Ballschrank
Fußball-Deutschland muss stolz sein
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| Donnerstag, 25. März 2004
Die deutsche und deutschsprachige Tagespresse ist fast ausnahmslos begeistert vom Spiel der deutschen Mannschaft. „So pathetisch es klingen mag: Fußball-Deutschland muss stolz sein“, meint die SZ und spricht in Anbetracht des couragierten Finalauftritts von „einem kleinen Fußballwunder“ und sah „das Finale, in dem sich der deutsche Fußball neu definierte“. Die NZZ bemerkt: „Kein anderes Team forderte die Brasilianer so offen und direkt heraus.“ Die FAZ jubiliert: „Brasilien ist Weltmeister – Deutschland die beste Mannschaft der Welt. Was wie ein Widerspruch anmutet, war beim wunderbaren, aber für die Deutschen sportlich traurigen WM-Finale von Yokohama die großartige Auflösung der weltweiten Frage, was geschieht, wenn zwei so verschieden veranlagte Fußballimperien in ihrem ersten Endspiel aufeinandertreffen.“ Dahingegen sah die FR weiterhin die vermeintlichen Gegensätze der beiden extremen Fußballkulturen walten: „Der Deutsche mag rennen und kämpfen und hoch flanken und auch gut halten, doch seine Mittel sind zu beschränkt, um den unvorhersehbaren, lasziven Fußball der Brasilianer aufhalten zu können“ (FR).
Als tragisches Moment begreift man durchweg den kapitalen Fehlgriff des „Götterlieblings Kahn“ (Gazetta24). „Ein Abpraller. Aus und vorbei die Strategie und gleichzeitig auch der Mythos um Oliver Kahn“, schreibt die NZZ. Jedoch wirft die FAZ ein: „Vorwürfe macht Kahn nur einer – er selbst.“ In der Tat: „Noch nie hat man den besten Torwart der Welt so geschlagen gesehen“ (NZZ).
Michael Horeni (FAZ 1.7.) ist vom deutschen Finalauftritt begeistert. „Der imponierendste deutsche Auftritt hinterließ vor allem einen tieftraurigen Kapitän. Aber es kehrt auch eine Mannschaft von der WM zurück, auf die der deutsche Fußball und ihr Teamchef, der sie in so kurzer Zeit und unter großem öffentlichen Druck geformt hat, stolz sein können – ohne jede Einschränkung. Denn die Überraschung dieser WM und des letzten Abends in Yokohama hieß ohne jeden Zweifel Deutschland. Vom ersten bis zum allerletzten Tag wurde diese Mannschaft auf verlorenem Posten gewähnt, weil vor allem die Einzelspieler einer weltmeisterlichen Einzelfallprüfung nicht standzuhalten schienen. Doch auch vor der größten anzunehmenden Herausforderung ließ sich ein durch und durch gefestigtes Team nicht mehr schrecken und lieferte ein Finale, dessen Verlauf auch die größten Kenner des Fußballs verblüffen konnte. Der Riesenmut der angeblich spielerischen Zwerge machte aus dem Endspiel eine in jeder Beziehung ausgeglichene Sache, bis das Schicksal die Wege von Kahn und Ronaldo, den Anführern ihrer Teams, bestimmte.“
Ralf Wiegand (SZ 1.7.) ist überrascht. „Verloren zu haben, ist das Erwartbare. So zu verlieren, war nicht zu erwarten. Dass Brasilien in Schönheit sterben könnte gegen eine deutsche Elf, die mauert und lauert, das war in den Prognosen für möglich gehalten worden, in den finsteren Vorhersehungen, die diese große südamerikanische Fußballseele mit einschlossen und ihre Neigung, manchmal zu einem schwarzen Loch zu werden, in dem sie sich selbst versenken, diese Künstler, wenn es nicht läuft. Aber dass das deutsche Kämpferkollektiv sich in einem Endspiel plötzlich auf das Niveau der Schönsten dieses Sports aufschwingen könnte, einfach so, als wäre es ein Leichtes – das ist bewundernswert.“
„Seltsam“, findet Ludger Schulze (SZ 1.7.): „Die Deutschen kontrollierten das Spiel und waren insgesamt das stabilere Team, aber die genialischen Inspirationen hatten die Brasilianer. Sie wussten, dass sie der Welt auch in der Niederlage eine faszinierende Vorstellung geboten hatten, die alle Vorurteile über die schwerfälligen, vom Glück verfolgten Deutschen überzeugend widerlegte. Diesmal hatte sie dieses Glück einfach im Stich gelassen (…) Die Deutschen spielten am Anfang wunderbar, genau jenen Stil, den man von den Brasilianern erwartet hätte. Schneider düpierte seine Gegenspieler mit Beinschuss, Neuville lupfte die Kugel über seinen Widersacher, die Abwehr ließ sich von den großen Namen Ronaldo, Rivaldo vorerst nicht irritieren. Nach einer Viertelstunde durfte man sich mit dem Gedanken vertraut machen, dass diese Außenseiter dem Favoriten mächtig zusetzen würden.“
Jan Christian Müller (FR 1.7.) meint dagegen etwas nüchterner. „Die deutsche Mannschaft im Jahr 2002 hat (Vor-)Urteile über den deutschen Fußball und den Deutschen an sich bestätigt. Rudi Völler und sein Funktionsteam haben der Welt eine Machbarkeitsstudie über den deutschen Fußball vorgelegt. Keine andere Mannschaft hat es bei dieser WM in ähnlicher Perfektion geschafft, seine eigenen Schwächen zu erkennen, sachlich zu analysieren und daraus die notwendigen, Erfolg versprechenden Schlüsse zu ziehen. Wahrscheinlich ist dies die größte Leistung des Teamchefs Völler und seines Bundestrainers Michael Skibbe: Dass sie ihr ursprünglich verfolgtes Ziel, nach der verkorksten EM 2000 begeisternden Angriffsfußball zu demonstrieren, klammheimlich zugunsten eines Zweckfußballs mit „typisch deutschen“ Eigenschaften abgeändert haben. Jetzt ist der Deutsche wieder, wie er immer schon war: perfekt organisiert, diszipliniert, laufstark, deckungstreu, hausbacken, uninspiriert, humorlos siegend, 1:0, 1:0, 1:0 bis in Finale. Unpopulär, aber hoch geachtet. Die Zahl der Neider hat nicht abgenommen.“
Den öffentlichen Stellenwert der deutschen Nationalmannschaft kommentiert Ralf Wiegand (SZ 1.7.). „Dass mit einem einfachen, überzeugten Wir-Gefühl eine Krise überwunden werden kann, die als existenziell galt, ist kein schlechtes Signal in einem Land, in dem an Krisen kein Mangel herrscht. Völler würde, hätte er Einfluss auf die Bildungspolitik oder den Arbeitsmarkt, höchstwahrscheinlich nichts zum Besseren wenden können. Aber seine aus der Not geborene Bereitschaft, jungen Spielern Verantwortung zu übertragen und die Älteren dazu anzustiften, ihre eigenen Nachfolger zu unterstützen und nicht zu bekämpfen (was in einem Platzhirsch-Sport wie Fußball ein natürlicher Reflex ist), ist ein hübsches Anschauungsbeispiel für eine Gesellschaft der spitzen Ellenbogen und gewohnheitsmäßigen Hierarchien. Die Gruppe kann stärker sein als die Summe der Individuen – wenn sie als Gruppe auftritt (…) Der Fußball in Deutschland hat damit für die kommenden vier Jahre ein traumhaftes Fundament. Es wäre eine herkulische Aufgabe gewesen, bei der WM 2006 im eigenen Land gleichzeitig das Image Deutschlands als eine weltoffene, freundliche und heitere Nation kreieren zu wollen und gleichzeitig verbissen einem sportlichen Erfolg nachrennen zu müssen, den sie dann 16 Jahre nicht gehabt hätte.“
Angesichts des folgenreichen Fehlers von Oliver Kahn bemerkt Martin Hägele (NZZ 1.7.). „Nun kennen auch die Deutschen das Gefühl: Du glaubst, die Brasilianer schon fast am Boden zu haben – und dann zieht es dir plötzlich selber die Beine weg. Ein einziger Moment reichte, und schon war das Szenario, das Rudi Völlers Auswahl so lange und so geschickt aufgebaut hatte, Vergangenheit und Niederlage. Und wie immer bei all den Auftritten der „Auriverde“ suchte sich das Schicksal die Stärksten der gegnerischen Mannschaft aus, wenn es darum ging, der Seleção Tribut zu zollen. Die Härte dieser Schläge warf am Ende sogar Oliver Kahn aus der Bahn.“
Zum Fehlgriff Kahns schreibt Michael Horeni (FAZ 1.7.). „Der Abpfiff erschien wie ein gnadenloses Urteil. Oliver Kahn ging zurück in sein Tor, bewegte sich langsam hinter die Linie und versuchte zu verarbeiten, was er nicht verstehen konnte. Er, ausgerechnet er, der willensstärkste deutsche Spieler, der Anführer, derjenige, der den unglaublichen deutschen Weg ins Finale erst möglich gemacht hatte – ausgerechnet er brachte sich und seine Mannschaft um den allergrößten Lohn. Ein einziger Fehler, sein Fehler. Solch quälende, erbarmungslose Gedanken müssen dem Torwart durch den Kopf gegangen sein, und irgendwie musste die Enttäuschung, die stille Verzweiflung raus. Kahn nahm seine Trinkflasche und warf das gelbe Ding ins Netz. Dann sackte er kurz in sich zusammen und suchte Halt am Torpfosten, innerlich scheinbar vollkommen leer. Und dann kamen sie, die Mitspieler, die selbst Trost gebrauchen konnten, ihn aber zuerst dem Kapitän spendeten.“
Eine Taktikanalyse von Christoph Biermann (SZ 1.7.). „Die deutsche Mannschaft war mit einem Plan in das Spiel gegen Brasilien gezogen und hatte sich daran gehalten. Glänzend war das lange Zeit des Spiels gewesen, defensiv fast bis zur Perfektion und beachtlich im Spiel nach vorne. Die Spieler in den weißen Trikots und den schwarzen Hosen waren ein Team und unterlagen gegen ein amorphes Gebilde aus Improvisation und individuelle Klasse, das am Gestänge einer starren Formation aufgehängt war. Doch entschieden wurde das Spiel durch die Fehler von Dietmar Hamann und Oliver Kahn, wie sie in Fußballspielen eben passieren, und durch Rivaldo und Ronaldo, die diese Fehler provozierten und zu nutzen verstanden (…) Das deutsche Spiel war nicht allein auf die Verhinderung des brasilianischen ausgerichtet. Die deutsche Mannschaft war nicht nur eine gut organisierte Maschine in Weiß und Schwarz, die zerstören wollte, sondern lotete auch die Schwächen der Brasilianer in der Defensive aus (…) Das Kollektiv war den Individualisten unterlegen – durch individuelle Fehler. Das war die bittere Ironie dieses großen Finales.“
Ronald Reng (SZ 1.7.) über die Siegermannschaft. „Es war, entgegen dem allgemeinen Personenkult, nicht Ronaldo, der Brasiliens fünfte Weltmeisterschaft gewann. Das wahre Gesicht der Siegerelf ist ein vielköpfiges, es reicht vom starren Blick des auch im Finale brillanten Torwarts Marcos bis zur notorischen Leidensmiene von Stürmer Rivaldo. Brasilien war nicht Ronaldo. Brasilien war, vielleicht mehr als je zuvor, ein Team (…) Beim ersten Blick auf sein Brasilien denkt man: Nichts Besonderes, außer Ronaldinho Gaucho und Ronaldo. Tatsächlich ist die vermeintliche Biederkeit der Canarinha, der kanariengelben Auswahl, das Außergewöhnliche. Scolari hat es geschafft, die Organisation zu optimieren und die Fehler zu minimieren. Gegen Deutschland hatten sie lediglich 44 Prozent Ballbesitz; Brasilien, weltweit noch immer der Inbegriff für Verspieltheit, war weniger am Ball als der Gegner – und wurde trotzdem Sieger. Trainer Scolari hat eine ganz normale Spitzenmannschaft aus ihnen gemacht. Und das ist als Kompliment gemeint (…) Wenn Kleberson, der in Yokohama auf eine unscheinbare Weise Enormes leistete, und Gilberto Silva am Sonntag im gegnerischen Team gestanden wären, hätten all die italienischen oder englischen Medien wieder gemault: typisch deutsch. In der Tat sind sie sogar schlechtere Einzelspieler als etwa Dietmar Hamann. Aber offenbar braucht eine moderne Fußballmannschaft in der Zentrale nicht mehr und nichts dringlicher als Verlässlichkeit, Fleiß und Aufmerksamkeit.“
Martin Hägele (NZZ 1.7.) wirft ein. „Wahrscheinlich ist es sogar besser so, auf dass Kahn und Co. Beim nächsten Versuch im eigenen Land mit ihren Zielvorstellungen noch zulegen können. Ein Mayer-Vorfelder mit dem Fifa-Pokal in den Händen hätte nun doch nicht zum Zustand des Fußballs im Bundesliga-Land gepasst. Und was hätte der Zeremonienmeister des DFB wohl für eine persönliche Show aus dem Titelgewinn gemacht, nachdem er sich schon bei der Siegerehrung persönlich in die Reihe gestellt hat – ein recht peinliches Bild für einen Oberfunktionär, der nicht genügend Orden bekommen kann.“
Eckart Lohse (FAZ 1.7.) wittert politische Signale. „Sonntag, 12.20 Uhr, nicht weit vom Bundeskanzleramt, ganz nah am Haus der Kulturen der Welt. Drei junge Menschen, eine Frau und zwei Männer, nähern sich dem Veranstaltungszelt namens „Tipi“. Der eine junge Mann ist in eine Deutschland-Fahne eingewickelt, der andere hält eine ebensolche am hölzernen Mast, die Frau trägt ein langes Hemd in den Farben Schwarz-Rot-Gold. All das wäre nicht weiter ungewöhnlich an diesem Sonntag, denn im „Tipi“ wird die Großleinwand zum Naheliegenden genutzt: zur Übertragung des Endspiels der Fußball-Weltmeisterschaft. Der Einzug der drei ist dennoch ungewöhnlich, denn in das Zelt eingeladen haben die Grünen, die zwar mittlerweile mehrfach im Namen Deutschlands Krieg geführt haben, aber gleichwohl scheu mit den deutschen Symbolen, allemal der Fahne umgehen (…) Selbst Linke wie der Berliner Ströbele fanden nichts dabei, unter deutschen Fahnen für die deutsche Sache zu sein. Ein ehemaliges Mitglied der Grünen im Bundeskabinett wollte sogar – nur halb im Scherz – in dem Treffen unter deutschen Fahnen einen Höhepunkt der „grünen Reifung“ sehen. Mit Blick auf die deutsche Kriegsbeteiligung auf dem Balkan und in Zentralasien gelte für die Grünen die Reihe: „Kosovo, Afghanistan, Yokohama“.“
Die Reaktionen des brasilianischen Trainers nach dem Sieg fasst Peter Heß (FAZ 1.7.) zusammen. „Scolari lobte die deutsche Mannschaft, sie sei der schwierigste Gegner während des Turniers gewesen. Aber er ließ auch keinen Zweifel daran, dass das bessere Team gewonnen habe. „Die individuelle Klasse einiger unserer Spieler hat zu unserer Überlegenheit geführt.“ Scolari hatte seine Landsleute mit seiner Philosophie verschreckt, dass der schöne Fußball tot sei. Aber bei aller Wertschätzung für die Disziplin beschränkte er nie die Kreativität eines Ronaldo, Rivaldo oder Ronaldinho. So bescherte die Mannschaft ihren Fans nicht immer schöne Spiele, doch zumindest viele schöne Momente.“
Direkter Freistoß
WM-Rückblick auf die einzelnen Spieler der DFB-AuswahlFR SZ (I) SZ (II)
Finalvorschau
„Sein gnadenloser Realismus und seine erfrischende Natürlichkeit, die er bei der WM auszuleben sich nur hinter den Mauern des WM-Quartiers gestattete, bildeten das solide Fundament, auf dem sich seine Mannschaft bewegen konnte“. So beschreibt die FAZ Teamchef Rudi Völler, der es heute als dritter Mensch schaffen könnte, sowohl als Spieler als auch als Trainer den Fußballweltmeistertitel errungen zu haben. Doch er trifft auf einen charismatischen Kontrahenten: den in seiner Heimat noch immer umstrittenen Scolari. Beide verbindet eine nüchterne, ergebnisorientierte Grundhaltung. Auch das ist ein Grund dafür, dass sich die beiden als extrem unterschiedlich wahrgenommenen Fußballstile in großen Schritten angenähert haben, auch wenn die Romantiker bei den Brasilianern noch immer den Inbegriff des Schönen wähnen.
Vor dem Finale bemerkt Christian Eichler (FAZ 29.6.). „Vor ein paar Monaten waren sie Pflegefälle des Fußballs, nun bestreiten Deutschland und Brasilien das Spiel der Spiele. Auf keiner Weltbühne lassen sich historische Trends so rasch umkehren wie bei einer Weltmeisterschaft. Dreißig Tage lang lag zwischen Jubel und Jammer oft nur ein falscher Pfiff, ein dummer Schritt, ein blöder Zufall. Der 31. Tag aber bringt ein Endspiel, das kein Zufall sein kann. Es ist, als hätte die spielerisch enttäuschende WM 2002 nur als Vorspiel gedient, um über den Champion des 20. Jahrhunderts zu entscheiden. Es ist zugleich die Kollision zweier Kulturen, zumindest in der populären Fußballtheorie. Die sieht Brasilien als Wiege der Schönheit, Finten und Finessen, des geschmeidigen, tänzerischen Spiels. Der deutsche Fußball steht für Disziplin, Kampfgeist, Zähigkeit und die Kunst, hässlich zu gewinnen. Das sind natürlich Klischees aus dem Holzschnittblock. Längst ist der Fußball globalisiert. Doch Restbestände der spielerischen Unterschiede bleiben sichtbar.“
Peter B. Birrer (NZZaS 30.6.) wirft ein. „Brasilien gegen Deutschland ist auch das Aufeinandertreffen zweier Extremitäten, wie wir sie zumindest auf dem Papier so gerne skizzieren. Auch wenn die schöne, allerdings mit Klischees behaftete Theorie in Zeiten des harten Kalkulierens schon lange nicht mehr in die Praxis zu übertragen ist, bietet der Vergleich durchaus seine Reize (…) Hier die Brasilianer, die Ballvirtuosen, all die Ronaldos, Rivaldos und Ronaldinhos, die morgens mit dem Ball am Fuß aufstehen und mit ihm abends wieder ins Bett gehen. Die südamerikanische Verspieltheit, begleitet von einem medialen Gewitter, das in seinem Extrembereich im Grunde schon gar nicht mehr wahr sein darf. Dort die Arbeiter Deutschlands, ihre Verbissenheit, ihr Wille, diese Fußballer, die einem zeigen, was mit (relativ) wenig Talent alles zu erreichen ist. Immer und immer wieder. Da kann man noch so sehr einwenden, dass die Tableauhälfte den Fußballern Deutschlands alle Hindernisse aus dem Weg geräumt hat. Oder dass sie Glück gehabt haben. Es bleibt dabei: Sie stehen zyklisch in den Endspielen. So bietet die erste WM in Fernost zum Dessert den Vergleich aus dem Lehrbuch, die Konfrontation zweier grundverschiedener Fußball-Kulturen.“
Die nationale Bedeutung des erfolgreichen Abschneidens der DFB-Auswahl hat Michael Ashelm (FAS 30.6.) im Auge. „Der fernöstliche Erfolgstrip des Teams ist – unabhängig vom Ausgang des letzten Auftritts – durchaus eine Art Ferntherapie für die Daheimgebliebenen. Die gelungene Inszenierung des Ensembles um seinen Dirigenten Rudi Völler könnte helfen, die gedämpfte Stimmung im Lande wieder ein wenig zu beschwingen. Gebeutelt durch die Krise, geoutet als ökonomisches Wachstumsschlusslicht in Europa und getroffen durch die Feststellung, dass auch der (angeblich) lernschwache Nachwuchs im Moment kaum Gründe für den Aufschwung liefert, kommt die fußballerische Erfolgsbilanz nun ganz recht.“
Zu den Interpretationen in Brasilien schreibt Josef Oehrlein (FAZ 29.6.). „Wenn die brasilianischen Fußballbegeisterten in der deutschen Mannschaft auch keinen „Star“ entdecken, so gibt es doch zumindest einen, den sie fürchten: den Torhüter Oliver Kahn. Über ihn werden in Brasilien wahre Wunderdinge verbreitet, als handle es sich um den Leibhaftigen. „O novo muro de Berlin“ wird Kahn in den Zeitungen in dicken Lettern genannt. Diese „neue Berliner Mauer“ sie fast so schwer niederzureißen wie die alte, schreiben die Kommentatoren.“
Christian Eichler (FAS 30.6.) resümiert die Spielweise der WM. „Inzwischen hat sich der perfektionierte Defensivfußball, wie ihn die Franzosen 1998 vorführten, auf alle Kontinente verteilt. Talent lässt sich nicht globalisieren, aber Organisation. Wir erleben die Globalisierung des Erstickungsfußballs (…) Der Fußball braucht einen Neuanfang. Braucht neue Ideen, auch wenn sie vielleicht verrückt klingen. Engere, glattere Trikots, die man nicht mehr greifen kann. Einen Spieler weniger, einen Schiedsrichter mehr. Zeitstrafen. Oder Fausthandschuhe für Grabscher. Und vor allem eine radikal gelockerte Abseitsregel: die zum Beispiel nicht in der ganzen gegnerischen Hälfte gälte, sondern nur im letzten Spielviertel, ab der Mitte zwischen Mittel- und Torlinie. So könnte sich das übervölkerte Mittelfeld wieder öffnen, weil die letzte Abwehrreihe nicht mehr weit vor dem Strafraum postiert werden könnte. Die individuelle Freiheit zum Spiel auf höchstem Niveau ist eine zarte Pflanze. Sie muss der immer weiter perfektionierten Defensivorganisation immer wieder abgerungen werden. Das schönste Spiel braucht neue Luft. Sonst wird es ersticken.“
Roland Zorn (FAZ 29.6.) porträtiert Rudi Völler. „Der Teamchef spricht und denkt manchmal noch so wie der Spieler Völler, er ist der bodenständige Typ geblieben, der er immer war – und dazu ein Trainer ohne Schein, aber mit echten Führungsqualitäten geworden. Geradeaus und unverkrampft trifft Völler seine Entscheidungen, ohne irgendwem gefallen zu wollen. Hinter der guten alten „Tante Käthe“ verbirgt sich nötigenfalls ein kühler, aber berechenbarer Profi. Völler hat auf Anhieb ein Gespür für die richtige Balance zwischen Loyalität und Distanz gegenüber den Spielern gefunden (…) Geradezu stoisch hat Völler personelle Rückschläge vor der Abreise zur Weltmeisterschaft nach Japan und Korea ertragen; nahezu unaufgeregt hat er seine Auswahl danach durch ein Turnier gelenkt, an dessen Ende der Trainernovize Völler fast schon wie der neue große Steuermann des deutschen Fußballs steht.“
Michael Horeni (FAZ 29.6.) zur selben Personalie. „Völlers Geradlinigkeit allerdings, so sagen Kenner, trage auch den Hang zum Starrsinn. Um einmal getroffene Entscheidungen zu revidieren oder neue Wege einzuschlagen, bedarf es mitunter Diskussionen, die über Tage geführt werden. Dabei kommt es vor allem Trainer Michael Skibbe zu, seine analytischen Stärken mit den Instinktentscheidungen Völlers in Einklang zu bringen. Dies ist nicht das geringste Verdienst von Skibbe am Team 2002, das mit dem Ende der Vorrunde aller möglichen personellen Veränderungen bedurfte. Seine Bodenhaftung bringt Völler nicht in die Gefahr, als veränderter Teamchef oder gar als veränderter Mensch von der WM zurückzukehren. Die Medien erleben nur den Schauspieler Völler – das ganze Getue ist ihm lästig.“
Ludger Schulze (SZ 29.6.) schreibt über Völlers Assistenten. „Skibbe ist offensichtlich sein Alter Ego. Häufig läuft die Entscheidungsfindung nonverbal ab, ein Blick, und der andere weiß, welcher Spieler eingesetzt oder welche taktische Maßnahme nach der Pause ergriffen werden sollte.“
Felix Reidhaar (NZZ 29.6.) porträtiert den brasilianischen Coach. „Scolari eilt als Coach der ebenso klischeeartige wie leichtfertige Ruf des so genannten Spieltöters voraus. Das liegt zum einen an seiner Arbeit, den Vorstellungen über Erfolgsgrundlagen in diesem Sport, die er beispielsweise im Team von Porto Alegre applizierte. Grêmios Titel basierten auf Defensivorganisation und limitierter Risikobereitschaft. Zum andern hat er sich verbale Verunglimpfungen selber zuzuschreiben, weil er Floskeln wie „nur der Sieg zählt“ übertreibt. Tatsächlich orientiert sich Scolari an modernen statt antiquierten Gesetzmäßigkeiten des Spiels. Er baut mehr auf mannschaftliche Kompetitivität und individuelle Integrität als auf persönliche Profilierungen, im Wissen, dass man sich über technisch überdurchschnittliche Fähigkeiten brasilianischer Spieler nicht den Kopf zu zerbrechen braucht. Wie jeder Selektionär nationaler Auswahlen richtet er das Augenmerk in der begrenzten Zeit auf die taktische Schulung (…) Die Deutschen nehmen für sich gleichfalls in Anspruch, sich im Verlaufe der Endrunde an ihre Kapazitätsgrenzen hinaufgehangelt zu haben. Sie werden am Sonntagabend in Yokohama mit ihrer athletischen und körperlichen Veranlagung der Gradmesser sein, an dem die Fortschritte einer geraume Zeit an Ort tretenden Seleção zu beurteilen sind.“
Direkte Freistöße
Porträt Miroslav Klose NZZaS
Porträt Ronaldinho NZZaS
Interview mit Dietmar Hamann FAS
Zwei Extreme treffen aufeinander (29.6.)
In Yokohama erwartet uns „eigentlich das Endspiel des vergangenen Jahrhunderts“, meint die FAZ in Anbetracht des Aufeinandertreffens zweier Fußballmächte, die die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts geprägt haben. Daher ist dieses Duell nicht der logische Höhepunkt eines Turniers, das wie keins zuvor die bestehenden Hierarchien durcheinander gewirbelt hat. Dabei entfacht das Duell zwischen den „am weitesten voneinander entfernten Polen des Fußballs“ (FAZ) eine Debatte um Stil, Kultur und Ästhetik des Spiels. „Im WM-Finale prallen die erfolgreichsten Fußball-Naturelle aufeinander“, heißt es in der SZ. Doch „eine Verschmelzung der Begabungen hat längst stattgefunden.“
Eine Randnotiz: In den letzten Tagen wurde immer wieder auf das vermeintliche Kuriosum verwiesen, dass die beiden erfolgreichsten Nationen der WM-Historie noch niemals gegeneinander gespielt hätten. Jedoch ist das nicht ganz richtig, denn 1974 trafen die Brasilianer in der Zwischenrunde auf die Auswahl der DDR und siegten mit 1:0. Dass dieses Ereignis in der Finalvorschau der deutschen Tageszeitungen (auch an dieser Stelle) keine Erwägung fand und findet, belegt deren westdeutsche Prägung sowie eine eingeschränkte Sichtweise. Gerade angesichts der Präsenz zahlreicher Akteure aus der „ostdeutschen Kaderschmiede“ (FR) im morgigen Finale – Jeremies, Linke, Schneider, Jancker, Ballack (leider nicht) – , hätte dieses Spiel mindestens eine Fußnote wert sein müssen.
Vor dem Finale bemerkt Michael Horeni (FAZ 29.6.). „Das Endspiel der 17. Weltmeisterschaft in Yokohama mag in Jahren rückblickend vielleicht als anachronistisches Finale einer zu Ende gehenden Belle Époque der alten Mächte betrachtet werden. Am Sonntag jedoch ist es der Höhepunkt der weltweit prägenden Fußballentwicklung der vergangenen 50 Jahre und eine Premiere zugleich, das Duell der Giganten: Brasilien gegen Deutschland. Prestigeträchtiger und bedeutungsschwerer könnte kein Endspiel sein.“
Den deutschen Finalgegner analysiert Ronald Reng (FR 29.6.). „Das ist Brasilien: Sich nicht um den Gegner scheren, sondern agieren, mit all dem Flair, den Tricks und der Raffinesse, die die Canarinha zur erfolgreichsten und beliebtesten Nationalelf auf Erden machten. Oder besser gesagt: Das ist das Bild von Brasilien, das Millionen Fußballfans haben. Man erwartet mehr von ihnen, als Spiele zu gewinnen. Sie müssen es mit Stil tun, und natürlich kam auch bei dieser WM mit den ersten zweckmäßigen Auftritten, vor allem im Achtelfinale gegen Belgien und dann gegen England, der Ruf auf: Dieses Brasilien sei viel schlechter als frühere Brasiliens; Scolaris Team sei ein Verrat an der Tradition des reinen Fußballs. Doch was war denn das beste Brasilien? Etwa die Künstlertruppen um Zico und Socrates in den achtziger Jahren, die vor lauter Tricks das Siegen vergaßen? Oder die Weltmeister von 1970 um Pelé, Gerson und Rivelino, für die ein Tor erst nach dreifachem Doppelpass ein wahres Tor zu sein schien, die aber auch bei Ballverlust im Angriff oft einfach stehen blieben? Wir jagen einer Illusion nach, einem Ideal, das es nicht mehr gibt, wenn wir uns das romantische Brasilien zurückwünschen, das nur dem Schönen, Guten, Wahren des Spiels frönt. Ein Team wie 1970 wird es nie mehr geben – nicht weil sie so gut gewesen wären, sondern weil Fußball heute ein anderes Spiel ist. 1970, das beste Team aller Zeiten? Wer die alten Videos noch einmal sieht, wird lachen. Außenstürmer, die – die Hände in die Hüften gestemmt – an der Seitenlinie stehen und zusehen, wie ihre Abwehrspieler verteidigen; Spielmacher, die im Stand eine kleine Ewigkeit überlegten, wo sie hinpassen würden. Man darf Brasilien 2002 nicht an romantischen Träumen messen, sondern an den Realitäten des modernen Spiels.“
Direkte Freistöße
Interview mit Joesph S. Blatter FR
Interview mit Pelé taz
(28.6.) „Am Sonntag teilt sich die Fußball-Welt“, schreibt die FAZ mit gebanntem Blick auf das Finale in Yokohama. Dass sich die Sympathiewerte auf die beiden Teams gleichmäßig verteilen, ist allerdings unwahrscheinlich. Die internationalen Wahrnehmungen – und Klischees – über die beiden Fußballkulturen könnten unterschiedlicher nicht sein. Brasilien gilt als der Inbegriff des schönen Fußballs, während Deutschland Romantikern wenig Anlass zu Schwärmereien gibt. Mit der DFB-Auswahl verbindet das Ausland meist phantasielosen teutonischen Kraftfußball. Dennoch spricht aus den Kommentaren aus England, Italien und Argentinien der Respekt vor dem deutschen Spiel.
Wird Brasilien zum fünften Mal den Titel erringen können? Peter Heß (FAZ 28.6.) blickt voraus. „Die Brasilianer halten sich für die Größten, womit sie ja vielleicht sogar recht haben. Ihre bisherigen Auftritte in Japan und Südkorea waren immer von der Nonchalance begleitet, die aus dem starken Glauben entsteht: Uns kann keiner. Sogar im Halbfinale durfte sich so mancher türkische Spieler im Rücken seines brasilianischen Gegenspielers freilaufen. Zwei, drei Eckbälle der Brasilianer entpuppten sich als größere Gefahr für das eigene Tor als für das türkische, weil sie, nachdem der Ball abgefangen war, so langsam nach hinten liefen, dass die Türken in Überzahl zu kontern vermochten. Die Fünfte könnte für Brasilien ohne weiteres zur Unvollendeten werden. Denn so kritisch man die deutschen Kicker auch sehen möchte – die Chancen, die sich ihnen bieten, nehmen sie häufiger wahr als alle anderen.“
Zu den unterschiedlichen Wahrnehmungen der beiden Fußballstile heißt es bei Michael Horeni (FAZ 28.6.). „Die Brasilianer spielen ja nicht! Sie zaubern, sie tricksen, sie schnicken, sie schlenzen, sie lupfen. Hacke, Spitze, Tor, vorwärts und noch mal zurück – das ist brasilianischer Fußball, wie ihn die Welt versteht, wie ihn die Welt liebt. Brasilien, das ist Fußball. Fußball, das ist Brasilien. Und die Deutschen, die spielen auch nicht. Sie ackern und rackern, sie schwitzen und stöhnen, sie kämpfen, sie grätschen, sie zerstören. Und plötzlich ist der Ball drin, irgendwie. Das ist deutscher Fußball, wie ihn die Welt sieht, fürchtet und hasst (…) Hier treffen erstmals nicht nur zwei grundverschiedene Fußballkulturen aufeinander, sondern es stehen sich zwei anthroposophische Konstanten gegenüber: der Homo ludens gegen den Homo faber. Oder, ästhetisch gesprochen: das Schöne gegen das Nützliche. So zumindest wird der Fußball wahrgenommen, den Deutsche und Brasilianer der Welt vorführen (…) Die Schönheit als Mittel zum Sieg einzusetzen, dieses ist im deutschen Fußball oftmals die letzte und seltenste aller möglichen Varianten. Die Nationalmannschaft hat sie aber auch bei dieser WM gefunden. Wie gegen Saudi-Arabien oder mit einzelnen, „schön“ herausgespielten Toren. Aber die Wirkung dieser Momente ist flüchtig, da Deutschland über die Jahre hinweg zahlreiche andere erfolgversprechende Wege gewählt hat als „schöne“ Lösung, um ein Spiel in schwieriger Lage doch noch zu gewinnen.“
Stefan Hermanns (Tsp 28.6.). „Im Grunde treffen am Sonntag in Yokohama auch zwei unterschiedliche Prinzipien des Weltfußballs aufeinander: brasilianische Leichtigkeit gegen deutschen Schwermut, Utopie gegen Realismus, Verspieltheit gegen Funktionalität, manche sagen: Gut gegen Böse. Vielleicht ist es doch kein Zufall, dass es noch nie ein Pflichtspiel zwischen Deutschen und Brasilianern gegeben hat. Vielleicht scheut der Fußball einfach eine eindeutige Entscheidung, welches Prinzip das bessere ist.“
Ronald Reng (FR 28.6.) porträtiert den brasilianischen Kapitän. „Cafu spielt Fußball auch in Hochdrucksituationen mit einem Lächeln auf den Lippen. Manchmal könnte man zwar glauben, er übertreibe es, etwa als er im WM-Achtelfinale gegen Belgien, statt den Ball in höchster Bedrängnis wegzudreschen, anfing, aus dem eigenen Strafraum hinauszudribbeln. Das war schierer Wahnsinn. Aber Cafu kam damit durch. Er strapaziert gemeinsam mit Brasiliens anderem Außenverteidiger Roberto Carlos das Sprichwort „Angriff ist die beste Verteidigung“ bis zur Extreme. Im Prinzip haben die beiden eine neue Position im Fußball geschaffen: Sie sind die Angriffsverteidiger. Abwehrspieler, die Stürmertricks wie Dribblings und Doppelpass zum Verteidigen benutzen und bei der nächstbesten Gelegenheit sowieso lieber in den Sturm streunen.“
Peter B. Birrer (NZZ 28.6.) porträtiert den Schiedsrichter des WM-Finals. „Wegen der teilweise unrühmlichen Vorgeschichten war der Entscheid, welcher Schiedsrichter das Finalspiel des World Cup leiten darf, von bedeutenderer Tragweite als auch schon. Als die Spitze des Weltfußballverbands Fifa und des WM-Organisationskomitees am Donnerstag in Yokohama zwecks Lobpreisung der Veranstaltung vor die Medien trat, wurde auf dem Podium zuerst noch kurz hin- und hergeschoben, wer denn nun den Namen des Spielleiters bekannt geben darf. Der Herrenklubhätte sich das kleine Versteckspiel ohnehin sparen können. Wenn nämlich derzeit in diesem Geschäft auf dem Rasen nichts mehr schief gehen darf, wenn jeder Pfiff zur richtigen Zeit erfolgen muss, kann nur noch einer helfen: der 42-jährige Italiener Pierluigi Collina, einer der berühmtesten Glatzköpfe der Welt, eine Autorität sondergleichen, die oberste Schiedsinstanz des Fußballs sozusagen. Collinas stechende Augen fixieren die Darsteller, seine wohl dosierten Gesten beruhigen erhitzte Gemüter, seine theatralische Mimik spricht Bände. Er schüttelt den Kopf, wenn ein Spieler ohne Fremdeinwirkung hinfällt. Er spricht ganz ruhig, wenn einer das Gefühl in die Welt hinausschreit, dass ihm doch Unrecht geschehen sei. Die Leitung des Finalspiels zwischen Brasilien und Deutschland ist der Höhepunkt in der Karriere des aus Viareggio stammenden Italieners.“
(27.6.) „Der Fußball-Olymp ist während dieser Fußball-Weltmeisterschaft ins Wanken geraten, eingestürzt ist er nicht“ heißt es in der FAZ anlässlich des unerwarteten Gipfeltreffens zwischen aus Brasilien und Deutschland. „Der Zufall hat perfekt Regie geführt“ kommentiert die NZZ die ironische Wendung eines Turniers voller Überraschungen und Favoritenstürze, das nun mit dem erstmaligen Aufeinadertreffen der beiden Altmeister seinen Sieger ermitteln wird. „Seit 72 Jahren wartet die Fußballwelt auf diese klassische Premiere“, erinnert die FAZ an den eigenartigen Zufall, dass ausgerechnet diejenigen Teams mit den meisten WM- sowie Finalteilnahmen noch nie bei einer Endrunde ihre Wege kreuzten. „Ein Clash der Fußballkulturen“ erwartet die SZ angesichts der beiden Spielanlagen, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Der Favorit ist wohl Brasilien, doch „mit dem Finaleinzug restauriert die deutsche Mannschaft das verblasste Bild einer Turniermannschaft“ gibt die SZ uns Hoffnung.
Ralf Wiegand (SZ 27.6.) über ein Endspiel, das normal ist und auch wieder nicht, bei einem unnormalen Turnier. „Treppenwitz reihte sich an Treppenwitz in der Geschichte einer WM, die zu einem lustigen Endspiel der Groteske hinaufzuführen schien. Und jetzt: spielt Deutschland gegen Brasilien. Im Wettbewerb der Kuriositäten stehen sich am Sonntag die Pole einer Fußballwelt gegenüber, zwei unvergleichliche und bisher unvereinbare Erfolgsgeschichten ein und desselben Spiels, das Fußball heißt und seine Unberechenbarkeit bewiesen hat, indem es ausgerechnet ans Ende eines bedauerlichen Massensterbens aller selbsterklärten und echten Favoriten ein Gipfeltreffen stellt, das bisher ein Tabu der WM-Geschichte war. Deutschland gegen Brasilien gab es noch nie (…) Man darf den spannenden Vergleich zweier Philosophien erwarten, den Feuilletonisten besprechen werden wie die Standardwerke großer Autoren.“
Das Finale wird „sporthistorische Pflöcke einschlagen“, heißt es bei Felix Reidhaar (NZZ 27.6.). „Brasilianer und Deutsche deshalb als Lückenbüßer zu bezeichnen, würde ihren spezifischen Qualitäten unzureichend Rechnung tragen. Gleichwohl werden sich beide realistischerweise kaum gegen die Relativierung wehren, sie hätten die Finalqualifikation mit mehr Nüchternheit als Fulminanz geschafft (…) Dank der Renaissance künstlerischen Fußballs auf Brasilianisch flammt nach einigen mühsam langatmigen Ausscheidungsspielen nochmals Hoffnung für dieses Turnier auf. Wenn sich die Sorglosigkeit der Südamerikaner in der Defensive vertreiben und mit Ronaldinho ihre miserable Chancenauswertung verbessern lässt, werden sich die Deutschen nochmals um Einheiten steigern müssen.“
George Vecsey (New York Times 26.6.) stellt überrascht fest, dass Brasilien schon wieder einen Torhüter mit Pferdeschwanz überlistet hat. (Da werden sie mit Olli nicht viel Freude haben.). Er findet es schade, dass es kein Finale zwischen Deutschland und der Türkei geben wird. „Über 2 Mio. Türken machen in Deutschland die Drecksarbeit. Die gesamte türkische Diaspora hätte ein Finale Türkei-Deutschland als Ereignis gefeiert, aber schließlich hatte Brasilien doch zu viel Können am Ball für solch einen letzten „kosmischen Witz“
Ronald Reng (FR 27.6.) zum Finale. „Was für ein Witz: Deutschland und Brasilien, die erfolgreichsten Mächte im Fußball, haben in 72 Jahren und 16 Weltmeisterschaften noch nie gegeneinander bei einer WM gespielt – und nun, ausgerechnet nun, wo ihnen alle Welt seit mehr als zwei Jahren einreden wollte, sie hätten so schlechte, ihrer Tradition unwürdige Teams, treffen sie sich zum ersten Mal.“
Über den deutschen Finalgegner schreibt Philipp Selldorf (SZ 27.6.). „Brasiliens Team hatte bei diesem Turnier bisher wenig gemein mit den historischen Vorgängern. Es fehlt ihm ein wenig an Flair, manches wirkt improvisiert, das allerdings auf der Grundlage überwältigender individueller Begabung. Aber was man der Elf an Unordnung und Desorganisation nachgesagt hat, das hat sie im Match gegen die Türkei nicht bestätigt (…) Bei allem Respekt für Duff, Mboma oder Donovan, die in den vorigen Spielen die Wege von Christoph Metzelder und Thomas Linke gekreuzt haben – es wird vermutlich etwas schwieriger werden für die deutsche Deckung gegen die Giganten Ronaldo, Ronaldinho und Rivaldo. Sollte also irgendjemand immer noch behaupten, die deutsche Mannschaft habe bisher keinen Gegner der Spitzenklasse gehabt – hier ist er.“
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