hat der Stress die Schwaben in die Knie gezwungen. „Wir spielen“, sagt Jungnationalspieler Andreas Hinkel, „nicht mehr unbefangen und unbeschwert.“ Nichts ist gelungen, und der einzige gut vorgetragene Konter kam auch noch zu spät – das war in der Pressekonferenz, als Magath die Vorlage des Bremer Kollegen Thomas Schaaf („Wir fahren zufrieden nach Hause“) mit Leichtigkeit zu Ende führte: „Und wir bleiben unzufrieden daheim (…) Hält der VfB dem Druck nicht stand? Der Grat ist schmal. Denn wenn er doch noch platzt, der Traum vom Geld und Segen der Königsklasse, steht der VfB am Ende womöglich wieder dort, wo er vor einem halben Jahr stand – als Manfred Haas angeblich mit dem Gedanken spielte, auf ein Stück Pappe „Ich bin der VfB-Präsident“ zu kritzeln, sich mit der Gitarre in die Fußgängerzone zu setzen, „Hey Joe“ von Jimi Hendrix zu singen und um eine milde Gabe zu bitten.“
Hans-Joachim Leyenberg (FAZ 12.5.) höhnt. „Das Ergebnis diente im nachhinein als Beweis, zu den ganz Großen der Bundesliga zu gehören, denn diese unberechenbaren Norddeutschen haben doch tatsächlich bei Bayern München, Borussia Dortmund und nun auch noch beim VfB Stuttgart gewonnen. Der Berufsberater beim VfB Stuttgart heißt Felix Magath. Es hat mir noch nie so viel Spaß gemacht, Trainer zu sein, wie beim VfB, hat Magath unlängst gesagt. Weil dieser Mann über den Tag hinaus denkt, Platz drei für die Schwaben ja immer noch aller Ehren wert ist, war er gut beraten, trotz dieses Rückschlages zuversichtlich in die nahe Zukunft zu blicken. Vor dem Spiel mußten wir noch sieben Punkte haben, jetzt müssen es sechs sein. Damit diese Rechnung zum direkten Einzug in die Champions League aufgeht, muß am kommenden Samstag beim deutschen Meister Bayern München und zum Abschluß daheim gegen den VfL Wolfsburg gewonnen werden. Seitdem die Stuttgarter mit dem Zutritt zur Elite der europäischen Extraklasse etwas zu verlieren haben, ist ihnen die Unbeschwertheit abhanden gekommen. Die Herrschaften verkrampfen. Der Gegentreffer in der 51. Minute, den sie sich selbst ins Tor legten, paßte zu diesem für den einstigen Tabellenzweiten rundum verkorksten Samstag.“
Was gibt es Schöneres als jetzt in München zu spielen?
Oliver Trust (FR 12.5.) referiert Stuttgarter Reaktionen. “Trotz schwer verdaulicher Wahrheiten will die schwäbische Fußballfamilie von ihren Träumen nicht lassen. Konkurrent Borussia Dortmund, dem die Schwaben bereits drei Punkte enteilt waren, steht nun auf Rang zwei. Stuttgart hätte als Dritter schlechtere Karten, müsste die Champions League, die Millionen garantiert, die dringend zur Sanierung der Clubfinanzen benötigt werden, über die Qualifikation erreichen. Und Magath müsste sich im Fall des Scheiterns von Plänen verabschieden, seine Mannschaft mit spielstarken Fachkräften zu verstärken, um, wie er es vorgab, nächste Saison um die Meisterschaft mitzubieten. So klang er am Tag der Enttäuschungen wie einer, der laut im dunklen Wald pfeift, um die Furcht zu vertreiben. Ich weiß nicht, ob Borussia Dortmund auch noch sechs Punkte holt, sagte Magath. Und Torwart Timo Hildebrand äußerte vollmundig: Was gibt es Schöneres als jetzt in München zu spielen. Die kriegen die Schale und wir die Punkte. Sie müssen auf einen Patzer der Dortmunder hoffen. Kein sehr schönes Gefühl. Vielleicht denken wir zu viel darüber nach, was passieren könnte, sagte Kevin Kuranyi, der hochgelobte Torjäger mit Ladehemmung. Eigentlich fühlen wir uns scheiße, sagte Hildebrand, noch bevor Magath zur brauchbaren Analyse antrat. Es läuft nicht mehr rund. Es hat den Anschein, als hätten die Spieler den Kopf nicht mehr frei, sagte er. Angst vor dem großen Sprung.“
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