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Funkel in Köln entlassen

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Funkel in Köln entlassen

Funkel in Köln entlassen, „der 1.FC Köln hat ein Beispiel gegeben, wie sich auch in kritischen Fussballzeiten eine schwierige Personalentscheidung mit Anstand lösen lässt“ (NZZ) – SZ-Interview mit Peter Neuruer über Trainerentlassungen

Die Liaison zwischen dem bärtigen Normalo und dem närrischen FC war ein Missverständnis

Ingo Durstewitz (FR 31.10.) bemerkt zur Entlassung Funkels: “Es ist ohnehin eine mittelgroße Sensation, dass Funkel seine Mannschaft zehn Mal in der Beletage aufstellen durfte. Denn die Liaison zwischen dem bärtigen Normalo und dem närrischen FC war einziges Missverständnis; es gibt nicht wenige in Köln, die den Coach am liebsten schon nach dem Aufstieg in die Wüste geschickt hätten. Funkel, kreuzbrav, sachlich, unaufgeregt, passte so gar nicht zu der als Fußballverein getarnten Skandalkaschemme, die neben Eintracht Frankfurt als einziger Club die Aura des Anrüchigen, des Primadonnenhaften ins neue Jahrtausend gerettet hat. Funkel hat dem berühmten Kölschen Klüngel die Stirn geboten – freilich hat ihm das mehr geschadet denn genutzt. Funkel, ein Sicherheitsfanatiker, der Beton anrührt, bis der Mischer streikt, ließ keinen schönen, sondern zweckorientierten Fußball spielen, und er hatte Erfolg mit dieser hässlichen Variante des schönen Spiels. Aufstieg – vier Spieltage vor Schluss. Sympathien hat das dem selbst einst lieber vor Gegners Tor lauernden Neusser nicht gebracht – schon gar nicht bei den Fans. Die Trennung wirft aber auch Schatten auf den – unter dem öffentlichen Druck eingeknickten – Saubermann Andreas Rettig, der als Manager angetreten war, um dem Verein zu mehr Seriosität und Kontinuität zu verhelfen.“

Einen Gewinner gibt es in der Angelegenheit Funkel

Dahingegen lobt Daniel Theweleit (FTD 31.10.) den Kölner Manager Rettig und stellt dessen Kandidaten vor: „Das soll der Schweizer Marcel Koller werden, den Rettig als „Wunschkandidaten“ bezeichnete. Koller, der am vielleicht höchsten kölnischen Feiertag, dem 11. 11., 43 Jahre alt wird, ist ein Zürcher Urgewächs. Ihm wird die Stärke nachgesagt, einem Verein jene Mentalität einzuhauchen, mit der man stets die höchsten Ziele anvisiert. Damit liegt er auf einer Wellenlänge mit Rettig, der einst die Freiburger Fußballprovinz verließ, um den Kölner Fußball wieder in jene hohen Sphären zu befördern, denen er sich seit jeher zugehörig fühlt. Diesen Schritt hat man dem netten, unaufgeregten und im Unterhaltungsbusiness Fußball stets ein wenig fremd wirkenden Funkel nicht zugetraut. Rettig hat den Kader mit Spielern wie Sebastian Schindzielorz, Andreij Voronin, Mustafa Dogan und Andreas Wessels ergänzt, damit Funkel einen ansehnlicheren Fußball spielen lassen kann. Das gelang zwar, aber die Spiele gingen meist verloren. Erst als wieder die für Funkel seit vielen Jahren typische Destruktionstaktik angewendet wurde, holte man einen Punkt in Stuttgart und besiegte den SC Freiburg. Ein Dilemma, denn dieser Spielansatz ist nicht konkurrenzfähig, und ob es der gegenwärtige Kader ist, wird immer lauter bezweifelt. Einen Gewinner gibt es in der Angelegenheit Funkel aber doch. Während im Tabellenkeller allerorten Ultimaten gestellt wurden, praktizierte Rettig das Prinzip Transparenz. Er verhielt sich äußerst geschickt, versorgte die Öffentlichkeit stets mit griffigen Informationen, stellte sich weder demonstrativ vor den Trainer, noch setzte er ihn stark unter Druck – und ging am Ende als loyaler und korrekter Mensch hervor. Aber wie gut der Reiner-Calmund-Schüler ist, wird man erst sehen, wenn er der Erfolg auch an seiner Person gemessen wird. Lange dauert das nicht mehr.“

Eigentlich müssten wir Solidarität üben

SZ-Interviewmit Peter Neururer über Trainerentlassungen

SZ: Sie haben die Entlassung von Ewald Lienen in Mönchengladbach als „pervers“ und die von Kurt Jara in Hamburg als „unterste Schublade“ bezeichnet. Ist das Verhältnis zwischen Trainern und Vereinen am Tiefpunkt?

PN: Ich kann nicht beurteilen, ob die Beurlaubung eines Trainers richtig oder falsch ist. Mir geht es um die Umgangsformen. Ich rege mich darüber auf, wenn sich Didi Beiersdorfer als Sportlicher Leiter des HSV vor die Kamera stellt und sagt, dass Jara beim nächsten Spiel noch auf der Bank sitzen wird, und er einen Tag später entlassen ist. Oder man Huub Stevens ein Ultimatum stellt, dass er die nächsten beiden Spiele gewinnen muss. Da frage ich mich, wo wir eigentlich angelangt sind.

SZ: War es nicht so, dass im Fall von Stevens bei Hertha BSC wie auch bei Erik Gerets in Kaiserslautern die Ultimaten den gewünschten Erfolg hatten?

PN: Aber welchen Schaden erleidet das Berufsbild, wenn Trainer öffentlich so an die Wand genagelt werden? Für Stevens ist es glücklicher Weise gut gelaufen und bleibt trotzdem sportlich gesehen pervers. Beim Pokalspiel in Rostock war er eine Minute vor Schluss der Verlängerung entlassen, dann fiel ein Zufallstreffer zum Ausgleich, und er blieb erst einmal im Amt. Dann lag Hertha im Elfmeterschießen zurück, und er war wieder entlassen, weil ein Weltklassefußballer wie Marcelinho daneben geschossen hatte. Das kann jedem Spieler passieren, aber die Fans sagen vielleicht: Marcelinho kann Briefmarken aus dem Winkel schießen, der hat doch absichtlich vergeben. Das ist zwar Quatsch, aber solche Spekulationen entfache ich damit.

SZ: Sind Sie schon einmal stilvoll beurlaubt worden?

PN: In der öffentlichen Darstellung des öfteren, aber dahinter waren Geschichten, die eher zum Lachen waren. Wie bei Schalke 04, wo ich vom damaligen Manager Helmut Kremers aus dem Essen mit der Mannschaft gerufen wurde, weil es dem Präsidenten Günther Eichberg ganz eilig war. Wir standen damals auf einem Aufstiegsplatz in der Zweiten Liga, und ich ging davon aus, dass mein Vertrag um mindestens zwei Jahre verlängert würde. Da saß also der Präsident mit einem Glas Wein, und ich sagte: „Gibt’s was zu feiern? Dann trinke ich einen mit.“ Er sagte, es gebe nichts zu feiern. „Gut, ich trinke trotzdem einen mit.“ Dann sagte er, ich sei beurlaubt. Da habe ich ihm auf die Schulter gehauen: „Hören Sie auf mit solchen Scherzen, worum geht es denn?“ Aber er meinte es ernst. Nach außen haben sie es so verkauft, dass ich eine Vertragsverlängerung gültig für beide Ligen haben wollte. Damals war ich nicht lange genug im Geschäft und hab’s geschluckt.

SZ: Wehren sich Trainer zu wenig?

PN: Nach meiner Kritik an Mönchengladbach haben acht Kollegen angerufen und mir beigepflichtet. Aber nur einer hat das öffentlich gemacht, kurioser Weise Berti Vogts, denn wir hatten nie das beste Verhältnis. Den anderen habe ich gesagt: „Für mich seid Ihr riesengroße Arschlöcher. Heute geht es um Ewald Lienen, morgen geht es um jemand anders und irgendwann um Euch.“ Eigentlich müssten wir Solidarität üben und sagen, dass Vereine für uns nicht mehr in Frage kommen, wenn sie sich so verhalten. Aber es gibt 500 Fußballlehrer und nur 36 Profiklubs, und bei weitem nicht alle Trainer haben ausgesorgt.

SZ: Solidarität ist damit unmöglich?

PN: Es scheint so.

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