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Fußball-Presse

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Fußball-Presse

Die deutsche Fußball-Presse kann zwei Wochen vor Beginn des Großereignisses noch einmal Luft holen, denn derzeit passiert wenig auf dem Rasen. Vereinzelte Themen stehen heute auf der Agenda: u.a. die 1:2-Heimniederlage des deutschen Gruppengegners Irland gegen WM-Teilnehmer Nigeria sowie die erneute Niederlage Schottlands, dem Team von Berti Vogts. Das 1:4 gegen Co-Gastgeber Südkorea war die dritte Pleite in seinem dritten Spiel. Außerdem lesen wir vom gesellschaftlichen Stellenwert der deutschen Nationalmannschaft sowie von „gravierenden Auswirkungen“ nach Niederlagen auf die Befindlichkeiten hiesiger Fußball-Anhängern. Der Blick nach Asien zeigt erstens die historische und politische Entwicklung des Fußballsports in China. „Der Fußball soll in China erfunden worden sein“ (Tagesspiegel). Umso überraschender: China ist WM-Neuling. Zweitens wird – so steht es in der „Neuen Zürcher Zeitung“ – in Südkoreas Fußballöffentlichkeit so manches kulturpessimistische Steckenpferd von den Erben Konfuzius´ geritten. Abschließend wird bedauert, dass die „Verfallsgeschichte des Liedschaffens der Nationalmannschaft“ (Die Zeit) um ein Kapitel reicher geworden ist: Wir müssen dieses Jahr auf einen WM-Song verzichten.

Beim 1:2 gegen Nigeria beobachtete Philipp Selldorf (SZ18.5.) Deutschlands WM-Gegner Irland: „Roy Keane von Manchester United, der Antreiber und wichtigste Star der Mannschaft, spielte eine gute Stunde mit, nachdem sich die Nation noch während der vergangenen Tage gesorgt hatte, dass ihn eine alte Bänderverletzung lahm legen könnte. Augenzeuge Rudi Völler durfte auch etwas bestaunen, was er bei seinem eigenen Team eklatant vermissen muss: Die Kunst des Flankens ist für die irischen Spieler nicht mehr als ihr gängiges Handwerk. Das beherrschen sie, wenn sie bedrängt an der Eckfahne hantieren, wenn sie über die Flügel preschen oder wenn sie mit einem Rückpass angespielt werden und den Ball gleich in den Strafraum schlagen. Während der ersten halben Stunde geriet die Innenverteidigung der auch sonst unorthodox organisierten Nigerianer stark unter Druck.“

Die Irish Times (18.5.) berichtet von der überwältigenden Euphoriewelle, auf der die „Squad“trotz der Niederlage nach Asien reitet. „Hunderte von Fans fanden sich am Dublin Airport ein, um den 23 Mann starken Kader tosend zu verabschieden. Ihr Trainer McCarthy rang der Niederlage sogar positive Züge ab: „Die Niederlage gab uns einiges zu denken. Sie wird einige Leute wieder auf den Boden der Tatsachen bringen, da vieles schlicht zu einfach für uns verlief.““

Co-Gastgeber Südkorea bezwang in einem Testspiel Berti Vogts´ Schotten überraschend deutlich mit 4:1. Die schottische Tageszeitung Scotsman (18.5.) zeigte sich vom Spiel der Asiaten angetan und bezüglich der eigenen Perspektiven ernüchtert: „Südkorea spielte niemals besser, Schottland niemals schlechter (…) Das Tempo der Südkoreaner war außerordentlich, ihre Fitness herkulisch und ihre Tore bewundernswert (…) Es mögen vielversprechende Ansätze für die Zukunft vorhanden sein, aber die junge Generation von Vogts ist schlicht noch Meilen von einem Vergleich mit den selbst am meisten watschelnden Auswahlteams der Vergangenheit entfernt.“

Die FR (18.5.) spendet den Bravehearts Trost: „Sei´s drum, das kleine Volk im Norden hat die englische Besatzung überstanden, warum nicht auch einen deutschen Nationaltrainer?“

Mit den Methoden ihres holländischen Nationaltrainers Guus Hiddink zeigen sich Südkoreas Kulturkritiker überfordert, erfahren wir von Martin Hägele (NZZ 18.5.): „Der Fremde habe Koreas Fußball verraten, seine Tradition und Kultur, monieren die Kritiker. Sie stoßen sich beispielsweise daran, dass Hiddink eine neue Tischordnung einführte und damit die Distanz zwischen jungen und alten Spielern reduzierte, die aus der in Asien sehr wichtigen Verehrung der älteren Generation gewachsen ist. Diese von konfuzianischem Einfluss stark bestimmte Denkweise fördert indessen den Fußballnachwuchs ebenso wenig wie das Schulsystem, das im bildungshungrigen Land ungemein hohe Ziele vorgibt.“

Wie sehr Politik und Fußball zusammenhängen, sieht man an der Fußball-Historie Chinas. Martin Hägele (Tsp 18.5.) befragte zwei ehemalige Nationalspieler – Gu und Xu: „Sie seien keine Fußballspieler, sondern Marionetten des Mao-Regimes gewesen, meint Xu. Nachdem sich der eiserne Vorhang zumindest ein Stück gehoben und China der Fifa beigetreten war, merkten Chen und bald darauf auch der junge Gu, dass die herzliche Atmosphäre bei der Aufnahme in die asiatische Fußballfamilie schnell abkühlte. Sobald es um die Qualifikation für Weltmeisterschaften oder um die Tickets zu olympischen Turnieren ging, schloss sich die alte Clique, angeführt von den reichen Arabern und Koreanern, gegen den Neuen zusammen. „Das Geld der Öl-Millionäre hat aus dem Rasen heraus gestunken“, behaupten Chen und Gu. Nur aufgrund eines Komplotts zwischen Schiedsrichtern und einflussreichen Funktionären sei ihr Team in der Qualifikation zur WM 1982 und Olympia 1984 gescheitert.“

Mit den Befindlichkeiten deutscher Fußballfans befasst sich Volker Kreisl (SZ 18.5.) und zitiert den Berliner Sportphilosophen Gebauer: „Dass die Sehnsucht nach dem Symbol immer stärker sein wird als der Realitätssinn, glaubt Gebauer nicht. Die Nationalelf hat sich zwar etwas erholt, neue Peinlichkeiten wie das 0:1 gegen Wales könnten aber gravierende Auswirkungen haben. Der DFB-Erfolg ersetze ein Stück Selbstbewusstsein, breche er weg, dann sei der Fan nicht nur enttäuscht, sondern verletzt, er könnte sich abwenden. Die Nationalelf und ihre Fans stecken in einer gegenseitigen Abhängigkeit. In Frankreich, sagt Gebauer, „wird die Nationalmannschaft beobachtet und genossen, in Deutschland wird sie gebraucht.“

Im sensiblen Sozialsystem Nationalmannschaft hat Michael Horeni (FAZ 18.5.) einen entscheidenden Wandel ausgemacht: „Die einst wohlgeordnete deutsche Fußball-Welt ist ziemlich durcheinandergeraten. Über Jahrzehnte hinweg standen Namen und Begriffe wie Malente oder WM-Trainingslager für eine äußerst freudlose bis asketische Zeit, in der die Tage und Wochen eines Fußballprofis von morgens um 7 bis zur Bettruhe klar geregelt waren. Da lebte eine Fußballfamilie zwangsweise unter einem Dach, und es schien, als wäre dieser Mikrokosmos ein Abbild der patriarchalischen Gesellschaft, in der Familie nur sein konnte, wo der Bundestrainer war und herrschte. Doch im Jahr 2002 unter Teamchef Rudi Völler, der seine leidvollen Erfahrungen mit dieser Vorbereitung alten Stils hinter sich hat (Ich bin auch Malente-geschädigt), erinnert die deutsche Nationalmannschaft vielmehr an eine neudeutsche Patchwork-Familie, in der Familie nur noch danach definiert wird, wo sich an Leib und Seele gesunde Fußballprofis befinden.“

Eine „Geschichte des Verstummens“ erzählt Andreas Höll (Die Zeit 16.5.): „Zum ersten Mal seit 28 Jahren tritt die deutsche Nationalelf ohne eigenes Lied bei der Fußball-WM an. Mit der Bierzelthymne Fußball ist unser Leben war 1974 bei der ersten WM im eigenen Land, eine (west-)deutsche Tradition begründet worden. Dieser „Laienchor hoch bezahlter Profis“, darunter auch der bereits aus dem Jahre 1966 schlagererprobte Franz Beckenbauer (Gute Freunde kann niemand trennen), holte später den Pokal, für die Zukunft jedoch „wollte sich der Deutsche Fußball Bund nicht mehr allein auf die Sangeskraft seiner besten Spieler verlassen.“ Aber weder die Unterstützung von Udo Jürgens für die WM 1978 in Argentinien, noch die von Michael Schanze für die Spiele 1982 in Spanien und auch nicht die von Peter Alexander für die WM 1986 in Mexico brachte sportlichen Erfolg (… Im Jahr 2006) müsste auch Franz Beckenbauer wieder mitsingen, dieses Mal als Präsident des Organisationskomitees. Denn statistisch betrachtet spricht alles dafür, dass Deutschland mit dem singenden Franz Beckenbauer – wie 1974 und 1990 – wieder Weltmeister wird.“

Dass Franz Beckenbauer schon in jungen Jahren ein „Grantel-Meister“ gewesen ist, belegt der Rückblick von Hans Eiberle (FR 18.5.) auf das legendäre Halbfinale der Deutschen gegen Italien bei der WM 1970: „Viel später erst war vom Spiel des Jahrhunderts die Rede. Wer das in die Welt gesetzt hat? Die Presse, steht in Franz Beckenbauers Buch Einer wie ich, ihr Urteil sei übertrieben, wie so oft. Weshalb schwärmen die Freunde des Fußballspiels noch 32 Jahre danach von diesem dramatischen Duell der Deutschen gegen die Italiener bis zum bitteren Ende im Semifinale der WM 1970 – und Beckenbauer nicht? Mag sein, dass der Perfektionist am Ball nicht begreifen mochte, wie zwei Dutzend der besten Fußballer in zwei Stunden mehr Fehler machen konnten als das ganze Jahr über. Vor allem aber: Ein Spiel ohne Beckenbauer – das beste des Jahrhunderts? So einen Blödsinn konnte nur einer der zahllosen ahnungslosen Journalisten erfunden haben. Ohne Beckenbauer? Der geniale Fußballkünstler, schon damals Inbegriff der Leichtigkeit des Seins auf dem Rasenrechteck, hat zwar mitgespielt, aber in der Verlängerung einer Schulterverletzung wegen mit am Körper fixiertem rechten Arm die Hand aufs Herz gelegt. Der Gentleman am Ball als Behinderter, grausam abgestraft vom Schicksal, das sich des Italieners Giacinto Facchetti bedient hatte. Fast tatenlos musste er mit ansehen, wie der Gegner immer noch eins drauf setzte.“

Ob Christoph Daum wieder in Deutschland als Trainer arbeiten können wird, ist nach seinem Freispruch im Koblenzer Kokain-Prozess wieder wahrscheinlicher geworden. Im Gespräch mit Helmut Schümann und Henning Sußebach (Die Zeit 16.5.) äußert er sich über Vergangenheit und Zukunft: „Ich habe Fehler gemacht. Ich habe Kokain konsumiert, ich habe öffentlich gelogen (…) Ich habe ein Gebot übertreten, (…) ich habe der Sache selber den Turbo gegeben und habe das tausendfach bereut – aber glauben Sie mir, was ich in diesem Prozess mitgemacht habe, das war Buße satt: Die haben mich geviertelt, geteert, gefedert (…) Auf jeden Fall geht es irgendwann zurück nach Deutschland.“

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