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Nachrufe auf Fritz Walter
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| Donnerstag, 25. März 2004Nachrufe auf Fritz Walter
Der deutsche Autor Michael Lentz (FAZ 19.6.). Fritz Walter. Das positive gute Gewissen des deutschen Fußballs. Ein Name wie ein Stadion. Eine lebenslängliche Verbundenheit. Fritz Der Rote Teufel Walter. Fiel sein Name, meldete er sich selbst zu Wort, hörte man nicht nur hin, man hörte zu. Er war, er ist so etwas wie das Rückgrat der deutschen Fußballgeschichte. Fritz Walter. Wie kein anderer. Auch jüngeren Generationen ein Inbegriff. Er war das Gegenteil von „graue Eminenz“. Sein Urteil hatte Gewicht, und dass er bis ins hohe Alter nicht einfach ein Sachwalter in Sachen Fußball und Geschichte war, dass er sich – im Gegenteil – auf dem laufenden hielt, sich ein kritisches Urteilsvermögen bewahrt hatte und sich als Ikone nicht selbst ausstellte, das verdiente, das verdient großen Respekt.“
Harry Nutt (FR 19.6.). „Angesichts der anhaltenden Fußballemphase mutet es inzwischen eigentümlich an, dass von den siegreichen Kameraden der 1954er allein Fritz Walter ein sorgloses Leben im Nachruhm beschieden war. Während für Fritz Walter ein behagliches Bürgerwunder im pfälzischen Alsenborn folgte, wo er vorgestern im Alter von 81 Jahren gestorben ist, trat der Rest der Mannschaft zurück in die Bedeutungslosigkeit, und nicht wenige führten ein Leben in unauffälligem Unglück. Fritz Walter jedoch nahm seine spielerische Genialität nach seiner aktiven Zeit nie zum Anlass für exzentrische Eskapaden. Vielmehr fügte er sich in die Zuschreibungen von Anständigkeit, Gehorsam und Bescheidenheit und führte ein Leben in Skandalferne, wenn man einmal davon absieht, dass die Ehe mit der französischen Dolmetscherin Italia das junge Ehepaar vorübergehend zur objektiven Begierde der Paparazzi des Wirtschaftswunders werden ließ. Dennoch war die Fußballkarriere Fritz Walters über weite Strecken eine verhinderte. Als er Weltmeister wurde, gehörte er schon zum alten Eisen. Seine besten Fußballerjahre waren Kriegsjahre (…) In Kriegszeiten hat ihm sein fußballerisches Genie vermutlich das Leben gerettet, das er verhalten durch den Nachruhm führte. Das Eleganzprogramm eines Beckenbauer, aber auch das Schnöseltum von Fußballhelden späterer Jahre konnte die Haltung eines Kriegsteilnehmers nicht sein (…) Die Ankunft im Konsumismus von 1954 war so gesehen auch symbolisch die Abkehr vom Sportler als ersten Repräsentanten des Soldatischen. Mit Fritz Walter ist der letzte Fußballstar gestorben, der seine Sportlerträume aus einer Kriegsideologie bezogen hatte. Der Geist von Spiez, an dessen männerbündische Gruppenphantasie heutige Nationalmannschaften so traditionsbewusst wie unscharf anschließen, wurde später nur mühsam in demokratische Institutionenpflege umgearbeitet.“
Der ungarische Schriftsteller István Eörsi (FAZ 19.6.) verfolgte das WM-Finale 1954 in einem Budapester Sportstadion. „Natürlich hegte niemand von uns den leisesten Zweifel daran, wer hier am Ende nach neunzig Minuten der Sieger sein würde. Unsere Gemeinschaft im Budapester Volksstadion wollte ihre Freude gemeinsam ausleben, wir wollten den nationalen Stolz auf eine erlaubte Weise legal und öffentlich in die Welt schreien – der stalinistischen Diktatur zum Trotz (…) In meinen Augen und in denen meiner ungarischen Landsleute war er der Schlüssel zum deutschen Sieg. Fritz Walter war der Hauptverursacher der ungarischen Nationaltragödie. Sechzigtausend Menschen saßen am Ende des Matches im Volksstadion und trauten ihren Augen und Ohren nicht. Fritz Walter besiegte Puskás. Die Schwächeren siegten über die Stärkeren. Wie war das überhaupt möglich? Die enttäuschte Menschenmasse strömte auf die breite Straße. Eine Demonstration begann. Es war die erste unerlaubte Demonstration, die Ungarn seit der Machtübernahme der Stalinisten erlebte. Und es war auch meine erste Demonstration. Wir wagten es, die Verbote zu missachten: ein phantastisches Gefühl! Aber warum auch nicht? Gerade eben hatten wir ja erleben müssen, dass die Schwächeren die Stärkeren überwinden können.“
Detlef Esslinger (SZ 19.6.). „Längst kommen auch die Fußballer des 1. FC. Kaiserslautern aus Ägypten und aus Frankreich, aus Dänemark und Brasilien, von überall her, bleiben ein paar Jahre, und gehen dann wieder, überallhin. Ja sicher, dieser Klub ist weiterhin Ausdruck von Heimatgefühl in der Pfalz, wohl stärker als bei jedem anderen deutschen Fußballverein. Und die Fans kaufen in Massen die roten Trikots, mit den Namen der Spieler auf dem Rücken. Aber nie wieder wird wohl ein Fußballer eine solche Verehrung erfahren wie Fritz Walter in Kaiserslautern.“
Christian Eichler (FAZ 19.6.). „Fritz Walter war elegant, leichtfüßig, ein Künstler am Ball, Spielgestalter und Torjäger zugleich; er überragte eine Mannschaft, die 1954 beim 6:1 im Halbfinale gegen die favorisierten Österreicher die wohl spielerisch beste aller deutscher WM-Partien bot. Warum wurden nicht daraus die „deutschen Tugenden“? (…) Seine größte Leistung aber besteht darin, in einem entscheidenden Moment eben nicht als „typisch deutsch“ aufgetreten zu sein, nicht so, wie man es damals empfand: auftrumpfend, triumphierend. Das „Wir sind wieder wer“ ist nie über seine Lippen gekommen, auch seiner Körpersprache war es fremd. Neun Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Bescheidenheit, die Menschlichkeit dieses deutschen Anführers ein Schritt zu einem friedlichen Europa, zu einem, das keine Angst mehr hatte vor den Deutschen. Wie wäre es also mit diesen deutschen Tugenden? Den Walter-Tugenden?“
Zur Rolle seiner Frau Italia meint die FAZ (19.6.). „Wenn es stimmt, dass sich das Gelingen eines Lebens erst an dessen Ende erweist, dann ist Fritz Walters Tod vor zwei Tagen ein Beweis für ein großes Gelingen: für das Gelingen des Paares, wo einer ohne den anderen nicht sein will. Und vielleicht ist dieses Symbol des Fritz Walter nicht weniger bedeutsam als die Rolle, die er, der Spielführer der Weltmeister von 1954, für das Selbstbewusstsein der alten Bundesrepublik spielte.“
Der deutsche Schriftsteller Georg Klein (FAZ 19.6.). „Fritz Walter war Jahrgang 1920 und dass er den Weltkrieg mit zwei gesunden Beinen überlebt hat, dass er in der Nachkriegszeit noch ein Sportheld werden konnte, ist einer jener Glücksfälle, die den vom Schicksal Beschenkten tief verlegen machen müssen. Wie viele von denen, mit denen er als Junge oder junger Mann auf Wiese und Rasen gekickt hat, haben wohl ins Gras der Weltgeschichte beißen müssen? Wir Spätergeborenen haben nie ein vergleichbares Glück gebraucht, um unseren Platz in den verschiedenen Mannschaften unseres Lebens zu finden. Bei uns spielten und spielen die Toten nicht als Zeitgenossen mit.“
Jörg Stratmann (FAZ 19.6.) besuchte den Drehort, an dem Sönke Wortmann das „Wunder von Bern“ verfilmt. „wie soll hier Geschichte atmen? Am Eingang der kleinen Zeltstadt flattert ein Transparent „Willkommen in Wankdorf“. Auf einem Feld daneben spielen sich einige Schauspieler warm, allesamt in eigens angefertigten Trikots und Kickstiefel jener Zeit gekleidet und die Haare auf Fünfziger-Jahre-Chic geschoren. Auch ballen sich über dem Set wie bestellt düstere Wolken, als wollten sie auf Kommando „dem Fritz sein Wetter“ regnen lassen. Und doch mag sich die Illusion, an der Wiederholung einer großen Stunde teilzunehmen, noch nicht recht Einstellen. Das liegt natürlich an den fünf Kameras, die nicht hinter den zeitgerecht mit rechteckigen Balken nachgebauten Toren stehen, sondern am Mittelkreis. Der Zuschauer soll das Gefühl haben, „auf dem Platz zu stehen“, sagt Wortmann. Aber noch stören auch die acht Meter hohen, mit giftgrünem Stoff überzogenen Stahlgerüste, die hinter beiden Toren und an einer Längsseite an Stelle der Tribünen stehen. Darauf soll später im Studio das jubelnde Publikum projiziert werden. Auch ist das Spielfeld nur 70 mal 45 Meter groß. Und noch etwas stimmt nicht. Denn die Erinnerung, durch das über Generationen sorgsam gepflegte Kosmos-Zigarettenbilder-Album geprägt, ist schwarzweiß, nicht nur der deutschen Trikots wegen. Nun erkennt der Beobachter plötzlich: Die Ungarn tragen ja rote Hemden und grüne Stutzen. Das irritiert. Doch nur, bis der braune Lederball fliegt.“
Ex-TV-Moderator Rudi Michel (FAZ 17.6.). „Es wäre sicher falsch zu glauben, nur Glanz und Gloria einer Weltmeisterschaft seien Garanten für Fritz Walters Popularität, die in jedem einzelnen Fall unterschiedliche Ursachen hat, andere Quellen, verschiedene Komponenten haben kann. Sie lässt sich nicht erzwingen, auch nicht von Medien machen oder steuern, vielmehr wird sie mitbestimmt vom Gefühl und Gespür der Massen für eine Ausnahmeerscheinung und deren Ausstrahlung (…) Die Ernennung zum Ehrenbürger seiner Heimatstadt im November 1985 wurde nicht nur damit begründet, dass er die Stadt mit dem WM-Titelgewinn weltweit bekannt gemacht hat. Seine sportlichen Verdienste lagen zeitlich noch weiter zurück, als er mit der Walter-Elf unmittelbar nach der Kriegskatastrophe in einer Zeit der Not ohne Brot den Leuten in einer zerstörten Stadt mit den Spielen sonntags für neunzig Minuten Kino, Kaffeehaus und Konzertsaal ersetzte. Zehntausende strömten auf den Berg, ob sie Fußball mochten oder nicht, ob sie vom Spiel etwas verstanden oder nicht. Der Fritz und seine Freunde spielten auf, das musste man gesehen haben. Tagesthema abseits von den Sorgen um die Existenz. Zeitzeugen von damals zögerten nicht, von Kunst zu sprechen, denn ein Teilaspekt der Kunst besteht darin, Menschen mehr zu geben, als sie selbst vermögen – auf welchem Gebiet auch immer. Zu jener Zeit war Fußball die Kunst der Ablenkung.“
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