Bundesliga
Gerets, der hilflose Wunderdoktor
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| Donnerstag, 25. März 2004
Der zweite Teil des vierten Spieltags der Fußball-Bundesliga (hier finden Sie den ersten Teil): In Kaiserslautern praktiziere – so die FR nach dem dürftigen Remis des FCK gegen Aufsteiger Arminia Bielefeld – mit Trainerneuzugang Gerets ein „hilfloser Wunderdoktor“. Stefan Effenberg wird beim 2:1-Sieg seiner „Wölfe“ über den HSV von allen Seiten eine starke Leistung attestiert. Leverkusens Trainer Toppmöller entdeckt beim 3:1-Sieg in Rostock seines Teams „alte Tugenden“ der vergangenen Saison. Außerdem fragen sich die Experten: Riecht es, wie üblicherweise im Herbst, nach Trainerentlassungen? Außerdem: vor dem Saisonstart in Italien.
Peter Penders (FAZ 13.9.) zieht nach vier Spieltagen ein Zwischenfazit. „Geld schieße keine Tore, hieß früher eine der Weisheiten der Fußball-Bundesliga. Auf Dauer schon, das weiß man inzwischen, und deshalb nimmt die Tabelle der Fußball-Bundesliga langsam die Konturen an, die man erwarten durfte. Die, die noch Geld haben, werden bald unter sich sein – und dahinter werden alle anderen, so gut es geht, ums Überleben kämpfen. Das allerdings eröffnet den vermeintlich Kleinen in dieser Saison offenbar bessere Chancen als in den vergangenen Jahren. Weil die Liga sparen musste, ist sie ausgeglichener geworden. Die Bayern, Dortmund und Leverkusen kämpfen um den Titel, und für den großen Rest ist vermutlich alles möglich. Die Aufsteiger als leichte Beute für die Etablierten? Das scheint fürs erste vorbei, zumindest wenn man Bochum und Bielefeld betrachtet, die trotz ihres Aufstiegs den Sinn für die Realität nicht verloren haben. Das mag daran liegen, dass beide Vereine häufig genug ein gerngesehener Gast in der Beletage des deutschen Fußballs waren und sich in schöner Regelmäßigkeit wieder mit einem freundlichen Bis bald auf den Lippen verabschiedeten.“
VfL Wolfsburg – Hamburger SV 2:1
Jörg Marwedel (SZ 13.9.) erkennt eine Weichenstellung. „Vom „großen HSV“ ist allenfalls der mittlerweile ziemlich vermessen wirkende Anspruch geblieben, ein Spitzenteam zu sein – Hamburg ist wie in der vergangenen Saison wieder in der Abstiegsregion angekommen. Die „kleinen“ Wolfsburger dagegen haben spätestens am Mittwoch eine neue Sphäre ihres Daseins erreicht, deren Symbolfigur zweifellos Stefan Effenberg heißt. Tatsächlich hatte der Altstar bei seiner Heimpremiere im grünen Dress angedeutet, welchen Wert er für seinen neuen Arbeitgeber noch haben könnte.“
Zum Auftritt Stefan Effenbergs heißt es bei Frank Heike (FAZ 13.9.). „Eine Befürchtung mancher Wolfsburger Fans (und wohl auch einiger Spieler) bewahrheitete sich am Mittwoch nicht: die, sich für viel Geld einen womöglich abgehalfterten Star eingekauft zu haben, der lichte Momente auf dem Platz vor allem für sich, aber auf dem Rücken der anderen verbucht. Stefan Effenberg kämpfte und rannte, er grätschte, gewann viele Zweikämpfe in der Defensive und beförderte den Ball in der Schlussphase sogar ein paar Mal mit dem Kopf aus dem eigenen Strafraum (…) Wer auf dem Feld den Masterplan hat, dem verzeiht man ganz schnell alle Extravaganzen (als einziger trägt er im pumagesponserten Wolfsburg Adidas-Schuhe) und alle Fehltritte der Vergangenheit. Zumindest in Zeiten des Erfolges.“
1. FC Kaiserslautern – Arminia Bielefeld 1:1
Martin Hägele (SZ 13.9.) bezeichnet es als „Illusion, man könne eine malade Fußballmannschaft auf der Stelle kurieren, indem man gewöhnliche Umgangsformen wie etwa den Handschlag zur Begrüßung in der Kabine oder eine neue Grundordnung auf dem Platz einführe, ganz schnell verflogen (…) Eric Gerets hat einen Mannschaftsbus voller Kickerübernommen, von denen derzeit keiner Normalform erreicht. Was Fitness und Psyche der Spieler angeht, haben die gefeuerten Ausbilder Andreas Brehme und Reinhard Stumpf einen Kader in liederlicher Verfassung hinterlassen. Üblicherweise reagieren Profis auf einen Trainerwechsel mit erhöhtem Einsatz und gesteigerter Konzentration, jeder möchte sich empfehlen. In Kaiserslautern aber verdrehten sich die gängigen Muster: Panikfußball.“
Zur Stimmung in Kaiserslautern schreibt Jan Christian Müller (FR 12.9.). „Der Lärmpegel auf der Baustelle Fritz-Walter-Stadion war schon in der Stunde vor dem Anpfiff seltsam niedrig. Das mag daran gelegen haben, dass ein Jahr nach den schrecklichen Ereignissen vom 11. September 2001 die Erinnerung wieder wach geworden war, spätestens dann, als unmittelbar vor Spielbeginn eine Gedenkminute abgehalten wurde; eher wohl aber deshalb, weil die nur 32.000 erschienenen FCK-Fans tief enttäuscht sind über den unterirdischen Zustand, in dem sich Klub und Mannschaft in den vergangenen Monaten präsentiert hatten. Der neue Trainer Gerets wurde mitsamt des bis zur Mitgliederversammlung am 15. Oktober als Generalbevollmächtigter agierenden Rene C. Jäggi mit freundlichem Beifall begrüßt – und mit gellenden Pfiffen in die Halbzeitpause begleitet. Sogar vereinzelte „Brehme“-Rufe waren zu hören. Das freilich können die Fans nicht ernst gemeint haben. Zu deutlich wurde nämlich, dass der Belgier Gerets eine zutiefst verunsicherte Mannschaft übernommen hat.“
Roland Zorn (FAZ 13.9.) dazu. „Die älteren Anhänger unter den Fans des 1. FC Kaiserslautern können sich noch daran erinnern. Es gab eine Zeit, da sich die Gegner der Pfälzer beim Anblick des Betzenbergs ganz klein machten und in Furcht und Achtung erstarrten. Lang ist’s her. Heute muss sich ein gut organisierter Aufsteiger wie der DSC Arminia Bielefeld nachher fast schon fragen, ob er mit dem Gewinn eines Punktes im Fritz-Walter-Stadion zufrieden sein darf. Am Mittwoch hätte es für die Ostwestfalen mehr sein dürfen als nur ein 1:1 (…) Hexenkessel? Vielleicht verhilft Eric Gerets, der neue Trainer, den „Roten Teufeln“ in kurzen Hosen wieder zu dem althergebrachten Schreckensruf. Am Mittwoch Abend, nach gerade zwei Trainingstagen, bekam der 48 Jahre alte Belgier erst einmal selbst einen Schreck. So unsicher, ungeordnet und unverständlich hatte er sich das Hoch-weit-Spiel seiner neuen Elf bei aller Skepsis nicht vorgestellt (…) Der Nachfolger von Brehme ist beim noch sieglosen Tabellen-Siebzehnten in Zukunft als Aufbauhelfer ebenso gefordert wie René Caesar Jäggi an seinem Platz als kommissarischer Generalbevollmächtigter und künftiger Vorstandsvorsitzender des FCK. Der Belgier und der Schweizer wollen den Pfälzern wieder Mut machen, sportliche wie finanzielle Großprojekte zu stemmen. Während Gerets seinen Job, den verunsicherten Lauterer Profis wieder das kleine Einmaleins des Fußballs beizubringen, eher hemdsärmlig zu meistern versucht, will der Basler Geschäftsmann mit Charme und Chuzpe darangehen, die Millionenfragen an der Baustelle Fritz-Walter-Stadion zu lösen.“
Hansa Rostock – Bayer Leverkusen 1:3
Javier Cáceres (SZ 13.9.) prognostiziert. „Beim 3:1-Sieg in Rostock glänzte Leverkusen spielerisch, agierte selbstbewusst und offensiv; Hansa wurde vor allem in der ersten Halbzeit durch aggressives Forechecking gebunden (…) Die alten Tugenden – das sind die, die Leverkusen in der vergangenen Saison sehr viel Respekt verschafft haben, in ganz Europa. An einer Neuauflage in der Spielzeit 2002/2003 haben nicht wenige gezweifelt, weil Michael Ballack und Zé Roberto zum FC Bayern gewechselt sind. Mit Skepsis aber sah sich Klaus Toppmöller schon konfrontiert, als er sein Amt als Leverkusener Trainer antrat. Sie wurde bekanntlich widerlegt. Ob es dieses Jahr wieder so kommt? Mit Blick aufs Spiel in Rostock ist das nicht mehr ausgeschlossen. Leverkusen hat ausreichend Potenzial, auch in der neuen Saison eine prominente Rolle einzunehmen.“
VfB Stuttgart – Schalke 04 1:1
Michael Ashelm (FAZ 13.9.). „Dass der technisch und taktisch an diesem Abend über weite Strecken überlegene VfB Stuttgart nach der Führung durch Bordons Freistoß aus dreißig Metern gegen die einfallslosen, trägen Schalker, die unter ihrem neuen Trainer Frank Neubarth noch ungeschlagen sind, dann doch nicht gewann, ärgerte die meisten der 26.500 Zuschauer. Sie verabschiedeten ihre Mannschaft mit Pfiffen. Vielleicht in schlechter Erinnerung an die Saison vor zwei Jahren, als unter Trainer Ralf Rangnick wie auch diesmal das Erreichen des Uefa-Pokals über den Ui-Cup etwas Großes versprach, am Ende aber nur um ein Haar der Abstieg vermieden werden konnte.“
Weiteres
Zur Kritik an Hannovers Transferpolitik meint Wolfgang Hettfleisch (FR 13.9.). „Wie man es macht, macht man’s verkehrt. Was hätten sie wohl gesagt, die Kritiker in Hannover und der gesamten Branche, wenn 96-Sportdirektor Ricardo Moar nach dem missglückten Bundesliga-Start nicht auf Notbeatmung umgeschaltet und fünf Neue geholt hätte? Was, wenn Trainer Ralf Rangnick an den Auserwählten festgehalten hätte, die erfolglos die ersten Partien bestritten, anstatt, wie geschehen, gegen Cottbus die jüngst angeheuerten Jaime, Fernando und Bobic in die Startelf einzubauen – und dazu einen stürmenden Nobody wie Mohammadou Idrissou, der vorige Saison noch beim hessischen Regionalligisten SV Wehen sein Geld verdiente? Wäre all das also nicht geschehen, so hätten die Kritiker vermutlich geschimpft, die Verantwortlichen sollten sich gefälligst auf dem Spielermarkt umsehen und anderes Personal ranlassen. Dass man damit noch keine Siege kaufen kann, wissen sie jetzt in Hannover.“
Zu den lauter werdenden Spekulationen um mögliche Trainerentlassungen lesen wir von Ludger Schulze (SZ 13.9.). „Bei den vier Millionen Arbeitslosen, die Kandidat Stoiber dem Kanzler Schröder anlastet, ist die Gruppe der Fußballtrainer vermutlich nicht einmal inbegriffen. Für diese Statistik sind sie jedenfalls ein belebendes Element: fliegen heute hier raus, werden morgen anderswo wieder eingestellt, ein Kommen und Gehen, dass es selbst der Hartz-Kommission schwindelig werden Muss.“
Trainerkarussell in der Bundesliga? NZZ
Vor dem italienischen Saisonstart wirft Peter Hartmann (NZZ 13.9.) ein. „Einerseits scheint das Rennen völlig offen: Titelhalter Juventus, der vorletzte Campione, die AS Roma, und die beiden Mailänder Großklubs Internazionale und AC Milan – alle vier nehmen auch an der Champions League teil – sind mit ihrer spielerischen und finanziellen Potenz als Titelanwärter gesetzt. Andererseits lauert auch die Unsicherheit, dass dem Ball während des Spiels doch noch die Luft ausgehen könnte. Das liebste Spielzeug der Italiener bewegt sich wieder, doch die Probleme bleiben. Der Fußball hat sich in den letzten fünf Jahren der Verschwendung und Verblendung mit über einer Milliarde Euro Schulden belastet. Die Klubs halten 30 bis 40 überbezahlte Spieler auf der Pay-Roll, und weil der Transfermarkt praktisch nicht mehr funktionierte, waren sie kaum in der Lage, diese Überbestände und damit die Salärmasse abzubauen. Nur Milan, Inter und Juventus haben, gewissermaßen als antizyklisch handelnde Profiteure der Situation, ihre Kader gezielt verstärkt (…) Die Kehrseite des weitgehend ausgebliebenen Transfergeschiebes ist vielleicht die Stabilisierung der Mannschaften. Das könnte mehr Kontinuität und mehr Spielqualität in der zuletzt arg gescholtenen Liga bedeuten. Nur vier der achtzehn Teams der Serie A haben den Trainer ausgewechselt: Auch aus dieser der Not gehorchenden Beschränkung wird vielleicht eine Tugend.“
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