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Findet der Pass in der 85. Minute noch den gewünschten Weg zum Mitspieler?

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Findet der Pass in der 85. Minute noch den gewünschten Weg zum Mitspieler?

Findet der Pass in der 85. Minute noch den gewünschten Weg zum Mitspieler? Kann die Mannschaft den Willen aufbringen, einen Rückstand in der Schlussphase aufzuholen und das Spiel noch drehen? Wie schnell regeneriert ein Spieler im Anschluss an eine schwere Belastung, sei es ein umkämpftes Pokalmatch oder ein langer Sprint mit anschließendem Zweikampf? Geht dem Tabellenführer am Saisonende die Puste aus? Bei den Antworten auf diese Fragen spielt die Kondition des Fußballers die entscheidende Rolle. Ihre Einflussgröße auf den sportlichen Erfolg ist in Fachkreisen bekannt. Allerdings lehrt das Gespräch mit Trainern, dass die Herangehensweise an die verzweigte Thematik in zweierlei Hinsicht zu problematisieren ist:

Erstens kursiert ein diffuses Verständnis über den Begriff, was nun den holländischen Biomechaniker Dr. Raymond Verheijen dazu veranlasste, in einer vom bfp-Versand aufgelegten Enzyklopädie Abhilfe zu leisten. Assistiert wird er dabei von einer beachtlichen Kollegenschar, deren Produkt widerlegt, dass viele Köche zwangsläufig den Brei verderben. Im Gegenteil: Beim „Handbuch Fußballkondition“ handelt es sich nicht mehr und nicht weniger um ein Standardwerk, das über Jahre hinaus wortführend sein wird. Dabei belegt die Inhaltsangabe bereits die Systematik des Vorgehens: In 14 Kapiteln findet der lesewillige Fußballlehrer alles in dieser Disziplin wissenswerte: das Anforderungsprofil eines Fußballers in Abhängigkeit seiner Spielposition, die für das Ausüben diesen Sports notwendigen physiologischen Voraussetzungen und währenddessen ablaufenden Prozesse, den Zusammenhang zwischen den einzelnen konditionellen Faktoren, entsprechende Trainingsmodule, Ernährungshinweise und -pläne, Verletzungsbehandlungen und vieles mehr.

Zweitens bietet die Frage nach der praktischen Gestaltung des Konditionstrainings Zündstoff, wobei die umstrittenen Fragen immer lauten: Mit oder ohne Ball? Am Anfang oder am Ende der Trainingseinheit? Intensiv oder extensiv? Verheijen Co. sind um keine Antwort verlegen. So erfährt der Leser unter anderem über die unterschiedliche Gewichtung des aeroben und anaeroben Ausdauertrainings beim Übungsprozess, den Nutzen von verschiedenen Konditionstests, die Periodisierung der Trainingsinhalte sowie die Vorteile eines ausgewogenen Krafttrainings. Eine Reihe von Übungsformen, Schaubildern, Grafiken und Fotos gibt dem Trainer von Jung und Alt anschauliche Werkzeuge in die Hand, die Erfolgsaussichten seiner Lerngruppe und somit seine eigenen einschneidend zu erhöhen.

Das Fachbuch beinhaltet eine ungeheure und hier nur anreißbare Informationsfülle; niemals auf Kosten der Übersichtlichkeit. Die Autoren verschmelzen komplexe Theorie und Praxis des Konditionstrainings zu einer Einheit; zu keiner Zeit zu Lasten der Verständlichkeit. Eine Fibel, bei dem selbst der gründliche Sportwissenschaftler nichts zu meckern haben wird. Ärgerlich ist es nämlich durchaus, wenn – wie in diesem Genre üblich – Kondition mit Ausdauer gleichgesetzt wird. Dabei ist letztere (wie Kraft, Schnelligkeit und Beweglichkeit) nur eine Unterkategorie. Dieser Ungenauigkeitsvorwurf, den man den Verheijens Vorgängern meist machen muss, ist keine Wortklauberei, denn das begriffliche Durcheinander setzt sich sodann fort, wenn falsche Schlussfolgerungen für die Trainingspraxis gezogen werden. Was passiert nämlich, wenn Fußballer immer und immer wieder 200-Meter-Sprints in maximalem Tempo trainieren, wie das oft auf Sportplätzen zu beobachten ist und in schlecht redigierten „Fachwerken“ anempfohlen wird? Die Folgen dieser Schwerpunktsetzung auf das im Fußball wenig relevante Stehvermögen sind nämlich Verlust an Grundschnelligkeit und Ausdauer. Kein Sportler der Welt – das sollte sich mancher Schleifer hinter die Ohren schreiben lassen – kann gleichzeitig maximal sowohl in Sachen Ausdauer als auch in Sachen Schnelligkeit austrainiert sein, schon gar nicht, wenn er wie in diesem Fall auf Schnelligkeitsausdauer getrimmt wird. Eine sensible Wechselwirkung zwischen diesen einzelnen Kategorien, wird in der Fußballliteratur und auf dem Trainingsgelände bedauerlicherweise oft übersehen.

Anders dagegen Verheijen: Sein großes Verdienst ist es in der Sportwissenschaft zwar existentes, aber verstreutes Wissen zu diesem Thema zu sammeln, gutes von schlechtem zu trennen und auf etwa 330 Seiten zu bündeln. Eine besondere Würze erhält das Buch durch die zahlreichen Interviews mit holländischen Profitrainern wie Leo Beenhakker, Dick Advocaat,, Jan Wouters, die jeweils am Kapitelende durch ihre Sichtweisen das zuvor Dargestellte aus der Perspektive des erfahrenen Praktikers ergänzen. Ebenso lobenswert und hilfreich ist die Vorgehensweise der Autoren, jedes Kapitel für sich komprimiert zu resümieren. Diese Abstracts sichern die Erkenntnisse der Lektüre. Fazit: Wer sich umfassend über die Thematik Fußballkondition informieren will, wer – liebe Trainer – sein Team optimal auf die Ansprüche und Belastungen vorbereiten will, die während der 90 Minuten plus x sowie einer langen Saison auf es lauern, dem sei der Griff zu Verheijens großen Wurf ans Herz gelegt.

Verheijen, Raymond. Handbuch Fußballkondition. Leer (bfp): 27,90 .

Oliver Fritsch

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